aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 6/1997
Gua Sha Fa
Während meines Aufenthaltes in der Traumatologie an der Universität für TCM in Peking konnte ich eine Methode, ähnlich der Kupfermünzmassage kennenlernen. Sie wurde als “Gua Sha Fa” bezeichnet. Über die theoretischen Grundlagen konnte ich damals leider wenig erfahren. Doch die großen therapeutischen Erfolge, besonders bei Lähmungen, Muskelatrophie und orthopädischen Störungen hatten mich von der Wirksamkeit dieser Therapie überzeugt. So nahm ich u.a. mit der Universität für TCM in Chengdu Kontakt auf und konnte etwas die theoretischen und praktischen Hintergründe beleuchten.
Entwicklung
Ähnlich wie in der Humoralmedizin hat sich im antiken China diese Methode zuerst in der Volksmedizin, später auch in der Traditionellen Medizin etabliert. Mit einfachen Hausmitteln, so z.B.:
- dickwandige Porzellanschüsseln
- dickwandige Gläser
- Münzen
- Kochlöffeln
konnten beachtliche therapeutische Erfolge erzielt werden. Bei zunehmender Professionalität fanden spezielle Geräte aus Büffelhorn und Jade Verwendung.
Hierbei wurde die Haut durch Reiben und Ziehen dieser Materialien solange gereizt, bis sich eine Rötung zeigte.
Diese Rötungen, Hämatome und Petechien dienten nicht nur der Ableitung über die Haut, sondern wurde auch zur Diagnose genutzt.
So konnte z.B. an der Anzahl von und der Art der Petechien an den Extremitäten innerhalb der humoralpathologischen Diagnostik auf ein Focalgeschehen geschlossen werden. Viel früher jedoch – wahrscheinlich schon seit der Ming Dynastie – wurde diese Methode beschrieben und die Wirkungsweise dargestellt.
Von Frau Prof. Lu Wengin am Institut of Orthopaedics and Traumatologie an der Academy of TCM in Peking wurde diese Methode aufgegriffen und seit über 10 Jahren mit medizinischen Anwendungen belegt. Hier besonders mit orthopädischen Störungen und Lähmungen besonders bei Kindern.
Innerhalb Chinas konnte ich diese Methode nicht nur in der Klinik erleben, sondern auch beim einfachen Volk.
In Deutschland wird diese Methode besonders von Therapeuten angewandt, die diese innerhalb der Ausbildung, u.a. an den Paracelsus Schulen, kennen- und auch schätzen lernten. Hier wird gerade Gua Sha als “Geheimtip” unter den Therapeuten gehandelt.
Auch in Österreich und in der Schweiz hat sich Gua Sha Fa in der orthopädischen Praxis, bei der Schmerztherapie und in der Sportmedizin bewährt.
Hierbei ist ein großer Vorteil, das dies kein körperöffnendes Verfahren darstellt und doch auf der Basis der Akupunktur eingesetzt werden kann. Zudem ist diese Methode noch vielen Ärzten und Physiotherapeuten völlig unbekannt und kann als therapeutische Nische definiert werden. Natürlich ist diese Methode nichts Neues, denn jeder, der sich in den Grundlagen der TCM auskennt, weiß, daß gerade die Vielfalt der Reizarten / Manipulationsarten den großen therapeutischen Reichtum ausmachen. Innerhalb Chinas wird das folgendermaßen definiert: “Es gibt für eine Krankheit viele therapeutische Möglichkeiten. Das Geheimnis eines großen Arztes ist es jedoch, die Richtige zu wählen”.
Erinnert werden wir bei dieser Methode an folgende abendländische Verfahren:
- Münzmassage
- Schröpfkopfmassage
- Schröpfkopfrandmassage
- Stäbchenmassage
Wir können bei der Betrachtung der Wirkung dieser Methode deshalb zwei theoretische Grundlagen diskutieren:
- energetische
- humoralpathologische.
Wir dürfen jedoch pharmakologische und immunologische Aspekte, die einer wissenschaftlichen Erforschung bedürfen, nicht außer acht lassen.
Gua Sha Fa basiert primär auf der Grundlage der TCM. Deswegen können alle Erkrankungen, die sich mit den Methoden der Akupunktur, Akupressur, der Moxatherapie und Reflexzonentherapie günstig beeinflussen lassen, mit dieser Therapie ebenfalls behandelt werden.
Das Überraschende und Verblüffende ist die hohe Effektivität. Sicher, auf den ersten Blick sieht die Methode etwas “brutal” und heroisch aus, doch während der Behandlung zeigen sich schon erste therapeutische Effekte.
Gua Sha Fa – das Reiben und Ziehen von Schabern über die Haut – führt zu folgenden Wirkmustern:
- durchblutungsverbessernd
- entspannend
- schmerzlindernd
- Stoffwechselaktivierung
- Harmonisierung des Qi-flusses
- Anregung der Hautausscheidung
- Anregung der Hautfunktion
- Ableiten von Toxinen über die Haut
- Anregung der inneren Organe über
- Akupunkturpunkte
- Headsche Zonen
- Reflexzonen
- Cuti-viscerale Reflexbogen
- Osteo-viscerale Reflexbogen
- Eigenbluttherapie, aufgrund der Hämatome und Petechien
- unspezifische Immunstimulierung
Als Gleitmittel benutzt man in China verschiedene Öle. Ich konnte zwei Öle im Klinikbereich kennenlernen.
a) Öl auf Basis von Johanniskraut
b) Öl auf Basis von Pfefferminze
Beide Öle haben die Aufgabe, die Meridiane zu belüften, das Blut zu erfrischen und Blockaden zu beseitigen. Zudem sollen sie die pathogenen Faktoren gemäß der TCM beseitigen und ein Gleichgewicht der Energien im Körper herstellen. Über den relativ starken Reiz werden auch die Selbstheilungskräfte aktiviert.
Darüber hinaus haben diese Öle noch einen praktischen Wert: die Schaber gleiten geschmeidig über die Haut. Dadurch wird die Therapie gerade am Anfang als angenehm empfunden.
Weitere Öle sind ebenfalls möglich, hier insbesondere Sesamöl, das Toxine über die Haut aufnehmen kann.
Das Indikationsspektrum wird sich an der Akupunktur orientieren.
Als Kontraindikationen können u.a. festgehalten werden:
- Blutungsneigung
- starke Veränderungen des Blutbildes
- Hautveränderungen und -erkrankungen
- fortgeschrittene Infektionserkrankungen
- Herz- und Kreislaufschwäche
- Implantate
- Schwangerschaft
- ausgeprägte Bindegewebeschwäche
- nüchterner Zustand, d.h. der Patient sollte vor der Therapie etwas essen
- Focalgeschehen
Therapieaufbau
Das entsprechende Öl wird auf die zu behandelnde Stelle aufgetragen. Dieses Öl kann über den entsprechenden Fachhandel bezogen werden. Sollte es am Anfang schwierig sein, so kann durchaus auch Sesamöl oder Johanniskrautöl Verwendung finden.
Praxistip: Mischen Sie einem Eßlöffel Johannisöl noch ein bis zwei Tropfen Pfefferöl bei. Hierdurch kommt es zu einer besseren Reaktion der Haut – wie man sich gut vorstellen kann.
Wir sollten bei der zu behandelnden Stelle auch energetische Aspekte beachten und Akupunkturpunkte in unsere Überlegung integrieren.
Mittels einem entsprechenden Schaber, aus Jade oder Büffelhorn wird mit kurzen überlappenden Strichen die Zone behandelt. Diese Schaber aus Jade und Büffelhorn sind in China überall zu erwerben, wobei dem Jadeschaber schon fast mystische Wirkungen zugeschrieben werden.
Es ist darauf zu achten, daß Sie bei der Behandlung der Zonen eher großzügig verfahren. Das heißt, die Bereiche sollten eher zu groß als zu klein behandelt werden. Bei den Dornfortsätzen und im Bereich von prominenten Knochen soll ein abgerundeten Schaber verwendet werden.
Arbeiten Sie anfangs mit sanftem, gleichmäßigem Druck von oben nach unten und von innen nach außen.
An den Extremitäten vom Körper fortarbeiten, also nach distal. In Arealen mit wenig Muskulatur, Gewebe, z.B. am Schulterblatt oder im Kopfbereich wird der Druck entsprechend angepaßt und nicht auf die knöcherne Struktur durchgedrückt.
Obwohl diese Therapie auf den ersten Blick als grob zu beurteilen ist, braucht der Therapeut sehr viel Fingerspitzengefühl. Schon sehr bald merkt man die unterschiedliche Konsistenz des Gewebes und es können über diese Methode auch kleinste Myogelosen, Verhärtungen und Verklebungen ertastet und behandelt werden.
Mit der Zeit kann der Druck erhöht werden und das Gewebe wird mit Fortdauer der Therapie immer geschmeidiger.
Nach wenigen Minuten wird sich eine Rötung des Areals zeigen, die für die Behandlung durchaus erwünscht ist. Diese kann in Hämatome und Petechien übergehen. Das dabei auftretende Schmerzempfinden läßt jedoch sehr schnell nach. In seltenen Fällen hält dies jedoch wenige Tage an.
Hämatome, blaue und rote Flecken sind durchaus als Therapieziel anzusehen und erwünscht. Der Patient sollte jedoch sehr intensiv auf diese Reaktionen hingewiesen werden.
Die Therapie wird etwa 15 bis 20 Minuten fortgeführt und der Patient soll sich anschließend etwas ausruhen. Häufig stellt sich eine sanfte Müdigkeit ein, was als positiv gewertet werden kann. Zudem wird häufig der Stoffwechsel aktiviert, was den Patienten zu häufigerem Toilettengang treibt. Der Stuhl wird reichlicher und im Geruch auffallender. Das gleiche beim Urin, hier wird die Farbe etwas dunkler und der Geruch, manchmal als scharf empfunden. Um diese Entgiftungsleistung des Organismus zu unterstützen, sollte der Patient reichlich Wasser oder Tee trinken.
Ein weiterer Aspekt bei dieser Therapie ist die psychische Aufhellung, die sich nach zwei bis drei Tagen einstellt.
Eine Patientin hat hierzu einmal formuliert: “Bei so heroischen Therapien müssen ja zwangsläufig Glückshormone ausgeschüttet werden”. Diese psychische Aufhellung ist über die Entlastung des Stoffwechsel und das Ausschütten von Endorphine zu erklären. Die Behandlung kann wiederholt werden, wenn die alten Stellen abgeheilt und nicht mehr druckdolent sind.
So wird die Therapie etwa in wöchentlichen Abständen wiederholt.
Eine deutliche Steigerung der Therapie haben wir, wenn wir vor der eigentlichen Behandlung den 7. Halswirbel, Vertebra Prominens, sternenförmig von innen nach außen ausstreichen.
Eine weitere Steigerung der Therapie kann durch die Kombination mit Schröpfköpfen erreicht werden.
Nebenwirkungen sind unter Berücksichtigung der therapeutischen Prinzipien und der Kontraindikationen als selten zu bezeichnen. Bei unerfahrenen Therapeuten wird es am Anfang in seltenen Fällen bei dem Patienten zu einem muskelkaterähnlichen Gefühl oder zu Periostreizungen kommen. Vom Patienten als unangenehm wird der Geruch nach der Behandlung empfunden. Das Öl selbst, aber auch die anregende Tätigkeit auf den Stoffwechsel der Haut und des Gewebes, führen zu einer Absonderung, die als äußerst erwünscht anzusehen ist. Das kann insbesondere nachts bei entsprechender Wärme zu Irritationen in Form von “Duftwolken” insbesondere beim Partner führen.
Insgesamt können wir Gua Sha als Bereicherung für die manuelle und traditionelle Praxis ansehen.
Hp Franz Thews