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aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 6/1997

Homöopathie: Der geschockte Kanarienvogel

Cover

Gedanken zur Homöopathie in Verbindung mit einem Preisrätsel
für fachkundige Leser von Peter Raba

r9706_gk1 “Willst Du das Tier ahnend erfühlen
in seiner eigenen Ewigkeit mußt Du
Dich in es hineinträumen oder
tanzend Dich ihm ähnlich machen”

PETER RABA

Im Mai 1986 kommt eine Patientin mehr oder weniger routinemäßig und erzählt beiläufig von ihrem Kanarienvogel. Derselbe benehme sich seit einiger Zeit sehr merkwürdig. Er sei ausgesprochen singfaul geworden und säße dösend, fast schlafend wie somnambul in seinem Käfig. Trotz geöffneter Käfigtür würde er auch nicht mehr im Zimmer umherfliegen, was er früher immer voll Freude getan hatte. Von seinem ehemals sprühenden Temperament sei jedenfalls nicht viel, um nicht zu sagen, gar nichts mehr übrig geblieben.
Ich frage, ob sie denn nicht glaube, daß der Kanari allmählich “in die Jahre” komme und ganz einfach seines Alters wegen nicht mehr so überschäumend sei. Das verneinte sie ganz entschieden.

Nach näheren Einzelheiten befragt, kommt noch heraus, daß der Vogel offensichtlich bisweilen Anstrengungen mache, zu fliegen, und zu diesem Zweck die Flügel anhöbe, dann aber immer wieder, wie von einer unsichtbaren Macht gehindert, sitzen blieb. Auch den Schnabel würde er öfters lautlos öffnen, wie um zum Singen anzusetzen, ihn dann aber ebenso lautlos wieder schließen, als säße ihm ein Kloß im Hals.

Diese Symptomatik ist so exzellent geschildert, daß mir ein ganz bestimmter Verdacht kommt. Ich frage die Frau, ob das merkwürdige Verhalten des Tieres mehr oder weniger plötzlich begonnen habe, woran sie sich zu erinnern glaubt. So etwa vor einem knappen halben Jahr im Winter habe alles angefangen. Meine Hypothese weiterverfolgend frage ich, ob sie glaube, daß der Vogel vielleicht durch irgend etwas maßlos erschrocken sein könne, vielleicht den Besuch einer Bekannten mit Katze oder dergleichen. Das wird verneint. Jedoch glaubt die Frau sich zu erinnern, daß der Beginn der Störung ziemlich genau mit dem Beginn des neuen Jahres zusammenfalle, und daß der Vogel in der Sylvesternacht unbeaufsichtigt und außerhalb des nicht abgedunkelten Käfigs im Schlafzimmer im achten Stock eines Hochhauses herumgeflattert sei, und daß höchstwahrscheinlich der Schreck durch das Sylvestergeballer und die aus dieser Höhe eindrucksvoll zu beobachtenden Feuerwerkskörper ausgelöst wurde.

In der Tat paßt das seltsame Gebaren des Tiers gut zu der Annahme eines Schockerlebnisses, und ganz auf diese Hypothese bauend, wird ein einziges Korn der 200sten Potenz unseres Hauptschockmittels in etwas Wasser aufgelöst. Nachdem die Frau etwas von dieser Lösung mit einer Pipette aufgesogen und dem Kanari in den halbgeöffneten Schnabel bzw. Schlund gespritzt hat, bleibt dieser noch einen Augenblick ruhig sitzen, schüttelt sich dann und beginnt sein Gefieder zu putzen. Ein paar Minuten später fliegt er wieder auf seine geliebte Vorhangstange und singt die untergehende Sonne an.

Danach flattert er ein wenig im Zimmer umher, und das noch dazu in der Abenddämmerung, was er vorher überhaupt noch niemals getan hatte! So der telephonische Bericht der Frau am Abend desselben Tages.

Eine ähnlich schnelle Wirkung dieser Arznei erlebte ich einmal bei einer Frau mit einem Phantomschmerz über dem rechten Auge. Sie war in ihrer Wohnung ausgerutscht und mit dem Gesicht in Richtung auf einen gußeisernen Ofen zugefallen. Der im Bruchteil einer Sekunde durch ihren Kopf schießende Gedanke dabei war, daß sie sich im nächsten Moment das Auge ausschlagen würde.
Sie konnte jedoch gerade noch rechtzeitig im Fallen die Richtung ändern und das vermeiden. Es bildete sich aber fast augenblicklich danach jener Schmerz heraus, der ihr nun seit fast 6 Wochen den Kopf”vernebelte”, wie sie sich ausdrückte. In der Folgezeit war sie bei allen möglichen Spezialisten gewesen – ohne jeden Erfolg.

Das leuchtet dem mit unserer Materie Vertrauten auch ein, denn der Schmerz – und ganz speziell dieser – sitzt ja im Ätherleib, besteht gleichsam in einer Verzerrung desselben und kann eben auch nur mit “ätherisierten Mitteln” – die noch dazu zu seiner Ursache passen müssen – vertrieben werden.
Ironie des Schicksals: Die Frau hatte ihre Freundin mit in meine Praxis begleitet und gar nichts im Sinn gehabt mit Homöopathie. Ihr konnte ich sofort helfen – der Freundin nicht. Die Freundin war aber Zeuge, wie sich der Schmerz buchstäblich in Sekundenschnelle verlor. Spontaner Freudenausbruch der Frau: “Können Sie zaubern? Das ist ja, als ob Nebelschleier aus meinem Kopf weggeblasen werden und die Sonne wieder scheint!”

Genauso schnell ging es einmal bei einem jungen Mann, der nach einem Autounfall zitternd mit defokussiertem Blick und halboffenem Mund am Straßenrand neben seinem Auto saß. Auch er war innerhalb von Sekunden nach Einnahme eines einzigen Kügelchens der bewußten Arznei wieder “da”.

Sogar aus komatösen Zuständen bei schweren Erkrankungen hat dieses Mittel schon den einen oder anderen zurückholen können.

Beschäftigen wir uns also ein wenig näher mit der Symptomatik, um aus den damit verbundenen Überlegungen heraus allmählich eine Vorstellung davon zu bekommen, welches Pharmakon ähnlich genug sein könnte, um bei einem Gesunden solche Erscheinungen zu produzieren.

Das seltsame Symptom bei unserem Vogel ist zweifellos das Öffnen des Schnabels, ohne zu singen. Dieses Nicht-singen-Können kommt dem Unvermögen gleich, sich zu artikulieren. Das steht im “Kent” unter

MUND/SPRACHE/SCHWIERIG III,208

Hier ist unser Mittel bereits dreiwertig vertreten. Allerdings gibt es noch mehrere andere fettgedruckte Heilstoffe in dieser Kolonne. Wenn man aber unterstellt, daß der Sprachverlust eine Folge des Schocks ist, bleiben nicht mehr viele Medizinen übrig.

Wer etwas weiter liest, findet sogar noch eine präzisere Rubrik, in der es heißt

MUND/SPRACHE VERLOREN/NACH SCHRECK III,207

Hier steht ein einziges Mittel (welches?), das ebenfalls als ein Schockmittel bekannt ist. Synonym hierzu ist eine Rubrik unter

KEHLKOPF/TRACHEA (LUFTRÖHRE) III,324

Hier stehen außer unserem in Aussicht genommenen Mittel auch noch Aconit und Gelsemium, der wilde Jasmin zweiwertig.

Wir haben allerdings noch ein zweites wertvolles Symptom und das ist die merkwürdige Schlafsucht des Vogels, den Somnambulismus, wie die Frau das nennt. Und sowohl in der Rubrik

GEMÜT/SOMNAMBULISMUS = SCHLAFWANDELN I,86 wie unter

SCHLAF/COMATÖS I,371

muß unsere Arznei in möglichst hoher Wertstufe vertreten sein. Auch in der Synonymen Rubrik

GEMÜT/TEILNAHMSLOSIGKEIT I,102

können wir nachsehen.

Der aufmerksame Leser wird immer wieder bemerken, daß ein Homöopath ebenso wendig wie präzise sein muß, vergleichbar einem Kriminalisten, der an einem schwierigen Fall arbeitet.

Bleibt also noch der von der Frau beobachtete “Kloß im Hals” beim Öffnen des Schnabels, den man auch dahin deuten kann, daß dem Vogel vor Schreck ganz einfach “die Luft weggeblieben” ist, so daß er jetzt unter Hypoxie leidet, was wiederum die Schlafsucht erklärt, wodurch erstere, die Hypoxie nämlich, jedoch nicht besser wird, wie man weiß.

Unter

ATMUNG/UNTERBROCHEN III,350

ist unser Mittel ebenfalls dreiwertig vertreten. Jedoch bewegen wir uns hier schon auf dem Boden der Spekulation und interpretieren, was wir beobachten. Und das sollte man, genau genommen, natürlich nicht.

Das homöopathische Mittel muß aufgrund exakter Beobachtung gefunden werden. Persönliche Interpretationen, die hierüber hinausgehen, sind mit Vorsicht zu genießen. Allerdings muß man aus dem Beobachteten auch richtige Schlüsse ziehen können. Allein nach den Symptomen läßt sich nicht gut therapieren – in den meisten Fällen wenigstens nicht. Und Tiere können ja nicht gut sagen, was ihnen fehlt.

Wenn man im vorliegenden Fall die spärlichen Symptome in einen noch so gut programmierten Computer einspeist, um das Simile ausgeworfen zu bekommen, wird man entweder den Computer oder die Homöopathie verfluchen, welch letzteres natürlich unsinnig wäre. Das heilende Mittel für diesen Vogel wird niemals herauskommen. Es fehlt der ordnende Geist. Homöopathie behandelt die gestörte Seele, und das kann keine noch so schnell und exakt arbeitende, aber letzten Endes doch seelenlose Maschine.
Das heißt, der Rechner wird immer nur so gut sein wie der Mensch, der hinter ihm sitzt. Daß man sich mit ihm die Arbeit, vor allem bei chronischen Fällen mit vielen Symptomen, erheblich erleichtern kann, steht auf einem anderen Blatt.

Das heilende Mittel – der erst allmählich in die neue Denkungsart der Homöopathie Hineinwachsende wird bereits ungeduldig darauf warten – war …
Dieses ist das Haupt- und Staatsmittel der Homöopathie bei Folgen von Schreck, weil eben jene Folgen sehr ähnlich denen sind, die dieses Pharmakon beim Gesunden erzeugt.

Das Groteske, man möchte sagen: Schizophrene an der Sache – was die Verordnung der Droge in homöopathischer Hochpotenz angeht – ist allerdings, daß uns die Behandlung mit ihr jahrelang untersagt war, da dieser Stoff dem Drogengesetz unterworfen ist.

Der Leser darf folgende Überlegung anstellen: Auf der einen Seite wird dem Homöopathen vorgeworfen, er behandle rein suggestiv, weil ja in den hohen Dynamisationen seiner Heilmittel sowieso “nichts mehr drin” sei. Auf der anderen Seite werden einzelne solcher Mittel auf den Index gesetzt, weil der zugrundeliegende Ausgangsstoff dem Drogengesetz unterliegt. Die “Deutsche Gesellschaft für klassische Homöopathie” hat inzwischen dieses für uns unersetzlich wichtige Mittel wieder freigekämpft. Andere, ebenso wichtige, wie beispielsweise Coca, die göttliche Pflanze der Inkas, oder Cannabis indica, der Indische Hanf, sind auch in diesen hohen Potenzen immer noch nicht zugänglich.
Wer’s jetzt noch nicht weiß, muß seine Arzneimittellehre besser studieren.

Der vorliegende Fall – ein Tierversuch der ungewöhnlichen Art – war jedenfalls wieder einmal ein schöner Beweis für die Wirksamkeit der substanzfreien Hochpotenz am unbeeinflußten Tier.
Natürlich lassen die dort gegebenen Ratschläge sich auf alle Tiere anwenden.

r9706_gk3PREISFRAGE
Wie heißen die beiden möglichen Simile?
Auflösung erfolgt im nächsten Heft.

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