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aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 6/1999

Psychologische Homöopathie – Sulfur und Sepia

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Psychische Persönlichkeitsbilder der Homoöpathie
oder das traditionelle Rollenverständnis von Mann und Frau

r9906_su1Bei Sulfur unterscheiden wir physiognomisch zunächst zwei Persönlichkeits-Typen:

der schmale, große Mensch mit herunterhängenden Schultern, der eher philosophisch orientiert ist und der untersetzte, mehr rundliche Persönlichkeits-Typ mit stärkerer materieller Ausrichtung.

Ein grundlegendes Merkmal von Sulfur ist seine Ich-Bezogenheit und sein Egoismus. Sulfur tut Dinge nur um des eigenen Nutzens willen. Er möchte dabei im Mittelpunkt stehen und die Lebensäußerungen seiner Umgebung sollen sich bevorzugt an ihm orientieren.

Sulfur-Menschen leugnen die emotionalen Reaktionen auf Wunden aus frühester Kindheit und lenken ihre Aufmerksamkeit von den Gefühlen ab, die sie tief in ihrem Innern eingeschlossen halten. Stattdessen entwickeln sie eine mächtige Persona und finden meist ein Zuhause in der Sphäre des Intellekts. Sie lenken ihr Bewusstsein von ihrem emotionalen Zentrum weg zu den oberflächlichen Aspekten des Lebens.”

Verletzungen seines Ich vor allem in der Pubertät führten zu einem Blockieren seiner gefühlsmäßigen Entwicklung und einer Konzentration auf seine geistigen Fähigkeiten. Häufig ist es eine übermäßig starke Elternfigur, meist eine väterliche Autorität, der sich Sulfur unterlegen fühlte und gegen die er ankämpfen musste.

Sulfur kompensiert seine innere Verletztheit durch die Verleugnung seiner Gefühle, vor allem von Furcht und Traurigkeit. Er baut einen Wall auf, der sich durch Unabhängigkeit, Mut und Stärke zeigt. Macht und Kontrolle über andere sind ihm wichtig – dies dient ihm nicht nur als Schutz vor Verletzung und Demütigung.

Sulfur-Menschen leben „ihre Beziehungen durch Machtkampf und finden Stärke in der Distanz”. Hierbei neigen sie zu „Alles-oder-Nichts”-Reaktionen. Insofern ist Thema „Harmonie oder Liebe nicht in ihr Leben integrieren zu können”. Zum einen zeigt sich dies in der Sulfur zugeschriebenen Unordentlichkeit, Schlampigkeit und der Vernachlässigung seiner äußeren Darstellung (z.B. Kleidung). Der Mangel an Aufmerksamkeit für das äußerlich ästhetische Auftreten entspricht einem Mangel an Beobachtung seiner inneren Schönheit und mangelnde Beachtung innerer feinsinniger Gefühle.

Viel stärker macht sich jene Schicht bemerkbar, die Selbstbestätigung seiner Stärke und Dominanz sowie das Nicht-Anrühren seiner verletzlichen Gefühle nach außen zeigt. Dieser starke Abwehr-Mechanismus reagiert auf jede nur leiseste Infrage-Stellung und Kritik mit großer Heftigkeit oder mit Abwertung oder Abwendung von anderen. Beziehungen von Sulfur konnten sich in der Vergangenheit nur durch das Agreement von festgeschriebenen geschlechtsspezifischen Rollen – Mustern und Strukturen aufrechterhalten, die die Dominanz des einen (in der Regel des Mannes) und die dienende Funktion des anderen Partners (hauptsächlich der Frau) zum Wertmaßstab erhoben.

Mit gewandelten Werte-Strukturen wurde Sulfur mit seinen subjektiv als selbstverständlich empfundenen Dominanz-Bedürfnissen zunehmend in Frage gestellt. 

In der heutigen gefühlstiefen Beziehung wird Sulfur in ihrem Verlauf immer mehr an sein Schatten-Thema eigentlicher innerer Unsicherheit über seinen Wert und sein Selbstbewusstsein geraten. Entzieht er sich dieser tiefen Auseinandersetzung, wird er auf längere Sicht seinen Partner verlieren (es sei denn, er sucht sich von vorneherein einen schwächeren Partner, der sich gegen seine Dominanz emotional nur schwer zur Wehr setzen kann).
In diesen Kontext passen auch folgende Sulfur zugeschriebenen persönlichen Eigenschaften:

  • seine große materielle Bezogenheit. Ansammlung von Geld und Besitz, der individuell behalten und nicht hergegeben werden will.
  • Teilen fällt schwer (Symbolik: Haben- und Besitz-Orientierung, ich kann niemanden neben mir gelten lassen),
  • Die Trennung von gesammelten alten Sachen und Gegenständen, auch von fast vergammeltem Trödel, fällt schwer. Im symbolischen Sinne kann Sulfur sich von festgefügten Verhaltensmustern, -strukturen und Besitzständen nur sehr schwer lösen.
  • Jede Verantwortung wird abgelehnt, Sulfur entlädt sich relativ schnell von Schuldzuschreibungen.

Intellektuelle Inspiration ist für Sulfur ein Weg, um sich eigene Visionen zu erfüllen, die er mit großer Leidenschaft, Enthusiasmus und einer gewissen Dramatik angeht.

Körperlich ist Sulfur ein Mittel für diverse Hautstörungen. Vor allem lange Zeit unterdrückte Hautausschläge sind Haupt-Anwendungsgebiet von Sulfur.

Typische Ängste von Sulfur:

  • Gewissens-Angst
  • Angst, erwischt zu werden
  • Angst um das (religiöse) Seelenheil
  • Hypochondrisch nach unterdrücktem Hautausschlag
  • Angst vor Kontrollverlust
  • Angst durch Druck auf der Brust
  • Angst während des Stuhlganges

Typische Träume von Sulfur:

  • Erwischt zu werden
  • Ausreden
  • Renovierung
  • Schläfrigkeit
  • Sperrmüll
  • alte Sachen
  • Aufräumen
  • Trödelladen
  • Waschen
  • Wasser durch Überschwemmung
  • Fallträume
  • Feuer kommt vom Himmel herab

Tageszeitliche Verschlimmerungs-Zeiten sind bei Sulfur vor allem 11 Uhr (Schwäche und Notwendigkeit kräftiger Nahrungs-Zufuhr), 16 – 20 Uhr und abends. Verschlimmerung bei Neumond: der Neumond steht für das unbewusste Aufkeimen neuer Visionen, die im Entstehen, aber noch nicht konkret sind.

r9906_su2Sepia ist ein klassisches Frauenmittel. Ihr Grundbild ist die pflichtbewusste, perfektionistische Hausfrau, die in dieser dienenden Rolle einerseits aufgeht, andererseits sich von ihr überfordert fühlt. Sepia hat einen hohen Anspruch an Pflichterfüllung, wobei die ihr zugeschriebene Rolle nicht nur sehr viel Routine-Tätigkeiten beinhaltet, sondern auch wenig geistige Auslastung in sich birgt. Zusätzlich ist es ein Grundproblem von Sepia, wenig Anerkennung für die eigene, sehr aufopfernde Tätigkeit zu erhalten.

Im Grunde ist Sepia freiheitsliebend und kann offen und zugänglich für verschiedene Menschen und Beziehungen sein. Sie ist von der Grundanlage eigentlich nicht der Mensch, der gehorsam und unterwürfig ist.

Gegen ihren anerzogenen Perfektionismus und ihre dienende Seite vermag sie nicht anzugehen, versteht sie doch Liebe ein Stück weit als Pflicht.

„Die Liebe wird für sie zur Pflicht und ihr Pflichtbewusstsein lässt sie weitermachen, auch wenn sie am Ende ihrer Kräfte ist … (Sepia, R.M.) liebt ihren Mann und ihre Kinder von ganzem Herzen, ist aber zu erschöpft, um irgendetwas anderes als die Notwendigkeit zu verspüren, den Tag durchzustehen und bis morgen zu überleben. 

Sie hat für die Liebe schlicht keine Kraft mehr übrig. Jede liebevolle Zuwendung, sei es in der Ehe, zu den Kindern, zu Vater und Mutter, sogar in engen Freundschaften, behindert sie in ihrem Bedürfnis nach einer gewissen Privatsphäre und Unabhängigkeit”.

„Wenn Sepia ihr wahres Wesen erst einmal lange genug verleugnet hat, beginnt sie, ihren Mut zu verlieren. Wenn das passiert, stirbt ihr Lebenshunger allmählich ab. Sie handelt dann mehr und mehr wie ein Roboter und geht ihren gewohnten Aktivitäten ohne Begeisterung und ohne jede innere Motivation nach.

Weil sie den Kontakt zu ihrer geistigen Lebenskraft verloren hat, fühlt sie sich körperlich und geistig träge (Kent: „Stumpfsinn, Trägheit”) und ihre Emotionen sind ebenfalls abgestumpft, so dass sie allem gegenüber gleichgültig wird”.

Sepias Zustand gerät zur emotionalen Stase, dies wird zum Grundthema ihres seelischen Zustandes. Ihre Gefühle stagnieren, sie sind wie gelähmt und ihr fällt es schwer, positive Gefühle (wie z.B. Freude) zu empfinden. Entsprechend wird ihre Sprache sachlich und nüchtern, in den Worten knapp und auf das sachlich Notwendigste beschränkt; Sepia ist ungesellig und wirkt eher abwehrend. Stattdessen kehren Reizbarkeit und unterschwelliger Zorn ein.

Dies führt zum Negativbild der gewissenhaften und zuweilen „zickigen” Hausfrau: sie ist überkritisch und ärgert sich über jede Kleinigkeit. 

Die Ursache liegt in der mangelnden Anerkennung ihrer Rolle als Hausfrau und ihres großen Engagements. Obwohl sie sich nahezu aufopfert und vieles von dem, was ihr eigentlich wichtig ist, aufgibt, fühlt sie sich in ihrem Selbstwert und Selbstbewusstsein zutiefst beeinträchtigt, weil die anderen oft ihre Pflichterfüllung für selbstverständlich halten bzw. sie abwerten.

Sepias innere Stress-Situation entsteht auf der Erscheinungs-Ebene durch ihr Bestreben, es anderen Menschen in jeder Hinsicht recht zu machen. Durch einen inneren Konflikt mit dem anderen Geschlecht, genauer: ihrem Animus, versucht Sepia (Thema: Anerkennung ihrer Stärken, Gleichberechtigung), ihre weichen, weiblichen Seiten zu unterdrücken und in der Rigidität ihrer Pflichterfüllung sich mit männlichen Eigenschaften zu messen. Ihre unterdrückten weiblichen Gefühle äußern sich entweder in übermäßiger Sachlichkeit sowie psychischen und körperlichen Erschöpfungszuständen oder aber ventilieren in Reizbarkeit und Aggressivität: „Auf der körperlichen Ebene manifestiert sich dieser Kampf … als Fehlfunktion der weiblichen Geschlechtsorgane”. Die Abwehr gegenüber dem anderen Geschlecht, dessen Animus-Eigenschaften sie gerade zu entwickeln versucht, äußert sich körperlich und seelisch in der Verweigerung („Abneigung gegen Sexualität”) der Sexualität. Diese könnte ihr aber zu ihrer Verbindung mit ihrer eigenen Männlichkeit verhelfen.

Insofern wird Sepia auch als das „weibliche Nux vomica” angesehen. Während aber Nux vomica seinen Stress durch Reizmittel kompensiert und sich in ständiger Stressbereitschaft hält, verfällt Sepia in Apathie, Depression und emotionale Gleichgültigkeit. Ihre ständige Müdigkeit führt eher zu Abgestumpftheit. 

Bis Mitte der 60er Jahre war die oben beschriebene Hausfrauen-Rolle typisch für weibliche Sozialisation und Lebensweise sowie das Geschlechter-Rollen-Verhältnis. In der Kompensation ist Sepia die emanzipierte Frau in der Berufswelt, die sich von der Last der Liebe befreien will: sie wirkt tendenziell hart, unsentimental und wenig emotional.

Typische körperliche Beschwerden sind:

Rückenschmerzen: sie stehen für mangelndes Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein. Weiter drücken sie die fehlende Unterstützung aus, die Sepia subjektiv erfährt. Kopfschmerzen und Migräne verdeutlichen die ständige leistungsmäßige Überforderung, der sich Sepia ausgesetzt fühlt.

Der Mangel an Entspannung und Leben der eigenen Individualität somatisiert in den Kopf, der starken verstandesmäßigen Kontrolle der eigenen Pflichten wegen. -Verstopfung: Hier geht es um das Thema, dass Sepia seine Gefühle innerlich staut und nur schwer zeigen und loslassen kann. 

Körperlich wird Sepia vor allem angewandt bei psychischen und somatischen Störungen während der Wechseljahre (z.B. Depressionen, nervöse Erschöpfungszustände, Regelstörungen, Migräne), aber auch bei diversen frauenspezifischen Erkrankungen (chronische Entzündung der Eileiter und der Eierstöcke, Entzündungen der Beckenbindegewebes, Senkungsbeschwerden der Beckenorgane etc.). Klimakterische Beschwerden während der Wechseljahre zeigen symptomatisch „die offen gebliebenen Themen … ungelebte Weiblichkeit, Versäumnisängste, Panikstimmung, Nachholbedarf”.

Typische Ängste von Sepia:

  • Angst vor Abhängigkeit
  • Angst bei fixen Blicken
  • Angst beim Nähen
  • Angst vor Verletzung durch Männer
  • Angst zu verhungern
  • Angst vor Ratten
  • Angst, bald zu sterben

Sepias Ängste haben vor allem mit der verlorenen Freiheit durch ihre (z.T. selbst-) auferlegte geschlechtsspezifische Rolle und ihrem unbewältigten Problem mit dem anderen Geschlecht zu tun.

Die Angst vor dem Sterben drückt eine Angst vor innerer Veränderung und Wandlung aus, denn für Sepia soll „das Leben… in eine Vorstellung gepresst werden, anstelle die tatsächlichen Möglichkeiten des Lebens zu nutzen”.

Typische Träume von Sepia:

  • Pferd
  • Kampf mit Ratten
  • Unwichtiges
  • Urinieren
  • Belästigung
  • Domina-Sex
  • Verfolgung, muss nach rückwärts weichen
  • Drohungen der Vergewaltigung

Das Pferd stellte früher die Attribute Kraft, Schnelligkeit und männliche Vitalität dar. Der Kampf mit den Ratte ist die ständige innere Auseinandersetzung mit Selbstzweifeln, die an der Entfaltung von Selbstbewusstsein und Ich-Stärke hindern. Urinieren hat mit sexuellen Spannungen zu tun. Im Domina-Sex kommt die unterdrückte Sexualität und der Wunsch nach eigener Macht und Kontrolle in geschlechtsspezifischen Beziehungen zum Ausdruck. Vergewaltigungen können einerseits als Angst vor sexueller Macht (polare Kehrseite des vorherigen Traum-Motivs) durch das andere Geschlecht interpretiert werden. Andererseits weisen sie auch auf innere-Trieb-Veränderungen hin. Die Verfolgung bedeutet das Aufbrechen unbewusster Gefühlsinhalte, die nur schwer zugelassen werden können.

Tageszeitlich bezieht sich Sepia vor allem auf die Zeiten des späteren Vormittags (10 – 11Uhr) und des fortgeschrittenen Nachmittags (16 – 18Uhr). Vollmond verschlimmert: Er steht symbolisch für die Klarheit in der Bewusst-Werdung des bisher Erlebten. Die für Sepia typische Jahreszeit der Verschlimmerung ist das Frühjahr: hier brechen unbewusste Kräfte mit Macht auf, die in neue Erfahrungen drängen. Die beiden Konstitions-Mittel Sulfur und Sepia haben somit allesamt mit Themen des inneren Animus und der inneren Anima zu tun.

Sulfur und Sepia als homöopathische Heilmittel können helfen, die Dysbalance zwischen Männlichkeit und Weiblichkeit in der eigenen Persönlichkeits-Struktur zu bearbeiten und zu einem ausgewogeneren Verhältnis der verschiedenen Seiten der Persönlichkeit zu kommen.

In der nächsten Ausgabe des PARACELSUS-REPORT werde ich mich mit psychischen Persönlichkeitsbildern der Homöopathie beschäftigen, die die gewachsene Sensibilität für tiefe emotionale Bedürfnisse symbolisieren: Phosphor und Pulsatilla. Sie beziehen sich nicht nur auf die weiche, gefühlsmäßig empfängliche Seite des Menschen, sondern drücken auch die Themen persönliche Abgrenzung, Abhängigkeit und Angst vor dem Allein-Sein aus. Dies sind Themen, die gerade in den vergangenen 10 – 15 Jahren zunehmend in den Vordergrund der Problem-Stellungen des heutigen Menschen gerückt sind.

Dr. phil. Reinhard Müller
Heilpraktiker

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