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aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 3/2010

Vor der Nano-Revolution

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Führt uns die Nanotechnik in eine bessere Zukunft oder stürzt sie uns ins Verderben? Katharina Balow berichtet über sensationelle Wirkungsweisen, aber auch Gefahren und ungelöste Fragen der Nano-Revolution.

Foto: ©3d-Master - Fotolia.comDie Nanotechnologie ist ein relativ neuer und bereits hochgelobter Wirtschaftszweig, doch wie bei jedem neuen Ansatz ist es besonders wichtig, auch die Gefahren und Risiken zu betrachten, die damit verbunden sind. Seit Jahrhunderten ist das eine Binsenweisheit, doch eine Abklärung negativer Auswirkungen und eine fundierte Risikoabschätzung scheinen auch heute noch trotz unserer hochentwickelten technischen Möglichkeiten und den Erfahrungen aus der Vergangenheit (z. B. Umgang mit Asbest) eigenartiger Weise sehr schwierig zu sein. Die Faszination am Neuen, Unerforschten, die unbedingte sofortige Erschließung neuer Markterschließungspotenziale, naive Kurzsichtigkeit und Verdrängungsmechanismen mögen dieses Verhalten erklären.

Was ist Nano?

„Nano“ leitet sich vom griechischen Wort für Zwerg ab. In der Nanotechnologie bezeichnen Nanoteilchen winzige künstlich hergestellte Stoffe, deren Größe im Bereich von 1-100 Nanometer (nm) liegen. 1 nm = ein Millionstel mm. Der Durchmesser eines Grippevirus beträgt 100 nm.

In Deutschland gibt es bereits 800 Unternehmen, die sich mit Nanotechnologie beschäftigen. Sie stellen Nano-Produkte für die Pharma-, Kosmetik-, Landwirtschafts-, Biotechnologie- und Lebensmittelbranche her. Zu diesen Nano-Produkten zählen unter anderem Elektronik- und Verpackungsmaterial sowie Reinigungs- und Küchenartikel. Nanopartikel finden sich u. a. in Zahnpasta, Zahnkronen, UV-Mitteln, diversen Kosmetika, Socken, Reifen, PET-Flaschen etc.

Laut Schätzungen sind aktuell ca. 500 Lebensmittelverpackungen und über 600 Lebensmittel mit Nanozusätzen auf dem Markt. Tendenz steigend. Gerade in pulverisierten Nahrungsmitteln wird nanopartikuläres Siliziumdioxid als Riesel- und Fließhilfsmittel gerne eingesetzt.

Die Besonderheit von Nanomaterialien liegt in den veränderten biologischen, chemischen, elektronischen, mechanischen und thermischen Eigenschaften, d. h., dass das gleiche Ausgangsmaterial selbst in verschiedenen nanoskaligen Größenbereichen eine völlig andere Wirkweise aufzeigen kann, z. B. im Hinblick auf Leitfähigkeit, Reaktionsfähigkeit und Festigkeit. Dies eröffnet eine unglaubliche Bandbreite neuer Nutzungsmöglichkeiten, aber auch Forschungsbedarf bzgl. neuartigen Toxititäten.

Nach aktuellem wissenschaftlichen Stand sind die möglichen Risiken der Nano-Technologie noch nicht genau abschätzbar. Man weiß nicht, ab welcher Menge oder bei welcher Aufnahmeart von Nanostoffen es zu Gesundheitsschäden beim Menschen kommen kann. Zu erforschen ist ebenso, welche Auswirkungen die künstlich hergestellten Nanopartikel auf Boden, Luft, Wasser, Tier- und Pflanzenwelt haben.

Wichtige Indizien für die Gefährlichkeit der Nanostoffe – auch für den menschlichen Organismus – zeigen folgende Beispiele:

Karotte, Soja, Mais und Gurke reagieren bei Versuchen mit Aluminium-Nanopartikeln mit reduziertem Wurzelwachstum. Der Effekt trat bei größeren Partikeln nicht auf. (Yang und Watts, 2005)

Im September 2008 wurde von einer dänischen Forschergruppe ein Bericht veröffentlicht, dass bei Ausbringung von Buckyballs (Kohlenstoff-Nano-Kugeln) das Bakterienwachstum in einer Bodenprobe um ein Drittel bis ein Viertel verlangsamt war.

Ratten reagierten mit Lungenschäden auf Inhalationsexperimente. In vitro-Versuche mit Silber in einer Größe von 15 nm waren toxisch für Stammzellen in der Keimbahn von Mäusen (Braydich-Stolle et al. 2005). In vivo-Versuche mit Zink in Größe von 120 nm führten bei Mäusen zu Schäden an Magen, Leber, Herz und Milz, bei 20 nm Paritkel wurden Leber, Milz und Bauschpeicheldrüse geschädigt (Wang B. et al. 2007). 19 nm Zinoxid reagierte schon bei sehr geringen Dosierungen toxisch auf Zellkulturen von Ratte und sogar Mensch (in vitro; Brunner et al. 2006).

Foto: ©Aamon - Fotolia.comProblematisch erscheint auch, dass Nanopartikel mit großer Wahrscheinlichkeit eine negative Auswirkung auf die mikrobielle Zusammensetzung des Wassers in Kläranlagen haben, insbesondere durch die Partikel, die eine bakterizide Wirkung haben, wie z. B. Nano- Silber oder Titandioxid. Das deutet stark darauf hin, dass Abbau- und Nebenprodukte einen zusätzlichen Risikofaktor darstellen. Daher muss sichergestellt werden, dass Nanomaterialien gefahrenfrei entsorgt werden können. Möglicherweise können Nanos durch die Nahrungskette weiter zum Menschen übertragen werden. Unbestritten ist, dass viele Faktoren mit einbezogen werden müssen, um eine Aussage über die Ökotoxitität zu treffen. Wichtige Aspekte sind Größe und Form der Partikel und ihre daraus resultierenden verschiedenen Eigenschaften, außerdem ob und wie Partikel gebunden sind.

Nanomaterialien sind chemisch reaktiver und weisen eine höhere Bioverfügbarkeit und -aktivität auf. Die menschliche Immunabwehr kann Nanopartikel nicht so einfach neutralisieren oder ausscheiden wie größere Partikel. Eine Penetration von Körperzellen und das Durchdringen biologischer Barrieren wie der Blut-Hirn-Schranke sind möglich. Es besteht allerdings noch sehr viel Forschungsbedarf auf diesen Gebieten.

Wichtige Einfallstore für Nanopartikel in den menschlichen Organismus sind Haut, Mundhöhle, Speiseröhre, Verdauungsapparat, Nasenschleimhaut und die Lunge.

Aus der Feinstaubforschung weiß man, dass Nanopartikel in den menschlichen Blutkreis gelangen und von Fresszellen und Makrophagen nicht ausreichend unschädlich gemacht werden und sogar ins Herz oder in die Lungenbläschen eindringen können. Es wurde festgestellt, dass bei hoher Feinstaubbelastung in der Luft ein Zusammenhang mit der Häufigkeit von Herzinfarkten besteht. Ultrafeine (Partikel < 100 Nanometer) und feine Partikel entstehen bspw. im Straßenverkehr, durch Abrieb von Bremsen, Reifen oder durch Dieselruß.

Die Stiftung „nano-Control“ hat mittlerweile über 2.000 Meldungen von Betroffenen gesammelt, darunter Anwälte, Ärzte, Professoren, Ingenieure, Polizisten und Journalisten, die Gesundheitsbeeinträchtigungen in Zusammenhang mit dem Gebrauch von Laserdruckergeräten vermuten. Die „Nanopathologie“ beginnt häufig mit Erkältungssymptomen, die nicht abklingen wollen. Chronische Sinu-Bronchitis mit asthmatischen Beschwerden und eine periphere Schädigung der Bronchien sind typische Krankheitsverläufe. Entzündungen der Augen, der Haut oder Metallallergien treten auf.

Die Auswirkung (auf die Haut) wurde bereits genauer untersucht. Laut Prof. Dr. Butz ist gesunde Haut „eine zuverlässige Barriere gegen Nanopartikelpenetration. Was wir nicht recht wissen, ist, was passiert eigentlich bei einer von einem Sonnenbrand geschädigten Haut, also wenn bereits die Hautfetzen runter hängen, und Sie schmieren sich dann erst ein. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man keinen Kontakt mit vitalem Gewebe hat, und ich würde also sehr stark davon abraten, so etwas zu tun.“

Auf der Jahrestagung 2008 der Gesellschaft für Dermopharmazie wurde gefordert, dass bekannte Substanzen bei der Verwendung als Nanopartikel hinsichtlich ihrer Sicherheit neu bewertet werden müssen. Gerade im Hinblick auf die wahrscheinlich vielfältig zu erwartenden neuartigen Giftigkeiten genügen die bisherigen rechtlichen Regelungen nicht, um dem Prinzip der Gefahrenabwehr und dem Vorsorgegrundsatz zum Schutz der menschlichen Gesundheit Rechnung zu tragen.

Es gibt derzeit bzgl. Nanoartikel keine Kennzeichnungspflicht, auch keine exakten Informationen, welche Produkte von welchen Unternehmen hergestellt und vermarktet werden. Niemand weiß, welchen und wie vielen Nanostoffen wir bereits jetzt schon ausgesetzt sind. Erst 2012 tritt die vom EU-Parlament verabschiedete EU-Kosmetikverordnung in Kraft. Demnach sind erst in 2 Jahren, und das auch nur auf dem Kosmetiksektor, die Hersteller verpflichtet, unlösliche und biologisch nicht abbaubare Nanopartikel, die in ihren Produkten vorkommen, anzugeben.

Es ist ein Skandal, dass z. B. die Naturkosmetikbranche nanoskalige Metalloxide wie Titandioxid und Zinkoxide verwendet. Aussagen, dass es sich z. B. bei Nanotitandioxid um einen bekannten, erforschten Stoff handelt, sind unseriös. Der Verdacht besteht, dass Titandioxidpartikel nervenschädigend sind, worauf Untersuchungen mit Mäusen hindeuten. (Long, Saleh, Tilton, Lowry, 2006)

Ausgehend von einem Kongress zum Thema „Nanotechnologie“ in Washington D.C. 2007 haben Umwelt- und Verbraucherschutzverbände, Gewerkschaften und andere zivilrechtliche Gruppen das Papier „Kriterien zur Kontrolle von Nanotechnologien und Nanomaterialien“ erstellt. Weltweit haben diese Erklärung über 70 große Organisationen unterschrieben, darunter auch Greenpeace und der BUND Naturschutz, der diese Erklärung 2008 auf Deutsch veröffentlichte.

Sie fordern beim Umgang mit der Nanotechnologie eine strikte Anwendung des Vorsorgeprinzips:

„Wenn eine Handlung eine Bedrohung für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt darstellt, müssen Vorsichtsmaßnahmen ergriffen werden, auch wenn einige Ursachen-Wirkung-Beziehungen wissenschaftlich noch nicht vollständig geklärt sind.“

Gefordert werden verbindliche nano-spezifische Regulierungen, Veränderung und Anpassung der rechtlichen Regelungen, Schutz von Arbeitnehmern, Erstellung von Ökobilanzanalysen hinsichtlich der Auswirkungen auf Umwelt und Gesundheit, mehr staatliche Gelder für die Risikoforschung, Haftung für Schäden durch die Hersteller und Vermarkter von Nanoprodukten, Kennzeichnungspflicht aller nano-haltigen Produkte etc.

In ihrer Schrift „Nanotechnologien – neue Herausforderung für den Verbraucherschutz“ vom 16. Oktober 2009 mahnen auch die Verbraucherzentralen, mit der Nanotechnologie verantwortungsvoll umzugehen. Es wird u. a. auf die Sicherstellung des besonderen Schutzes für Senioren, Schwangere, Allergiker und Kinder hingewiesen. Der Verband fordert, dass Nanomaterialien in Kinderprodukten nicht enthalten sein dürften.

Das Umweltbundesamt (UBA) warnt vor der Verwendung von Produkten, die Nanomaterialien enthalten oder frei setzen können, so lange ihre Wirkung auf Umwelt und menschliche Gesundheit noch weitgehend unbekannt sind, und empfiehlt, die positive Wirkungen der Nanotechnik zu unterstützen und fortzuentwickeln, aber die Risiken für Umwelt und menschliche Gesundheit zu identifizieren und Vorkehrungen für deren Minderung zu treffen.

Als Verbraucher ist eine Meidung von Nano-Produkten – es sei denn, mit Nano wird offensichtlich geworben – schwer durchführbar, aber dennoch ist man nicht völlig machtlos. Es gilt, bei Herstellern und Vertreibern kritisch nachzufragen, ob Nanomaterialien eingesetzt werden. Man könnte auf Produkte mit erkennbar nanoskaligen Inhalten bewusst verzichten, bis deren Unbedenklichkeit zweifelsfrei feststeht. Man könnte Politiker, Arbeitgeber und Heilkundige auf die Problematik ansprechen, im Verwandten-, Freundes- und Bekanntenkreis darüber diskutieren. Auch Drogeriemärkte, Supermarktketten, Discounter, Kaufhäuser, Bioläden etc. könnten sich eingehender über das Thema informieren, bei Herstellern nachfragen und Sortimente kritisch überdenken.

Trotz aller bisher bekannten, vermuteten und noch unerforschten Risiken gilt die Nanotechnologie als Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts. Ihr wird ein enormes wirtschaftliches und gesellschaftsnützliches Potenzial zugeschrieben. Im Bereich Umwelttechnik ist an die Reinigung von Wasser, Boden und Luft durch neuartige Verfahren zu denken. Viren und Bakterien können bspw. durch eine keramische Membran mit nanoskaligen Porositäten gefiltert werden, um sauberes Wasser zu gewinnen. Auch im Klima- und Ressourcenschutz könnte die Nanotechnologie eine große Rolle spielen, z. B. bei der Erschließung regenerativer Energiequellen (Wind, Sonne und Erdwärme). Eine starke Reduzierung des Stromverbrauches wäre durch nanotechnologisch hergestellte Produkte wie z.B. LEDs mit Nanostoffen denkbar.

Im medizinischen Bereich wird an Nanopartikelbasierten Kontrastmitteln gearbeitet, die sich an kranke Zellen binden, um durch bildgebende Verfahren schneller eine exakte Diagnose stellen zu können, und es werden neue Medikamente entwickelt, die ihre Wirkstoffe gezielter an die neuralgischen Stellen transportieren.

In mannigfaltigen weiteren Anwendungsbereichen wie Automobil, Bau, Chemie, Elektronik, Maschinenbau, Optik, Sicherheitstechnik und Textil werden revolutionäre Neurungen erwartet, die für den Laien kaum zu überblicken sind.

Sehr nachdenklich stimmt allerdings, dass selbst durch Aufklärungsarbeit seitens Verbraucher- und Naturschutzorganisationen, teilsweise auch staatlichen Stellen noch eindeutig zu wenige Vorsichtsmaßnahmen konkret und zeitnah geschaffen und umgesetzt werden. Ein verantwortungsvoller und transparenter Umgang ist dringend erforderlich, um Gefahren für Umwelt und Mensch zu vermeiden oder so gering wie möglich zu halten, ohne sich dem Fortschritt zu verschließen.

Katharina Balow

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