aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 3/2014
Gastrointestinale Syndrome: Viszerale Osteopathie in der Naturheilpraxis
Bei gastrointestinalen Syndromen sind die Behandlungsmöglichkeiten der „klassischen“ Schulmedizin und deren Behandlungsrepertoire wie z.B. antibiotische/entzündungshemmende sowie operative Eingriffe relativ vielseitig, aber häufig mit vielen Nebenwirkungen verbunden. Die klassische Naturheilkunde behandelt zwar auch mit den klassischen Methoden wie z.B. Kräutertherapie, Homöopathie, Akupunktur etc., aber eine beachtliche Anzahl der Patienten verbleibt mit Restbeschwerden. Diese sind oft mit der viszeralen osteopathischen Behandlung therapierbar. Abgesehen von einer symptomorientierten Sichtweise, viszeralen osteopathischen Behandlungsmöglichkeiten und spezifischen Techniken sollte bei Muskeldysfunktionen immer im Sinne der sieben Faktoren (vertebrale Läsionen, assoziierten neurolymphatische Reflexzonen, neurovaskuläre Reflexzone, Spannungen der Dura mater, assoziierte Akupunktur-Leitbahnen, assoziierte Organe sowie assoziierte Nährstofffaktoren) des viszerosomatischen Systems an die manuelle Behandlung des Organs gedacht werden. (1)
Der osteopathischen Behandlung liegt folgende Idee zugrunde: Jede Beweglichkeitsänderung im Bewegungsapparat im Sinne einer Hypo- oder Hypermobilität führt zu einer Funktionsstörung, die wiederum ein Krankheitsbild auslösen kann.
Definition der viszeralen Osteopathie
Der wichtigste Teil der Diagnostik und Therapie sind die Mobilität und Motilität, die Funktion von Viszera (Magen, Dickdarm, Blase etc.) und Organe untereinander. Hier bestätigt sich das Grundregulationsprinzip aus der Naturheilkunde: die viszerosomatische, viszeroparietale und somatoviszerale gegenseitige Beeinflussung.
Mobilität: Lässt sich mit einem Motor vergleichen, welcher kolbenartige Bewegungen der Diaphragma thoracalis von superior posterior tiefliegende Organe nach anterior inferior links im Uhrzeigersinn bewegt. Atemexkursion führt zu einer kaudal gerichteten Bewegung der Niere um 3 cm, dazu kommen 24000 Diaphragma-thoracalis-Bewegungen, welche einer Wegstrecke von ca. 600 m/Tag absolvieren. (2)
Motilität: Bezeichnet die Gleitfähigkeit der Organe gegenüber ihrer unmittelbaren Umgebung, entspricht ca. 7 bis 8 organbedingten Eigenbewegungen pro Minute (typisch für Peristaltik). Sie ist direkt beeinflussbar durch willkürliche Inspiration und Exspiration. Dadurch entsteht in der Rotationsachse eine Organbewegung: in der Inspirationsphase im Uhrzeigersinn, in der Exspiration im Gegenuhrzeigersinn.
Indikationen für die viszerale Therapie
- Verklebungen viszeraler Gewebe als Folge von Infektionen oder operativen Eingriffen.
- Ptosen als Folge von Bänderstörungen im Sinne der Hypermobilität.
- Viszerale Spasmen als Folge nervöser Irritationen verschiedener Herkunft.
Ziel der viszeralen Therapie und deren therapeutische Wirkung
- Wiederherstellung der Mobilität durch Beseitigung von Fixationen und Verklebungen.
- Verbesserung der arteriellen-venösen Durchblutung.
- Förderung der Lymphzirkulation.
- Beseitigung von Stenosen und Spasmen.
- Verbesserung des Hormonhaushaltes.
Oberstes Gebot in der viszeralen Osteopathie ist es, nicht die Organposition zu verändern, sondern dessen Funktion.
Anatomie in Situ Hypochondrium und Abdomen
Lage des Magens: Der Magen liegt zu ca. Dreiviertel im linken Hypochondrium und zu einem Viertel in der Regio epigastrica. Bei mäßiger Füllung steigt die vom Pylorus zur Cardia gezogene Verbindungslinie schräg von unten, vorne, rechts nach oben. Die typische Lage des mäßig gefüllten Magens ist eine mehr oder weniger senkrechte, in dem sich der Fundus an die untere Fläche des Diaphragma thoracalis links von dem Hiatus ösophagus angelegt und parallel mit der Wirbelsäule verläuft. Der Pylorus (Teil des Magens) kreuzt die Wirbelsäule etwa in der Höhe der Bandscheibe TH 12-L 1. Bei starker Füllung des Magens entfernt sich der Pylorus 6 bis 7 cm von der Medianebene. Ein ganz wichtiger Punkt bei der Magenpalpation ist die Curvatura major. Sie ist es, welche bei Anfüllung des Magens verschoben wird, ihr Stand lässt sich mittels der Perkussion nachweisen. Das Magendreieck hat bei mittlerer Füllung des Magens folgende Grenzen: rechts den scharfen Rand des linken Leberlappens, der sich gegen das Magenfeld durch seinen dumpfen Schall abgrenzt. Oben wird das Magenfeld durch den unteren Rand der linken Lunge begrenzt, in halber Entfernung zwischen der Spitze des Professur Xiphoides und dem Nabel. Nur der ganz leere Magen zieht sich vom Kontakt mit der vorderen Bauchwand in Bereiche dieses Dreiecks zurück.
Zu Abb. 4: Der ganze linke und ein Teil des rechten Leberlappens sind entfernt, das Omentum majus ist knapp unterhalb seines Abganges von der Curvatura major durchgetrennt worden. Durch das Lig. Hepatogastricum schimmert das Tuberomentale von der Pankreas durch.
Indikationen zur Behandlung des Magens, Duodenums und Jejunums
In diesem Beitrag möchte ich eine kausale Problematik aufzeigen, die in der klassischen Medizin wohl gut bekannt ist, aber nur von einem kleinen Teil der Therapeuten, meist Osteopathen, berücksichtigt und somit auch behandelt werden.
Organbeschwerden
- Schmerzen im Epigastrium
- Aerophagie (Luftschlucken)
- Saures Aufstoßen
- Übelkeit mit Erbrechen
- Chronische Gastritis
- Anämie
- Atypische Halsschmerzen
- Kopfschmerzen
- Beschwerden am Bewegungsapparat
- Ervikale Myalgien
- Retrosternale Schmerzen
- Linksseitige Schulterschmerzen
Kontraindikationen
Die osteopathische Behandlung gestaltet sich einfach, setzt aber zwingend eine Differenzialdiagnose voraus, die ggf. fachärztliche Befunde mit einschließt. Alle akuten Zustände, Infekte und Blutungen (hier gelten die Regeln der klassischen Kontraindikationsliste aus dem Katalog der physikalischen Therapie) sind absolute Kontraindikation.
Untersuchung auf Wechselwirkungen mit anderen Funktionskreisen und Strukturen
- Zerviko-thorakaler Übergang (direkte Verbindung über den Ösophagus)
- Symphatikus: TH 5, 6, 7, 8, 9-N. Splanchicus major
- Parasymphatikus: C0, 1, 2-N. vagus
- Skeletal: Wirbelsegmente TH 11-L 3, linker Rippenbogen
- Muskulär: Diaphragma thoracalis
- Viszeral: Leber, Zwölffingerdarm, Colon, linke Niere
Behandlungsbeispiel aus der Praxis
Frau S., 43 Jahre alt, mit funktionellen Bauchbeschwerden, zeigte folgende Symptome:
Völlegefühl, schnelles Sättigungsgefühl; laut internistischen Voruntersuchungen leidet die Patientin an Aerophagie, Magenkrämpfe ca. eine halbe Stunde nach dem Essen, gelegentliches Sodbrennen. Im weiteren Verlauf kommt es während dieser Magenkrämpfe zu Kopfschmerzen, welche sich fronto-parietal ausbreiten.
Die Patientin hatte bereits zwei Gastroskopien mit der Diagnose chronische Reizung/Entzündung der Magenschleimhaut.
Die Patientin entwickelte im Laufe der Jahre immer mehr verdächtige Nahrungsmittelunverträglichkeiten, welche sich nach kinesiologischen Testung bestätigten (Gluten, Kurkuma, Curry, besondere Verstärkung der Symptomatik nach dem Verzehr von Beeren).
Die schulmedizinische Behandlung beschränkte sich auf die symptomatische Linderung in der akuten Phase, Gabe von Omeprazol und der Empfehlung, unverträgliche Nahrungsmittel vermeiden, Schonkost zu bevorzugen und Rauchen, Koffein und Alkohol zu meiden (nach Angabe der Patientin reagierte sie überrascht, da sie weder raucht, noch Alkohol oder Kaffee trinkt).
Viszeraler osteopathischer Behandlungsansatz
Die Patientin gibt Aufschluss über mögliche Luftansammlungen im Magen und über die Lage des Magens zu den Nachbarorganen. Ein besonderes Merkmal wies die Patientin im Traube-Raum (Spatium semilunare) auf: Ich konnte dort Luftblasen im Magen auskultieren, welche in weiteren Behandlungsschritten durch eine Magenentspannung (Fundus) zu einer deutlichen Linderung der Krämpfe führte.
Zu Abb. 8 + 9: Die Hände komprimieren von ventral den Magen – synchron mit den Magenbewegungen, während der Ausatmung wird der Magen mit dem Daumen oder den Fingerspitzen in postero-craniale Richtung zur linken Schulter hin gehoben. Effekt dieser Techniken ist die Wiederherstellung der faszialen Elastizität und Lösung von epigastrialen Verklebungen, welche durch chronische Entzündungen entstanden sind.
Zu Abb. 10: Heben des Magens mit anschließender Entspannung im Innervationsgebiet des Plexus solaris. Indikation für diese Technik sind die Verspannungen im epigastrischen Raum, Stress sowie immer wiederkehrende Bauchkrämpfe in Stresssituationen.
Ausführung
Die rechte Hand hebt die Flanke und das „viszerale Paket“ nach rechts lateral. Während des Ausatmens drückt dann die linke Hand den Magen von vorne nach cranial und links lateral unter den Rippenbogen, ebenfalls in Richtung zur linken Schulter. Effekt: Diese Behandlung verspricht Normalisierung der Magenmobilität und keine Positionsveränderung, Verbesserung der Magenpassage und positive Beeinflussung des gastro-zökorektalen Reflexes.
Während der Ausatmung wird der Magen in Richtung linke Schulter gehoben. Am Ende der Exspiration wird eine Linksrotation und Extension mit dem Thorax ausgeführt. Während der Inspirationsphase wird diese Position beibehalten und die Hebung des Magens wird am Ende einer Inspirationsphase abgeschlossen. Indikation für diese Technik sind allgemeine abdominale Ptosen mit abdominaler Traktionseinwirkung auf Magen und Zwerchfell, sowie Magenreflux, welche diese Patientin aufwies.
Grundsätzlich empfiehlt sich die viszerale Osteopathie in Kombination mit cranio-sacraler Osteopathie im 14-tägigen Rhythmus bis zur Verbesserung der Symptomatik – oder, im besten Fall, bis zur Beschwerdefreiheit.
Adnan Ibrahimovic
Studium der Gesundheitswissenschaft, Physio-, Sporttherapeut und Heilpraktiker mit Schwerpunkt Osteopathie
Literatur
1) M. De Coster: Viszerale Osteopathie, Hippokrates Verlag, 2001, Ausgabe 3
2) J.P. Barral, P. Mercier: Lehrbuch der Viszeralen Osteopathie, Urban& Fischer Verlag, 2005, Ausgabe 2