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aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 6/1997

Warum Pflanzenheilkunde?

Cover

Die Pflanzenheilkunde als eines der ältesten und wichtigsten Heilverfahren der Menschheit findet ihre Wurzeln bereits in der Steinzeit. Schon damals, als man in der Dämmerung der Menschwerdung noch in Höhlen vor den Unbilden der Natur Schutz suchte, entdeckte man die geheimnisvollen Kräfte der Pflanzen, möglicherweise indem man ausprobierte, ob diese oder jene Blätter und Wurzeln sich als Nahrung eigneten. Dabei fand man zufällig, daß einige Pflanzen eine besondere Wirkung haben. Vielleicht schlürfte ein an Bronchitis leidender Jäger gerade eine Kräutersuppe, in die man als neue Zutat Alantwurzel oder Schlüsselblumenwurzel gegeben hatte und spürte, wie gut es ihm danach ging. Vielleicht handelten die Menschen früher auch mehr intuitiv, ähnlich den Tieren, von denen man weiß, daß manche sich durch Aufnahme bestimmter Kräuter selbst heilen. Als ein Beispiel sei hier die Schafgarbe genannt. Warum fressen Schafe, wenn es ihnen nicht gut geht, dieses Kraut? Was hat der Bärlauch mit dem Bären zu tun? Schon die Indianer Nordamerikas beobachteten die Tiere, fanden heraus, daß sie manchmal ganz bestimmte Kräuter fraßen und probierten diese später an sich selbst aus. Auf diese oder ähnliche Art und Weise lernten die Menschen der Frühzeit und auch die späterer Jahrhunderte, welche Kräuter z.B. bei Magenproblemen helfen, Fieber senken, Schmerzen lindern, Verletzungen heilen etc. Auch war diese Entwicklung der Pflanzenheilkunde eine, die dem Prinzip von Versuch und Irrtum unterlag. So mancher „Medizinmann” mag auf der Strecke geblieben sein, als er eine noch unbekannte Pflanze an sich ausprobierte. Wieviele „Patienten” bei solchen Versuchen ihr Leben ließen, kann man nur ahnen.

Giftpflanzen, Heilpflanzen

Indes lernte man so durch die Jahrtausende hindurch sowohl die Heil- als auch die tödlichen Giftpflanzen kennen. Auch entdeckte man, daß bestimmte Kräuter nur für den einen gut, für den anderen weniger gut waren. Man fand heraus, daß es verschiedene Menschentypen gibt, die man nach Konstitution und Temperament einzuordnen lernte, und man lernte, daß diese Typen in der Pflanzenwelt ihre Entsprechungen besitzen. So gibt es heiße und kalte Pflanzen, bittere, süße und saure. Man erkannte, daß sich die kalten Pflanzen gut zur Behandlung entzündlicher Prozesse eignen, daß heiße Pflanzen die Verdauung anregen, daß kalte und zusammenziehende Pflanzen Wunden heilen etc. Die chinesische und die indische Pflanzenheilkunde sind gute Bespiele dafür. Die traditionelle chinesische Medizin kennt Tausende verschiedene pflanzliche Arzneistoffe, die kunstvoll zu höchst wirksamen Rezepturen komponiert werden.

Erfahrungswissenschaft versus Chemie

Dieses Wissen kam jedoch nicht über Nacht. Es stecken die Erfahrungen langer Zeiträume und vieler Menschen darin. Auch die Pflanzenheilkunde der westlichen Welt war schon weit fortgeschritten, meist durch die Forschungen und Erfahrungen Einzelner, von Mönchen, Pfarrern, Ärzten und begnadeten Heilerinnen, wie Hildegard von Bingen. Doch im gleichen Zuge wie das Industriezeitalter über uns kam, wurde das alte Wissen und Können vernachlässigt. Statt dessen verließ man sich mehr und mehr auf chemisch hergestellte Mittel und auf die Erkenntnisse der modernen Schulmedizin und Pharmakologie.
Beide haben Großes geleistet. Man denke an die moderne Unfall- und Intensivmedizin, an die Entwicklung der verschiedenen (heute in manchen Kreisen wieder verpönten) Impfstoffe, an die Entwicklung des Penicillins etc. Sicher ist die moderne Schulmedizin heute nicht mehr wegzudenken, wenn es um die Behandlung akuter Erkrankungen geht oder um Verletzungen wie Knochenbrüche etc. Auch die Pharmaindustrie hat Wichtiges geleistet, wiewohl allgemein bekannt ist, daß viele der heute noch verwendeten Stoffe pflanzlicher Herkunft sind (Digitalis). Einige Arzneimittelhersteller haben sich indes wieder ganz den pflanzlichen Stoffen gewidmet. Manche suchen auch die Urwälder des Amazonas (solange diese noch existieren) nach neuen Pflanzenwirkstoffen ab und hoffen so, ein Mittel gegen Aids, Krebs oder das Altern zu finden und damit Milliarden zu verdienen.

Geld Versus Geist

Die Pflanzenheilkunde in ihrer reinsten Form aber ist nicht materiell ausgerichtet. Ihr Anliegen ist nicht die Heilung allein, sondern auch die Verhütung von Krankheiten. Darüber hinaus ist sie nicht nur in der Lage, viele akute Erkrankungen zu heilen, sondern auch die meisten chronischen Leiden. Die Pflanzenheilkunde geht die Probleme auf einer breiteren Basis an. Sie bekämpft nicht nur Symptome. Sie will nicht die Kopfschmerzen heilen, sondern deren Ursache. So achtet ein Pflanzenheilkundiger zunächst einmal darauf, daß er den kranken Körper schnell und schonend entgiftet. Denn die Entgiftung ist die Basis aller Heilungsprozesse. Gleichzeitig setzt er Pflanzen ein, die ganz gezielt erkrankte Organe unterstützen. Er heilt somit niemals eingleisig, sondern gibt dem Körper viele Stützen, so daß dieser sich selbst wieder ins Gleichgewicht bringen kann. Der Pflanzenheilkundige komponiert sozusagen in vollendeter Weise die Musik, die der Mensch als Einheit von Körper und Seele gerade hören muß, um zu gesunden.

Erfahrung durch lernen – lernen durch Erfahrung

Um soweit zu gelangen bedarf es jedoch des jahrelangen Lernens und großer Erfahrung. Selbst nach 20 Jahren Praxis weiß ein echter Phytotherapeut, daß er im Grunde immer noch nicht viel weiß.
Ein weiser Chinese hat einmal sinngemäß gesagt: „Traue keinem Arzt, der nicht schon Arzt in zweiter oder dritter Generation seiner Familie ist.” Wer aber hat schon das Glück, Vater und Großvater als Heilkundige in der eigenen Familie zu haben? Aus diesem Grunde ist es nötig, von erfahrenen Praktikern zu lernen und auf die niedergeschriebenen Erfahrungen der vorangegangenen Generationen zurückzugreifen, sich aber gleichzeitig nicht zu scheuen, eigene Erkenntnisse zu gewinnen und diese mit den alten Erfahrungen zu verbinden. Denn längst ist nicht alles geschrieben, gelernt und erfahren.

Gegen das Vergessen: Grundlagenkenntnis

Aber gerade diese Kunst des Heilens mit Pflanzen, dieser mächtige Stützpfeiler der Heilkunst ist dabei, in Vergessenheit zu geraten bzw. zu entarten. Viele scheuen das lange Lernen, verlassen sich lieber auf pflanzliche Fertigpräparate, ohne die eigentlichen Wirkmechanismen dieser Drogenmischungen zu kennen. Einige Naturheilkundige verlassen sich so sehr auf derartige Präparate, daß es gar nicht mehr nötig scheint, die Grundlagen zu kennen. Es ist ja auch so bequem, ebenso wie es für viele Ärzte bequem ist, beim kleinsten Husten Antibiotika zu verschreiben. Das kann aber nicht Sinn der Pflanzenheilkunde sein, das ist schon fast keine Pflanzenheilkunde mehr.

Zurück zu den Grundlagen

Von einem Pflanzenheilkundigen, sei er nun Arzt oder Heilpraktiker, darf man erwarten, daß er sein Handwerkszeug kennt. Denn was sollte man von jemandem halten, der nicht mal die Heilpflanzen am Wegesrand einzuordnen weiß, der nicht mal in der Lage ist, einem Freund, der sich bei einem gemeinsamen Waldspaziergang den Fuß verstaucht hat, unter Wadenkrämpfen leidet oder sich sonstwie verletzte, schnell mit ein paar aus der Umgebung gepflückten Kräutern zu helfen, der den Beinwell weder kennt, noch weiß wie er wirkt, der nichts von der Wirkung der Gundelrebe, des Geifuß, des Beifuß, des Bärlapps oder des Hirtentäschel weiß. Solange diese Erde besteht, wird es Heilpflanzen geben, Fertigpräparate vielleicht nicht. Deshalb sollte jeder angehende Heilpraktiker bei Schulabschluß wenigsten über die 50 wichtigsten Heilpflanzen genauestens Bescheid wissen.

Fertigpräparate – ein Problem

Ein anderes Problem ist, daß die chemische Industrie bemüht ist, Abhängigkeiten von ihren Produkten zu schaffen. Sie möchte natürlich zum einen, daß der Heilkundige möglichst nur Fertigpräparate verschreibt, zum anderen besteht vermutlich der Wunsch, dem Menschen zwar ein Leben ohne Beschwerden zu ermöglichen, jedoch nur solange er sich dieses oder jenes Präparates bedient. Die überwiegenden Interessen der Industrie können daher nur wirtschaftliche sein, und deshalb wird die Naturheilkunde, die ja bestrebt ist, dem Menschen wirkliche Heilung zu bringen und dies in den meisten Fällen auch schafft, als ein Störfaktor angesehen. So scheinen auch stets Kräfte gegen die wahre Pflanzenheilkunde zu wirken. Ständig hört man von Untersuchungsergebnissen, die besagen, diese oder jene Pflanze sei krebserregend, darunter oft hervorragende, seit Jahrhunderten bewährte Heilpflanzen wie z. B. der Huflattich. Da gefiel es z.B. jemandem, zwei Jahre lang Ratten täglich bis zum Hals mit Huflattich „vollzustopfen” – und wunderte sich, daß die bemitleidenswerten Tiere nach dieser Zeit an Krebs erkrankten. Abgesehen davon, daß solche Versuche ethisch nicht vertretbar sind, hätte er die Ratten täglich mit Kamillenblüten oder Pfefferminzblättern vollgestopft, wären sie möglicherweise schon nach einem Jahr oder früher verendet.

Jedes zuviel und „zulange” schadet

Zwar ist sicher, daß auch Heilpflanzen, zu lange und im Übermaß verabreicht, schädlich sind oder sein können. Jedoch kein Pflanzenheilkundiger würde zulassen, daß ein Patient länger als 3-4 Wochen an einem Stück Huflattichtee zu sich nimmt. Kaum eine Rezeptur wird länger als 3-4 Wochen hintereinander verwendet. Das wußten schon die Heiler des Mittelalters. Und wenn man dann von solchen „Forschungsergebnissen” hört, fragt man sich, in welcher Welt wir heute leben und wer solche „Forschungen” bezahlt.

Nun erst recht: Echte Pflanzenheilkunde

Dieses Beispiel als eines von vielen soll indes nicht davon abhalten, echte Pflanzenheilkunde zu betreiben, wieder zu den Anfängen zurückzukehren, ohne dabei neuere, auf realistischen Untersuchungen basierende Erkenntnisse zu vernachlässigen. Das alte Handwerkszeug muß wieder hervorgeholt, gepflegt und weiterentwickelt werden. Ein langer Weg, doch niemand scheue sich davor. Jeder fängt einmal an, mit einer einzigen Pflanze – und wenn er diese kennt, mit der zweiten etc. Besorgen Sie sich gute Literatur, auch alte Literatur, vor allem alte und solche von Leuten, die selbst viel Erfahrung sammeln konnten. Auch gibt es heute Computerprogramme, die das Wissen vieler Bücher zur Verfügung stellen und mit denen man wesentlich schneller und effektiver lernt und arbeitet.

Phytotherapiepraxen – ein Erfolg

So mancher mag nun einwenden, daß man von einer vorwiegend phytotherapeutisch orientierten Praxis kaum existieren kann.
Doch das ist ein Irrtum! Es gibt Heilpraktiker, die nur Phytotherapie betreiben und deren Praxen so voll sind, daß sie die Arbeit kaum bewältigen können.

Fazit: Anfang einer Serie

Auf diese kurze, flüchtige Betrachtung zur Pflanzenheilkunde werden sporadisch weitere Artikel folgen, in denen ich über meine zwanzigjährige Erfahrung mit Kräutern berichten möchte. Dabei soll vorwiegend aus alten Quellen geschöpft und von Pflanzen und Indikationen gesprochen werden, die heute nur noch Wenigen bekannt sind, von einfachen, wirksamen Hausmitteln, von Massageölen gegen Muskel- und Gelenkschmerzen etc. Vor allem aber möchte ich jene „alten Hasen”, die weitaus mehr über Heilpflanzen wissen als ich, ermuntern, selbst ihre Erfahrungen zu veröffentlichen, damit auch ich mein immer noch bescheidenes Wissen weiter aufbessern kann.

Ziel muß sein, die Pflanzenheilkunde wieder so populär zu machen, daß mancher Heilpraktiker oder Arzt sich in zehn Jahren vielleicht fragen wird, wie er früher bloß ohne sie ausgekommen ist.

Peter Kaufhold

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