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aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 3/2014

Gemmotherapie – Die Kraft der Knospen

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Die Gemmotherapie ist ein relativ junger Ast der Phytotherapie. Sie ist eine hoch spezialisierte Phytotherapie, bei der ausschließlich Knospen (lateinisch = gemma), Triebspitzen und junge Schösslinge verwendet werden. Durch die Extraktion mit einer Glycerin-Alkohol- Lösung werden die Wachstumskräfte (vorwiegend verschiedene Aminosäuren) als Heil- und Regenerationskraft für den Menschen verfügbar.

Dr. Pol Henry und die Anfänge der Gemmotherapie

Als Erfinder der Gemmotherapie gilt der belgische Arzt Dr. Pol Henry (1918-1988). Während des Zweiten Weltkrieges studierte er Medizin (in Gent und Brüssel) und graduierte an der Universität von Leuven.

Er war bereits während seines Studiums von der Naturheilkunde fasziniert und wandte sich früh der Phytotherapie zu.

Inspiriert von den klassischen Alchemisten (sie befassten sich u.a. bereits mit der „Kraft“ der Sprossen und junger Pflanzenteile) und den Arbeiten von Dr. Paul Niehans (Schweizer Arzt, Erfinder der Frischzellentherapie) wandte er sich der Potenz von Extrakten aus Knospen zu und begann in den 1960er-Jahren mit deren gezielter Erforschung. Er untersuchte zuerst die optimale Extraktionsmethode, dann die Wirkstoffprofile (zu Beginn der Birke und der Ulme) und schließlich die klinischen Effekte. Bald war klar, dass die Glycerin-Alkohol-Mazerate aus dem teilungsaktiven embryonalen Bildungsgewebe (Meristem) differenzierte, von der konventionellen Phytotherapie deutlich abweichende Effekte im Organismus hervorrufen.

1965 wurde Henrys Methode in die Pharmacopée francaise aufgenommen. Sie stellt bis heute die maßgebliche Prozessbeschreibung dar. 1970 veröffentliche Henry die Theorien und klinischen Ergebnisse seiner neuen phytotherapeutischen Methode unter dem Namen Phyto-Embroytherapie.

Dr. Max Tétau, ein französischer Homöopath, griff die Methode unter dem Namen Gemmotherapie wieder auf. Weitere wichtige Arbeiten wurden von Prof. Mallein vom Lehr- und Forschungsinstitut Lyon ausgeführt. Er beschrieb die Wirkung der Johannisbeerknospe (Ribes nigrum) und bezeichnete sie als sanftes, pflanzliches Kortison.

Wissenschaftliche Forschung

Den ersten klinischen Untersuchungen durch Henry folgte eine Fülle analytischer und pharmakologischer Studien.

Im Rahmen der analytischen Studien wurden mithilfe von Dünnschichtchromatographie und Hochleistungsflüssigkeitschromatographie die Wirkprinzipien von Pflanzen in verschiedenen Entwicklungsstadien isoliert und quantifiziert. Es zeigte sich, dass z.B. Konzentration und Anzahl von Aminosäuren in den Knospen deutlich höher sind als in anderen pharmakologisch verwendeten Pflanzenteilen.

Pharmakologische Studien objektivierten bei Ribes nigrum (Johannisbeere) eine stimulierende Wirkung auf das RES bzw. MPS sowie eine kortisonähnliche Wirkung und bei Tilia tomentosa (Silber-Linde) schlaffördernde Effekte.

In den vorwiegend serologischen Studien konnte zu vielen Knospenmazeraten eine umfangreiche Liste von Wirkungsweisen zusammengetragen werden. Hier waren vor allem die Wirkungen auf veränderte Plasmaproteinfraktionen (sowohl auf Hyper- wie auch Hypoproteinämien) deutlich zu beobachten.

Hauptsächliche Wirkstoffe

In der Gemmotherapie werden chemisch definierbare Auxine (Indolessigsäure), Giberelline (Steroide), Abscisinsäure, Cytokinine, Isoflavone und andere Wachstumsfaktoren sowie Enzyme, Eiweiße und Nukleinsäuren, die aus dem Embryonalgewebe extrahiert werden, als Wirkstoffe eingesetzt.

Die Galenik

Die erste offizielle Grundlage zur Arzneimittelherstellung von Gemmotherapeutika stellte die Pharmacopée française 1965 dar. 2011 wurde das Herstellungsverfahren für die Gemmotherapie aus der Pharmacopée francaise als „Glycerolmazerate“ in das Europäische Arzneibuch, die Pharmacopoeia Europaea, aufgenommen und den homöopathischen Herstellungsverfahren zugeordnet. Damit ist die Gemmotherapie auch in Deutschland und in der EU zugelassen.

Nach der schonenden Sammlung und Reinigung werden die frischen Pflanzenknospen zu 1/20 des berechneten Trockengewichtes in einer Wasser-Alkohol-Glyzerin-Lösung (jeweils im gleichen Verhältnis) 20 Tage lang mazeriert und anschließend abfiltriert. Nach der Filtration werden die Mazerate mit neun Teilen einer Alkohol-Glyzerin-Lösung verdünnt, was der ersten homöopathischen Dezimalpotenz (D1) entspricht. Anders als in der Homöopathie werden die Extrakte der Gemmotherapie jedoch ausschließlich in dieser Potenz verordnet.

Das Wirkspektrum

Aufgrund der durch Studien und Anwendungsbeobachtungen zusammengetragenen Resultate ergibt sich für die Gemmotherapie im Ganzen folgendes therapeutisches Wirkspektrum mit den bekannten Wirkansätzen:

Stimulation des RES/MPS

  • regulativer Einfluss auf Hyper- oder Hypoproteinämien
  • antiödematöser Effekt aufgrund der Regulation des onkotischen Druckes
  • antientzündlicher Effekt (z.B. bei Ribes nigrum)

Gemmotherapeutischer Therapiegrundsatz

An erster Stelle steht der Baum. Dieser stellt nach den Überlegungen von Dr. Pol Henry die Spitze der Floraentwicklung dar. Mit dem Baum wird definiert, in welchem Stadium die zu behandelnden Symptome sind.

An zweiter Stelle stehen die Sträucher. Da diese nie zufällig in einem bestimmten Waldbiotop stehen, unterstützen sie die Bäume in der Wirkung. Das heißt z.B., dass Alnus glutinosa (Schwarz-Erle, senkt die Alpha-Globuline deutlich) durch Ribes nigrum (Johannisbeere) unterstützt wird, das ebenfalls die erhöhte Globulinfraktion senkt, wenn auch schwächer als Alnus.

An dritter Stelle stehen dann die biotopspezifischen Kräuter. In der Gemmotherapie werden überwiegend Lippenblütler verwendet. Ihre Hauptaufgabe ist die Drainage, die für den Verlauf einer Therapie von wesentlicher Bedeutung ist.

So wird in der Gemmotherapie nach Dr. Pol Henry immer ein Baum-Mazerat kombiniert mit einem Strauch- und einer Kräutermischung eingesetzt.

Die Phytosoziologie

Das Einsetzen von Pflanzen, die in der Natur gemeinsam gedeihen, ist eine der zentralen Regeln in der Anwendung der Gemmotherapie. Diese Anwendungsregel basiert auf zwei grundlegenden Ideen:

  • Pflanzen in einem Biotop haben durch die gemeinsame evolutionäre Entwicklung Synergie- Effekte.
  • Es sind Parallelen zwischen den Stadien der Waldentwicklung und den Krankheitsstadien von Säugern feststellbar.

Grundsätzlich werden in der Gemmotherapie vier Biotope unterschieden. Diese korrelieren mit spezifischen Veränderungen der Plasmaproteine in spezifischen Krankheitsstadien.

Das erste Biotop ist das Alnus-Betula-Biotop (Esche, Birke), welches mit dem akuten Krankheitsstadium (Alpha-Globuline) korrespondiert. Subakute Symptome (Beta-Globuline) werden mit Bäumen, Büschen und Kräutern aus dem Quercus-Biotop (Eiche) behandelt, chronische Erkrankungen (Gamma-Globuline) mit Pflanzen aus dem Fagus-Biotop (Rotbuche). Das vierte Biotop hat keinen Leitbaum mehr. Dieses Biotop (Euglobuline) wird durch das Caluna-vulgaris-Biotop (Besenheide) definiert.

Gemmotherapie bei Heuschnupfen

Kaum ist der Frühling da, leiden die Ersten unter uns schon wieder an Heuschnupfen. Die Pollenallergie ist die häufigste Allergieform. In der Regel sind Kinder unter drei Jahren nicht betroffen. In der Schweiz sind etwa 20 der 3500 Pflanzen für Pollenallergiker von Bedeutung. Wichtige Leitsymptome sind Niesattacken, Fließschnupfen (Rhinitis), verstopfte Nase, juckende und tränende Augen, Juckreiz in Gaumen, Nase und Ohren.

Ein nicht oder falsch behandelter bzw. ein unterdrückend behandelter Heuschnupfen kann zu einem sogenannten Etagenwechsel führen und stellt nur zu oft den Beginn einer „Allergiekarriere“ dar.

Welche Mittel kommen infrage?

Sowohl der akute wie auch der chronische Heuschnupfen lassen sich mit den richtig gewählten Gemmotherapeutika gut begleitend behandeln.

Für die Akutintervention ist sicher Ribes nigrum das Mittel der ersten Wahl. In der Gemmotherapie stellt aber auch Betula comp. ein wichtiges Akutmittel dar. Ist der Heuschnupfen erst chronifiziert, kann mit Rosa canina die lymphatische Konstitution (welche gehäuft Allergien zeigt) positiv beeinflusst werden.

Ribes nigrum

Ribes nigrumDie Schwarze Johannisbeere ist sicher das am besten untersuchte Gemmotherapeutikum und gilt in der Gemmotherapie als pflanzliches Kortison. In pharmakologischen Studien konnte eine Stimulierung der Nebennierenrindensekretion nachgewiesen werden. Dabei steigt die Ausschüttung von Cortisol an, was zu einer entzündungshemmenden, abschwellenden und antiallergischen Wirkung führt. Neben Vitamin C, Arginin und Prolin sind weitere Aminosäuren sowie Flavonoide nachgewiesen. Die Flavonoide hemmen die Histaminfreisetzung.

Angewandt wird Ribes nigrum neben dem Heuschnupfen bei Asthma, Migräne, Arthritis und allen Formen von akuten und subakuten Entzündungen.

Betula comp.

Betula comp.Die Birke (Betula alba und pendula) und die Erle (Alnus glutinosa) nehmen in der Gemmotherapie eine wichtige Stellung ein. Sie sind Bäume des Alpha-Globulin-Biotops und haben so einen hohen Bezug zu akuten Prozessen.

Die Birke wirkt allgemein entzündungshemmend, fördert die endokrine Drüsentätigkeit, harmonisiert den Knochenstoffwechsel und fördert die Calciumeinlagerung in den Knochen. Sie wird in den akuten Stadien von Heuschnupfen und Allergien eingesetzt. Weitere wichtige Indikationen sind Schleimhautentzündungen im Nasen-Rachenbereich vor allem bei Kindern, Wachstumsschmerzen in der Kindheit, Schulkopfschmerzen und depressive Müdigkeitszustände. Gut kann sie auch unterstützend im Rahmen von Frühjahrskuren zur „Blutreinigung“ zur Anwendung kommen.

Rosa canina

Rosa caninaDer Trivialname Hundsrose bedeutet, dass es sich um die gewöhnliche, überall vorkommende Rose ohne besondere Ansprüche handelt. Die Hundsrose ist das Mittel für Kinder, die immer wieder im gesamten Hals-Nasen-Ohren-Bereich an zahllosen akuten und chronischen Symptomen leiden; z.B. Schnupfen mit Rachenentzündung, Kehlkopfentzündung, Nasenschleimhautentzündung, wiederholte Mandelentzündungen, Entzündungen des Gehörganges sowie bei Bronchitis.

Das Mazerat wirkt antiviral, ausgleichend auf das Immunsystem und antiallergisch.

Therapiekonzepte und Ergänzungsmittel

Zur Behandlung eines akuten Heuschnupfenanfalls hat sich die Kombination von Ribes nigrum Gemmo und der Spagyrik-Mischung Euphrasia comp. (Spagyros) bewährt. In der Kombination zeigen diese beiden Mittel eine stark antihistaminartige Wirkung. Die Entzündung der Schleimhäute klingt in der Regel rasch ab, die begleitenden Symptome der Allergie werden deutlich gelindert.

Sollte der Patient noch keine akuten Heuschnupfensymptome zeigen, so kann durchaus nur mit der Spagyrik-Mischung Euphrasia comp. (Spagyros) gearbeitet werden. Dabei sollte auch die Spagyrik-Mischung der akuten Dosierung entsprechend angepasst werden. Sobald der erste Heuschnupfen (hier im Sinne von: Es gab vorher noch keinen Heuschnupfen) abgeklungen ist, ist die Anwendung von Betula Gemmo in Kombination mit der Spagyrik- Mischung Pelargonium comp. (Spagyros) zu empfehlen.

Haben sich die Heuschnupfensymptome bereits mehrfach gezeigt, wird Betula Gemmo durch Rosa canina Gemmo ersetzt. Der therapeutische Effekt kann bei zeitgleicher Anwendung von Pelargonium comp. (Spagyros) und einem Mariendistelpräparat deutlich vertieft werden. Diese Mittelkombination hat sich in der Praxis als Heuschnupfenprophylaxe absolut bewährt.

Leidet der Patient bereits seit Jahren an Heuschnupfen, dann ist eine kunstgerechte Darmsanierung die Therapie der Wahl.

Heinrich Schwyter Heinrich Schwyter
MSc. health sciences, diplomierter Naturarzt und Heilpraktiker mit den Schwerpunkten Spagyrik, Phyto- und Gemmotherapie

heinrichschwyter@spagyros.ch

Literatur

  • Philippe Adrianne: La Gemmothérapie. Médecine des bourgeons, 4. Auflage, Editions Amyris, Brüssel, 2002
  • Dr. med. Martin Furlenmeier: Mysterien der Heilkunde, Gut-Verlag, Stäfa, 1987
  • Dr. med. Pol Henry: Phytembyothérapie – Gemmothérapie, Imp. St. Norbert – Tongerlo, 1970
  • Barbara Olesko: Die Kraft der Pflanzen, Geschichte und Verwendung pflanzlicher Heilmittel in der Traditionellen Europäischen Medizin, Verlag für Traditionelle Europäische Medizin, Ternberg, 2004
  • Dr. Hans Martin Steingassner: Gemmotherapie – Phytotherapie – Mineralientherapie, Verlag W. Maudrick, Wien, 2005
  • Heinrich Schwyter: Skript Gemmotherapie, Spagyros A, Gümligen, 2014
  • Dr. Max Tétau: Ribes nigrum Knospen – ein natürliches pflanzliches Mittel gegen Entzündungen, Zentralstelle für Dokumentation LPh Dolisos 27
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