aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 2/2023
Glossar der Medizinen
[traditionell]
[alternativ]
[komplementär]
[integrativ]’
-> Ist das nicht alles dasselbe?
Differenzierung des Heilkundebegriffs und Glossar der Medizinen für Heilpraktiker, Patienten und Medien
H e i l k u n d e (-> Kenntnis von der Gesundheit) ist die Wissenschaft und praktische Ausübung der Medizin – sie umfasst in Deutschland Tätigkeiten, die erlaubnispflichtig sind, und einige Gesundheitsangebote, die keiner besonderen Erlaubnis bedürfen.
Erlaubnispflichtige Heilkunde
Erlaubnispflichtige Heilkunde wird im Heilpraktikergesetz definiert und umfasst „jede berufs- oder gewerbsmäßig vorgenommene Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder Linderung von Krankheiten, Leiden oder Körperschäden“. Erlaubnispflichtige Heilkunde entspricht somit der Heil- und Krankenbehandlung.
Berufsmäßig handelt, wer die Intention hat, die heilkundliche Tätigkeit zu wiederholen (Wiederholungsabsicht). Gewerbsmäßig bedeutet in diesem Zusammenhang erwerbsmäßig, dass die Person auch eine Bezahlung dafür erhält bzw. eine Gewinnerzielungsabsicht hat. Allerdings kann jemand auch ohne Wiederholungsabsicht berufsmäßig handeln, wenn er z.B. unerlaubterweise eine einmalige Krankenbehandlung (nicht Erste Hilfe!) durchführt. Im letzten Fall liegt ein Verstoß gegen das Heilpraktikergesetz vor.
Heilpraktiker sind neben Ärzten in Deutschland die einzige Berufsgruppe, die – auf der Grundlage des Heilpraktikergesetzes – weisungsfrei und eigenverantwortlich Heilkunde ausüben darf. Sie sind nach heilkundlichen Maßstäben geprüft und schulden ihren Patienten eine fachgerechte medizinische Heilpraktikerbehandlung.
Niederschwellige Angebote zur Gesundheitsförderung
Der erlaubnispflichtigen Heilkunde stehen Tätigkeiten gegenüber, die eine bestimmte Schwelle nicht überschreiten. Das sind solche, die keine heilkundlichen Fachkenntnisse erfordern, die keine gesundheitlichen Schädigungen verursachen können, wenn unsachgemäß ausgeübt, und primär dem Ziel der Gesundheitsförderung bzw. der Salutogenese (lat. salus = Gesundheit/Wohlbefinden, genese = Entstehung) dienen. Erlaubnisfreie Heilkunde entspricht somit Gesundheitsbehandlungen und Hilfe zur Selbsthilfe.
Erlaubnispflicht der Behandlung von Gesunden
Geht von der Tätigkeit eine gewisse „Gefährlichkeit“ aus, z.B. bei prophylaktischen oder ästhetischen Maßnahmen, wird eine Erlaubnis benötigt, auch wenn es sich bei den Behandelten um Gesunde und keine kranken Patienten handelt.
Eigenbehandlungen und Selbstlose Hilfestellung
Abzugrenzen von der berufsmäßigen Ausübung der Heilkunde und den niederschwelligen Gesundheitsangeboten, die ebenfalls unter den Heilkundebegriff fallen, ist die Selbstmedikation oder die Selbstlose Hilfeleistung im engsten Familienkreis (z.B. wenn eine Mutter bei ihrem Kind einen Wadenwickel macht). Wenn jemand jedoch regelmäßig innerhalb des Familien-, Freundes- und Bekanntenkreises „den Arzt spielt“, wird die Grenze des rechtlich Zulässigen überschritten.
Medizin ist laut WHO eine Erfahrungswissenschaft
Ärzte und Heilpraktiker wenden in ihren Praxen die Therapien an, mit denen sie und ihre Patienten gute Erfahrung gemacht haben und mit denen sie sich subjektiv identifizieren können. Es ist ein Klischee, dass Ärzte ausschließlich der Evidenzbasierten Medizin (EbM) verpflichtet sind und Heilpraktiker nur „Alternativmedizin“ anwenden. Das bedeutet z.B., dass ein Arzt sich mit Leidenschaft der Homöopathie widmen kann, während ein Heilpraktiker komplett auf evidenzbasierte Naturheilverfahren und Labordiagnostik setzt. Weder Ärzte noch Heilpraktiker sind in ihren Methoden festgelegt.
Freie Methodenwahl
In Deutschland herrscht Therapiefreiheit. Das bedeutet, Ärzte und Heilpraktiker können ihre Diagnose- und Behandlungsmethoden grundsätzlich frei wählen. Sie können darüber entscheiden, ob eine Behandlung überhaupt stattfinden soll. Das bedeutet auch, sie können nicht gezwungen werden, eine bestimmte Behandlungsmethode oder Arzneimitteltherapie durchzuführen. Dabei handeln Ärzte und Heilpraktiker in ihrem gesetzlichen Rahmen und nach bestimmten Grundsätzen, die sich u.a. in den jeweiligen Berufsordnungen finden.
Kriterien, die Heilpraktiker bei der Methodenwahl berücksichtigen, sind:
-> das Ganzheitsprinzip (Körper, Geist und Seele werden als Einheit betrachtet)
-> das Prinzip „nihil nocere“, also dem Patienten niemals zu schaden
-> das Prinzip, nach dem der Mensch im Mittelpunkt steht, also nicht nur Symptome und Krankheiten behandelt werden
-> der Grundsatz, die Therapie mit natürlichen Methoden durchzuführen, um die Gesundheit des Einzelnen sanft zu regulieren
-> das Prinzip der Selbstheilkraft
-> Heilpraktiker haben bei der Anwendung ihrer Methoden den Patienten gegenüber eine umfassende Schutzpflicht
Strategie der WHO für traditionelle Medizin
Bereits 1978 hob die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die bedeutende Rolle der traditionellen (naturheilkundlichen) Medizin für die Gesundheitsversorgung hervor und forderte 30 Jahre später ihre Mitgliedstaaten auf, im Rahmen ihrer Möglichkeiten Schritte einzuleiten, die komplementäre und alternative (heute traditionelle) Medizin in die nationalen Gesundheitssysteme zu übernehmen. Seit 2013 setzt sie auf Umsetzung ihrer Strategie für traditionelle Medizin (WHO traditional medicine strategy: 2014-2023). Gegenwärtig ist einiges in Bewegung.
In Deutschland setzt sich v.a. die Heilpraktikerschaft für die traditioneller und komplementärer Medizin und eine interdisziplinäre Zusammenarbeit ein. Aber auch vielen Ärzten ist an diesem Thema gelegen.
Medizin nicht spalten!
Mit dem Versuch der WHO, die traditionelle Medizin (wieder) in die Gesundheitssysteme zu integrieren, wird deutlich: Im Mittelpunkt der Medizin steht der Mensch. Sie fragt stets nach der besten Handlung oder Maßnahme für den Patienten und stellt auch dessen Wünsche und Präferenzen in den Vordergrund. Deshalb betrachten manche die Medizin auch als eine „Handlungswissenschaft“.
Medizin kann nicht gespalten werden.
Richtige Einordnung von Begriffen
Mit einigen Begrifflichkeiten, die wir heute im Zusammenhang mit der Medizin verwenden, werden bewusst Gräben ausgehoben und vermeintliche Gegensätze konstruiert. Begriffe wie „alternativ“ sind politisch verwerflich geworden, und Begriffe wie Para- und Glaubensmedizin im falschen Kontext stacheln Feindseligkeiten an.
Das folgende Glossar soll Heilpraktikern und Patienten Hilfestellung bieten, Therapieverfahren nach individueller Präferenz einzuordnen – und ist außerdem als Leitfaden für die Medien gedacht.
[Glossar]
[der]
[Medizinen]
Alternative Medizin
Synonym
Alternativmedizin – veralteter Begriff, wird heute nur noch von Laien verwendet
Bedeutung
neutraler Sammelbegriff für Behandlungsmethoden, die als Alternative (zusätzlich) oder Ergänzung (komplementierend) der Konventionellen Medizin verstanden werden, die nicht wissenschaftlich belegt sind oder naturwissenschaftlichen Erkenntnissen widersprechen
polarisierend
Medizin, die anstatt von Schulmedizin angewandt wird; findet bei offiziellen Institutionen, Fachgesellschaften und den Berufsverbänden keine Verwendung mehr
Außenseitermedizin
Bedeutung
Begriff aus der Rechtsprechung für Methoden im Sinne einer wissenschaftlich nicht anerkannten Behandlung; Oberbegriff für Methoden, die vom medizinischen Standard/herkömmlichen Behandlungsmethoden abweichen
polarisierend
nicht dazu gehörend, nicht akzeptiert
CAM (-> complementary and alternative medicine)
deutsch: Komplementäre und Alternative Medizin – veralteter Begriff, den die WHO durch das neue Kürzel „T&CM“ (Traditional & Complementary Medicine) ersetzt hat
Bedeutung
Sammelbezeichnung für geschätzt 400-450 Verfahren der Naturheilkunde und anderer Heilsysteme, die nicht wissenschaftlich etabliert sind (von A wie Aderlass bis Z wie Zungendiagnostik)
Erfahrungsmedizin
Synonym
Empirische Medizin
Bedeutung
Medizin, die auf Erfahrung bzw. auf Therapiebeobachtungen aufbaut
Evidenzbasierte Medizin (EbM)
englisch: evidence-based medicine
Bedeutung
Medizin, die sich auf Beweise stützt (Evidenzstufen I-V)
nach David Sackett: „Der gewissenhafte, ausdrückliche und angemessene Gebrauch der gegenwärtig besten vorhandenen Daten aus der Gesundheitsforschung, um bei Behandlung und Versorgung von konkreten Patienten Entscheidungen zu treffen. EbM beinhaltet die Integration individueller klinischer Expertise mit der bestmöglichen Evidenz aus klinischer Forschung und der Präferenz des Patienten.“
Ganzheitliche Medizin
Synonyme
Ganzheitsmedizin, Holistische Medizin
Bedeutung
sieht den Menschen in seiner seelisch-körperlichen Gesamtheit in Interaktion mit seiner Umwelt
Glaubensmedizin
Bedeutung
Konzepte, die in einem religiösen oder weltanschaulich geprägten Kontext stehen
polarisierend
Sammelbegriff für Therapien, die nicht wissenschaftlich orientiert sind
Integrative Medizin (IM)
Bedeutung
Verbindung von Konventioneller Medizin und Komplementärmedizin zu einem Gesamtkonzept mit dem Ziel, das Patientenwohl zu fördern
nach Esch und Brinkhaus: „Integrative Medizin und Gesundheit bekräftigt die Bedeutung der Beziehung zwischen Arzt und Patient, zielt auf die ganze Person ab, wird durch Evidenz informiert und bedient sich aller geeigneten therapeutischen, präventiven, gesundheitsfördernden oder Lifestyle-Ansätze, Fachkräfte und Disziplinen des Gesundheitswesens, um eine optimale Gesundheit und Heilung zu erreichen – Kunst und Wissenschaft des Heilens gleichermaßen hervorhebend. Sie basiert auf einer sozialen und demokratischen sowie natürlichen und gesunden Umwelt.”
Komplementäre Medizin (KM)
Bedeutung
Sammelbegriff für Behandlungsmethoden, mit denen die konventionelle Medizin ergänzt und unterstützt werden kann; komplementierende Medizin
Wird von der WHO in fünf sich teilweise überlappende Gruppen eingeteilt: Tradierte Medizin-Systeme (z.B. Chinesische Medizin, Ayurveda), biologische Therapien (z.B. Kräutermedizin), manipulative, körperbezogene Therapien (z.B. Osteopathie), Körper-Geist-Therapien (z.B. Yoga), Energie-Therapien (z.B. durch Nutzung magnetischer, auch körpereigner elektromagnetischer Felder)
Konventionelle Medizin
englisch: conventional medicine
Synonyme
Schulmedizin, westliche Medizin
Bedeutung
herkömmlich, in bewährter Art und Weise
wissenschaftsorientierte Medizin, wie sie an medizinischen Hochschulen und Universitäten gelehrt wird
Naturheilkundliche Medizin
auf den Arzt Dr. Lorenz Gleich (1798-1865) zurückgehender Begriff
Synonyme
Naturheilkunde, Naturheilverfahren (NHV)
Bedeutung
Behandlung mit natürlichen, von der Natur vorgegebenen Mitteln und Methoden
Lehre und Forschung der natürlichen Prozesse, wie die Natur mithilfe der fünf Elemente (Luft, Wasser, Licht, Ernährung, Bewegung) heilt; heterogene Gruppe verschiedener Methoden, die natürliche bzw. naturgemäße Prozesse der natürlichen Umwelt aufgreifen, anregen oder imitieren
in Deutschland: Einteilung in klassische NHV (Ordnungstherapie, Ernährungstherapie, Hydrotherapie, Phytotherapie, Bewegungstherapie) und erweiterte NHV (ein nicht scharf abgrenzbarer Bereich)
Paramedizin
Bedeutung
Begriff aus der Rechtsprechung für Methoden, die sich im äußersten Grenzbereich der Außenseitermethoden ansiedeln
Schulmedizin
Synonym
Konventionelle Medizin
Bedeutung
ehemals polarisierend, ein von Samuel Hahnemann geprägter Begriff für die Behandlung mit Arzneimitteln der „alten Schule“ (Allopathie); Gegensatz zu Homöopathie
heute: wissenschaftsorientierte Medizin, wie sie an medizinischen Hochschulen und Universitäten gelehrt wird; international wird der Begriff „conventional medicine“ benutzt
Traditionelle Medizin (TM)
Synonym
Tradierte Medizin
Bedeutung
eigenständige Therapien, die Jahrhunderte oder Jahrtausende alt sind (z.B. Ayurveda, Traditionelle Chinesische Therapie)
Die WHO definiert in einem WHO-Report traditionelle Behandlungsverfahren im Kontext mit der Traditionellen Afrikanischen Medizin wie folgt: Traditionelle Medizin ist „die Gesamtheit all der Kenntnisse und Praktiken, die in Diagnostik, Prävention und Eliminierung körperlicher, geistiger und sozialer Störungen genutzt werden und ausschließlich auf praktischer Erfahrung und Beobachtung beruhen, die von Generation zu Generation mündlich oder schriftlich weitergegeben werden. Die Traditionelle Afrikanische Medizin kann als die Gesamtheit der materiellen oder immateriellen Verfahren, Maßnahmen und Bestandteile aller Art aufgefasst werden, die es dem Afrikaner seit undenklichen Zeiten ermöglicht haben, Krankheiten vorzubeugen, seine Leiden zu lindern und sich selbst zu heilen.“
T&CM (g traditional and complementary medicine)
deutsch: Traditionelle und komplementäre Medizin
Bedeutung
fasst die Begriffe TM und KM zusammen, ersetzt das veraltete Kürzel CAM
Wissenschaftliche Medizin
Synonyme
Wissenschaftsmedizin, Schulmedizin
Bedeutung
an den Naturwissenschaften orientierte Medizin, auf Rationalität beruhend
Heute geht man davon aus, dass Medizin als Wissenschaft einen eigenen Wissenschaftstypus („Humanwissenschaft“) darstellt.
Fazit
Die Adjektive traditionell, komplementär, alternativ und integrativ werden im allgemeinen Sprachgebrauch häufig synonym verwendet, um nicht-konventionelle Behandlungsmethoden zu beschreiben. Sie sind der Versuch, traditionelle und komplementäre Heilmethoden nach bestimmten Präferenzen einzuordnen, können aber nicht scharf genug voneinander abgegrenzt werden. In Fachkreisen helfen die Begrifflichkeiten, Methoden zu justieren, in Rechtsprechung und Politik Methoden abzugrenzen. Letztlich steht im Mittelpunkt aller Medizin der Mensch – sie dient dem Einzelnen.
Sonja Kohn
Heilpraktikerin, Mitglied im Vorstand des VUH
Artikel überarbeitet am 03.10.2023
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