aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 2/2016
Fallstudie aus der Coaching-Praxis: Wie eine ganzheitliche Betrachtungsweise Wunder bewirken kann
Patient
Maik, 8 Jahre Maik kommt in Begleitung seiner Mutter, die alleinerziehend, ohne jegliche Unterstützung und am Ende ihrer Nerven ist, in meine Praxis.
Vorgeschichte
Maik hat bis dahin die übliche „AD(H)S-Karriere“ hinter sich. Er war als Säugling bereits auffällig und als „Schreibaby“ diagnostiziert. Er schrie mehrere Stunden am Tag ohne ersichtlichen Grund. Seine Mutter versuchte alles, um Maik zu beruhigen und um selbst ein paar Stunden Schlaf zu bekommen.
Nach einigen Monaten fehlgeschlagener Schlaf- und Beruhigungsversuche bekam er vom Kinderarzt eine Schlafmedikation verordnet, „damit sich der Schlaf einpendeln kann“. Nachdem Maik nach 2 Tropfen dieses Medikamentes eine Woche durchschlief, und selbst zu den Mahlzeiten geweckt werden musste, beschloss seine Mutter, dass dieses Mittel nicht das Mittel ihrer Wahl sei.
Maik wurde älter, das Schlafen pendelte sich irgendwann und irgendwie einigermaßen ein, doch er blieb unbändig. Die Probleme gingen im Kindergarten weiter und seine Mutter wurde in regelmäßigen Abständen zum Gespräch gebeten. Die Aussagen der Kindergärtnerinnen gingen in die Richtung, dass Maiks Mutter konsequenter in der Erziehung sein solle, da Maik sich an keine Regeln halten wollte.
Maiks Mutter fühlte sich hilflos und allein gelassen. Sie versuchte, alle guten Ratschläge, die ihr Ärzte und Erzieher gaben, in die Tat umzusetzen. Maik kam in die Schule und nach kurzer Zeit legten ihr die Lehrer nahe, ihn auf AD(H)S testen zu lassen.
Maiks Mutter ließ ihren Sohn testen, mit dem Ergebnis AD(H)S, lehnte aber aufgrund der alten Erfahrungen die Medikamente ab. Die Ärzte waren mit ihrer Entscheidung wenig einverstanden, mussten sie aber akzeptieren. Allerdings klärten sie die Mutter nicht über anderweitige Therapiemöglichkeiten auf. Maiks Mutter fing selbst an zu recherchieren und schloss sich einer Selbsthilfegruppe an.
Im Zuge dieser Recherchen landete Maik bei mir.
Anamnese
Ich führe mit der Mutter ein ausführliches Anamnesegespräch, das nicht nur Maik als Person beinhaltet, sondern auch die Mutter mit ihren Ängsten und Gefühlen. Es stellt sehr schnell heraus, dass sie am Ende ihrer Kräfte ist und es nicht mehr schafft, abzuschalten oder zu entspannen. Sie dreht sich gedanklich immer um ihren Sohn und die Aufforderung der Schule, sie möge ihrem Sohn Medikamente geben.
Maik ist stürmisch, impulsiv, unbändig, laut und nicht bei einer Sache zu halten. Er stürmt durch meine Praxisräume, nimmt die Spiele und Lernutensilien aus dem Regal, schmeißt sie auf die Erde und stürmt zum nächsten Objekt seiner Begierde. Nach einer gefühlten Ewigkeit setze ich die erste Regel mit dazugehöriger Konsequenz: „Alles, was du aus dem Regal nimmst, stellst du wieder so an seinen Platz wie es war. Wenn nicht, must du dich hier an unseren Tisch setzen.“ Maik sieht mich mit einem Grinsen in den Augen an. Er hat gelernt, dass Aufforderungen nicht durchgesetzt werden.
Dies ist Maiks erster Tag mit einer klaren Regel und der dazugehörigen Konsequenz, die ich an diesem Nachmittag innerhalb von zwei Stunden – so lange dauert das Erstgespräch – gefühlte 500 Mal wiederholte.
Coaching
Von nun an kommt Maik drei Mal pro Woche für jeweils eine Stunde zum AD(H)S-Coaching. Bevor er kommt, „präpariere“ ich meinen Raum, extra für ihn. Er findet eine Schaukel vor, einen Springball und Malsachen.
Er entscheidet sich sofort für die Schaukel. Ich vertraue auf die Tatsache, dass Kinder sich immer das aussuchen, was sie am meisten brauchen – und er braucht die Schaukel. Die ersten Termine verbringt Maik in der Schaukel und ich damit, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen. Nach und nach wird er offener und erzählt von der Schule. So, wie sich die Situation mir darstellt, ist er nicht nur einmal zum Opfer von unschönen Mobbingattacken gewesen – und kein Lehrer unternimmt etwas.
Nach etlichen Stunden lasse ich ihn mit Knetmasse seine Gefühle formen, die er bei solchen Auseinandersetzungen empfindet. Die ersten Knetobjekte bestehen aus einfachen Knet-Gefühlsklumpen und ich denke, seine Gefühle sind ebenfalls zu diesem Zeitpunkt Klumpen. Nach und nach nehmen diese Klumpen allerdings Formen an.
Zusätzlich stelle ich gemeinsam mit seiner Mutter einen neuen Ernährungsplan auf, da sich einige Lebensmittel ungünstig auf das Verhalten von Maik auswirken.
Maiks Mutter nimmt darüber hinaus einmal pro Woche an einem Entspannungstraining teil, welches ihr sichtlich gut tut. Sie wird ruhiger und kann wieder erholsam schlafen.
Nachdem sich Maiks Konzentrationsfähigkeit und Gefühlswert deutlich gebessert haben, widmen wir uns den schulischen Schwierigkeiten. Um ihm bei seiner zusätzlich bestehenden Legasthenie zu helfen, schulen wir seine Wahrnehmung und arbeiten an der Rechtschreibung. Dank der klar aufgestellten Regeln und des Konzentrationstrainings, seine Aufmerksamkeit zu fokussieren, gelingt ihm das immer besser und über längere Zeit.
Natürlich kommen immer wieder „schlechte“ Tage vor mit übler Laune und Ärger in der Schule. Wenn ich merke, dass seine Laune „am Tiefpunkt“ ist, frage ich immer: „Na, willst du kneten?“, und er nimmt dieses Angebot bereitwillig an. Die Knete ist mittlerweile zum Sprachrohr seiner Gefühle geworden.
Wir reduzieren die Coachingeinheiten immer weiter, bis er nur noch einmal pro Woche kommt, über einen Zeitraum von ca. anderthalb Jahre.
Seine Mutter hat in einem AD(H)S-Elterntraining im Zusammenhang mit einem Einzelcoaching zu Hause gelernt, klare Regeln zu stellen und diese auch konsequent zu verfolgen. Sie hat verstanden, dass klare Regeln nicht begrenzend für Maik sind, sondern „überlebenswichtig“. Und sie hat Spaß an ihrem Entspannungstraining gefunden und es auch beibehalten.
Corinna Wietelmann
Erziehungsberaterin, Coach und Psychologische Beraterin mit Praxis in Lasbek, Expertin für AD(H)S, Ernährung und Stressbewältigung
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