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aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 02/2024

Wenn Gifte Körper und Seele belasten

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Meine Wohnung macht mich krank

Der Kontakt mit Wohngiften, die in vielen Bodenbelägen, Tapeten, Farben und Einrichtungsgegenständen verarbeitet sind, kann zahlreiche gesundheitsschädliche Effekte nach sich ziehen. Neben direkt giftigen Wirkungen können auch allergische und Unverträglichkeitsreaktionen hervorgerufen werden. Körperliche sowie psychische Symptome sind die Folgen oder können in ihrer Ausprägung bei bereits bestehenden Erkrankungen verstärkt auftreten und schwächen.

Wenn es um Belastungen mit Umweltgiften und deren Therapie geht, können wir Heilpraktiker uns mit ganzheitlicher Expertise einbringen. Ärzte haben dieses Thema nicht unbedingt auf dem Radar oder kommen der Ursache mit herkömmlicher Diagnostik häufig nicht auf den Grund. Deshalb sollten wir bei geschilderten unklaren Beschwerden, z.B. Erkältungen, Übelkeit, Kopfschmerzen oder Schwindel, immer genau hinhören und an einen entsprechenden Zusammenhang denken. Selbst Heilpraktiker für Psychotherapie sollten dieses Thema nicht außer Acht lassen, denn Schadstoffbelastungen könnten neuerer Forschung zufolge auch eine Rolle bei Symptomen psychischer Erkrankungen spielen, z.B. bei Depression, Angst- und Anpassungsstörungen.

Hier ist eine gründliche Differentialdiagnose auch bezüglich der Auswahl geeigneter therapeutischer Schritte unerlässlich.

Im Folgenden schildere ich eine mögliche Verquickung und Vorgehensweise anhand eines Praxisbeispiels.

Fallstudie

Lisa ist seit über 5 Jahren wegen affektiver Störungen in psychotherapeutischer Behandlung. Vor einigen Monaten ist sie umgezogen. Seitdem leidet sie an starken Kopfschmerzen, einem wunden Rachen und wiederkehrenden Bindehautentzündungen. Sie läuft von Arzt zu Arzt. Allergien und Erkältungskrankheiten können ausgeschlossen werden. Zur Linderung der Symptome erhält sie immer wieder kortisonhaltige Medikamente. Man geht davon aus, dass die Beschwerden der jungen Frau als Stressfolgen einzustufen und somit psychosomatischer Natur sind. Dass diese auf Reisen abklingen, bestärkt die ärztliche Sicht auf die Dinge. Lisa hat allerdings aufgrund ihrer Therapieerfahrung und Lebensgeschichte ein gutes Körpergefühl. Ihre sehr großen Widerstände hinsichtlich des Verdachts auf eine psychosomatische Störung lassen auch bei mir Zweifel aufkommen, ob die Diagnose berechtigt ist.

Hintergrund

Lisa hat sich sehr auf ihre neue, vom Vermieter runderneuerte Wohnung gefreut. Den beim Einzug registrierten Geruch von Renovierung hat sie zunächst ignoriert und häufig gelüftet. Als der Geruch nach mehreren Monaten immer noch nicht verschwunden war und sich inzwischen auch dauerhaft Beschwerden eingestellt haben, beginnt ihre Odyssee. Lisa beharrt darauf, dass ihre Symptome mit dem Umzug in die neue Wohnung zusammenhängen müssen. Daher empfehle ich schließlich die Konsultation eines Baubiologen für ein Sachverständigengutachten und im Zweifelsfall eine therapeutische Begleitung durch einen Arzt oder Heilpraktiker.

Luftverschmutzung und psychische Gesundheit

In der Forschung mehren sich Hinweise darauf, dass selbst eine kurze, vorübergehende Luftverschmutzung mit einem erhöhten Risiko für psychische Störungen, z.B. Depressionen, verbunden sein kann, sowohl bei Erwachsenen wie auch bei Kindern. Die Weltgesundheitsorganisation WHO schätzt, dass global über 90% aller Kinder verschmutzte Luft einatmen, die als gesundheits- und entwicklungsgefährdend gilt, sodass neben körperlichen Auswirkungen

auch mit kognitiven und verhaltensbezogenen Beeinträchtigungen, z.B. verschiedenen Anpassungsstörungen, zu rechnen ist.

Vor diesem Hintergrund möchte auch ich es genauer wissen. Ich bin sehr gespannt auf die Expertise des bestellten Baubiologen.

Professionelle Schadstoffanalyse

Bei Verdacht auf Wohngifte in Böden oder Wänden können in ganz Deutschland ansässige und in diesem Bereich geschulte Baubiologen für eine professionelle Schadstoffanalyse konsultiert werden. Der von Lisa beauftragte zertifizierte Sachverständige Detlef Blöbaum erläutert: „Einfache elektronische Messgeräte und fertige Messkits aus dem Internet reichen dafür nicht aus. Sie geben lediglich einen groben Hinweis darauf, ob Schadstoffe in der Raumluft sind.“ Genauere Aussagen könnten hiermit nicht getroffen werden, da die Anzahl der unterschiedlichen chemischen Moleküle in der Luft einfach zu groß sei. Für eine qualitativ hochwertige Analyse eignen sich deshalb nur Stoffproben und die Verwendung professioneller Gaschromatographen, die die Raumluft exakt analysieren.

Ein Baubiologe führt orientierende Raumluftmessungen durch und bewertet diese hinsichtlich möglicher gesundheitlicher Risiken, wie Lisa im umfassenden Beratungsgespräch vom Experten erfährt. Wenn möglich, bestimmt er auch die Ursache für Geruchsanomalien. Neben Materialproben (z.B. von Tapete und Boden) werden auch Luftproben in speziellen Behältnissen komprimiert und im Labor untersucht. Gescannt wird nach Formaldehyden, Schimmelpilzen und flüchtigen Stoffen (TVOC = Total Volatile Organic Compounds). Zu den TVOC zählen z.B. Verbindungen der Stoffgruppen Alkane und Alkene, Aromaten, Terpene, Halogenkohlenwasserstoffe, Ester, Aldehyde und Ketone. Aldehyde im Speziellen sind nicht nur geruchsbelästigend, sie haben zudem die Eigenschaft, dass für die Beurteilung im Zusammenhang mit Symptomen nicht der Einzelstoff relevant ist, sondern die Summe aller Aldehyde. Ist der Summenwert erhöht, ist mit gesundheitlichen Beschwerden zu rechnen.

Als hygienisch unbedenklich gelten TVOC-Konzentrationen <300 μg/m3 (Zielwert). Konzentrationen darüber bis 1000 μg/m3 gelten zwar noch als unbedenklich, es besteht aber schon erhöhter Lüftungsbedarf (Vorsorgewert). Konzentrationen zwischen 1000 und 3000 μg/m3 sind hygienisch auffällig (Grenzwert 1, Raumnutzung maximal 12 Monate bei verstärkter Lüftung). Als bedenklich werden Konzentrationen zwischen 3000 und 10000 μg/m3 eingestuft (Grenzwert 2, Raumnutzung maximal 1 Monat bei verstärkter Lüftung). Konzentrationen >10000 μg/m3 sind hygienisch inakzeptabel, eine Raumnutzung ist allenfalls vorübergehend und nur bei verstärkter regelmäßiger Lüftung zumutbar.

Messungen erhärten den Verdacht

Die Schadstoffmessung in Lisas Wohnung ergibt, dass die Summe der Aldehydbelastung den Vorsorgewert von maximal 1000 μg/müberschritten hat. Die Materialuntersuchung des Bodens bestätigt, dass der aktuelle Kunststoffbelag mit großer Wahrscheinlichkeit die Ursache für Lisas Symptome darstellt. Das Ergebnisprotokoll sichert den Verdacht der jungen Frau ab. Sie fühlt sich in ihrem Körpergefühl bestätigt und hat endlich eine Erklärung für ihre Beschwerden.

Giftquellen ausschließen

Wer in seinen Wohn- und Arbeitsräumen potenzielle Giftquellen von Anfang an ausschließen möchte, sollte, wo es möglich ist, auf natürliche Materialien zurückgreifen. Beispiele wären Keramik, Holz oder Wolle. Baustoffe und Farben sollten immer auf ihre Inhaltsstoffe untersucht werden. Beim Kauf sollte auf biologische, emissionsfreie und im Idealfall zertifizierte Materialien (z.B. „Blauer Engel“) geachtet werden. Zum Glück sind heute zahlreiche umwelt- und gesundheitsfreundliche Produkte im Handel erhältlich.

Dreh- und Angelpunkt ist hier v.a. eine gute Beratung. Professionelle Hersteller und Händler gewähren die Möglichkeit, die gewünschten Materialien noch vor dem Einbau/Kauf zu testen. Denn auch bei der Verwendung natürlicher Materialien können Unverträglichkeiten auftreten. Gerade im Hinblick auf Kontaktallergien ist das Ausprobieren im Vorfeld wichtig.

Nur ein Kandidat passt

Lisa darf einen neuen Bodenbelag aussuchen. Sie findet einen Fachhändler, der sie umfassend berät. Daraufhin testet sie jeweils einen Bodenbelag mit und ohne Kleber, indem sie die vom Fachgeschäft mitgebrachten Teststücke über Nacht neben sich legt. Trotz Zertifikaten ruft der Boden mit Kleber bei ihr Reaktionen hervor, weswegen sie sich für den zweiten Belag, einen nicht verklebten Klickboden mit über 10 Qualitätssiegeln, entscheidet. Lisa fühlt sich mit ihrer Entscheidung sicher, und der Boden wird mit geringem Aufwand in der Wohnung verlegt.

Kostenübernahme bei Miet- verhältnissen

Befindet sich die Schadstoffquelle im Gebäude selbst, greift das Mietrecht. Durch die Gewährleistungsrechte ist der Vermieter zu Sanierung, Reparatur und auch zu Schadensersatz verpflichtet. Der Weg dorthin ist allerdings häufig schwierig, denn die Beweislast liegt beim Mieter, wenn dieser Ansprüche gegen den Vermieter geltend machen will. In solchen Fällen kann der Kontakt zu einem lokalen Mieterverein weiterhelfen.

Lässt der Mieter auf eigene Veranlassung eine professionelle Schadstoffmessung durchführen, muss er das Gutachten auch bezahlen. Die Kosten hierfür sind relativ hoch. Möglicherweise können die Kommune oder das Gesundheitsamt vor Ort bei den Untersuchungen unterstützen. Hilfreich ist es häufig, wie in Lisas Fall, eine Absprache mit dem Vermieter zu treffen und sich hinsichtlich der Konditionen für die Kostenübernahme zu einigen, z.B. dass der Vermieter zahlt, wenn bestimmte Grenzwerte überschritten werden, oder dass ein Kündigungsschutz für den Mieter bewilligt wird, wenn dieser die Kosten tragen soll.

Rundum gesundheitsförderlich

Für Lisa hat sich der Weg gelohnt. Ihre neue Wohnung ist heute frei von Belastungen, und die körperlichen Beschwerden sind mit der Sanierung verschwunden. Neben dem Austausch des Bodenbelages können auch ergänzend professionelle Luftreinigungsgeräte in der Wohnung aufgestellt werden (z.B. Ozongeräte), die im Nachgang noch vorhandene Schwebstoffe und Gerüche, aber auch viele gasförmige Schadstoffe in der Luft nachhaltig unschädlich machen können. Mit ihrem Vermieter hat Lisa ein Arrangement gefunden, sodass die Investitionskosten für sie finanziell tragbar sind.

Meine junge Patientin ist dankbar und emotional stabiler. Wichtig in einem übergeordneten Zusammenhang ist die Erkenntnis, dass sie sich ihres Körpergefühls noch sicherer geworden ist und bezüglich ihrer Beschwerden nicht automatisch in der „Psycho-Ecke“ stehen muss. Dies wirkt sich allgemein positiv auf ihren psychotherapeutischen Fortschritt aus.

Was können wir Heilpraktiker tun?

Genau das, was wir immer tun: die Herausforderung annehmen, Rapport aufbauen und hinhören. Treten im Zusammenhang mit einer räumlichen Veränderung der Wohnsituation unserer Patienten körperliche Symptome auf, bei denen die ärztliche Diagnostik nicht weiterkommt, oder verstärken sich bestehende Beschwerden, können wir an den Einfluss von Wohngiften denken. Vor allem Kopfschmerzen, Atembeschwerden, Übelkeit, Schwindel, allergische Reaktionen, Entzündungen der Schleimhäute (Augen, Nase, Rachen), auch in Begleitung psychischer Störungen (z.B. Depression), können Hinweise darauf sein.

Mit folgenden Fragen könnte man einen ersten Verdacht verifizieren:
• Wo und wann treten die Beschwerden gehäuft auf?
• Verändert sich die Symptomatik, wenn der Patient diesen Ort verlässt und sich zumindest zeitweise woanders aufhält?
• Können andere Personen, die sich nicht dauernd in der Wohnung auf halten, Gerüche wahrnehmen, die süßlich, stechend, moderig oder gammelig riechen und nicht in ein normales häusliches Umfeld gehören?
• Sind neue Möbel angeschafft worden, die lackiert sind oder aus Verbundstoffen bestehen (Leimholz, Faserplatten etc.)?
• Sind neue Bodenbeläge verbaut worden, v.a. aus Kunststoffen?
• Sind Wände gestrichen worden?

Im nächsten Schritt kann und soll der Patient auf die Suche nach möglichen auslösenden Stoffen gehen:
• Gibt es (beim Vermieter) Rechnungen mit detaillierten Informationen zu vorgenommenen baulichen Veränderungen?
• Gibt es Herstellerinformationen und Umweltsiegel zu den verbauten Materialien? (Diese können auch direkt beim Hersteller angefragt werden.)
• Gibt es die Option, gemeinsam mit Vermieter/Kommune/Gesundheitsamt eine professionelle Schadstoffanalyse durchführen zu lassen?

Welche Möglichkeiten wir schließlich als Therapeuten nutzen können und dürfen, um der akuten Symptomatik beizukommen, hängt von unseren individuellen Praxisschwerpunkten ab. Von großem Vorteil, wenn nicht sogar elementar ist meiner Meinung nach ein interdisziplinäres Experten-Netzwerk, auf das man zurückgreifen kann, um Patienten bestmöglich zu unterstützen.

Fazit

Schadstoffbelastungen und ihre gesundheitlichen Folgen sind in unserer heutigen Zeit allgegenwärtig und betreffen immer mehr Menschen jeden Alters. Dass Umweltgifte nicht nur körperliche, sondern auch psychische Symptomatiken auslösen, unterhalten oder vertiefen können, wird in der Forschung immer deutlicher. Dennoch werden Patienten aus Zeit- oder anderen Gründen auch heute noch allzu oft in die Ecke der psychosomatischen Erkrankungen geschoben, wenn die ärztliche Diagnostik nicht unmittelbar weiterkommt. Wir Heilpraktiker können hier einen Unterschied machen, indem wir unsere Patienten

ernst nehmen und sie über die Zusammenhänge aufklären. Auf Basis einer gründlichen Differentialdiagnose und mithilfe geeigneter Analysen lassen sich in vielen Fällen erstaunlich schnelle und nachhaltige Lösungen finden.

Dr. rer. nat. Knut Menzel
Heilpraktiker für Psychotherapie und Coach, Gründer von Denkerprise®, Dozent an den Paracelsus Gesundheitsakademien
Mail@KnutMenzel.de

 

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