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aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 02/2024

Akupunktur in Bewegung

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Therapeutische Überlegungen für die Schmerztherapie

Die Akupunktur (chin. Zhen Jiu Fa oder Zhen Jiao Fa) hat sich in den letzten Jahrzehnten auch im Westen einen Platz in der therapeutischen Welt erobert. Dabei bezeichnet der chinesische Terminus Zhen Jiu Fa eine Methodenvielfalt innerhalb der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM), die über die Jahrhunderte gewachsen ist. Eine Stärke der TCM ist es, dass unter dem Dach des Zhen Jiu Fa auch konkurrierende Methoden vereint sein können. In diesem Artikel wird die Möglichkeit vorgestellt, Akupunktur und Bewegungstherapie zu kombinieren. Hier eröffnen sich zahlreiche Möglichkeiten für Orthopädie und Sportmedizin.

Kombinierte Anwendung

Im chinesischen Schriftzeichen für Akupunktur sehen wir die Therapie des Stechens (Zhen) und Erwärmens (Jiu/Jiao). So deutet der Name an, dass sowohl das klassische Nadeln wie auch Moxibustion zum Einsatz kommen. Akupunkturpunkte können also gestochen oder erwärmt werden. Dabei bezeichnet der Begriff „heiße Nadel“ die kombinierte Anwendung beider Methoden. In Erweiterung kommen auch andere ergänzende Methoden für eine Kombination in Frage, z.B.
• Akupunktur und Schröpfen
• Akupunktur und Massage
• Akupunktur und Bewegung

Die Akupunktur hat eine therapeutische Domäne, und zwar die Schmerztherapie (chin. Zhi Tong Liao Fa; Schmerz = Tong). Ich stelle Ihnen einen Ansatz vor, der sich in der Orthopädie v.a. bei sehr starken Schmerzzuständen mit Bewegungseinschränkung bewährt hat. Ich durfte diese Methode vor Jahren bei chinesischen Ärzten in Peking kennenlernen, die große Expertise im Bereich von Akupunktur und Schmerztherapie hatten.

Zuerst werden Akupunkturpunkte gestochen, dann wird in einem entfernten Areal, und zwar noch während die Nadeln liegen, eine Bewegung ausgeführt. Das Außergewöhnliche daran ist, dass die kombinierte Anwendung von Akupunktur und Bewegungstherapie die Wirkung beider Methoden erhöht. Hier kann auch einmal der strapazierte Begriff „synergetische Effekte“ bemüht werden.

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Therapieablauf

Phase 1: In der Akutphase wird der passende Akupunkturpunkt gestochen. Sobald der akute Schmerz reduziert ist, soll der Patient die Bewegung durchführen, die als schmerzhaft erfahren wurde. Durch die Akupunktur sollte der Schmerz nun reduziert sein und der Patient sich besser bewegen können. Dies signalisiert dem Gehirn eine grundsätzliche Verbesserung, was sich in der weiteren Schmerzverarbeitung positiv widerspiegelt. Anfangs noch zaghaft, kann der Patient seine Beweglichkeit weiter bis zur Schmerzgrenze steigern und so seinen Bewegungsradius sukzessive ausdehnen. So kann er sich in der Folge immer weiter aus seiner vorher eingenommenen Schutzhaltung befreien, was zu einer Normalisierung von Bewegungsabläufen und Körperhaltung führt.

Phase 2: Eine nachhaltige, komplett schmerzfreie Bewegung als sofortiges Therapieergebnis ist ein in der Praxis zu beobachtendes Ideal. Damit die Schmerzen so lange wie möglich wegbleiben und um den Effekt der Nadelung zu verstärken, kann der Therapeut gemäß seinen Vorlieben weiter behandeln.

Im Rahmen der TCM wäre dies z.B.:
• Locus dolendi-Behandlung (chin. Ah Shi)
• Meridiandiagnostik
• Chinesische Organtherapie (Zang Fu)

Des Weiteren sind möglich:
• Akupunktur-Injektionen
• Manuelle Therapie

Therapeutische Überlegungen

Grundsätzlich könnte im Rahmen der vorgestellten Methodik jeder Fernpunkt genadelt werden. Hier greift auch ein Merksatz der TCM: Je akuter der Schmerz, desto ferner der Punkt. Ebenso möglich sind die Xi-Punkte, die bei Schmerzzuständen und Blutungen adressiert werden (Jeder Meridian verfügt über einen solchen Xi-Punkt). Dennoch haben sich für das Konzept „Akupunktur und Bewegung“ folgende Akupunkturpunkte in Klinik und Praxisalltag als besonders hilfreich erwiesen:

Di 3 (San Jian)

 

Ma 38 (Tiao Kou)

 

Bl 10 (Tian Zhou)

 

Du 26 (Ren Zhong)

 

Ex (Yin Tang)

 

Dü 3 (Hou Xi)

 

Mi 3 (Tai Bai)

 

Du 20 (Bai Hui)

Di 3 (San Jian)

Der Punkt hat ein breites Anwendungsspektrum. In einigen klassischen Büchern wird Di 3 bei „Schwere des Körpers“ sowie „Schmerzen in den Gelenken“ erwähnt. Zur Lendenwirbelsäule hat er in der Literatur kaum eine Beziehung. Umso erstaunlicher ist, dass gerade hier eine sehr effektive Behandlung mittels Akupunktur und Bewegungstherapie möglich ist.

Wirkung/Qualität:
• eliminiert Qi-Stase
• eliminiert Xue-Stase

Alle weiter aufgeführten Punkte haben dieselbe Wirkung/Qualität. Qi- und Xue-Stase ergeben Schmerz, die Eliminierung der Stase bedeutet somit Schmerzlinderung.

Wirkrichtung und-ort von Di 3 sind Lendenwirbelsäule und Lumbalregion. Schmerzen und die gewünschten Bewegungen sollten hier ansetzen, zunächst sanft, dann immer weiter ausgedehnt bis zum maximalen Schmerz.

Ma 38 (Tiao Kou)

In der klassischen Literatur entfaltet Ma 38 seine Wirkung auf die Schulter. Tatsächlich hat sich dieser Akupunkturpunkt empirisch bei akuten Schulterschmerzen bewährt. Dabei wird Ma 38 als Fernpunkt für die Schulter im Sitzen gestochen. Noch während die Akupunkturnadel liegt, wird der Patient aufgefordert, die als schmerzhaft empfundene Bewegung an der Schulter durchzuführen.

Bl 10 (Tian Zhu)

Der Punkt hat eine zentrale Bedeutung in der Akupunktur. Diese wird v.a. durch die „Zweiteilung“ des Blasenmeridians an dieser Stelle in einen inneren und einen äußeren „Blasen-Ast“ bewusst, die parallel zur Wirbelsäule verlaufen. Neben seiner lokalen und regionalen Wirkung hat Bl 10 auch eine sehr dominante Fernwirkung, die schon in klassischen Büchern hervorgehoben wurde.

Als Wirkrichtung/-ort hat sich der muskuläre Anteil der paravertebralen Lendenwirbelsäule gezeigt. Bl 10 ist angezeigt, wenn die paravertebrale Muskulatur völlig verspannt ist und der Patient in eine Schonhaltung gezwungen wird. Als Fernpunkt für die untere Wirbelsäule wird er bei akuten Schmerzen mit Bewegungseinschränkung im Bereich der Lendenwirbelsäule eingesetzt. Der Punkt eignet sich auch für Wurzelkompressions-Syndrome, z.B. Ischialgie oder Lumbo-Ischialgie, sowie unterstützend in der konservativen Behandlung von Bandscheibenvorfällen.

Du 26 (Ren Zhong)

Auch Ren Zhong ist ein Akupunkturpunkt mit sehr breitem Anwendungsspektrum. Als Wirkrichtung/-ort haben sich Mittellinie, Disc und knöcherner Anteil der Lendenwirbelsäule bewährt. Als empirisch gefundener Fernpunkt wirkt er entlang des Meridianverlaufs in Richtung Lendenwirbelsäule.

Du 26 ist der passende Punkt bei tiefsitzenden Schmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule. Der Patient kann sich kaum bewegen, es ist ihm nicht möglich, einen Katzenbuckel zu machen oder die Wirbelsäule abzurollen. Aussagen wie „Ich bin steif wie ein Stock“ sind richtungsweisend. Aufgrund der aktiven Schmerzsituation ist hier keine Manuelle Therapie möglich.

Der Akupunkturpunkt wird am stehenden Patienten im Winkel von 30-45 Grad nach kranial gestochen. Hierbei wird ein starker sedierender Reiz gesetzt. Die Bewegung im Bereich der Schmerzlokalisation, hin und her oder leicht rotierend, soll sanft durchgeführt werden. Oft hören wir ein lautes Knacken, was darauf hinweist, dass der Patient sich selbst eingerenkt hat.Im nächsten Schritt werden die lokalen Akupunkturpunkte im Bereich der Lendenwirbelsäule gestochen.

Ex (Yin Tang)

Wegen seiner Position wird dieser Akupunkturpunkt oft „Drittes Auge“ genannt. Als Extrapunkt hat er ein schillerndes Spektrum an Indikationen und Effekten. Hervorzuheben ist seine sedierende Wirkung. Zudem verfolgt die Traditionelle Chinesische Medizin bei diesem Akupunkturpunkt die Idee der aktiven Veränderung der Schmerzerinnerung.

Wirkrichtung/-ort ist die Lendenwirbelsäule. Der Patient soll sich, nachdem genadelt wurde, im unteren Rücken bewegen, soweit es die Schmerzen zulassen.

Dü 3 (Hou Xi)

Auch dieser Akupunkturpunkt wartet auf mit einer weit gefassten Palette an Indikationen und Einsatzmöglichkeiten. Hier betrachten wir seine Schlüsselpunktfunktion auf den Du-Mai. Einige Autoren schreiben, er sei ein Schlüsselpunkt für das Yang.

Seine Wirkrichtung ist die Schulter-Nacken-Region samt Halswirbelsäule. Hieraus ergibt sich ein starker Effekt bei Kopf-, Nacken- und Schulterschmerzen, z.B. im Rahmen eines HWS-Syndroms oder nach akutem Schleudertrauma. Der Akupunkturpunkt kann auch bei Schmerzen entlang der Wirbelsäule eingesetzt werden oder wenn das Beugen von Fingern oder Ellenbogen schmerzhaft ist.

Mi 3 (Tai Bai)

Du 20 (Bai Hui)

Ein starker Akupunkturpunkt mit großem Anwendungsfeld. Gemäß TCM kann er neben der Eliminierung von Qi- und Xue-Stase auch eine Leber-Qi-Stase beseitigen und das Yang

heben. Kombiniert man Akupunktur und Bewegungstherapie, wirkt er besonders auf die gesamte Wirbelsäule. Diese ist die tragende Säule unseres Daseins, im wörtlichen wie im übertragenen Sinn. Bai Hui eignet sich sowohl zur Aufrichtung der Wirbelsäule wie auch zur (Wieder-)Herstellung einer aufrechten Haltung (innen wie außen). Im Wort „Haltung“ steckt auch der „Halt“; dies ist ein wichtiger Hinweis darauf, dass Du 20 auch für Menschen geeignet ist, die den Halt verloren haben und gebeugt durch das Leben gehen.

Während die Akupunkturnadel noch liegt, soll die Wirbelsäule wellenförmig gestreckt und nach oben verlängert werden. Ähnlich wie bei einer Marionette wird der geistige Faden nach oben gezogen und die Wirbelsäule sanft in die Länge gebracht. Dies wirkt sowohl psychisch als auch somatisch.

Fazit

Die Methodenvielfalt unter dem Dach der Traditionellen Chinesischen Medizin bietet eine wahre Fundgrube an Therapieansätzen, die auch miteinander vernetzt werden können. In diesem Artikel habe ich einen Ansatz vorgestellt, der Akupunktur mit Bewegung kombiniert. Die entstehende Synergie kann eine Schmerztherapie im orthopädischen oder sportmedizinischen Bereich wesentlich effizienter gestalten. Die Technik ist einfach umzusetzen, zeitsparend und äußerst effektiv in der Behandlung von Schmerzen sowie Bewegungseinschränkungen.

Franz Thews
Heilpraktiker mit Schwerpunkt Traditionelle Chinesische Medizin, Autor, Dozent an den Paracelsus Gesundheitsakademien
thews@franz-thews.de

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