aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 2/2018
Zone therapy
Wer hat‘s erfunden?
Es war eine der fruchtbarsten Zeiten der akademischen Wissenschaften mit charismatischen Zeitgenossen wie Einstein, Tesla, Nobel, Edison, Freud, Curie, Planck, Sauerbruch, von Bergmann u.v.a. Babinski beschrieb den nach ihm benannten Reflex bei Pyramidenbahnstörung. Pawlow erforschte erfolgreich die komplexe Auswirkung konditionierter Reflexe. Head lieferte den Überblick über die Dermatome. Mackenzie begriff die segmentale Verknüpfung des visceromyotomen Reflexes.
Es war Anfang des 20. Jahrunderts, als der nordamerikanische Hals-Nasen-Ohren-Arzt Dr. William Hope Fitzgerald (1872-1942) ein sensationelles Behandlungskonzept entwickelte. Zusammen mit Dr. Edwin Frederik Bowers und Dr. George Star White publizierte er es 1917 im Buch „Zone therapy, or Relieving pain at home“. Das Buch enthält nicht nur eine Sammlung von Patientenfällen; erstmals findet man Anweisungen zur Selbstbehandlung mittels Zonenbehandlung bei Kopfschmerzen, Seh- und Hörstörungen, Nervenverletzungen, Menstruationsproblemen, Geburt, Tonsillitis, Fieber, Asthma etc. Das Buch wurde ein Bestseller, und schon nach Monaten wurden in ganz Amerika Zonen und Punkte, v.a. an Händen und Zunge, mit den Fingern massiert, aber auch mit Wäscheklammern, Aluminiumkämmen und Gummibändern gedrückt, gepresst oder gezwickt. Für die Zunge wurden verschiedene medizinische Instrumente zweckentfremdet, um eine gute Stimulation zu erreichen. Das Ziel dieses ungewöhnlichen Procedere war es, körperliche Beschwerden einfach, kostengünstig, nicht-medikamentös und wirkungsvoll zu behandeln. Das Herzstück des Buches sind die „10 Körperzonen“ nach Fitzgerald. Sein einfaches System war ein Meilenstein in der nicht-medikamentösen Komplementärmedizin und ermöglichte einen didaktischen Zugang zu mehreren holistischen Ordnungstherapien.
Wie kam es zu diesem Ansatz, der auch Grundlage der uns vertrauten Fußreflexzonenmassage ist? Es steht die Frage im Raum, wodurch Fitzgerald tatsächlich beeinflusst wurde.
Er selbst bezieht sich auf keinerlei äußeren Einfluss in Bezug auf die Zonenverläufe. Die Aussagen seiner Nachfolger sind unterschiedlich und reichen von uralten Überlieferungen aus Indien, Ägypten, Griechenland und China bis hin zur Ethnomedizin der Cherokee. Sicherlich massierten sie alle ihre Füße, aber in einem völlig anderen Kontext. Fitzgerald hatte wohl schon einmal die Darstellung der chinesischen Meridiane gesehen, deutete sie jedoch als eine Art Nervengebilde. Er kannte mit Sicherheit das japanische Jin Shin Jyutsu, war aber mit der fernöstlichen Meridianlehre nicht im Geringsten vertraut. Die chinesische Meridianlehre kann als direkte Initialzündung für seine Methode ausgeschlossen werden.
Da Fitzgerald auch in London arbeitete und seinerzeit das indische Shampoonieren (Massieren) in England schon über 20 Jahre lang verbreitet war, lernte er dies u.U. auch kennen. Ein Einfluss auf die Theorie der Körperzonen ist jedoch ebenfalls auszuschließen, denn mit der indischen Medizin war er genauso wenig vertraut wie mit der chinesischen. Auch waren die Massageformen des ausgehenden 19. Jahrhunderts eher ergänzende Teilmassagen, um gymnastische Übungen zu optimieren. So auch bei Hippokrates. Er wird des Öfteren angeführt, die Reflexzonenmassage genutzt zu haben. Es ist zwar zu vermuten, dass Hippokrates diverse Somatotope zur Diagnose nutzte; überliefert ist jedoch nur eine Art Teilmassage aus Reibungen zur lokalen Gelenkbehandlung, auch hier in Kombination mit Bewegung.
Manche Autoren erwähnen auch, dass die Cherokee sich im Krankheitsfall traditionell mit Druckpunktmassagen an Händen und Füßen behandelten, was Fitzgerald wohl auch beobachtet haben soll. Die indianischen Massagemethoden haben oft einen zeremoniellen metaphysischen Ansatz. Zonen, wie sie Fitzgerald beschreibt, konnte ich bei den nordamerikanischen Indianern jedoch nicht finden.
Ab 1899 assistierte Dr. Fitzgerald bei dem Otologen und späteren Nobelpreisträger Adam Politzer in Wien. Es ist möglich, dass er mit hiesigen ganzheitlichen Ansätzen in Berührung kam. Pfarrer Kneipp schreibt 1886: „Es hat z.B. Jemand einen bösen Finger. Ich wirke nicht allein auf den Finger, sondern auch auf die Hand, auf den Arm, auf den ganzen Körper. Der böse Finger ist nur eine böse Frucht des bösen Zweiges, des bösen Astes, des bösen Stammes. Ist der Stamm in Ordnung, liefert er genügenden und guten Saft, so muss auch die Frucht eine gute werden. Die Anwendungen, resp. die Verbesserungen der Zweige und Äste, d.i. der Hand und des Armes, geschehen neben den Wickeln durch die Hand- und Armbäder.“
Der Hals- und Nasenarzt W. Fließ entdeckte eine Synergie zwischen weiblichen Sexualorganen und der Nasenschleimhaut. 1893 veröffentlicht er das Buch „Nasale Reflexneurose“. In den kommenden 15 Jahren erschienen drei weitere Bücher über nasale Fernwirkungen von ihm, in denen er sie als Reflexzonen bezeichnete. Fließ war mit Sigmund Freud befreundet und hielt sich daher auch in Wien auf; möglich, dass Fitzgerald die Entdeckungen von Fließ kennenlernte. Das ist jedoch rein hypothetisch.
1908 brachte Alfons Cornelius nach 15-jähriger Forschung eine außergewöhnlich detaillierte Beschreibung seiner „Nervenpunktmassage“ heraus. 1910 stellte Albert Abrams in San Francisco seine Spondylotherapie vor. Außer Fitzgerald forschten viele amerikanische, französische, chinesische, russische, ungarische, deutsche und englische Mediziner mit unterschiedlichen Ansätzen an der somatischen Korrespondenz.
Tatsächlich findet man die größte Übereinstimmung der „Zone therapy“ mit den psychomedialen Linearketten des italienischen Psychiaters Prof. Dr. Giuseppe Calligaris. Dessen Forschungen gehören seit 1908 zu den umstrittensten und geheimnisvollsten Therapieansätzen der Neuzeit. Er entdeckte ein umfangreiches und interessantes, wenn auch okkult anmutendes Netzwerk aus longitudinalen Linien und reflektorisch wirksamen Punkten. Er ging davon aus, dass über die Topographie der Linien und Punkte auch eine Kommunikation zwischen Unterbewusstsein und Universum stattfindet und bezeichnete bestimmte Punktemuster als Fenster zum Universum. Bei Fitzgerald ist die Linienführung eine Art sagittal verlaufendes Schnittmuster scheibenartiger Zonen, die den Körper in zehn Sektoren aufteilen. Bei Calligaris ist dies letztlich bedeutend komplexer.
Fitzgerald beschreibt, wie ein Missgeschick ihn zu seiner Methode bewog. Ihm zufolge waren es wohl eher Gevatter Zufall und eine Handvoll genialer Geistesblitze eines talentierten, enthusiastischen, tüchtigen Mediziners mit Herzblut. Durch den konstanten Druck eines Wattetupfers am Augeninnenrand wurde die Nase eines Patienten taub. Er erkannte eine medikamentenfreie Analgesie-Möglichkeit, der er sich fortan verschrieb. Weitere „Spots“ mit Fernwirkung fand er in der Nase, auf und unter der Zunge, den Lippen, im Gaumen, im Rachen, Pharynx, Epipharynx, an den Gelenken, den Fingern und den Zehen. Er beschreibt die Synergie der Punkte auf korrespondierende Funktionsstörungen und die Veränderung der Druckschmerzhaftigkeit bei einsetzender Analgesie. Ebenso liest man, wie Punkte und Zonen zu behandeln sind. Aufbauend auf diesen korrespondierenden Punkten, entwickelte er seine „10-Körperzonen-Theorie“.
Innerhalb dieser longitudinalen „Zones“ befinden sich mehrere Druckpunkte, über die man auf Organe, Knochen, Gewebe etc., die sich in der betreffenden Zone befinden, einwirken kann. Fitzgerald schreibt: „Wir, die wir an die Zone Therapy glauben, wissen, warum wir die Zähne zusammenbeißen. Es ist, weil diese Vorgehensweise die Nervenspannung wiederherstellt, die alle Schmerzen in allen Zonen des ganzen Körpers lindert, verbunden durch unsichtbare, bislang unentdeckte Leitungen, die die Telegraphenmasten der Zähne durchlaufen.“ Beeinflusst durch Dr. George Star White, erklärte sich Dr. Fitzgerald den therapeutischen Ansatz seiner Methode damit, dass eine bioenergetische Regulationsfähigkeit durch Druckpunktreize angeregt wird. Alle innerhalb einer Körperzone ausgeführten Reize wirken sich seiner Meinung nach auf das gesamte Versorgungsgebiet der Zone aus.
Neben Dr. Bowers erfährt Fitzgerald die größte Unterstützung durch Dr. George Star White, dem Begründer der Biodynamik-Diagnostik, und das Ärzteehepaar Dr. Ann Elisabeth und Dr. Joe Shelby Riley, einen renommierten Chiropraktiker. Dr. Riley wurde durch die Artikel, die Dr. Bowers schon Jahre vor dem Erscheinen des Buches über Fitzgerald und seine Methode publizierte, auf die Methode aufmerksam und ließ sich zusammen mit seiner Frau darin ausbilden.
So sehr er es sich zeitlebens auch wünschte, seine einfache und ökonomische Behandlungsweise wurde nicht von einer größeren Ärzteschaft angenommen. Der Tod seines Sohnes und der darauffolgende Auszug seiner Frau machten Fitzgerald zusätzlich zu schaffen, sodass er die Früchte seiner herausragenden Arbeit kaum genießen konnte. William Hope Fitzgerald verstarb 1942 im Alter von 64 Jahren.
Sicherlich war es Fitzgerald und seinen Co-Autoren nicht bewusst, dass es nicht nur die Inauguration einer neuartigen Therapieform war, vielmehr war es die offizielle Geburtsstunde der modernen Reflexologie, wobei der Begriff „Reflexology“ in Fitzgeralds Buch nicht einmal vorkam. Er wurde offenbar erst später von Joe Riley vorgeschlagen und verwendet. Da man bei der „Zone therapy“ nervenreizende Druckpunkte appliziert, schien es Dr. Riley wohl naheliegend, diesen Begriff zu verwenden. Er veröffentlichte bis 1942 mehrere eigene Bücher, u.a. „Zone Reflex“. Auch ist es der Verdienst von Dr. Rileys Forschungen, die Zonen von Fitzgerald an Händen und Füßen durch je acht querverlaufende Linien zu ergänzen und somit die Grundlagen für die somatotope Betrachtungsweise der „Zone Therapy“ zu schaffen, wie wir sie heute kennen. Hier finden sich auch Ähnlichkeiten mit Calligaris System, der ebenfalls acht waagerechte Linien definiert.
Der Urvater der Reflexologie, wie wir sie heute kennen, scheint tatsächlich Dr. Joe Shelby Riley zu sein. Er veröffentlichte als erster Ohr- und Gesichtsreflexzonen. Seine Darstellung der Körperzonen hat auch eine andere Linienführung als die von Fitzgerald.
Gesichert ist für mich, dass es ohne das Mitwirken des Ehepaares Riley niemals zur heutigen Fußreflexzonenmassage gekommen wäre. Die Fokussierung auf die reflektorisch wirksame Fußmassage und die zeichnerische Darstellung eines entsprechenden Fußsomatotops wurde erstmals 1938 von Rileys Schülerin Eunice Ingham-Stopfel veröffentlicht. Sie arbeitete einige Jahre bei Dr. Riley, bevor sie hauptberuflich als erste Fußreflexzonenmassage-Lehrerin durch Amerika zog. Etwa ab 1920 entwickelte sie ihre eigene manuelle Methode zur Zone-Reflex-Theorie. Somit ist Eunice Ingham-Stopfel (1889-1974) die wirkliche Begründerin „unserer“ Fußreflexzonenmassage.
Arno Stolz
Masseur und med. Bademeister mit eigener Praxis. Seit 2003 Dozent für Massage an der Paracelsus Schule Freiburg. Begründer der „Regulationsmassage nach Stolz“