Übersicht dieser Ausgabe    Alle Paracelsus Magazine

aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 2/2018

Chiropraktik

Cover

Vom „Knochenbrecher“ zum „Biomechaniker“

Die heutige Chiropraktik basiert, wie viele manuelle/manipulative Behandlungsformen, auf Anwendungen aus ganz frühen Zeiten. Bereits in der Antike und später im Mittelalter wurden Menschen durch Schlingentische und andere Gerätschaften auf eher unsanfte Art und Weise deblockiert. Aufgrund der großen Entwicklungssprünge in der frühen Medizin (insbesondere der chirurgischen und pharmazeutischen Behandlungen) waren manuelle Methoden für einen langen Zeitraum aus dem Fokus des Interesses verschwunden. Einen erneuten Aufschwung erlebte die Chiropraktik in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg, nicht zuletzt durch das Wirken von Werner Peper (Chiropraktiker, USA) und Dr. Freimuth Biedermann (Arzt, Deutschland). Heute ist die Chiropraktik eine aus der Praxis nicht mehr wegzudenkende Behandlungsmethode, die mit Rücksicht auf den aktuellen Wissensstand weitaus mehr kann als das umgangssprachliche „Einrenken“.

Der moderne Chiropraktiker ist sich des Zusammenspiels der orthopädischen und neurologischen Gegebenheiten voll bewusst und weiß, dass ein einfaches „Knacken lassen“ kein dienliches therapeutisches Mittel ist. Bevor wir auf gezielte Diagnostik und Behandlung eingehen, die zu Beschwerdefreiheit verhelfen kann, wenden wir uns kurz diesem bekannten Geräusch der manuellen Medizin zu.

Um das „Knacken“ während einer chiropraktischen Behandlung ranken sich viele Gerüchte und Halbwahrheiten. Aussagen reichen von „Das bringt Wasser in die Gelenke“ über „Das sorgt für Gicht“ bis hin zu „Da reiben die Knochen aneinander“. Wissenschaftlich betrachtet, kann auch heute noch keine 100%ige Erklärung gegeben werden. Beachten sollte man, dass ein Gelenk, unabhängig davon, ob es blockiert ist oder nicht, zu diesem „Knacken“ gebracht werden kann. Für den Therapeuten heißt dies nichts anderes, als dass dieses Geräusch kein(!) Indikator für den Therapieerfolg darstellt. Ganz im Gegenteil: Auch Gelenke, die während der Behandlung nicht „geknackt“ haben, können nach deren Abschluss wieder funktionsfähig sein. Van den Berg und Wolf beschreiben in ihrem Buch „Manuelle Therapie: Sichere und effektive Manipulationstechniken“ den psychologischen Effekt dieses Geräusches. Für den Patienten kann es ein nicht zu unterschätzender Faktor sein, wenn dieses, meist passiv herbeigeführte Knacken passiert. Er spürt, dass gerade etwas mit seinem Körper geschehen ist. Die Kritiker der Chiropraktik würden hier den Wirkmechanismus des Placebo-Effektes aufführen.

Das allgemeine Problem der Chiropraktik und Manuellen Medizin stellt die geringe Verfügbarkeit von randomisierten Doppelblindstudien dar. Um wissenschaftlich genaue Aussagen treffen zu können, müssten die jeweiligen Voraussetzungen (u.a. Untersuchungsstandards und Therapie-Richtlinien) geschaffen werden. Auch in der Fachliteratur ist die Wirksamkeit chiropraktischer Behandlungen nicht einheitlich beschrieben. Van den Berg und Wolf fassen sie wie folgt zusammen:

  • direkte Symptombeseitigung
  • kurzfristige Lösung
  • Erste Hilfe/Problembehandlung
  • Öffnung für weitere Therapien

Symptomtherapie statt Kausaltherapie

Nichtsdestotrotz scheint die chiropraktische Behandlung in der Medizin ihre Berechtigung gefunden zu haben, auch aufgrund der großen Anzahl erfahrungsbasierter Therapieerfolge.

Was geschieht in einer chiropraktischen Behandlung?

Der moderne Chiropraktiker behandelt Patienten mit einer Vielzahl von Beschwerden: Neben den klassischen Rückenschmerzen können wirbelkörperspezifische Störungen durch Beeinträchtigung neurologischer Funktionen auch in verschiedensten anderen Bereichen Probleme verursachen (z.B. im Magen-Darm-Trakt, HNO-System).

Zunächst sollte der Therapeut eine genaue Anamnese durchführen, um Kontraindikationen auszuschließen. Gefäß- oder Strukturveränderungen, akute Entzündungen oder der Schmerzzustand des Patienten können Gründe dafür sein, dass Chiropraktik in der Folge nicht angewendet werden kann. Auch sollten Ängste des Patienten (u.a. durch schlechte Erfahrungen) berücksichtigt werden. D. D. Palmer, einer der Begründer der Chiropraktik, betonte: „Die Gefahr für den Patienten geht nicht von der Technik aus, sondern von einer schlechten Anwendung dieser.“

Nach abgeschlossener Anamnese sollte der Therapeut ein für seine Patienten einheitliches funktionelles und strukturelles Diagnoseschema anwenden. Hier hat sich das 5/5-Schema nach H. Frisch bewährt.

Anamnese

  • Untersuchung (Inspektion, Palpation, Bewegungsprüfung)
  • Neurologische und angiologische (Funktions-)Tests
  • evtl. bildgebende Zusatzuntersuchungen
  • Diagnose

Therapie

Ist der Therapeut nach Ausschluss von Kontraindikationen zu einer Diagnose gekommen, steht ihm in der modernen Chiropraktik eine Reihe an Techniken zur Verfügung, die gezielt auf den Patienten abgestimmt werden sollten. Eine der bekanntesten Formen ist die „Manipulation“. Ziel ist, das physiologische Gelenkspiel wieder herzustellen.

Nach Palpation des jeweiligen Segmentes und der manuellen Kontaktaufnahme stellt der Therapeut das betroffene Gelenk ein und verriegelt es translatorisch am Bewegungsendpunkt. Verriegeln bedeutet eine möglichst genaue biomechanische Positionierung des Gelenks insofern, dass nur dieses mit der nachfolgenden Impulstechnik behandelt wird. Sobald der Endpunkt (Vorspannungsmaximum) erreicht ist, wird die eingestellte Bewegung gegen den Widerstand des Gewebes maximal beschleunigt. Das Beschleunigen wird als Impuls bezeichnet. Grundsätzlich gilt, dass eine gut ausgeführte Impulstechnik eine maximale Vorspannung mit minimaler Impulsamplitude bedeutet. Entscheidend ist die aufgebrachte Bewegungsgeschwindigkeit des Therapeuten.

Nach durchgeführter Manipulation wird das Gelenk zurück in die ruhige Ausgangsstellung gebracht. Eine anschließende Kontrolle der Schmerzintensität und des Bewegungsspielraums sollte unmittelbar erfolgen.

Da die Chiropraktik in der Regel bestehende Probleme selten ursächlich löst, sollten im Therapieplan auch passende Folgebehandlungen und präventive Maßnahmen berücksichtigt werden (z.B. Vorbeugen einer erneuten Blockade durch gezieltes Training, senken des Muskeltonus durch manuelle/physikalische Therapie, Reduktion des psychischen Stressniveaus).

Zusammengefasst ist die gut und richtig angewandte Chiropraktik eine aus der manualtherapeutischen Praxis nicht mehr wegzudenkende Methode. Sie kann dem Patienten sehr schnelle Hilfe bieten, egal ob schmerzlindernd oder selbstregulationsfördernd. Zudem besteht eine Vielzahl an Kombinationsmöglichkeiten zu den gängigen Therapien der (Natur-) Heilkunde.

Steven KäsebergSteven Käseberg
Studium der Trainingswissenschaften (B.A.) und der Psychologie (M.Sc.), Sporttherapeut, selbstständig in den Bereichen Betriebliches Gesundheitsmanagement, Prävention/Rehabilitation, Training und Coaching
steven.kaeseberg@googlemail.com

zurück zur Übersicht dieser Ausgabe
Paracelsus SchulenWir beraten Sie gerne
Hier geht's zur Paracelsus Schule Ihrer Wahl.
Menü