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aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 1/2000

Brummschädel

Cover

Volkmar Gerlach, Oecotrophologe in Würzburg, geht den Hintergründen und Ursachen der unerfreulichen Folgen des Alkoholgenusses nach.

Jeder kennt sie: die Nachwirkungen einer durchzechten Nacht, volksmundlich meist „Kater” genannt, was wahrscheinlich eine Verballhornung des Wortes „Katarrh” ist. Für Alkoholkranke wird das Problem gravierender, tritt als „Abstinenzsyndrom” mit verheerenden Folgen auf, die die Suchtkranken gleich nach dem Aufwachen wieder zur Flasche greifen lassen.
Der Kater bringt, zeitverzögert und abhängig von der Aufnahmemenge und anderen Einflussfaktoren Symptome von leichter Unpässlichkeit bis hin zu ernsten motorischen, physiologischen, pathologischen und psychischen Störungen. Müdigkeit, Kopfschmerzen, Beeinträchtigung der intellektuellen Leistungsfähigkeit, Übelkeit, Herzrasen, usw. Zu diesen Erscheinungen zählen auch die akut auftretenden Flushing-Symptomen, bedingt durch Acetaldehyd, ein Abbauprodukt des Ethanols.

Menschen trinken Alkohol schon seit vorgeschichtlicher Zeit. Bier wird mindestens schon so lange gebraut, wie es schriftliche Zeugnisse der Menschheitsgeschichte gibt (etwa 6000 Jahre). Archäologen und Historiker sind sich einig, dass irgendwann einmal ein feuchtes Fladenbrot, von Hefepilzen besiedelt, zu gären begann, und die Menschen die Süße und berauschende Wirkung des Gärungsprodukts entdeckten. Das berauschende Gebräu fand allseits großen Zuspruch.
Besonders trinkfreudig sollen die alten Germanen gewesen sein, wenn man dem römischen Geschichtsschreiber Cornelius Tacitus (55-120 n.Chr.) Glauben schenken darf:
„Als Getränk haben die Germanen ein schauerliches Gebräu aus Gerste oder Weizen gegoren, ein Gebräu, welches mit Wein eine sehr entfernte Ähnlichkeit hat… sie können wohl Hunger und Kälte ertragen, nicht aber den Durst… Tag und Nacht durchzechen sie….” 

r0001_bs1Die Menschen wussten nichts von wilden Hefepilzen und Mikroorganismen, die das Bier „umkippen” ließen und zu einem Getränk machten, das mit dem Bier heute nicht die geringste Ähnlichkeit besitzt. Sie verbrauten den größten Teil ihrer Gerste und Weizen und versuchten mit allerlei Kräutermischungen ihr Gebräu haltbarer zu machen. Da wurden Tannenzapfen, Johanniskraut, Bilsenkraut oder das halluzinogene Sumpfborst beigemischt, wodurch möglicherweise auch das aggressive Verhalten und die Kampfeslust der „Berserker” entstand.

Die Übeltäter: höhere Alkohole

Schuld am Brummschädel und anderen Folgen des Alkoholgenusses sind Gärungsnebenprodukte, speziell die sogenannten „Fuselalkohole” oder „Fuselöle”, die der Chemiker Scheele bereits im Jahre 1785 im Kornschnaps entdeckte. Später wurden diese Fuselöle als aliphatische Alkohole, Ester, Ketone und Säuren chemisch identifiziert und als Produkte mangelhafter Destillation erkannt. Leider ist die Gesamtheit der Destillations-Nebenprodukte aber für das Aroma des Getränks wichtig, wobei hier natürlich die richtige Dosis den Ausschlag gibt. Zu den wichtigsten Aromastoffen zählen die höheren, einwertigen, aliphatischen Alkohole von Propanol bis Pentanol. Sie entstehen hauptsächlich durch ein unausgewogenes Verhältnis der verschiedenen Aminosäuren untereinander bei der Herstellung der Maische und durch eine zu hoch temperierte Gärführung der Würze. Kein Wunder also, daß man früher bei unzureichender Technologie viel öfter unter Kopfschmerzen litt als heute. Wo früher mindestens zwei Komponenten – Qualität und Quantität – zusammentreffen mussten, um einen deftigen Kater zu erhalten, muß heute einfach mehr getrunken werden, um ein ähnliches Ergebnis zu erzielen. Skeptiker werden entgegenhalten, Bier und Wein habe man im Mittelalter schon zum Frühstück gereicht. Allerdings waren „harte Sachen”, wie Weinbrand, Whisky oder Rum in den Geschichtsbüchern bis dato selten erwähnt worden. Doch genau die sind es, die den nächsten Morgen so beschwerlich machen und den höchsten Gehalt an Fuselalkoholen (bis zu 3 g/I) besitzen und den des Bieres oder Weines (bis zu 150mg/I)

In vergleichenden Studien führte Weinbrand am häufigsten zu Katererscheinungen, gefolgt von Rotwein, Rum, Whisky, Gin, während Wodka und z.B. eine mit Orangensaft verdünnte Ethanollösung die mildesten Nachwirkungen zeitigte. Bei der Nystagmographie (Test, bei dem die Zitterbewegungen der Augäpfel gemessen werden) ergab der Vergleich Whisky – Bier einen wesentlich geringeren „Zitterfaktor” als Bier. Insgesamt sind in einem alkoholischen Getränk folgende Einflussfaktoren für den Kater verantwortlich:

r0001_bs2* die Menge und Zusammensetzung der alkoholischen Begleitstoffe
( die höheren Alkohole s.o.).

* die Menge und Konzentration des Ethanols.
mit 1,5 g reinem Ethanol pro kg (das entspricht bei einem 90 kg schweren Mann der Ethanolmenge von 7 Bier) kann ein recht ordentlicher Kater ausgelöst werden.

* die Menge und Zusammensetzung der nichtalkoholischen Begleitstoffe
Wein und Bier enthalten neben den alkoholischen Verbindungen auch beträchtliche Mengen an Kohlenhydraten, Eiweißverbindungen, Mineralstoffen, organischen Säuren, Hopfensubstanzen, Vitaminen usw.
Diese können den Alkoholabbau beeinflussen und zu Änderungen in den anfallenden Zwischenmetaboliden und Intermediärprodukten des Stoffwechsels führen, die wiederum für die unmittelbaren Folgen, aber auch für die Nachwirkungen des Alkohols mitverantwortlich sind.

In vielen Fällen aber dürften die nicht-alkoholischen Begleitstoffe die Katererscheinungen abschwächen. Der Übergang des Alkohols vom Magen in den Dünndarm wird beispielsweise durch Mineralstoffe (Kupfer, Eisen, Zink) verzögert, der Blutalkoholgehalt steigt deutlich langsamer an und erreicht ein merklich niedrigeres Maximum als beim Verzehr einer vergleichbaren Alkoholmenge in Form einer verdünnten reinen Alkohollösung.

Wirkungsweise des Alkohols

r0001_bs3Alkohol stimuliert wie Kokain, Amphetamin, Valium und Opium spezielle Hirnzellen direkt. Er bewirkt, wie ein Opiat, in niedrigen Dosen im zerebralen System eine Erhöhung der elektrischen Aktivität und ruft damit ein Gefühl der Euphorie und des Wohlbefindens hervor. Gegen Ende des vorigen Jahrhunderts untersuchten E. Overton und H. Meier das Auflösungsvermögen verschiedener Alkohole im Olivenöl. Sie fanden eine Wechselbeziehung zwischen der Länge der Kohlenstoffkette eines Alkohols und dessen Fähigkeit, sich in Fetten zu lösen.

Heute weiß man, daß die Alkoholmolküle spezielle Ionenkanäle der Zellmembran öffnen und schließen. Diese Ionenkanäle sind Proteine, die gleichzeitig als Rezeptoren fungieren, so daß jene Wechselwirkung zwischen Alkohol und den Ionenkanälen für den „Rausch” verantwortlich gemacht werden können. Einer der wichtigsten Ionenkanäle ist der NMDA – Ionenkanal, welcher von der Aminosäure Glutamat als Neurotransmitter geöffnet wird. Dieser Vorgang spielt eine entscheidenden Rolle bei Gedächtnisleistungen. Da das Ethanol über keinen eigenen Rezeptor an der Zellmembran verfügt, heftet es sich an NMDA – Rezeptoren an und blockiert sie.

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Alkoholmoleküle (hier gelb dargestellt) blockieren die NMDA-Rezeptoren und sorgen dafür, daß die Aktivität in vielen Gehirnregionen langsamer abläuft. 

Die Folge ist die Beeinträchtigung von Gedächtnisvorgängen, die bei hohen Dosen Alkohol im berühmten „Black-out” kulminieren kann.
Ein weiterer wichtiger Ionenkanal ist der Chlorid-Ionenkanal, auch GABA- Benzodiazepinrezeptor- Chloridkanalkomplex genannt. Das weit verbreitete Benzodiazepin – der bekannteste Vertreter ist Valium – dient als Beruhigungs- und Schlafmittel.
Alkohol und das Benzodiazepen besitzen den gleichen Wirkungsmechanismus, weshalb auch leicht einzusehen ist, daß Alkohol die Wirkung von GABA verstärkt. Bei hohen Dosen wurden von kognitiven, motorischen Störungen (Gangunsicherheit) und sogar von Atemstillstand berichtet.

Beide Theorien, die Lipid- und die Proteintheorie, postulieren eine Störung auf die im Lipidmantel der Zelle eingebetteten Proteine, wobei man früher zwar annahm, dass die Proteine einen Einfluß auf die toxische Wechselwirkung ausüben, jedoch nicht um die gleichzeitige Funktion als Ionenkanal wusste.

Toxikologie der Alkohole

Im Hinblick auf ihre toxischen Wirkungen unterscheiden sich die Vertreter der homologen Reihe primärer Alkohole von Fall zu Fall grundsätzlich. Bei Ethanol wird die akuttoxische und tödliche Wirkung von der Substanz selbst getragen, jedoch sind bei seinen unmittelbaren Nachbarn in der Reihe die Metaboliten stärker toxisch als die Muttersubstanz. Die toxischen Wirkungen der Alkohole sind sehr differenziert zu bewerten; einmal nach den Eigenschaften ihrer Metaboliten und zum anderen nach den der Muttersubstanzen. Einen Vergleich der Toxizität aliphatischer Alkohole gibt die Tabelle wieder. Hier wurde die berauschende Wirkung des Ethanols gleich 1 gesetzt. Relative Toxizität aliphatischer Alkohole (bezogen auf Ethanol)

Molare Berauschungswirkung verschiedener Alkohole bei Ratten

Ethanol: 1,0
ISO-Butanol: 3,6
Butanol-1: 6,3
Butanol-2: 4,4
Propanol-1: 3,9
ISO-Amylalkohol: 52

Die höheren Alkohole haben durchweg eine größere Toxizität als Ethanol, wobei die auftretenden Symptome weitgehend dieselben sind. Die zu den Alkoholen gehörenden Aldehyde folgen nicht dem Richardson-Gesetz. Hier scheint die Giftigkeit mit zunehmendem Molekulargewicht (Kettenlänge) abzunehmen. Formaldehyd soll 150 mal toxischer sein als Methanol. Acetaldehyd ist wiederum toxischer als Ethanol.

Relative Toxizität der aliphatischen Aldehyde

Aldehyd Toxizität
Formaldehyd 4,67
Acetaldehyd 1,00
Propionaldehyd 0,58
Isobutyraldehyd 0,17
Isovaleraldehyd 0,22
Hexaldehyd 0,14
Heptaldehyd 0,03

Zusammengefaßt ergibt sich für alkoholische Begleitstoffe folgendes Bild: Höhere Alkohole wirken toxischer als Ethanol. Sie wirken berauschender und betäubender als Ethanol. Ethanol und alkoholische Begleitstoffe wirken im Verbund additiv und potenzierend und führen zu erhöhten und länger anhaltenden toxischen Erscheinungen.

Stoffwechsel der Alkohol Resorption

Über den gesamten Verdauungstrakt Mundhöhle, Speiseröhre, Magen und Dünndarm – können die im Speisebrei enthaltenden Substanzen, soweit sie resorptionfähig sind, ins Blut gelangen. Etwa 20 % wird von der Magenschleimhaut aufgenommen, wobei diese Menge von Faktoren wie der Magenfüllung, der Alkoholkonzentration, Qualität des Getränkes usw. abhängig ist. Der Hauptort der Resorption ist der Dünndarm (ca. 80 %), dessen Schleimhaut durch Zotten eine besonders große Kontaktfläche bietet. Während für die Resorption von Monosacchariden beispielsweise aktive Transportmechanismen vorhanden sind, handelt es sich beim Alkohol um einen reinen Diffussionsvorgang. Höhere Alkohole werden im Vergleich zu Ethanol wegen ihrer zum Teil beträchtlich schlechteren Wasserlöslichkeit deutlich langsamer resorbiert,

Verteilung

Der Verteilungsraum für Ethanol stellt im wesentlichen das Körperwasser dar und kann deshalb als Indikator des Gesamtkörperwassers verwendet werden. Dies eröffnet die Möglichkeit, insbesondere bei Verkehrsdelikten, aus dem Blutalkoholgehalt die aufgenommene Alkoholmenge zu bestimmen. Besonderes Interesse besteht in der Gerichtsmedizin an der Verteilung der höheren Alkohole im Körperfett und lipoidreichen Organen. Begleitstoffbefunde dienen dort als Grundlage für gerichtliche Gutachten, die zur Überprüfung sogenannter „Nachtrunkbehauptungen” erstattet werden, d.h. berücksichtigt man Verteilungs- und Eliminationsrate und die behaupteten Konsummengen und Zeitraum des Geschehens, können Rückschlüsse auf den Wahrheitsgehalt des vor Gericht Stehenden gezogen werden. Nach der oralen Aufnahme verteilt sich Ethanol über Pfortader und Leber rasch und gleichmäßig über die gesamten Körperflüssigkeiten, Organe und Geweben. In 1 – 2 Stunden ist die maximale Blutkonzentration (BAK) erreicht. 

Verteilung der Begleitalkohole im Gesamtkörperwasser und Körperfett: Kurzkettige Alkohole, wie Methanol, Propanol-1 und Butanol-2 bleiben ausschließlich im „wässrigen” Kompartiment, wohingegen bei längerkettigeren Alkoholen eine Anreicherung im „nicht-wässrigen” Körperkompartiment (Körperfett) stattfindet.

Höhere Alkohole in der Katerphase

Es wurden empirische Untersuchungen durchgeführt, die auf subjektivem Empfinden (Kopfschmerzen, Magenbeschwerden, Übelkeit usw.) beruhen und solche, die objektiv nachzuweisen sind (motorische Unsicherheiten, Verlängerung der Reaktionszeit usw.). Zumeist fand sich in der akuten Wirkungsphase ein intensiveres Trunkenheitsbild nach dem Konsum begleitstoffreicher Getränke als nach dem von begleitstoffarmen, wobei qualitativ dieselben Ausfallerscheinungen beobachtet wurden, die vom Ethanol bekannt sind. Die auffallendsten Unterschiede wurden in der Spätphase gesehen, zu einer Zeit, als das Ethanol bereits wieder weitgehend oder vollständig eliminiert war. In dieser Katerphase wurden vor allem psycho-physische Auffälligkeiten beobachtet. Nach einem Trinkversuch mit diversen Proben (Ethanol, Propanol, Butanol usw.) stellte man fest, dass die Häufigkeit der subjektiven und objektiven Wahrnehmung der Katersymptome mit der zuvor erreichten Maximal- Konzentration korrelierte. Darüber hinaus nahmen in der postalkoholischen Phase während eines Reaktionstestes (eine Stunde und 9 Stunden nach Trinkende) die Fehlerzahlen derer Versuchspersonen deutlich zu, denen höhere Alkohole verabreicht wurden, obwohl bei allen Versuchspersonen 0,0 Promille nachgewiesen wurde. Die Auffälligkeiten wurden um so deutlicher, je länger die Kohlenstoffkette des zugesetzten Alkohols war.

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