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aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 5/2012

Märchen helfen heilen!

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Schauspielerin & Trainerin Heidrun Ohnesorge berichtet über die Wirkungskraft der Märchen und der Märcheninszenierungen von Johannes Galli.

2012-05-Maerchen1 Auf dem Psychotherapie-Symposium im Frühjahr 2012 in Kassel spielte das Galli Theater „Rothäppchen“. Es erzählt die Symbolik des Märchens Rotkäppchen der Brüder Grimm auf dramatische und tiefsinnige Art. Dennoch ist es humorvoll und vor allem bewegend! Es wurde von Johannes Galli im Auftrag der UNO Wien geschrieben.
Jung, schön, verführerisch. Ein Mädchen, das keinen Vater hat, gerät – wie im Märchen von Rotkäppchen – an einen verführerischen Wolf. Dieser verleitet sie zu Drogen und Prostitution. Der Wunsch nach einer besseren Zukunft führt sie in die Abhängigkeit. Sie kommt vom rechten Wege ab und wird verschlungen. Drogenabhängigkeit und sexuelle Ausbeutung führen sie in eine tiefe Depression, aus der ihr nur die Verbindung zu einer starken Frau wieder heraushelfen kann. Trotz des brisanten Themas um Zwangsprostitution und Sucht ist „Rothäppchen“ ein von Humor unterstütztes Theaterstück, welches die gezeigte Situation sogar noch bewußter darstellt.

Wir haben Schulen, um unseren Geist auszubilden, treiben Sport, um den Körper fit und gesund zu halten, aber wo können wir eigentlich unsere Gefühle schulen?

Seit alters her dienen Märchen und Mythen dazu, Entwicklungsprozesse nachzuvollziehen und Gefühle kennenzulernen. In der Flut der Fernsehbilder und der schnellen Multimediawelt wird es allerdings immer schwieriger, diese wertvollen Geschichten zu entdecken und oft werden sie gar nicht mehr getreu dem Original wiedergegeben, sondern an eine moderne Gesellschaft angepasst, die die alten Werte leider nicht mehr schätzt.

So wird z.B. aus dem Original des Gebrüder-Grimm-Märchens „Der Froschkönig“, in dem die Prinzessin den Frosch an die Wand werfen muss, damit er ein Prinz wird, eine ganz neue Geschichte mit einer ganz anderen Symbolik. Bei Walt Disney küsst die Prinzessin den Frosch und wird selbst zu einem. Die Symbolsprache, dass Frauen ihre männliche Seite entwickeln müssen und Männer ihre weibliche, damit Transformation geschehen kann, geht dabei verloren. Und so gibt es jede andere Menge Beispiele.

Einer, der sein Lebenswerk darauf abstimmt, dass die Symbolsprache der Märchen erhalten bleibt und einem breiten Publikum von Kindern und Erwachsenen zugänglich ist, ist der Autor, Philosoph und Theatermacher Johannes Galli. Seine Inszenierungen legen bei aller Moderne und Zeitgemäßheit immer Wert darauf, die Schlüsselaussagen der Märchen zu bewahren. Mittlerweile tragen zehn Theater in Deutschland seinen Namen, eines in New York und eines in Lima. Unter dem Motto „Spielräume schaffen, in denen Menschen ihre Kreativität erforschen und ihr Bewusstsein vergrößern können“ hat er weltweit Theater- und Workshopräume geschaffen.

Johannes Galli ist u.a. Autor des Fachbuches „Märchen und Mythen – Sprache der Gefühle“ und des Romans „Sonnenmond – Das verspielte Paradies“, ein Roman darüber, woher die Märchen kommen. Er ist ein exzellenter Erzähler und hat in den 1980er- und 1990er- Jahren viele wichtige Märchen deutschlandweit als Solotheaterprogramm aufgeführt. Aktuell hat er das Musical „Froggy“ (nach dem Märchen „Der Froschkönig“) geschrieben und inszeniert. Er hat Dr. med. Tatjana Mayer inspiriert, die Organisation „Dr. Fairytale“ in New York, USA, zu gründen, die für Kinder mit chronischen und lebensbedrohlichen Erkrankungen Märchen spielt. In Deutschland trägt der Verein den Namen „Lichtmädchen e.V.“

Johannes Galli: „Die Sprache der Gefühle muss erst wieder neu erlernt werden, da sie im Zuge der Zivilisation verloren gegangen ist. Kaum einer kann seine Gefühle der Situation entsprechend ausdrücken. Wir sind zutiefst verunsichert, wenn wir unsere Gefühle offenbaren wollen. Einen Ausweg bieten die Märchen und Mythen aller Völker, die sich, versteht man sie zu deuten, wie eine breit angelegte Grammatik der Gefühle lesen.“

Bereits bei der Annäherung an ein Märchen wird klar, wie deutlich dort Gefühlsprozesse beschrieben werden. Neigt die Frau eher zum verträumt sehnsüchtigen Dornröschen, in dessen Gestrüpp sich schon viele Ritter hoffnungslos verfangen haben, ist sie versunken im Glassarg der eigenen Schönheit wie Schneewittchen, oder läuft sie eher wie Papas Liebling wie im Froschkönig immer noch jedem Mann davon, weil sie ihn für einen ekeligen Frosch hält, der sie zwingen will, ihr Versprechen einzulösen? Neigt der Mann dazu, als latenter Angeber sich selbst zu überschätzen wie das „Tapfere Schneiderlein“ oder fürchtet er sich vor nichts außer dem Weibe, wie „Der Eine, der auszog, das Fürchten zu lernen“? Oder wankt er zwischen den drei großen Männergestalten der Nibelungensage hin und her: Siegfried-Alleskönner und Frauenheld ohne Verantwortungsgefühl; Hagen – sicherheitsliebende und verantwortungsbewusste ewige Nummer Zwei; König Gunther – aus innerer Not, sich selbst zum Deppen stempelnd. Es hilft kein Grübeln, erst das Spiel bringt es an den Tag, wo die Kraftquellen jedes Einzelnen auf ihre Ausschöpfung warten. Die verschlossene Tür des eigenen Mythos zu öffnen, setzt konzentrierte individuelle Kraft frei. Aber nicht nur persönliche und zwischenmenschliche Konflikte können über die Märchen entschlüsselt werden, auch die gesamten Prozesse innerhalb von Unternehmen und Organisationen lassen sich mit ihrer Hilfe beschreiben. Sogar wirtschaftliche, politische, kulturelle und gesellschaftliche Entwicklungen sind in der symbolhaften Bilderwelt der Märchen und Mythen aufs Genaueste verzeichnet.

Durch das Nachspielen der Schlüsselszenen konfrontieren wir uns mit den eigenen, tief versteckten Wünschen und Sehnsüchten. Märchen und Mythen sind Einweihungsspiele für die Seele. Sowohl Spieler als auch Zuschauer wurden durch ein Miterleben und ein Mitfühlen von schwierigen menschlichen Prozessen in ihrem Gefühlsleben geschult.

Eine regelmäßige Beschäftigung mit Märchen ist ein Ausweg aus leidvollen Wegen. Wenn der eigene Mythos erlebt wird, tritt eine Stärkung der Lebenskräfte ein.

Wer einmal die symbolhafte Sprache der Märchen und Mythen entschlüsselt hat, bemerkt sofort, dass sie im Kern die Lösung eines seelischen Konflikts bergen. Aber erst wer die Märchen mit ebenso großer Konzentration wie Spielfreude nachspielt, erfährt in der Fülle der Märchen- und Mythenstoffe seine eigene Geschichte und entdeckt jene Gestalt in sich, die den Schlüssel zu jener Tür bereithält, die bislang nicht zu öffnen war.

Wir Erwachsene haben das Spiel vergessen und hören auch nicht mehr so genau zu. Kinder jedoch haben noch ein absolut sicheres Gefühl dafür, in welchen Szenen die zentralen Botschaften verschlüsselt sind. Die Kinder ahnen, dass hier ganz wichtige Fragen ihres Gefühlslebens verschlüsselt sind. Das Spiel der Schlüsselszenen ist hilfreich und heilsam. Wir lernen, über die Märchen unsere Gefühle auszudrücken. Endlich erhalten wir Symbole und Bilder für Trauer, Freude, Schmerz, Erlösung. Wir bekommen eine Ahnung, was das Leben in der Tiefe bedeutet. Und lernen vor allem so wichtige Lebensprinzipien wie Alltagsglück oder Scheitern, Verzweiflung, Hoffnung, Demut, Wandlung, Erlösung.

Der eigene Mythos

ist wie ein symbolhafter Spiegel der Lebensgeschichte. Der Weg, ihm auf die Spur zu kommen ist: spielen, sich bewegen, gestalten und immer aufmerksamer dafür werden, was man da spielt, bewegt und gestaltet. Die faszinierende Symbolwelt der Märchen und Mythen liefert hervorragende Bilder zu allen Lebenssituationen. Dadurch haben wir den Vorteil, sofort Szenen zu haben, die wir spielen können.

Oft geht es in den Märchen um die Verwirklichung der männlichen und weiblichen Kräfte: In „Dornröschen“ z.B. lernt Frau, auf den richtigen Prinzen zu warten, im „Froschkönig“ hingegen muss sie den Frosch mit aller Kraft im richtigen Moment an die Wand werfen, ihm also einen Impuls geben, und kann ihn so verwandeln. „Eisenhans“ lehrt den Mann den bewussten Umgang mit seiner urmännlichen Kraft. Angst vor dem Urweiblichen überwindet der Mann in „Von Einem, der auszog, das Fürchten zu lernen“. Entdeckt man im Spiel den eigenen Mythos, ist ein tiefes Verständnis der eigenen Lebensgeschichte möglich. Dies setzt unglaubliche Energien frei, um das Leben neu zu gestalten.

Johannes Galli

Johannes Galli

 

 

Heidrun Ohnesorge Heidrun Ohnesorge
arbeitet seit 15 Jahren als Schauspielerin, Regisseurin und Clown, leitet seit Januar 2012 das Galli Theater in Hamburg

h.ohnesorge@galli.de

Literaturempfehlungen:

Bei direkter Bestellung im Galli Verlag (verlag@galli.de), Stichwort „Paracelsus Schule“, erhalten Sie folgende Rabatte:

  • Galli, Johannes: Märchen und Mythen – Die Sprache der Gefühle, ISBN 978-3-9348- 6155-8; 19,90 statt 24,90 Euro
  • Galli, Johannes: Sonnenmond – Das verspielte Paradies, 470 Seiten, ISBN 978-3- 9348-6153-4; 12,00 statt 14,90 Euro
  • Galli, Johannes: DVD „Die Nibelungensage“, 73 Minuten, ISBN 978-3-9430-7226-6; 14,80 Euro
  • Galli, Johannes: DVD „Froschkönig“; 50 Minuten, ISBN 978-3-9430-7210-5; 12,80 Euro
  • Galli, Johannes: DVD „Von Adam bis Eva“; 83 Minuten, ISBN 978-3-9430-7202-0; 14,80 Euro
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