aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 1/2012
Geborgenheit … nur für Kinder?
Urvertrauen
Eines der größten Geschenke des Schöpfers an uns Menschen ist sicher das Urvertrauen, mit dem jeder Erdankömmling ausgestattet ist. Und im Grunde merkt jeder, dass alle Babys auf der Welt etwas Heiliges umweht. Babys sind noch völlig unschuldig und vertrauensvoll. Sie erwärmen uns im tiefsten Inneren, erinnern uns an das Urvertrauen, das uns Erwachsenen teilweise verloren ging.
Für das Leben ist es sehr wichtig, das Urvertrauen zu stärken. Dazu bedarf es einer präsenten Mutter, die sich rückhaltlos ihrem Kind widmet. Kinder laufen nicht einfach nebenher, sie brauchen eine innige Zuwendung. Eine liebevolle Umgebung vermittelt Geborgenheit, etwas, was sicher zu dem Wertvollsten gehört, was man einem Kind fürs Leben mitgeben kann. In einem solchen Milieu gedeiht jeder Mensch und lebt auf. Selbstverständlich gibt es im Leben nur selten Schwarz-Weiß, sondern meistens Grautöne. Doch etwas Wertvolles bleibt wertvoll, auch wenn es von Mangelhaftem und Fehlern umgeben ist. Wer sich um Gerechtigkeit bemüht, wird die Leistungen seiner Eltern anerkennen und schätzen, früher oder später.
Störungen des Urvertrauens
Die ersten Lebensjahre sind besonders kritisch. In dieser Zeit braucht jeder Mensch einen starken Halt in einer zuverlässigen, beständigen Bezugsperson, am besten der Mutter. Babys und Kleinstkinder sind im höchsten Maß beeinflussbar und verletzlich. Wenn die Mutter als natürliche Bezugsperson oft nicht greifbar ist und dafür andere, wechselnde Bezugspersonen z.B. in der Krippe auftreten, wird das Urvertrauen nicht im vollen Umfang aufrechterhalten werden können. Dazu kommt noch, dass die Mutter aufgrund der beruflichen Belastung und des damit verbundenen Stresses oft gar nicht richtig präsent sein kann für ihr Kind, wenn sie sich mit ihm beschäftigt. Der Haushalt als dritte Belastung macht die Sache auch nicht leichter.
Alle Mitmenschen werden enttäuscht, was sich zu einem Angriff auf das Urvertrauen auswachsen kann. Doch als erwachsene Menschen können wir in uns gehen und das Ganze reflektieren. Müssen wir wirklich einem einzelnen Menschen die Macht geben, unser innerstes Vertrauen zu erschüttern oder gar zu zerstören? Wir haben uns getäuscht und werden enttäuscht. Wenn das nicht so schmerzhaft wäre, wäre das doch eigentlich ein geistiger Gewinn für uns. Schaffen wir es, die nötige innere Freiheit aufzubringen und dem Leben zu vertrauen, müsste eine Enttäuschung nicht einmal wehtun.
Aufbau neuen Vertrauens
Geborgenheit und Vertrauen gehören zusammen. Wenn man glaubt, sich auf niemand und nichts verlassen zu können, fehlt ein beruhigender innerer Halt. Der Kontakt zu authentischen, positiv gestimmten Menschen bietet die Möglichkeit, zum inneren Halt beizutragen, sich innerlich zu stärken. Bedingung hierfür ist jedoch, darauf vertrauen zu können, dass es gut meinende Mitmenschen gibt, die für einen da sind. Fehlt diese Empfindung, kann man den Menschen nicht mehr erreichen. Es muss immer eine gewisse Resonanz geben zwischen den eigenen Regungen und dem, was uns äußerlich trifft, damit durch die verstärkte Schwingung etwas in Bewegung kommt.
Selbstverständlich wird ein verstörter Mensch nicht im Handumdrehen wieder Vertrauen fassen. Dazu braucht es Geduld von beiden Seiten, vom Betroffenen selbst und seinen Mitmenschen. Es wird Rückschläge geben, und immer aufs Neue muss man sich im Widerstreit zwischen den aufbauenden, heilenden Kräften und den Schatten alter Wunden den Spannungen stellen und sich entscheiden. Eigentlich ist es ja mehr ein Loslassen, wenn Vertrauen wächst, Loslassen von Erwartungen, Vorstellungen, Sicherheitsdenken. Aber auf der anderen Seite ist es auch ein hartes Ringen mit dem Verstand, der in seiner Einengung menschliches oder gar geistiges (spirituelles) Vertrauen nicht kennt.
„Erwachsene“ Geborgenheit
Es gibt gute und treue Menschen, und es ist von unschätzbarem Wert, solche Menschen als Freunde zu haben. Da kann sich die Seele erholen von bitteren Enttäuschungen, Schmerz und drückenden Lasten. Doch auch Freunde sind nicht immer zur Stelle, wenn wir in Not sind. Und letztendlich muss jeder allein mit seinem Schicksal fertig werden. Wir können uns wohlfühlen bei lieben Menschen und selbst dann, wenn sie nicht anwesend sind und wir nur an sie denken bzw. uns mit ihnen verbunden fühlen. Aber wir kommen und gehen allein von der Erde, das nimmt uns niemand ab, ebenso wenig wie unser Schicksal.
Man muss sich mit dem Leben anfreunden, wie es ist. Ein gelungenes Leben ereignet sich einfach immer, wenn es die gesetzmäßig bedingten, notwendigen Voraussetzungen vorfindet, unabhängig von menschlichen Meinungen, politischen, religiösen oder sonstigen Anschauungen, stets gleich bleibend, unbestechlich und absolut verlässlich. Wer dafür eine innere Empfindung entwickeln kann, kann sich geborgen fühlen im großen Weltgetriebe, trotz aller Unübersichtlichkeit und Unruhe. Denn Menschen kommen und gehen, politische, wirtschaftliche, ökologische und persönliche Situationen ändern sich ständig, die göttliche Gerechtigkeit aber ist und bleibt ewig gleich bestehen. Wer auf sie baut, baut auf festen, sicheren Grund.
Echtes Glück kann uns nicht in den Schoß fallen. Wir Menschengeister können nur zum Erglühen kommen, wenn wir uns mühen und einen eigenen Weg zur Wahrheit suchen und finden. Vorzeitige Hilfe macht unselbstständig, schwach und abhängig. Die Hilfe von oben kommt jedoch absolut zuverlässig, wenn wir uns ausreichend selbst bemühen. Wenn man solche Hilfe erleben darf, wächst das Vertrauen in höhere Mächte, die uns unterstützen, wenn wir uns einfügen in das gesetzmäßige Wirken und darauf vertrauen. Geistige Geborgenheit entsteht also nur durch geistige Regsamkeit, die uns immer stärker das Eingebettetsein in die göttliche Gerechtigkeit und Gnade erleben lässt.
Michael Semle
Heilpraktiker für Psychotherapie
MichaelSemle@web.de