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aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 6/2017

Wenn der Schlaf durch Mobil- und Kommunikationsfunk gestört wird

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© Focus Pocus LTD I fotolia.comKürzlich machte eine „Sensationsmeldung“ die Runde: „Schlafstörungen nehmen dramatisch zu.“ Die Zahl der Menschen in Deutschland, die schlecht ein- oder durchschlafen können, ist mittlerweile laut einer Umfrage der Deutschen Angestellten Krankenkasse (DAK) stark angestiegen. Fast 80% der Erwerbstätigen berichteten von Schlafproblemen. Das sind etwa 30% mehr als noch vor sechs Jahren. Jeder Zweite sei in der Folge bei der Arbeit müde. Unter besonders schweren Schlafstörungen leide jeder zehnte Arbeitnehmer – ein Anstieg von 60% seit 2010! Die spannende Frage aber, was für diese auffällige Entwicklung verantwortlich sein könnte, blieb letztlich ungeklärt.
Schlafstörungen können unterschiedliche Ursachen haben, hieß es – von Umgebungslärm in der Nacht über Stress am Arbeitsplatz oder in der Familie bis hin zu einem generell falschen Umgang mit dem Schlaf. Solch bekannte Allgemeinregeln treffen jedoch auch für frühere Jahrzehnte zu und erklären keineswegs die aktuelle, dramatische Zunahme. Ein möglicher Faktor wurde in die Erörterung der Gründe nicht einbezogen: Funk. Tatsächlich ist im betreffenden Zeitraum die Strahlenbelastung durch Funk allgemein stark angestiegen – und vielfach auch individuell, bis hinein in die Schlafzimmer. So mancher Zeitgenosse schläft mit angeschaltetem Smartphone oder Handy am Bett, ohne sich über die möglichen Auswirkungen auf die menschliche Biologie Gedanken zu machen.

Gerne verlässt man sich darauf, dass ja die offiziellen Grenzwerte eingehalten würden – ohne zu realisieren, dass diese amtlichen, ursprünglich bloß an der Wärme- oder Hitzewirkung orientierten Festlegungen höchst umstritten sind. Inzwischen verdichten sich nicht mehr zu ignorierende Hinweise auf biologische Wirkungen von Funkemissionen weit unterhalb der festgesetzten Grenzwerte. Selbst ganz geringe Dosen hochfrequenter gepulster Strahlung sind offenbar in der Lage, das zentrale Nervensystem, ja Zellmembranen zu beeinflussen oder oxidativen Stress auszulösen. So zeigte 2015 eine Studie in der renommierten Wissenschaftszeitschrift „Scientific Reports“, dass schon nach fünf Minuten WLAN-Bestrahlung mit 8000 µW/m2 Zellfunktionen negativ beeinflusst werden können – 1000-fach unterhalb der in Deutschland geltenden Grenzwerte! Eine geringe Leistungsflussdichte von weit unter 1 µW/m2 vermag offenbar an der Zellmembran bereits biologisch zu wirken.

Schon 1932 hatte Professor Erwin Schliephake in der Deutschen medizinischen Wochenschrift ein Forschungsergebnis veröffentlicht, wonach Personen, die sich längere Zeit in der Nähe elektrisch schlecht abgeschirmter Sender aufhielten, Symptome einer typischen vegetativen Störung zeigten – darunter „Schlafstörungen in der Nacht“. Auch Depressionen wurden hier bereits genannt: Ob deren starke Zunahme nicht ebenfalls auf die Wirkungen von Funk hin betrachtet werden sollten? Das Buch „Seeleninfarkt“ (2012) von Dr. Rüdiger Dahlke liefert Hinweise in diese Richtung.

Ein Dreivierteljahrhundert nach Schliephakes Untersuchungen ergaben sich mit der Auswertung des Deutschen Mobilfunk-Forschungsprogramms 2008 durchaus offene Fragen hinsichtlich möglicher Auswirkungen auf Befindlichkeit und Schlaf. Die Strahlenschutzkommission resümierte: „Eine Beeinflussung der Schlafqualität durch Felder des Mobilfunks gehört zu den am häufigsten geäußerten Beschwerden, obwohl objektive Belege dafür bisher fehlen.“ Der damalige oberste Strahlenschützer Deutschlands, Alexander Lerchl, suchte in jenen Jahren abzuwiegeln: „Auch Schlafstörungen sind bislang experimentell nicht auf Mobilfunkstrahlung zurückzuführen.“ Doch warum wurde eine Studie von 2008 ignoriert, die Hans-Peter Hutter, Michael Kundi und andere Wissenschaftler zum Thema durchgeführt hatten? Sie kamen zum Ergebnis: „In einer dem Bevölkerungsdurchschnitt entsprechenden Personengruppe wurde ein gesicherter Zusammenhang zwischen vorhandenen Beschwerdesymptomen und Stärke der GSM-Mobilfunkstrahlung gefunden.

Damit wurde jetzt in einer wissenschaftlichen Studie erneut bestätigt, was in der Praxis seit etwa einem Jahrzehnt evident ist. Aufgrund der jüngsten Beobachtungen in der Praxis ist dieser Zusammenhang auch für UMTS-Strahlung wahrscheinlich. […] Damit ist bestätigt, dass Mobilfunkantennen in einem Teil der Bevölkerung Beschwerden verursachen, und zwar umso stärkere, je höher die Strahlungsimmissionen sind.“

Dass Mobilfunkstrahlung tatsächlich die Hirnaktivität im Schlaf beeinflussen kann, ist 2011 durch ein breit angelegtes Schweizer Forschungsprogramm gezeigt worden.

Als 2017 die DAK die eklatante Zunahme von Schlafstörungen bekannt machte, diskutierte in diesem Zusammenhang kaum jemand als Ursache die nahezu flächendeckende Verstrahlung mit Mobil- und Kommunikationsfunk. Und doch gab es in diesem Zusammenhang immerhin die Meldung: „Das Handy im Schlafzimmer wird zunehmend zum Problem. Das hat das Fachkrankenhaus Kloster Grafschaft in Schmallenberg festgestellt.“ Der Chefarzt im Schlaflabor in Grafschaft riet konsequent dazu, Handys und Laptops aus dem Schlafzimmer zu verbannen. In der Tat wären dies einfach durchzuführende und zu erprobende Maßnahmen. Es müsste aber auch überprüft werden, ob nicht andere Strahlungsquellen den Schlafplatz beeinträchtigen und beseitigt oder abgeschirmt werden sollten. Zu denken wäre hierbei an nahe Funkmasten außerhalb der Wohnung, aber auch an haushaltsinterne Funker wie smarte Strom- und Heizungsmessgeräte oder einschlägige Wasserzähler.

Wenn aktuell damit geworben wird, durch ein smartes Heim könne „die elektronische Vernetzung von Küche, Wohn- und Schlafzimmer“ erfolgen, so wird hier zwar praktisch, aber kaum biologisch gedacht.

Umweltärzte und Baubiologen warnen vor den Auswirkungen gepulster Funkstrahlung. Sogar die Internet-Bank Ing-DiBa weiß: „Jährlich kosten Fehltage wegen psychischer Erkrankungen oder Schlafstörungen die deutsche Wirtschaft viele Milliarden – und die Zahl wächst.“ Sie stellte kürzlich fest: „Längst ist auch das Schlafzimmer keine handyfreie Zone mehr. Dabei warnen Wissenschaftler: Das blaue Licht der Smartphone-Displays hemmt die Produktion des Schlafhormons Melatonin. Wer also kurz vor dem Einschlafen seine E-Mails checkt oder im Internet surft, schläft tendenziell eher schlechter ein.“ Damit ist ein wichtiger Faktor benannt. Aber dass ein Handy oder Smartphone nicht nur Licht abstrahlt, sollte künftig ernsthafter in Rechnung gestellt werden.

Insofern dürfte es auch keine gute Nachricht sein, wenn derzeit neue Funktechniken in Aussicht gestellt werden, die immer besser durch Wände und bis in die Keller dringen können sollen. Tolle Leistungsfähigkeit verspricht in dieser Hinsicht das sog. neue Narrowband IoT, kurz NB-IoT. Und in drei Jahren soll der neue Mobilfunk-Standard 5G kommen, der mit einer Übertragungsgeschwindigkeit in Echtzeit einhergehen wird.

Das sind gewiss, rein technisch betrachtet, erfreuliche Entwicklungen. Doch was werden sie mit der menschlichen Biologie machen? Wie selten diese Frage gestellt wird, zeigte die 24. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin, die im Dezember 2016 in Dresden stattfand. Dort wurde für den Mobilfunk-Standard G5 geworben und die „dringende Notwendigkeit“ betont, den Schritt in Richtung „Schlafmedizin 4.0“ zu gehen – mit Überlegungen etwa, künftig Smartphones für die Schlaf-Erfassung zu nutzen. Wird nicht mit derlei Tendenzen die Chance verschlafen, Fortschritt in unserer „Müdigkeitsgesellschaft“ (Byung-Chul Han) menschengerecht zu gestalten?

Prof. Dr. Werner ThiedeProf. Dr. Werner Thiede
Pfarrer der Ev.-Luth. Kirche in Bayern, Publizist und Autor

werner-thiede@web.de

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