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aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 3/2012

Was du verbirgst

Cover

2012-03-Emotion1Emotionsspuren im Gesicht als Wegweiser in Coaching oder Therapie

Im Klientengespräch orientieren sich Coach und Therapeut an der Körpersprache, der Stimme, der Sprache und auch an sichtbaren Zeichen des vegetativen Nervensystems ihrer Klienten, um hinderlichen unbewussten Denk- und Verhaltensmustern auf die Spur zu kommen. Doch Forschungen zeigen, dass Coaches und Therapeuten im besten Falle bis zu 50% der Emotionen ihrer Klienten richtig erkennen.

Jede Emotion hinterlässt sogenannte Microexpressions im Gesicht, wie der amerikanische Psychologe Paul Ekmann sie nennt. Sie machen jede kurz aufflackernde Emotion eindeutig identifizierbar. Die Fähigkeit, diese Microexpressions sicher erkennen zu können, erhöht die Erfolgsquote auf bis zu 80%. Werden weitere Faktoren wie Körpersprache und Stimme einbezogen, werden über 90% der Emotionen richtig erkannt (Nasher 2010).

Aus der Praxis: Angst

Als Kind hat ein Klient (45 Jahre alt, Vertriebsleiter) bei bestimmten Rechenaufgaben starke Angst empfunden, weil sein Vater ihn bei falschen Lösungen rügte. In seinem Emotionssystem sind seitdem Rechenaufgaben mit Angst verknüpft. Diese Angst zeigt sich heute für ihn unbewusst und dennoch ganz deutlich in seinem Gesicht, wenn es um das Thema Zahlen geht. In wichtigen Verkaufsgesprächen nehmen seine Geschäftspartner – ebenfalls unbewusst – einen unsicheren Verkäufer wahr und schreiben die Unsicherheit dem Produkt zu.

Heute gibt es einige Kurzzeit-Coaching-Methoden, die kontextgebunden und zielorientiert die Lösung solcher Emotionsauslöser bewirken. Gleichwohl sind wir biologisch in einer Weise beschaffen, die es erschwert, die Emotion dauerhaft vom Emotionsauslöser zu entkoppeln. Sie äußern sich im körperlichen Ausdruck, in der Stimme, in der Sprache und in Veränderungen unseres vegetativen Nervensystems, indem sich etwa eine Hautpartie rötet oder Schweiß ausbricht.

Gemeinsam mit seinem Kollegen Wallace Friesen hat Paul Ekmann 1976 das Facial Action Coding System entwickelt (F.A.C.S.), und später dann emF.A.C.S. (em = emotion). In seinen Studien fand Ekman heraus, dass der mimische Ausdruck der sieben Basisemotionen – Angst, Überraschung, Ärger, Ekel, Verachtung, Traurigkeit und Freude – in allen Kulturen gleich ist.

Wie uns unsere Emotionen beeinflussen

Steigt eine negative Emotion in uns auf, fangen wir an, unser Erleben der Welt und das Handeln anderer im Sinne dieser Emotion zu interpretieren. Die Emotion beeinflusst in dieser Phase „vernunftgemäßes“ Handeln. Kognitiv können wir nur Informationen verarbeiten, die zu dem uns beherrschenden Gefühl passen. Die Emotionsforscher nennen diese Zeitspanne Refraktärphase. Die Dauer dieser Phase ist bei jedem Menschen und jeder Emotion individuell und unterschiedlich lang.

Welchen Nutzen hat das Erkennen von Microexpressions und den dazugehörigen Emotionen?

2012-03-Emotion2Ein Klient von mir hat es einmal so treffend ausgedrückt: „Durch die Beobachtung und Deutung der Microexpressions ist die Begleitung auf den Punkt gebracht. Es ist der direkte Weg zu meinen Emotionen und Themen, die mir bisher verborgen geblieben sind.“

Die Klienten kommen doch zu uns Coaches, Therapeuten oder Begleiter mit dem Wunsch, dass sich ihr Thema (meist ein problematisches Verhalten oder eine problematische Situation) verändert. Doch diese laufenden Muster sind häufig sehr rigide und der Klient ist nicht verhaltensflexibel. Die Gehirnforschung nennt dieses Verhalten, nicht anders reagieren zu können als der Klient es eben tut, Haltung.

Dabei gilt folgende Gleichung: Haltung = Emotion + Kognition

Also hat eine Haltung immer einen emotionalen und einen kognitiven Anteil, wie aktuelle Ergebnisse aus der Hirnforschung bestätigen. Somit kann eine Veränderung nur stattfinden, wenn beide Teile bedient werden, d.h. wenn ich in der Begleitung des Klienten und seines Themas auf beiden Seiten ansetze. Die Microexpressions (und die dazugehörigen Emotionen) helfen dem Coach, Therapeuten oder Begleiter, direkt an bzw. mit den Emotionen zu arbeiten und dann den kognitiven Teil mitzunehmen in den gewünschten Veränderungsprozess.

Hier am Beispiel des Vertriebsleiters mit Zahlenangst: Angst + „Ich kann nicht rechnen“ = „Immer wenn ich in bestimmten Verkaufsgesprächen bin, dann zeigt sich Angst in meinem Gesicht (unbewusst), fange ich an zu schwitzen, werde nervös – ich habe das Gefühl von einem Brett-vor-dem-Kopf.“

Diese Angst ist dem Klienten nicht bewusst, zeigt sich aber im Gespräch als Microexpression in seinem Gesicht. Diese wird nun angesprochen und im weiteren Therapieverlauf genutzt. Ein Coach, Therapeut oder Begleiter sollte den mentalen Zustand des Gegenübers an der Physiologie, also körperlichen Merkmalen wie Atmung, Durchblutung, Muskeltonus usw. erkennen.

Wozu dann noch Mikroexpressions?

Physiologien im NLP State sind meist oberflächlich und laufen länger und auch meist schon bewusst ab. Es zeigen sich z.B. Flecken auf der Haut des Klienten – die Angst in seinem Gesicht war aber schon viel früher im Gesicht zu erkennen. Microexpressions sind in Sekundenbruchteilen erkennbar und zeigen sich aus dem Unbewussten und laufen daher schon viel früher – unbewusst – ab. Der mentale Zustand zeigt uns nur, dass etwas „beim Klienten abläuft“. Beides zusammen hilft dem Begleiter in der Arbeit mit seinem Klienten.

Microexpressions als reine Technik helfen uns, klarer, bewusster und deutlicher zu sehen – ohne uns ablenken zu lassen von unseren eigenen Gedanken und Interpretationen, Gefühlen etc. Zu gerne lassen wir uns von Manipulatoren und Blenden ablenken und steigen selbst ein in das „Spiel mit dem Klienten“. Die Microexpressions helfen uns also zu fokussieren und klarer am Thema zu sein. Der Klient wird „gesehen“ und darf sein. Experten à la Dr. Lightman in der Serie „Lie to me“ faszinieren das Publikum. Andere wiederum beschleicht bei der Vorstellung, an „so jemanden“ zu geraten, ein merkwürdiges Gefühl.

Fazit

In der zwischenmenschlichen Begegnung laufen auf verschiedenen, zum Teil unbewussten Ebenen in sehr kurzer Zeit komplexe emotionale Prozesse ab. Das gilt auch für die Begegnung Berater-Klient. Coach und Therapeut profitieren dabei von der Klarheit und Bewusstheit über die eigenen Emotionen. Dabei kann sie die Bewusstheit um die eigenen Microexpressions unterstützen. Ich nenne diese Art des Coachings von Klienten „facecoaching“. Bei der prozess- und emotionsorientierten Begleitung von Menschen hilft es, Microexpressions und die Phasen des Emotionsablaufes sicher erkennen zu können und sie ethisch und nutzbringend in den Prozess des Klienten einzubringen.

Henning Olesen
Henning Olesen
Trainer und Coach mit Spezialisierungen u.a. im Bereich F.A.C.S. und emF.A.C.S.
henningolesen@gmx.de

 Literaturnachweis:

  • Merten, Jörg, Einführung in die Emotionspsychologie. Kohlhammer, Stuttgart (2003)
  • Ekman, Paul, Gefühle lesen. Spektrum Verlag, Heidelberg (2010, 2. Auflage)
  • Spitzer, Manfred, Geist & Gehirn. DVD, bralpha / Auditorium Netzwerk, Müllheim/ Baden (2006)
  • Olesen, Henning, Emotionsspuren im Gesicht als Wegweiser in Coaching & Therapie. DVD, avrecord.de, Köln 2011
  • Nasher, Jack, Durchschaut. Wilhelm Heyne Verlag, München (2010)
  • LeDoux, Joseph, Das Netz der Gefühle, Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München (2010, 5. Auflage)
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