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aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 1/2000

Psychologische Homöopathie – Phosphor und Pulsatilla

Cover

Sensitivität, Mitgefühl, Fürsorge für andere im Spannungsfeld zwischen Erfüllung und mangelnder Abgrenzung: Die homöopathischen Konstitutionsmittel Phosphor und Pulsatilla

Mit dem Normen- und Werte-Umbruch Ende der 60er Jahre ist eine größere Offenheit für die eigenen Gefühle und eine wachsende Sensitivität für die Empfindungen anderer Menschen entstanden. Die Erfahrung eines autoritären Elternhauses oder zumindest fehlgeleiteter Zuwendung (z.B. Geld und materielle Sicherheit statt emotional einfühlsamer Zuwendung) führte zum Spüren tiefgehender emotionaler Verletzungen in den Bedürfnissen nach persönlichem Angenommen-Sein und größerer Empfindungsfähigkeit für die eigenen unerfüllten Wünsche und die Nöte anderer. Emotionale Fürsorge für den anderen ist infolgedessen häufig verknüpft mit dem Versuch, die eigenen Verletzungen zu erlösen. Die hierbei erfolgende Konzentration auf den anderen beinhaltet aber oft die mangelnde Abgrenzung von dessen Gefühlen und die Selbstaufgabe der eigenen Persönlichkeit. Phosphor und Pulsatilla sind homöopathische Konstitutions-Mittel, die diesen Mangel an Abgrenzungs-Fähigkeit und Ich-Stärke hin entwickeln können zu tieferer Zentrierung auf die eigenen seelischen Grundanliegen, d.h. helfen, die Überbetonung des Du und das mangelnde Spüren des Ich hin zu größerer innerer seelischer Harmonie auszugleichen.

 

Phosphor hat zum zentralen Grundthema seine große Sensitivität, Einfühlsamkeit und emotionale Durchlässigkeit. Phosphor sucht Nähe zu und gefühlsmäßige Identifikation mit sehr vielen Menschen. Sein großes Mitgefühl und die Identifikation mit den Empfindungen des anderen führt häufig zu einem Mit-Leiden: Phosphor empfindet die Trauer, die Melancholie und die Magenschmerzen des Anderen, als wären es seine eigenen Gefühle und kann sich vom Anderen nicht mehr abgrenzen. Phosphor ist fluoreszierendes Licht und Dunkelheit löscht dieses Licht aus. Mit anderen Worten: Phosphor möchte vornehmlich die hellen, lichten und positiven Seiten des Lebens sehen. Von den Sinnes- und Gefühls-Empfindungen äußert sich dies z.B. darin, daß das Phosphor-Kind nachts nicht ohne Licht schlafen mag. Angst vor Dunkelheit (Symbol der Schatten-Themen), vor Krankheit (Organsprache der seelisch wichtigen Themen) und vor Gewitter (das massive Hochkommen unbewußter innerer Konflikte) sind weitere wichtige Symptome vor allem auch des erwachsenen Phosphor-Typus.

Weiter verfügt Phosphor über ein großes Harmonie-Bedürfnis. Aber immer wieder spürt er eine große Bandbreite verschiedenster Ängste, die auch eine gewisse Erschöpfung bei ihm auslösen können. Phosphor ist sich eigentlich unsicher über seine Identität. Im Mitgefühl und in der Kommunikation mit anderen Menschen sucht er verlorengegangene Teile seiner Persönlichkeit wiederzufinden. Er identifiziert sich mit anderen, um seine eigene Wunde nicht zu spüren. Aber er muß zu seinem gefühlsmäßigen Ursprung zurückfinden und – wie wir noch sehen werden – seine Mutter-Thematik bearbeiten und konfrontieren, um seine wahre Identität zu finden.

Ein weiterer wesentlicher Begriff der Phosphor-Thematik ist Kommuniation. Phosphor sucht rastlos nach neuer geistiger Anregung, nach Lernen neuen Wissens. “Die Kommunikation ist bei Phosphor so ausgeprägt und offen, daß er nicht mehr weiß, welches seine eigenen Gedanken und Gefühle sind und welche die der anderen. Es geht um Austausch der Gedanken und Gefühle. Phosphor hat ein starkes Bedürfnis nach Beziehungen, die er optimistisch und zuversichtlich angeht. Er wendet sehr viel Energie darauf, diese Beziehungen zu pflegen und ihnen Bestand zu verleihen. Gleichzeitig ist Phosphor sehr offen für neue Kontakte, und er besitzt die Fähigkeit, hierbei sehr viel Nähe bereits zu Beginn herzustellen. Phosphor hat die Tendenz, ständig verliebt zu sein, seien es imaginäre Vorstellungen von Liebe zu bekannten Personen oder aber reale Situationen der Verliebtheit. “Enttäuschungen in der Liebe sind eine wichtige Ursache für Probleme und Beschwerden. Sie vermissen den Kontakt, können nicht mehr mit ihren geliebten Personen reden” (6).

Phosphor hat im Prinzip Angst. Heimweh ist ferner ein typisches Symptom von Phosphor beim Mangel an Kontakten. Nervosität und Ruhelosigkeit resultieren bei Phosphor entweder aus einem offenkundig erlebten oder subtil wahrgenommenen Mangel-Gefühl. Hierbei fehlen nicht nur neue Kontakte und neue Eindrücke, es kann ganz einfach auch der Mangel an vollständig erfüllender Liebe sein. “Die Ruhelosigkeit kann sich in Form von Bewegungsdrang äußern”. Phosphor empfindet durch die ständige Suche nach neuem Wissen und neuen Menschen seinen Status immer als vorläufig. Zuweilen mag das Angehen neuer Beziehungen auch ein Stück weit den Charakter ständig nachgeholter Pupertät einnehmen. Insofern ist Phosphor der “ewige Jüngling”oder auch Puer aeternus, der noch im Erwachsenen-Alter innerlich in der Vorläufigkeit der Adoleszenz verbleibt. Hierbei zeichnet er sich durch Realitätsferne und Unfähigkeit zum Erwachsen- Werden aus. Aus einer großen inneren Abhängigkeit zur Mutter und des daraus entstehenden vollkommenen Imagos des weiblichen Mutter-Archetypus “projiziert er das Bild einer vollkommenen, fehlerlosen und mütterlichen Frau auf seine Partnerin.

Auslöser von Phosphor- Thematiken sind Kummer, Schlafmangel, Schreck, Ängste, Denken an die Angst. Tageszeitlich treten Verschlechterungen vor allem abends auf, in der Zeit, in der größere Innerlichkeit tieferliegende Probleme bewußt machen kann. Körperlich hat Phosphor vornehmlich mit Atenwegserkrankungen, Herzangst, Schilddrüsen- Überfunktion, Blutungen sowie mit Erschöpfungs-Zuständen zu tun. Herzangst zeigt sich vor allem in Situationen des Allein-Seins (Angst vor dem Allein-Sein als wichtiges Symptom von Phosphor) und hat mit Abhängigkeit von und dem Gefühl mangelnder Zuwendung durch andere zu tun; Blutungs-Neigungen können die Notwendigkeit des Loslassens und des Geschehen-Lassens signalisieren. Bei der Schilddrüsen-Überfunktion geht es um die Erfüllung der eigenen Wachstums- und Expansions-Bedürfnisse.

Typische Ängste von Phosphor:

  • Angst vor Dunkelheit
  • Angst vor drohendem Unglück
  • Angst vor Krankheit
  • Angst vor Gewitter
  • Angst vor Schatten
  • Angst vor Alleinsein
  • Einsamkeit steigert Ängste
  • Angst vor Zukunft
  • Angst vor unbestimmten Ereignissen
  • Angst um andere
  • Angst im Bett
  • Angst bei Erregung

Typische Traum-Motive von Phosphor:

  • Alpträume
  • gefressen werden von Tieren
  • gebissen werden von Tieren
  • Verbrennen
  • alte Menschen
  • zukünftige Ereignisse
  • Fußsohlen werden gekitzelt
  • Träume beeinflussen Gemütsverfassung
  • Verbrannte Stadt
  • Fallträume, von Höhe stürzen
  • Feuer

Pulsatilla wird als typisches Frauenmittel vor allem für spezifische Umstellungs-Beschwerden während der Pubertät klassifiziert. Der Zusammenhang zwischen ihrem Bezug zu dieser Lebensphase und seiner Wirkung auch für Erwachsene kann auf der seelischen Ebene durch die Figur der “Puella aeterna” hergestellt werden. Das Wesen der “Puella aeterna” (Gegenstück des ewigen Jünglings) “zeigt sich in ihrer Abhängigkeit vom Vater, die sie auf alle Männer projiziert. Sie hat die Fähigkeit, sich chamäleonartig in die unterschiedlichsten Rollen zu verwandeln. Ihrer starken Abhängigkeit vom Vater korrespondiert mangelndes Selbstwertgefühl und wenig Eigeninitiative. Hierdurch entsteht “ein sehr starkes Bedürfnis nach emotionaler Sicherheit, Geborgenheit und Zuneigung. Anstatt sich selbst zu verwirklichen, sucht (Pulsatilla, R.M.) Schutz und Stütze in (ihrer R.M.) näheren Umgebung und wird von ihr abhängig”. Hieraus entwickelt sich zunehmende “Furcht, die Geborgenheit durch andere zu verlieren oder verlassen zu werden. (Pulsatilla, R.M.) nimmt die Fremdbestimmung durch andere gerne in Kauf, weil sie “Sicherheit bietet”. Insofern ist Pulsatilla von ihrem Wesen sanft, liebenswürdig, angenehm und sehr gefühlvoll.

Pulsatilla ist bedürftig nach Nähe, sie kann in großem Maße Bindungen eingehen und ist nahezu abhängig hiervon. Ihre große Hingabefähigkeit gerät oft bis zur Selbstaufgabe, denn Pulsatilla tut alles, um anderen Menschen zu gefallen und es ihnen recht zu machen. Sie meidet Konflikte, um Frieden und Harmonie um sich zu spüren und aufrechtzuerhalten und passt sich aufgrund dessen den anderen eher an, als daß sie Position bezieht. In Konflikt-Fällen sucht sie häufig die Schuld bei sich, räumt Fehler ein und versucht die entstandene Disharmonie wiedergutzumachen. “Wenn für Pulsatilla alles glatt läuft und sie in einer liebevollen und stabilen Partnerschaft lebt, treten ihre negativen Stimmungen nur sehr selten auf. Wenn sie doch kommen, steckt dahinter meistens das Gefühl, ihre emotionale Sicherheit könne bedroht sein. Somit sind Ihre wesentlichen Eigenschaften: “Wechselhaftigkeit in Verbindung mit Weichheit, Nachgiebigkeit ohne konkreten Standpunkt”.

Weitere Eigenschaften von Pulsatilla

  • Große Unentschlossenheit, es fällt schwer, eigene Entscheidungen zu treffen. Häufig entsteht das Gefühl, entweder anderen Menschen nicht gerecht zu werden oder aber die zweite Alternative zu versäumen, wenn eine klare Festlegung erfolgt.
  • Sie braucht sehr viel Anerkennung durch andere, um sich geliebt zu fühlen.
  • Pulsatilla braucht Ratschläge anderer, weil sie sich so schwer entscheiden kann, befolgt sie aber nicht. Zuweilen tendiert sie zur Wiederholung alter Fehler.
  • Aufgrund ihrer Gefühlsbetontheit sieht sie Probleme eher subjektiv.
  • Sie leidet – aus einer gewissen Verlustangst heraus – unter dem ständigen Schuldgefühl, es anderen nicht recht und nicht gut genug gemacht zu haben, unter dem Gesichtspunkt der emotionalen Zuwendung und der Anpassung an andere Menschen.
  • Liebenswürdigkeit wird als Technik zur Vertretung ihrer Interessen eingesetzt.
  • Pulsatilla hat ein ambivalentes Vaterbild: auf der einen Seite gibt ihr seine Stärke Kraft und Unterstützung. Auf der anderen Seite trägt sie eine subtile Abwehr gegen seine Macht und Bestimmtheit in sich, “Furcht vor Auseinandersetzung und Entscheidung” sowie “Kopf in den Sand stecken. Gefühle werden durch Unterdrückung angesammelt, nicht bewältigt”.

Auslöser der Pulsatilla-Symptomatik

Ablehnung durch den Partner, Eifersucht, Enttäuschung, Erwartungs-Spannung, Gefühlserregung, Schreck, Verletzung und unterdrückte Sexualität.

Besserung wird häufig durch TROST und Zuwendung erreicht, denn Pulsatilla-Symptome haben oft mit ihrer emotionalen Befindlichkeit zu tun. Dies korrespondiert damit, daß Pulsatilla ein starkes Verlangen nach Zärtlichkeit, Bindung und Happy End hat. Jahreszeitlich verschlechtern vor allem extremere Jahreszeiten (Sommer, Winter) sowie Sonne, Wind, nasses Wetter, feuchtes Zimmer und Zugluft. Pulsatilla benötigt Ausgeglichenheit und Moderatheit in ihrer Umgebung. Tageszeitlich finden wir morgens eine Verschlimmerung der körperlichen und abends eine Verschlechterung der seelischen Symptome, vor allem der Angst vor Allein-Sein, vor. Tagesrhythmisch ist die Zeit von 15 -24 Uhr die Phase stärkerer Innen-Wendung. Hierbei werden uns unsere tieferen emotionalen Probleme stärker bewußt.

Körperlich sind die Beschwerdebilder von Pulsatilla oft genau so wechselnd und wandernd wie ihre seelischen Stimmungen. Schwerpunkte sind z.B. Heuschnupfen, wechselnde rheumatische Beschwerden, instabiler Kreislauf, Frauenbeschwerden: Störungen der Regelblutung, Unfruchtbarkeit, Wechseljahre.

Heuschnupfen hat mit Gefühlen der Angst, Enge und Abwehr im Bereich von Liebe und Sexualität sowie mit der Notwendigkeit der Anerkennung innerer aggressiver Impulse zu tun. Rheumatische Beschwerden thematisieren sowohl eine festgefahrene Situation, das Verbleiben in alten Muster sowie mangelnde geistige / seelische Beweglichkeit und Schwierigkeiten sinnvoller Äußerung von Aggressionen. Kreislauf-Probleme haben mit mangelnder Ausgewogenheit zwischen Klärung von Konflikten und Autoritätsproblemen einerseits, echter Entspannungsfähigkeit andererseits zu tun. Frauenbeschwerden signalisieren die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit der eigenen Weiblichkeit und dem persönlichen Selbstverständnis als erwachsene Frau.

Typische Ängste von Pulsatilla:

  • Angst vor Allein-Sein
  • Angst vor dem anderen Geschlecht
  • Angst nachts
  • Angst im Haus
  • Angst vor Bindung
  • Angst vor der Meinung anderer
  • Angst im Dunkeln
  • Angst vor Gespenstern
  • Angst vor Gewölben, Kirchen und Kellern
  • Angst vor Bahnfahrt
  • Gewissensbisse, Schuldgefühl
  • Furcht in engen Räumen

Typische Traum-Motive von Pulsatilla:

  • Embryo
  • Heiraten
  • Schwangerschaft
  • Unglück
  • Männer (nackte Männer), Raum voller Männer
  • im Mutterleib
  • Kuh
  • Erschreckt werden von einem schwarzen Hund.

Phosphor und Pulsatilla sind somit Mittel, die dem Menschen der heutigen Zeit dann Hilfe anbieten können, wenn er Mangel-Zustände an erfahrener emotionaler Geborgenheit in der Kindheit durch zu starke Du-Bezogenheit auszugleichen versucht andererseits ein ausgewogenes Verhältnis von Ich und Du zu leben. Im nächsten Teil der Serie beschäftige ich mich mit homöopathischen Konstitutions-Mitteln, die vor allem in Situationen von Erwartungs-Spannung, Lampenfieber, Prüfung und prüfungsähnlichen Situationen helfen können: Argentum nitricum, Gelsemium, Silicea. Selbstbewusstsein, Selbstsicherheit und innere Klarheit sind in der heutigen Zeit in vielfältigen beruflichen (Vortrag, Präsentation, Konfliktgespräch), ausbildungsmäßigen (Referat, Prüfung) und Alltags-Situationen (Vortrag, Gespräch und Diskussion in Vereinen und wichtigen Zusammenhängen des eigenen persönlichen Engagements) wesentliche innere Haltung, um die eigenen Interessen einzubringen.

Dr. phil. Reinhard Müller

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