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aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 1/2009

Patient zwischen den Fronten

Cover

Bittere Medizin auf verbogenen Löffeln. Esel Schulmedizin gegen Langohr Esoterik.
Die Konfrontation bringt beide nicht weiter! Der Autorin ungewöhnlicher Vorschlag: zum Wohl der
Patienten zusammenarbeiten!

Tina Wiegand


Greenhörner aller Heilberufe neigen
dazu, ihre Methode als absolut und
unfehlbar heilsam anzusehen. Jeder,
der ausgelernt, fertig studiert oder
seine Ausbildung beendet hat, möchte
möglichst bald die Früchte seiner
Lehrjahre, die keine Herrenjahre
waren, ernten. Neue Besen machen
Tabula rasa. Das liegt in der Natur der
Dinge. Egal, ob der von dem mechanistischen
Denken beeinflusste Medizinstudent
oder der Heilpraktiker, der
die halb verstandene Quantenphysik
als wissenschaftlichen Beweis der
Existenz von Heilströmen anpreist
– vor beiden Lagern liegt das unendliche
Feld der Praxis. Diese neigt leider
lange dazu, sich Wunderheilungen zu
widersetzen, was für jeden Newcomer
schwer zu ertragen ist. So mancher
holt sich blutige Nasen und zerbricht
sich seinen schmerzenden Kopf in
schlaflosen Nächten, während widerspenstige
Patienten dem angehenden
Retter der Welt nicht nur die Heilung
vorenthalten, sondern auch kritisieren,
intrigieren, sabotieren und sonstige
Dinge tun, die Patienten eben
hin und wieder tun, anstatt gefälligst
gesund zu werden.

Wenn die Greenhörner sich zu erfahrenen
Behandlern entwickeln wollen, bleibt
ihnen nichts anderes übrig, als sich die
eigene Begrenzung vor Augen zu führen.
In der Anerkennung des Ist-Zustandes
beginnt ein Transformationsprozess, der
aus der Raupe einen Schmetterling macht.
Es beginnt ein Entwicklungsweg, der den
menschenfreundlichen Arzt vom knallharten
Chirurgenmetzger unterscheidet.
Der bedachte Naturheilkundler wiederum
akzeptiert die Ungreifbarkeit der geistigen
Welt und hebt sich ab vom Zauberlehrling,
der die Quantenphysik heranziehen muss,
um die Wirksamkeit des Schamanimus
und die Existenz der isländischen Elfen zu
beweisen. Beiden, dem erfahrenen Arzt
und dem bedachten Naturheilkundler,
eröffnen sich irgendwann:

Unterschiedliche Patienten
brauchen unterschiedliche
Behandlungsmethoden!

Den Patienten interessiert es nicht, ob
wir die Wirksamkeit des Schamanismus
beweisen können. Im Behandlungsalltag
greift kein Dogma. Erkrankungen
entziehen sich unverschämter Weise der
Berechenbarkeit und Grundsatzdebatten
haben noch keinen Patienten weiter
gebracht.

Bis Behandler so weit sind, dass sie das
akzeptieren, haben sie eine ganze Menge
Misserfolge weggesteckt. Es ist ähnlich
wie beim Reiten. Richtig gut reiten kann
erst derjenige, der schon mal von Pferd
gefallen und wieder aufgestiegen ist. Expertise
verlangt, dass Eitelkeiten, Zweifel
an der Berufsfi ndung, Existenzängste, die
Angst vor der Veränderung überwunden
werden. So wie vieles andere, das sich
gerne einstellt, wenn der Mensch sich
ganz ehrlich mit seiner eigenen Begrenzung
konfrontiert. Wer etwas weiß, der
weiß, dass er nichts weiß, und mit jedem
Lernschritt eröffnen sich wieder neue
Felder, die noch nicht beackert wurden.
Das bedeutet, beide, Arzt und Naturheilkundler,
müssen einen Erfahrungsweg
beschreiten, um bewusste Reifung des
Individuums und eine erhöhte Erkenntnisfähigkeit
anzustreben. Wer nicht im ewig
Gestrigen stecken bleiben will, muss soviel
lernen, dass er immer wieder sagen kann:
was kümmert mich mein Geschwätz von
gestern!

Mit zunehmender Erkenntnis stellt der
Heilungsreisende dann verblüfft fest, dass
seine Methoden besser greifen als vorher,
während sich aber gleichzeitig das Wissen
darüber einstellt, wann ein Patient bei
einem anderen Behandler besser aufgehoben
ist – oder auch, welche zusätzlichen
Methoden er/sie sich aneignen sollte, um
den eigenen Wirkungskreis zu erweitern.
Konkurrenzdenken weicht synergetischen
Effekten, die das “entweder oder” zu einem
“sowohl als auch” führen. Wenn derartige
Sichtweisen sich einstellen, hat der
Behandler – ob er will oder nicht – einen
esoterischen Erkenntnisweg beschritten.

Ich gehe nicht konform mit der Definition,
die Wikipedia für das Thema Esoterik
bereit hält http://de.wikipedia.org/wiki/Esoterik. Ich möchte hier den Begriff der
Esoterik dahin gehend korrigieren, dass
es sich um das selbst-erfahrene und
daher subjektive, aber trotzdem wirksame
Wissen um die eigenen inneren Kräfte
handelt. Im Gegensatz dazu steht die
Exoterik, die eine äußere Wirklichkeit unabhängig
von der Beteiligung des eigenen
Bewusstseins annimmt. Aber egal ob eso- oder
exoterisch orientiert, wir alle werden
einen Arzt mit Charisma dem Arzt ohne
Charisma vorziehen. Um Ausstrahlung und
ihre Wirkung geht es in der Esoterik.

Auch verkrustete Esoterikgegner haben
die Auswirkungen von Charisma schon
einmal erlebt. Fast jedem Menschen sind
trotz unseres Schulsystems Lehrer begegnet,
die in der Lage waren, die Schüler
so von ihrem Thema zu faszinieren, dass
plötzlich alle verstanden, um was es sich
handelte. Sogar die Blondies begriffen,
wie das mit dem Logarithmus funktioniert,
und Kalle Fussball referierte mit Leichtigkeit
über komplizierte physikalische
Zusammenhänge. All das hatte nichts
damit zu tun, dass die Kids über Nacht
einem unerklärlichen kosmischen Intelligenzschub
ausgesetzt waren, sondern mit
der Mischung aus authentischer Faszination,
Ausstrahlung und Zuneigung, die
von ihrem Lehrer ausging. Er verstand es,
“den Funken” überspringen zu lassen. Die
Unterrichtsstunden vergingen wie im Flug,
und man hatte anschließend das Gefühl,
etwas verstanden, Freude am Lernen und
eine tiefe Zuneigung zum Lehrer gefunden
zu haben. Die oft als schmerzhaft empfundene
Langeweile löste sich auf und
man fühlte sich leicht und beschwingt. Es
war als hätte der Lehrer die Macht, einen
Schüler auf eine höhere Stufe des Erlebens
zu heben … Erinnern Sie sich? Von so einem
Lehrer ging etwas völlig anderes aus
als von den vielen Hirnverprüglern, die die
Bezeichnung Lehrer gar nicht verdienten.

Das, was von solchen positiven Leitfiguren
ausgeht, hat eine lehrende, heilende und
erhebende Wirkung, die sich den Worten
entzieht. Dabei ist es jedoch nicht unintellektuell,
sondern eher etwas, dass den
Intellekt mit etwas schwer Greifbarem,
Kraftvollem verbindet. Eben diese Wirkung
ist gemeint, wenn von Energien oder magnetischen
Heilströmen gesprochen wird.

Manchen ist diese Ausstrahlung unter
günstigen Umständen gegeben, andere
müssen sie sich erarbeiten. Je mehr ein
Mensch an sich gearbeitet hat, umso
unabhängiger ist dieses Geschehen von
äußerlichen Faktoren. Ein guter Lehrer
schafft es, diese Atmosphäre auch mit
schwer Erziehbaren, und ein erfahrener
Psychiater sogar mit psychotischen
Menschen herzustellen. Mit zunehmender
Selbsterfahrung ist diese Ausstrahlung
nicht mehr von exoterischen Einflüssen
wie z.B. einem sympathischen Gegenüber
abhängig, sondern sie ist esoterisch: sie
kommt von Innen! Die Kunst besteht nun
darin, diesen “Flow”, der sich wie ein hellwaches
inneres Fließen anfühlt, möglichst
oft und dauerhaft herzustellen. Dieser
“Flow”, wie Mihaly Csikszentmihalyi es
ausdrückt, (Kurt Hahn nannte es schöpferische
Leidenschaft und Maria Montessori
“Polarisation der Aufmerksamkeit”)
bedenkt das Gegenüber mit intensiver
freundlicher Aufmerksamkeit.

In esoterischen Praktiken wurde das
Aufrechterhalten dieses Zustandes in
magischen Zirkeln lebenslang geübt. Die
Adepten arbeiteten jahrelang an ihrer seelischen
Entwicklung und konnten nur nach
Durchgang streng vorgegebener Übungen,
den so genannten Einweihungsriten
(,die heute ganz sicher niemand mehr
freiwillig begehen würde) einen höheren
Rang erreichen. Erst dann waren sie dazu
berechtigt, am Menschen zu arbeiten.
All das hat nichts damit zu tun, im
Schnellkurs Seher zu werden, und gegen
viel Geld bei Telefonberatungsfirmen
Hilfesuchende zu verraten. Lebenslange
Selbsterfahrung oder Supervision, die für
echtes esoterisches Handeln Grundvoraussetzung
ist, wird von den modernen
Turboesoterikern ebenso als überflüssig
betrachtet wie von Schulmedizinern – was
ein zutiefst exoterisches Denken beweist.
Das, was unter der modernen Esoterik verscherbelt
wird, zeichnet sich nach meinem
Eindruck vor allem dadurch aus, dass es
einfach zu sein hat. Komplexität verkauft
sich nicht so gut, das Leben ist eh schwer
genug. Man muss nur anders denken und
schwupps – alles wird gut. Schulden hat
man nur, weil man falsch gedacht hat, und
die Elfen im Garten räumen nur deshalb
nicht das Haus auf, weil man das falsche
Amulett trägt. Frau wünscht sich einen
neuen Mann vom Universum, kriegt ihn
und schon ist sie spirituell – meint sie …
Kein Wunder, dass die Esoterik verpönt
und zu einer Farce verzerrt wird. Wer einen
Wahrsager nach der Zukunft befragt,
anstatt durch mühsame Arbeit der eigenen
inneren Stimme und den ureigensten
Lebensvisionen näher zu kommen, ist
genau so wenig esoterisch unterwegs wie
der Mensch, der ohne zu hinterfragen Pillen
gegen seine Kopfschmerzen schluckt.
Beide delegieren ihre Verantwortung
höchst exoterisch nach außen.

Wollen wir uns vielleicht darauf einigen,
dass wir die Rechnung nicht ohne den Patienten
machen können? Niemand, weder
Arzt noch Heilpraktiker, wird einem Patienten
helfen können, dessen Glaubenssystem
keine Heilung zulässt. Gleichermaßen
kann ein Patient nicht ausheilen, wenn der
Behandler nicht an eine mögliche Heilung
glauben kann. Patient und Behandler
gehören zusammen mit dem Umfeld des
Patienten und dessen Vorfahren zu einem
System, in dem sich die Teile gegenseitig
beeinfl ussen. Grund genug, sich alle Instrumente
zu eigen zu machen, die dabei
helfen können, herauszufinden, was dem
Patienten fehlt. Denn anstatt das weg zu
nehmen, was er hat, könnten wir dazu
übergehen, ihm das, was ihm fehlt, zu
geben. Dazu gehört nach meiner Einschätzung
ein verbesserter Dialog zwischen
den Behandlern und eine Emanzipation
gegenüber den verfeindeten Forschungsdisziplinen,
die von industriellen Interessen
gesteuert werden. Gemeinsam könnte
man vielleicht Wege finden, die das Geld
in den Hintergrund und die Interessen der
Patienten in den Fordergrund stellen.

Unerreichbares Utopia? Mag
sein. Aber auch Thomas Alva
Edison wurde als Spinner
bezeichnet, bis der Welt eines
Tages ein Licht aufging.

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