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aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 4/2018

Wenn ein Kind im Mutterleib stirbt

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Wege aus der Trauer

© Monkey Business / fotolia.comDer Puls rast, der Kopf ist leer … nur langsam sickern die Worte durch. Das Kind, das sie in ihrem Bauch trägt, lebt nicht mehr. Ein Schock! Es ist beinahe unmöglich, einen klaren Gedanken zu fassen. So viele Fragen und zu treffende Entscheidungen prasseln auf die Mutter ein. Und eine Stimme im Kopf schreit: „Nein, das kann nicht sein!“ und „Warum?“

Der Verlust eines Kindes, und ist es noch so klein, ist eine sehr schmerzhafte Erfahrung, die zunächst nicht nur Zukunftsträume zunichtemacht, sondern auch die Auflösung der schon aufgebauten Verbindung spürbar werden lässt.

Medizinisch definiert ist eine Fehlgeburt, wenn das Kind weniger als 500 Gramm wiegt. Meist wird dieses Gewicht zwischen der 22. und 24. Schwangerschaftswoche (SSW) erreicht. Ausschlaggebend ist jedoch immer das Gewicht, nicht die SSW. Wiegt das Kindes mehr als 500 Gramm, dann spricht man von einer Totgeburt. Die Statistik zeigt, dass eine Fehlgeburt in den ersten Wochen relativ häufig vorkommen kann. Doch diese Zahlen werden dem Verlust nicht gerecht. Dieser Schmerz muss betrauert werden.

Manchmal haben Frauen bereits eine Vorahnung, dass etwas nicht stimmt. Oder es fühlte sich alles ganz normal an, bis die Ergebnisse der Routineuntersuchung die werdenden Mütter ganz plötzlich aus der Vorfreude auf ihr Baby reißen. Oft wird im Ultraschall festgestellt, dass das Herz des Kindes nicht mehr schlägt. Aber auch durch starke Blutungen kann sich eine Fehlgeburt ankündigen.

Mitten im Schockzustand ist es wichtig, erst einmal keine Entscheidungen zu treffen. Das Gehirn weigert sich ohnehin, einen klaren Gedanken zu fassen. Früher oder später wird dies aber natürlich notwendig. Sobald der Gynäkologe eine Fehlgeburt festgestellt hat, hat die Frau oder haben Paare – unabhängig von Alter und Gewicht des Kindes – mehrere Möglichkeiten zu entscheiden, wie es nun weitergehen kann oder soll.

Wenn keine Infektion oder andere medizinische Gründe vorliegen, die dagegen sprächen, kann abgewartet werden, bis der Körper sich durch eine zumeist starke Blutung, die oft von Wehen begleitet ist, auf natürlichem Weg vom toten Kind verabschiedet oder ob eine Operation erfolgen soll, während der die Gebärmutter ausgeschabt wird. Eine Operation birgt immer Risken. In diesem Fall sowohl körperliche als auch seelische. Viele Frauen berichten, dass sie mit der Zeit des Abwartens auch die Möglichkeit bekommen haben, Abschied zu nehmen.

Jede Frau sollte für sich entscheiden können, was das Richtige für sie ist. Das heißt nicht unbedingt, dem ersten Impuls im Zustand des Schocks zu folgen, sondern durchzuatmen, sich über Optionen und deren Vor- und Nachteile aufklären zu lassen – entweder durch Ärzte, Hebammen oder auf das Themengebiet spezialisierte Heilpraktiker oder Psychotherapeuten. Ohne medizinischen Notfall gibt es keinen Grund zu Eile. Es bleibt Zeit, sich mit dem Partner abzusprechen und dann in Ruhe zu entscheiden.

Egal, wie diese ausfällt: Der Frau steht nach einer Fehlgeburt rechtlich immer eine Hebammenbetreuung zu. In den Mutterschutz kann sie allerdings nur nach einer Totgeburt gehen. Trotzdem kann sie sich so lange krankschreiben lassen, wie sie es braucht, um das Gefühl zu haben, wieder arbeiten gehen zu können.

Wird das Kind als Totgeburt bezeichnet, dann raten die Ärzte meist zur natürlichen Geburt. Im ersten Moment mag das eine Abwehrreaktion hervorrufen. Es möglichst schnell hinter sich zu bringen, kann der erste Impuls sein. Doch Frauen, die ein Kind tot zur Welt gebracht haben, erinnern sich häufig später mit Stolz daran, dass sie ihr Kind geboren haben. Zudem treten trotz der Trauer und dem Schmerz über den Verlust häufig auch glückliche Gefühle im Rahmen der Geburt auf. Zu realisieren, dass das Kind wirklich gestorben ist, ist ein wichtiger Bestandteil des Trauerprozesses. Eine natürliche Geburt ermöglicht das.

Doch auch in diesem Fall muss nichts überstürzt werden. Die Geburt muss nicht sofort eingeleitet werden, solange aus medizinischer Sicht keine Notwendigkeit besteht. Die Eltern können zunächst nach Hause fahren, den Verlust realisieren, miteinander reden und weinen. Und sie haben Zeit, sich darüber klar zu werden, was sie als Erinnerung behalten, wen sie benachrichtigen wollen. So können sie z.B. auch den Großeltern die Möglichkeit geben, direkt nach der Geburt Abschied zu nehmen und zusammen zu trauern. Wenn es Kinder in der Familie gibt, kann die Zeit genutzt werden, um ihnen altersgerecht zu erklären, dass ihr Geschwisterchen gestorben ist.

Eltern können darum bitten, wenn das nicht schon von der Klinik aus so geregelt ist, auf der Gynäkologischen Abteilung untergebracht zu werden, und nicht zwischen den frischgebackenen Müttern. Zudem kann ein Seelsorger hinzugezogen werden.

Wieder zuhause angekommen, erscheint alles leer und trist. Die farbenfrohe Zukunft, die erträumt war, liegt in Scherben. Wie kann es nun weitergehen? Angst keimt auf. Dürfen unsere Tränen sein?

© YakobchukOlena I fotolia.comTrauer ist ein guter und natürlicher Prozess. Vielleicht werden nicht alle aus dem sozialen Umfeld das verstehen. Vor allem, wenn es sich um eine Frühgeburt handelt, wird Betroffenen oft nicht genug Zeit für die Trauer zugesprochen. Doch ein Verlust bleibt ein Verlust. Genau jetzt möchten viele Betroffene mit Familie und Freunden reden, einfach in den Arm genommen werden, und sie wollen, dass ihre Tränen ausgehalten werden. Angehörige und Freunde können auch zielgerichtete Hilfe anbieten, z.B. bei der Zubereitung des Essens helfen oder sich um Geschwisterkinder oder Haushalt kümmern.

Während der Trauerphase sind sowohl unrealistische Gedanken als auch unterschiedlichste Gefühle (wie Wut) vollkommen normal. Es gibt verschiedene Bezeichnungen für die unterschiedlichen Phasen der Trauer. Der Trauer-Psychologe William Worden teilt die Zeit der Trauer in zu bewältigende Aufgaben, um den Verlust vollständig verarbeitet zu können. Diese Aufgaben umfassen: den Verlust als Realität zu akzeptieren, den Schmerz zu verarbeiten, sich an eine Welt ohne das Kind anzupassen, eine dauerhafte Verbindung zum Kind aufrecht zu erhalten und gleichzeitig in ein neues Leben aufzubrechen.

Die Trauer beginnt mit dem Begreifen, dass das Kind wirklich tot ist. Es ist sehr hilfreich, wenn das tote Kind in den Arm genommen oder betrachtet werden kann. Dies löst nicht nur einen großen Schmerz aus, sondern es hilft, die Endgültigkeit zu akzeptieren. Es ist wichtig, Frauen zu ermuntern, Zeit mit ihrem toten Baby zu verbringen. Denn diese wird nie wiederkommen. Etwas, was später zu Reue führen kann. Auch Erinnerungsstücke zu schaffen ist wichtig, um die Realität anzunehmen. Fotos nach der Geburt, Ultraschallbilder oder Fußabdrücke können z.B. in einer Erinnerungskiste oder -ecke gesammelt werden. Sie können Trost spenden. Es kann den Eltern auch helfen, den Namen ihres Kindes beim Standesamt eintragen zu lassen (ab 500 Gramm Pflicht), eine Gedenkfeier zu organisieren oder einen Baum zu pflanzen. Bei Kindern unter 500 Gramm ist die Eintragung freiwillig. Zudem besteht für verstorbene Kinder über 500 Gramm Bestattungspflicht; ob Fehlgeburten bestattet werden, ist im jeweiligen Länderrecht geregelt.

Die Intensität des verspürten Schmerzes ist bei jedem unterschiedlich. Keine Trauer gleicht der anderen. Aber egal, wie intensiv das Gefühl auch erlebt wird, es ist wichtig, den Schmerz zuzulassen. Ihn zu unterdrücken oder die Gefühle zu leugnen, kann dazu führen, dass sie sich auf andere Weise ihren Weg bahnen. Wichtig ist, jederzeit auf sich zu achten, den Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Das kann sowohl mit kreativen Tätigkeiten funktionieren (z.B. beim Malen) wie auch im Austausch in Selbsthilfegruppen, mit guten Freunden oder der Familie.

Die Zukunftsvorstellung einer Familie ist zurzeit nicht mehr greifbar. Aber welche Rollen übernehmen wir dann im Leben? Und wer bin ich – zurückgeworfen auf mich selbst? Sinn, Selbstbild und Umwelt werden infrage gestellt und vielleicht auch ganz neu geordnet. Spüren, was einem Kraft gibt und was einem Kraft raubt; tief in sich hineinfühlen, was wirklich gut tut, sich über Werte und Ziele im Leben bewusst werden oder neu bewerten – das alles kann im Prozess der Neuausrichtung des eigenen Lebens ohne das Kind hilfreich sein. Auch, wenn später der Entschluss gefasst wird, wieder schwanger zu werden.

Die Zeit der Trauer wird meist im Nachhinein als sehr prägend bezeichnet. Häufig wird Alltägliches hinterfragt, die Beziehung zum Partner erst auf eine Probe und dann vielleicht auf eine neue Ebene gestellt, und auch ein neues Gefühl für das eigene Leben und Sein wird gefunden. Nicht nur in Zeiten tiefer Trauer können befreiendes Lachen und genussvolle Momente erlebt werden, v.a. auch danach kann eine neue Sichtweise auf das Leben, den Tod und die Art und Weise, was einem wichtig ist oder wie man leben möchte, gefunden werden.

Der letzte Schritt ist, sich der Verbindung zu dem verstorbenen Kind bewusst zu bleiben und aktiv in ein neues Leben aufzubrechen. Nach jeder Trauer kann ein wundervoller Neuanfang stehen. Die Liebe zum verstorbenen Kind bleibt, doch es gibt auch eine Neuorientierung im Leben, in dem Liebe zu einem neuen Kind ebenso möglich ist wie die Konzentration auf die Partnerschaft, freundschaftliche Beziehungen oder das eigene Leben.

Ein gutes soziales Netz kann im Trauerprozess sehr hilfreich sein, doch wenn die Aufgaben der Trauer nicht bewältigt werden können, die Verarbeitung ins Stocken gerät, Schuld- oder Schamgefühle sich ausbreiten, dann können Gespräche mit spezialisierten Therapeuten helfen, um wieder nach vorne blicken zu können.

Friederike HillerFriederike Hiller
Heilpraktikerin für Psychotherapie mit eigener Praxis für psychologische Beratung und Hypnosetherapie in Kiel
hiller@eigenemittefinden.de

Fotos: © Monkey Business / fotolia.com, © YakobchukOlena/I fotolia.com

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