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aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 4/2017

Hypnotherapie bei Angstzuständen

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© Andrey Popov I Fotolia.comAngst gehört zum Leben. Sie ist ein urmenschliches Gefühl und gewährleistet, dass der Mensch in Gefahrensituationen blitzschnell seine Kräfte mobilisiert und die Flucht ergreift oder sein Heil im Angriff sucht. Hätten wir keine Angst, würden wir nicht lange überleben können, auch wenn kein gefährliches Raubtier mehr unseren Weg kreuzt. Selbst im modernen Leben würde die Straßenbahn uns genauso in den Tod befördern, würden wir ihr nicht ausweichen. Unsere Angst um andere Menschen, insbesondere um unsere Kinder und Familienangehörige, die stetige Sorge, dass ihnen etwas zustoßen könnte, sichert den Fortbestand der Erdbevölkerung, seitdem es Menschen auf diesem Planeten gibt.

Angstzustände – eine Volkskrankheit

Menschen haben ein unterschiedliches Angstniveau. Was bei einem ein mulmiges Gefühl bewirkt – was lästig sein kann, aber nicht hinderlich – kann bei einem anderen heftige Angstwellen mit deutlichen körperlichen Beschwerden auslösen. Eine tiefergehende Angststörung liegt vor bei der plötzlichen Angst „aus heiterem Himmel“, in unbegründeten Situationen oder wenn die Angst zum ständigen Begleiter geworden ist. Betroffene erfahren sich als eingeschränkt und machtlos gegen- über der Bedrohung von innen. Oft entwickelt sich auch eine zusätzliche tiefsitzende Angst vor einem möglichen neuen Anfall – die „Angst vor der Angst“ – und ein Teufelskreis entsteht: Die Betroffenen trauen sich gar nichts mehr zu, bleiben zuhause, hören auf zu arbeiten, meiden gesellschaftliche Anlässe und nehmen am sozialen Leben nicht mehr teil.

Etwa 15% aller Menschen leiden mindestens einmal im Leben unter Angststörungen, wobei Sozialphobie und spezifische Phobien (Spinnen, Fahrstuhl) am häufigsten vorkommen. Frauen sind deutlich häufiger betroffen als Männer. Allein in Deutschland leiden schätzungsweise über 2 Mio. Menschen an Angstzuständen.

Gesundheitsrisiken

Ein ganz wesentliches Risiko ist, dass sich die bestehende Angst verstärkt oder ausweitet und weitere Ängste hinzukommen. Ein häufiger Begleiteffekt ist, dass Angstpatienten zu Alkohol und Tabletten greifen, um sich zu beruhigen, woraus im Laufe der Zeit eine Abhängigkeit entstehen kann. Sehr häufig sind krankhafte Ängste mit Zwangsstörungen oder anderen psychischen Erkrankungen verbunden. Eine der gefährlichsten Folge- oder Begleiterscheinungen ist die Depression – bis hin zu suizidalen Tendenzen.

Wie Ängste entstehen

Bedrohliche Krankheitsdiagnosen, Erkrankungen des Nervensystems, Medikamente, Alkohol und Drogen sind häufige körperliche Auslöser für Angsterkrankungen. Stress, Burnout und andere starke seelische Belastungen sind häufig genannte psychische Ursachen.

Eine interessante Theorie besagt, dass Ängste bereits im Erbgut angelegt sein können, weil Angsterkrankungen in einzelnen Familien häufiger auftreten als in anderen. Mit Sicherheit spielt die Kindheit eine enorme Rolle; die Frage, ob in den ersten Lebensjahren in harmonischer Nestatmosphäre unverbrüchliches Urvertrauen entwickelt wurde oder immer wieder Dinge geschehen sind, die Furcht und Schrecken ausgelöst und tiefe seelische Spuren hinterlassen haben. Manchmal überträgt sich auch die Angst der Eltern um ihren Nachwuchs auf die Kinder, wenn diese zu sehr behütet werden. In einigen Fällen entsteht zuerst eine generelle Angst, die als Bewältigungsstrategie später in eine spezifische Phobie, z. B. Spinnenphobie, umgewandelt wird, weil diese einfacher zu beherrschen ist.

Was Ängste aufrechterhält

Eine Verhaltensweise, die häufig Ängste aufrechterhält und sogar verstärkt, ist Vermeidung. Ängstliche Menschen leben in ihrer besonderen eigenen Welt, in der z.B. Schmutz, Ratten, Fahrstühle, Tunnel, Dunkelheit, Tiere oder auch soziale Situationen wie die Fahrt in einer U-Bahn oder sich drängende Menschenmengen in engen Gassen an sich Gefahr bedeuten. Um das unangenehme Gefühl der Angst zu vermeiden, werden die angstauslösenden Situationen vermieden. Dadurch ist es den Betroffenen unmöglich, die gegenteilige Erfahrung zu machen und zu erkennen, dass die mit Angst belegten Objekte oder Situationen tatsächlich harmlos und nicht gefährlich oder gar lebensbedrohlich sind. Jede Vermeidungshaltung verfestigt im Unterbewusstsein die Angst aufs Neue und trägt somit (aktiv) zu ihrer Aufrechterhaltung bei. Traumatische Erlebnisse in der Vergangenheit können Ängste ebenfalls aufrechterhalten.

Angstzustände erfolgreich behandeln mit Hypnose

Welche Hintergründe bei der Entstehung der jeweiligen Angst eine Rolle spielen, lässt sich insbesondere mit Hypnosetechniken gut herausfinden. Ängste sind Emotionen. Sie haben ihren Ursprung in den unterbewussten Schichten unserer Psyche. Da die Hypnose es ermöglicht, über direkte und indirekte Kommunikation mit dem Unterbewusstsein zu interagieren, bieten sie hervorragende Möglichkeiten, darauf hinzuwirken, dass Angstzustände weniger werden bzw. nicht mehr auftreten. Meist sind dafür nur wenige Sitzungen erforderlich, aber das hängt vom Einzelfall und der Art der Angstzustände wie auch von der Zeitdauer des Bestehens ab.

In der „Expertise zur Beurteilung der wissenschaftlichen Evidenz des Psychotherapieverfahrens Hypnotherapie“ wurde auf Seite 112 ff. der erfolgreiche therapeutische Einsatz der Hypnose bei Angst- und Belastungsstörungen anhand diverser Studien nachgewiesen. (Revenstorf et al. (2003). http://www.megtuebingen.de/downloads/Expertise.pdf)

Therapeutisches Konzept

Mein Ansatz zur Behandlung von Angsterkrankungen mit kognitiv-hypnotherapeutischen Interventionen:

  • Aufklärung – Gedankenaustausch, Informationsgabe (Gespräch)
  • Orientierung – Situationsanalyse (Gespräch)
  • Entspannung – Ausgiebige Erholung (Hypnose)
  • Visualisierung – Vorstellung: Angstfrei sein (Gespräch/Wachtrance)
  • Lösungserleben – Emotionale Erfahrung: Angstfrei sein (Hypnose)
  • Sicherer Ort – Verankerung eines Ruheorts (Hypnose/Gespräch)
  • Seitenwechsel – Vertraut machen mit den Symptomen (Hypnose)
  • Innenschau – Nachspüren, wo die Angst sitzt (Hypnose)
  • Dissoziation – Auslagern der Angst (Hypnose)
  • Imagination – Der Angst ein Gesicht geben (Hypnose)
  • Abkommen – Mit der Angst einen Vertrag abschließen (Hypnose)
  • Analyse – Ursache und Funktion der Angst herausfinden (Hypnoanalyse)
  • Loslassen – Innere Widerstände aufgeben (Hypnoanalyse/Hypnose)
  • Schuldfragen klären – Verhandlung mit dem Gewissen (Hypnose)
  • Assoziation – Angstauslösende Situationen mit angenehmen Gefühlen verknüpfen (Hypnose)
  • Posthypnotische Suggestionen – Prävention (Hypnose)

Die Herangehensweise hängt von der vorliegenden Angsterkrankung und der jeweiligen Situation des Patienten ab. Bei speziellen Phobien, wie z.B. der Agoraphobie (Angst, das eigene Haus zu verlassen) und der sozialen Phobie (Angst davor, von anderen Menschen beobachtet und bewertet zu werden), kommen weitere spezifische Interventionen in Betracht, wie z.B. Konfrontationsübungen in Trance.

Erläuterungen

Bei der Orientierung geht es darum, die Dynamik zu erkennen zwischen den Symptomen des Betroffenen, den ihm nicht bewussten Erfahrungen und Gefühlen und der individuellen Lebensgeschichte. Vornehmlich in Gesprächen versuchen Therapeut und Patient gemeinsam die Zusammenhänge zu verstehen. Zusätzlich zu einer biografischen Belastung kann der Patient z.B. zu den 15 bis 20% der Hochsensiblen in der Bevölkerung gehören, die aufgrund ihrer außergewöhnlichen Sensorik und Empathie häufiger Angstgefühle entwickeln als Menschen mit normaler Wahrnehmung.

Es wird angenommen, dass Ängste nicht grundlos entstehen, sondern oft auf problematischen Lebenserfahrungen beruhen. Demnach ist das Gefühl nur das Symptom eines tief verwurzelten, dem Betroffenen häufig nicht bewussten Problems: eines inneren Konflikts, der meist aus Kindertagen herrührt. Bei einer traumatischen Erfahrung z.B. hat die Angst seinerzeit eine sinnvolle Funktion erfüllt, in der Regel eine Schutzfunktion. Die mit der negativen Erfahrung verbundene Angst wird später jedoch überflüssig – sie hat keine Funktion, erfüllt keinen Zweck mehr. In der Therapie ist wichtig, die Angst nicht nur als Symptom, sondern auch als wertvollen Hinweis zu begreifen, um die Hintergründe der Symptomatik zu verstehen, die der Patient selber oft als äußerst irrational erlebt. Schon allein das Verstehen des Symptoms hat einen großen therapeutischen Wert.

Entspannung lockert die Muskulatur, der Herzschlag verlangsamt sich, der Blutdruck sinkt. Jede Entspannungstrance führt zu einer ausgiebigen Erholung „in der glasklaren Stille“. Entspannungsverfahren wie Autogenes Training oder Progressive Muskelrelaxation allein genügen jedoch nicht, um Angstzustände dauerhaft zu überwinden.

Jede gezielte Veränderung, sei es etwas Neues oder eine Änderung des Bestehenden, bedarf der vorherigen Vorstellung desjenigen, der sie herbeiführen will. Unsere erschaffene Welt beruht auf Vorstellungskraft mit einer immanenten Dynamik, Vorstellungen zu verwirklichen. Das gilt für unser inneres Erleben genauso. Die bildliche Vorstellung eines angstfreien Lebens ist der erste Schritt, damit Heilung beginnen kann. Tritt zu der Imagination das damit einhergehende Gefühl hinzu, umso besser. Anders als Wünsche oder bewusste Vorsätze, können emotionale Erlebnisbilder mit ihrer Depotwirkung im Unterbewusstsein intensiv, beständig und nachhaltig innere Prozesse bestimmen.

Der sichere Ort (oder sichere Raum) ist eine in Trance geschaffene „Realität“ im Bewusstsein, die dem Klienten einen jederzeit erreichbaren seelischen Rückzugsort bietet. Ein solcher Sicherheitsanker ist ideal bei der Arbeit mit Angstpatienten. Nach der erstmaligen Installation kann dieser geschützte Ort jederzeit besucht werden, etwa bei aufkeimenden Angstgefühlen oder bei heftigen Abreaktionen, z.B. während der Rückführung zum angstauslösenden Ereignis.

Eine alte Kriegsweisheit lautet: „Wenn Du deinen Feind nicht besiegen kannst, verbünde dich mit ihm“. Das Symptom zu ignorieren oder ihm davonlaufen zu wollen, funktioniert auf Dauer nicht und ist allenfalls eine vorübergehende Scheinlösung des Problems. Aus diesem Grund machen wir uns in der Therapie mit dem Symptom vertraut. Das Symptom ist ein Teil von uns geworden, das müssen wir akzeptieren. Um etwas verändern zu wollen, müssen wir es erst lokalisieren, danach dissoziieren bzw. externalisieren, was bedeutet, es nach außen zu verlagern. Das findet im Unterbewusstsein des Patienten genauso statt, so unwirklich dies dem Verstand auch erscheinen mag. Es erfolgt eine Kommunikation mit dem Symptom, und am Ende aller Gespräche und Verhandlungen steht ein Vertrag mit beiderseitigen Verpflichtungen. Für den Patienten kann die Verpflichtung sein, das Symptom als wertvolle Ressource anzusehen, anstatt es zu verfluchen. Die Verpflichtung des Symptoms kann es sein, den Betroffenen nur noch dann zu warnen, wenn aktuell eine wirkliche Gefahr besteht. Auf diese Weise werden im Unterbewusstsein tief verwurzelte Angstmuster aufgelöst.

Ungelöste Schuldprobleme spielen bei vielen Angstsymptomen eine große Rolle. Oft geht es um Entscheidungen oder Reaktionen im Leben, die sich die Patienten nicht verzeihen können und sich auch Jahre später noch – teils unbewusst – dafür verurteilen. Hypnotherapeutische Techniken ermöglichen es, sich direkt an das „Gewissen“ zu wenden als die Instanz, die für moralische Fragen zuständig ist, und eine Verhandlung zu initiieren. Dabei kann geklärt werden, ob inzwischen ein Verzeihen (Selbstvergebung) möglich ist oder welche Art von Wiedergutmachung in Frage kommt. Bei negativen Erfahrungen aus der Kindheit kann auch eine Neubewertung aus Sicht des Erwachsenen ein guter Lösungsansatz sein.

Die Assoziation positiver Erfahrungen (wir kennen alle das Gefühl, wenn wir uns z.B. in einer Erfolgssituation völlig bewusst und voller innerer Kraft erleben) kann in angstauslösenden Situationen zu einem hilfreichen Therapeutikum werden. In der Angsttherapie werden diese Verknüpfungen hergestellt, um Problemerlebnisse allgemein besser zu verarbeiten.

Posthypnotische Suggestionen können prekäre Umstände vorbeugen helfen (z.B. Vorbereitung auf ein Vorstellungsgespräch) und die Auftretenswahrscheinlichkeit erwünschten Verhaltens erhöhen.

Fazit

In der Regel lassen sich mit der Hypnotherapie in wenigen Sitzungen oft deutliche Fortschritte bei der Angstsymptomatik erzielen. Die Ergebnisse können von einer Reduzierung der Beschwerden, die eine weitere selbstständige Angstbewältigung ermöglicht, bis zu einem Verschwinden der Symptomatik reichen. In jedem Fall setzt es jedoch die aktive Mitarbeit des Patienten voraus.

Klaus UlbrichKlaus Ulbrich
Heilpraktiker für Psychotherapie, Hypnotherapeut, Arbeitsschwerpunkte: Angstzustände, Allergien, Gewichtsregulierung, Privatpraxis für therapeutische Hypnose in Lindhorst
kontakt@ganzheitliche-hypnotherapie.de

Foto: © Andrey Popov / Fotolia.com

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