aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 3/2016
Fallstudie aus der psychotherapeutischen Praxis: Impulsives, aggressives Verhalten im sozialen Kontext
Patient
Pedro, 9 1/2 Jahre
Anamnese
Bereits 7-jährig erhält der Erstklässler die Diagnose „Sonstige emotionale Störung mit Rivalität in der Peer-Gruppe“ (F93.8). Er nimmt an einem Training sozialer Fertigkeiten in einer Kleingruppe teil.
2 Jahre später, Anfang Juli 2015, kommt Pedros Mutter in meine Praxis. Ihr Sohn soll der Schule verwiesen werden. Er sei impulsiv, aggressiv, halte sich nicht an Regeln und widersetzte sich Anweisungen.
Pedro kommt 3 Wochen zu früh durch einen Notkaiserschnitt zur Welt. Seine erstgebärende Mutter leidet an einer Wochenbettdepression. Sie hat große Probleme aufgrund einer starken Schilddrüsenüberfunktion. Der Säugling ist in Schreiphasen nur schwer zu beruhigen. Bereits im Kindergarten fällt er als aufbrausender Junge auf, der häufig Konflikte mit anderen Kindern hat.
Die deutsche Mutter (Jg. 1982) mit Fachhochschulabschluss ist das 3. von 5 Kindern. Ihre älteste Schwester stirbt 3 Tage nach der Geburt. Pedros portugiesischer Vater (Jg. 1980) ist das 3. von 4 Kindern, besucht die Hauptschule ohne Abschluss und hat einen gewalttätigen und alkoholabhängigen Vater. Mit 21 Jahren kommt Pedros Vater nach Deutschland. Seit einem Jahr arbeitet er selbstständig als Elektroniker-Meister. Pedro ist ein halbes Jahr alt, als der älteste Bruder seines Vaters an Leukämie stirbt.
Verdachtsdiagnose
F93.8 – „Sonstige emotionale Störung mit Rivalität in der Peer-Gruppe“
Therapie
In der ersten Sitzung arbeite ich mit der Mutter. Sie steht kurz vor der Niederkunft ihres 2. Kindes. Sie stellt die Familie mit Holztieren auf. Pedro ist der Gorilla, der zwischen seinen Eltern (der Vater ist die Eule, die Mutter das Känguru) steht. Seine künftige Schwester ist bereits als Schnecke mit dabei. Ich teste kinesiologisch aus, dass wir uns der „Gorilla-Situation“ erst nach der Entbindung der Mutter stellen dürfen. Ich lade Pedros Mutter ein, den Gorilla zur Seite zu stellen. Pedro wird nun durch ein Wildschwein repräsentiert.
Am Ende der Sitzung blickt der Gorilla auf die Familie, die in einer guten Ordnung steht.
Ende Juli teile ich den beiden Lehrkräften, der Schulpsychologin und dem Sozialpädagogen, nach einem lösungsorien-tierten Gespräch meine Verdachtsmomente mit und bitte sie um Vertrauen.
Ende August findet die erste Sitzung mit Pedro statt. Zunächst arbeite ich mit ihm kinesiologisch an der Transformation seiner Wut. Aus dem Satz „Ich bin nicht liebenswert, ich ärgere mich!“ wird der Satz „Mich darf jeder lieb haben!“. Dann arbeite ich mit Pedro über Farbpunktur und Akupressur an der Integra-tion des ATNRs, des Greifreflexes und des Segmentären Rollreflexes. Frühkindliche Reflexe, die im Mutterleib entstehen und während der Geburt präsent sind, verpassen aufgrund des Notkaiserschnitts ihren Einsatz und beeinflussen die neurologische Entwicklung.
Anfang September treffe ich mich zum ersten Mal mit Pedros Vater. Mit ihm führe ich eine Quadrataufstellung durch: 4 Reflexe (Kopfstellreflex; Furchtlähmungsreflex; Such-, Saug-, Schluckreflex und Moro-Schreckreflex) bilden ein Quadrat. Sie werden durch Steine repräsentiert, die Pedros Vater aussucht. Ich lade ihn ein, seinem Steinrepräsentanten einen Platz im Feld zu geben. Er legt ihn zu dem Kopfstellreflex-Repräsentanten. Den Stein-Repräsentanten seines Sohnes stellt er zum Furchtlähmungsreflex. Das bestärkt mich in meiner Vorannahme: Pedro lebt den abgespaltenen traumatisierten Teil seines Vaters. Ich begleite die Systemaufstellung mit Heilsätzen. Sohn und Vater sollen jeweils ihr eigenes Schicksal leben und tragen.
Anfang Oktober kommt die Mutter zum zweiten Mal zu mir. Inzwischen hat das 4. Schuljahr begonnen. Pedro ist wesentlich ruhiger, er hält sich an Regeln. Wir starten mit dem Abschlussbild der Tieraufstellung der ersten Sitzung. Der Gorilla will auf die Traumatisierung der Großmutter mütterlicherseits aufmerksam machen. Sie verliert ihre erstgeborene Tochter 3 Tage nach der Geburt. Pedros Mutter lässt das Schicksal bei ihrer Mutter.
Mitte Oktober findet ein abschließendes Gespräch mit der Schulpsychologin statt. Sie sind voll des Lobes für Pedro. Es gibt zwar einige kleinere Konflikte, alle aber im normalen Rahmen.
Im November besucht Pedro in den Herbstferien ein 4-tägiges Fußballcamp. In einer Urkunde werden u.a. technische Fähigkeiten und soziales Verhalten bewertet. Pedro bekommt in den Kategorien Disziplin, Fairness und Engagement jeweils die Note 1.
Mitte November arbeite ich zum zweiten Mal kinesiologisch mit Pedro an der Integration weiterer frühkindlicher Reflexe (ATNR, TLR, Spinaler Galant Reflex) und an seiner Gehirnorganisation.
Stand der Dinge
Pedro geht es nach wie vor hervorragend. Er entwickelt Ehrgeiz und will den Übertritt ins Gymnasium schaffen. Mit den Eltern und der Lehrkraft ist vereinbart, sich mit mir in Verbindung zu setzen, sollte Pedro wieder einmal auffällig werden.
Fazit
Die Offenheit aller Beteiligten ermöglichte mir, die Zusammenhänge zu erkennen und methodenübergreifend zu arbeiten. Ich spüre tiefe Dankbarkeit und freue mich mit Pedro und seinen Eltern.
Annegret Chucholowski
Heilpraktikerin für Psychotherapie, Systemaufstellerin (DGfS), Neurophysiologische Entwicklungsförderin (INPP)
kontakt@praxis.chucholowski.de