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aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 2/2015

Fallstudie aus der psychotherapeutischen Praxis: Die therapeutische Beziehung in der Gestalttherapie

Cover

© Nomad_Soul - Fotolia.comGrundlegende Dimension für eine heilsame Entwicklung ist die therapeutische Beziehung zwischen Patient und Therapeut. Sie schafft den Raum, in dem u.a. unbewusste Konflikte bewusst werden, Traumata entschärft werden können. Kontakt ist dabei eines der wichtigsten Elemente der gestalttherapeutischen Beziehung.

Kontakt als Erfahrung entsteht, wenn Patient und Therapeut sowohl sich selbst als Individuen, als auch das Gegenüber bewusst wahrnehmen und sich von ihm innerlich berühren lassen können, ohne ihre Eigenständigkeit aufzugeben. Der Therapeut nutzt dabei sein Wissen und seine Erfahrung, um Kontakt zu ermöglichen.

Patient
Herr E., 52 Jahre

Herr E. kommt seit mehreren Monaten 14-tägig aus einer weiter entfernten Stadt zur Gestalt- Körpertherapie. Er möchte seine Gefühle und Bedürfnisse besser wahrnehmen können. Ich weiß von Herrn E., dass er schon öfters die Therapeuten gewechselt hat.

Diesmal kommt es kurz vor Schluss zu einer Konfrontation zwischen uns, als ich mich nicht gemäß seinen Erwartungen verhalte und er sich darüber ärgert. Für eine Auflösung ist keine Zeit mehr. Wir vereinbaren, beim nächsten Termin gemeinsam zu prüfen, ob das Thema wieder bzw. noch präsent sei, um es ggf. zu bearbeiten.

Allerdings kündigt Herr E. dann im Hinausgehen kühl an, dass er zu einer anderen Behandlerin an seinem Wohnort wechseln werde. Er wolle sich die langen Fahrten ersparen. Dabei schaut er mir nur flüchtig in die Augen. Ich nehme bei mir Traurigkeit und auch ein komisches Gefühl im Bauch wahr, das ich interpretiere als „Hier stimmt etwas nicht“. Außerdem taucht eine starke Aufregung in mir auf.

Der Kontakt mit unseren eigenen Gefühlen, Körperempfindungen und Gedanken ist der Ausgangspunkt, um mit anderen in Kontakt zu treten.

Herrn E. gegenüber äußere ich mein Verständnis für seinen Wunsch, keine Anfahrt mehr zu haben, und teile ihm mit: Wenn ich wahrnehme, wie Sie mir das fast zwischen Tür und Angel sagen, nach einer Sitzung, in der das Thema Wut eine Rolle gespielt hat und es eine Konfrontation zwischen uns gab – da fühlt sich für mich etwas komisch an im Bauch. Ich würde es bedauern, wenn Sie an diesem Punkt die Arbeit abbrechen.“ Ich erinnere ihn an seine früheren Therapeutenwechsel und bitte ihn zu prüfen, ob das hier ein bekanntes Reaktionsmuster ist.

Während ich zu ihm spreche, tritt er von der Tür zurück und wendet sich mir wieder zu. Er sieht nachdenklich aus.

Aus Sicht der Gestalttherapie bietet der Punkt, an dem ein Patient aus dem Kontakt geht, eine große Entwicklungschance für neue Verhaltens- und Wahlmöglichkeiten. Er kann sich mit Unterstützung z.B. den Gefühlen stellen, die er bisher durch den Kontaktabbruch gemieden hat. Das ist natürlich nur möglich, wenn eine Vertrauensbasis entstanden ist.

Das teile ich auch Herrn E. mit. Letzten Endes, so sage ich ihm, würde ich natürlich seine Entscheidung respektieren, denn für mich sei er der Experte seines Lebens, ich wüsste nicht besser als er, was für ihn gut sei.

In der gestalttherapeutischen Beziehung bleiben die Patienten die Experten für ihr Leben und ihre Entscheidungen. Diese Haltung beinhaltet auch eine tiefe Wertschätzung für Momente des Nicht-Wissens. Patient wie Therapeut wissen es manchmal einfach nicht und treffen sich in der Offenheit des Nicht-Wissens. Darüber hinaus entlastet diese Haltung uns Therapeuten ungemein, auch wenn es verlangt, dass wir die damit einhergehende Unsicherheit aushalten lernen müssen.

Herr E. hat mir aufmerksam zugehört und öfters Blickkontakt gesucht. Jetzt sieht er mich sichtbar aufgewühlt an: „Ich fühle mich ertappt! Ja, was ich jetzt mache, kenne ich, ich bin oft gegangen, wenn es nicht mehr so lief, wie ich das wollte, statt meinen Ärger mitzuteilen.“ Er schlägt vor, einen neuen Termin zu machen.

In der folgenden Sitzung äußert er Erleichterung, dass er durch unseren Kontakt das alte Muster nicht habe wiederholen müssen. Er findet direkten Zugang zu seiner Wut, aber auch zu seinen starren Erwartungen an andere, und erkennt seine Verantwortung für sein Gefühl an.

Constanza Fest Constanza Fest
Heilpraktikerin und Psychologische Beraterin mit Schwerpunkten Gestalttherapie und Gestalt-Körpertherapie
info@praxisfuerinnerenfrieden.de

Literatur

  • Lotte Hartmann-Kottek: Gestalttherapie, 2. Auflage, Springer-Verlag
  • Bruno Paul de Roeck: Gras unter meinen Füßen. Eine ungewöhnliche Einführung in die Gestalttherapie, Rororo
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