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aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 6/2018

Ätherische Öle in der Tierheilkunde

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Mehr als nur Fliegenspray

Seit Urzeiten werden aromatisch duftende Pflanzenstoffe zu Heilzwecken verwendet. Räucherungen mit getrockneten Pflanzen, Gräsern, Harzen, Früchten und Rinden wurden in fast allen Kulturen des Altertums durchgeführt. Sie dienten der Reinigung, als Götteropfer oder zur Behandlung von Krankheiten. Duftende Salben aus zerstampften Blüten wurden kosmetisch oder zur Linderung verschiedener Beschwerden genutzt.

Der Siegeszug der Aromatherapie

Anfang des vergangenen Jahrhunderts begann der französische Chemiker René-Maurice Gattefossé, mit ätherischen Ölen zu experimentieren. Auslösende Erfahrung war, dass er sich bei einem Laborunfall die Hand sehr stark verbrannt hatte und diese Verletzung ohne zurückbleibende Narben durch Bäder in Lavendelöl heilen konnte. Er nannte seine Erkenntnisse „Aromathérapie“. Diesen Begriff nutzte er 1936 als Titel für sein Buch und gab damit der Behandlung mit ätherischen Ölen die heute übliche Bezeichnung.

Der Militärchirurg Jean Valnet wandte, inspiriert von diesen Veröffentlichungen, während des Zweiten Weltkriegs ätherische Essenzen bei Kriegsverletzungen an. Nach Kriegsende begann er auch in seiner Arztpraxis, Patienten nur noch mit Aromatherapie und Kräutern zu kurieren – mit großem Erfolg. Mit der Veröffentlichung seines Werkes „Aromathérapie: Traitement des Maladies par les essences des Plantes“ erreichte er weltweite Anerkennung.4) Dies führte zu einer großen Nachfrage, woraufhin Valnet viele seiner Kollegen in der Aromatherapie ausbildete.

Auch in der Veterinärmedizin wurden sicherlich schon lange Aromaöle zu Heilzwecken verwendet, darüber gibt es jedoch kaum Aufzeichnungen. Als Begründer der Aromaveterinärmedizin gilt Dr. Sevelinge, der diese um 1940 herum entwickelt hat. Das erste Buch über den Einsatz von ätherischen Ölen bei Tieren hat die französische Tierärztin Nelly Grosjean 1993 geschrieben.2)

Kein Wunder also, dass diese erst vor kurzem wiederentdeckte Therapieform vielen Tierbesitzern und Tierheilpraktikern eher unbekannt ist. Manch ein Pferdebesitzer kennt die natürlichen Öle nur vom ökologisch hergestellten Fliegenspray. Dabei sprechen speziell Pferde als Pflanzenfresser auf Phyto- bzw. Aromatherapie sehr gut an. Die fein duftenden Öle passen gut zu den sensiblen Tieren und können – neben der Insektenabwehr – heilend und unterstützend bei Wunden, Muskelproblemen, Lahmheiten, Koliken, Entzündungen und zur Steigerung der körpereigenen Abwehr eingesetzt werden.

Auch haben ätherische Öle einen direkten Einfluss auf das limbische System. Der Geruchssinn hängt eng mit den Emotions- und Hormonzentren zusammen. So kann der Duft eines Öls großen Einfluss auf den Gemütszustand eines Pferdes haben. Daher sind verschiedene Öle auch erste Wahl bei nervösem Verhalten, Ängsten und Hyperaktivität. Die beruhigende Wirkung von Lavendelöl ist z.B. durch eine Studie, die im Jahr 2012 an der Louisiana McNeese State University von Prof. Dr. Clarence E. Ferguson durchgeführt wurde, belegt worden.

Meine Intention ist es, Mensch und Tier erfolgreich zu behandeln und möglichst vielen (Tier-) Ärzten, Heilpraktikern und Tierbesitzern die Heilkraft der Öle, die sie ohne Zweifel haben, näherzubringen und sie davon zu überzeugen.

Fein duftende „Allrounder“

Im Gegensatz zu herkömmlichen Arzneimitteln, die nur einzelne Wirkstoffe beinhalten, sind ätherische Öle Vielstoffgemische, die aus bis zu über 500 Einzelsubstanzen bestehen. Dabei sind noch nicht einmal alle Einzelstoffe identifiziert worden. Die Öle enthalten u.a. Inhaltsstoffe folgender chemischer Stoffklassen: Terpene (Mono-, Sesqui- und Diterpene), Alkohole, Aldehyde, Ketone, Phenole und Säuren. Dies ist der Grund dafür, dass einige Öle sowohl antibakteriell, antiviral und antimykotisch als auch antiallergisch, analgetisch und entzündungshemmend wirken. Dies hat ihnen den Ruf als Wundermittel eingebracht.2)

Die beiden bekanntesten und am meisten erforschten „Wundermittel“ sind Teebaum- und Lavendelöl. Beide sind eine ausgezeichnete Wahl bei Wunden und Insektenstichen, sowohl beim Pferd als auch beim Reiter. Lavendelöl nimmt den Juckreiz und hat eine entzündungshemmende sowie antiallergische Wirkung, während Teebaumöl über seine antiviralen und antibakteriellen Effekte punktet.

Speziell die antibakterielle Wirkung vieler Öle wird aufgrund der stetig steigenden Anzahl bakterieller Resistenzen gegen Antibiotika in der Zukunft sehr wichtig werden. In mehr als 500 klinischen Studien weltweit sind die bakteriziden Eigenschaften natürlicher ätherischer Öle geprüft worden. Es konnte bewiesen werden, dass die getesteten Öle deutliche Effekte bei klinisch relevanten Keimen (sogar multiresistenten!) zeigten. Das heißt, dass damit Bakterien wirksam bekämpft werden können. Positiver Zusatzeffekt: Die Öle stimulieren das Immunsystem.

Neben Teebaumöl werden Oreganoöl und auch Zimtöl eine einem Breitbandantibiotikum ähnliche Wirkung bestätigt. Wer es genau wissen will, kann ein „Aromatogramm“ anfertigen lassen. Es ist vergleichbar mit einem Antibiogramm und ermöglicht es im Labor, aus einer Auswahl unterschiedlicher Öle diejenigen zu bestimmen, die gegen die jeweiligen angezüchteten Erreger die beste antibakterielle Wirkung aufweisen. So bietet das Aromatogramm eine präzise auf den jeweiligen Keim zielende aromatherapeutische Behandlung mit einer individuellen Rezeptur.2)

Dasselbe gilt für die Behandlung von Pilzbefall. Auch hier gibt das Aromatogramm Aufschluss und kann für eine differenzierte Therapie sorgen. Die Forschung berichtet über sehr gute Ergebnisse bei der Untersuchung der fungiziden Eigenschaften ätherischer Öle. Sie wirken fungistatisch, d.h. sie hemmen das Wachstum und die Vermehrung von Pilzen oder wirken giftig auf bestimmte Pilzarten (fungitoxisch).2) Besonders effektiv sind Zitronengras, Eucalyptus citriodora, Nelke und Niauli, um nur einige zu nennen.

Auch die antiviralen Eigenschaften vieler Öle werden mehr und mehr erforscht, wobei die Wirkungsweise noch nicht vollständig aufgeklärt werden konnte. Es wird vermutet, dass Komponenten der Öle in die virale Matrix eingebaut werden und zur Inaktivierung des Virus führen.2) Neben Teebaumöl sind hier speziell Melissenöl, Citronella und Zitronengras zu nennen. Über Cistrosenöl gibt es Berichte zu dessen Wirksamkeit, die aber meines Wissens bisher noch nicht eindeutig belegt werden konnten.

Die wundheilende und durchblutungsfördernde Wirkung von Aromaölen ist weitläufig bekannt. Zur Wundheilung eignen sich besonders Lavendelöl, Lavandin, Kamille und Pfefferminze, die den Epithelisierungsprozess einer Wunde um bis zu 50% beschleunigen können. Die durchblutungsfördernde Wirkung von Ölen (z.B. Kampfer, Rosmarin, Lorbeer, Immortelle) nutze ich bei der Behandlung von Sehnen- und Gelenksproblemen. So konnte ich einem vierbeinigen Patienten mit einer 3%- igen Lösung dieser Öle in einem Arnikaträgeröl nach schwerem Sehnenschaden wieder zu schmerzfreier Bewegung verhelfen.

Dem Problem so nah wie möglich kommen

Es gibt 4 Wege, wie man Pferde mit diesen Rezepturen behandeln kann:

• Über die Haut
Hier werden Ölmischungen, Lotionen oder Salben hergestellt oder gekauft. Im Normalfall sind ätherische Öle ca. 3%-ig in Trägeröle (z.B. Oliven-, Kokos-, Schwarzkümmelöl) oder bei Salben in Shea- oder Kakaobutter eingemischt. Heilsalben für kleine Wunden können auch einen Anteil von 20-50% ätherische Öle haben. Lavendelöl ist eines von wenigen Ölen, die auch unverdünnt auf die Haut oder Wunde aufgetragen werden können.

• Über die Nase
Durch Direktinhalation (Riechen am Ölfläschchen), mit einem Inhaliergerät (verdünnt mit Kochsalzlösung oder destilliertem Wasser) sowie durch Boxenbeduftung (z.B. 1%-ige Mischung mit Oreganoöl und destilliertem Wasser zur Desinfektion).

• Als innerliche Anwendung
Über das Maul: 1-3 Tropfen ätherisches Öl auf 1 Teelöffel Trägeröl direkt in das Maul oder über das Futter. Hierbei ist zu beachten, dass nicht alle Öle eingenommen werden dürfen. Lavendelöl und die meisten Kräuteröle, die wir auch als Gewürze kennen, sind bei gesunden, nicht trächtigen Pferden unbedenklich.

• Als Zäpfchen
Ätherische Öle kann man auch selbst mit Kokosfett oder Kakaobutter zu Zäpfchen verarbeiten. Im Handel gibt es dafür Formen und Rezepte. Bei Pferden wird diese Methode selten angewandt, sollte aber vollständigkeitshalber erwähnt werden.

Als Faustregel gilt, dem Problem so nahe wie möglich zu kommen. Also eine Salbe bei Wunden, eine Einreibung bei Sehnen und Gelenksproblemen, eine orale Gabe bzw. ein Zäpfchen bei einer Kolik. Bei grippalen Infekten empfiehlt sich sowohl eine Inhalation als auch eine orale Gabe, je nach Symptomen.

Die Aromapsychotherapie findet hauptsächlich über die Nase statt.

Eine weitere Methode, sein Pferd mit der heilenden Wirkung von Aromaölen zu verwöhnen, ist die „Zoopharmakognosie“ (griech.: TierHeilmittel-Wissen) mit der These, dass Tiere die natürliche Gabe haben, zu wissen, was gut für sie ist. Hierbei wird der Instinkt genutzt und dem Pferd erlaubt, sich die zuträglichen Öle selbst rauszusuchen und seinen eigenen Heilungsweg zu gehen. Pferde sprechen sehr gut auf diese Methode an, sie reagieren neugierig auf die verschiedenen Düfte. Einfühlsame Pferdebesitzer werden keine Probleme haben, zu erkennen, welche Düfte ihr Pferd als positiv oder negativ empfindet. Diese Methode ist sicher, effektiv, einfach und sehr angenehm für Pferd und Halter. Sie ist besonders zur Prävention von Erkrankungen geeignet.3)

Egal auf welche Weise das Öl in den Körper gelangt: Vorsicht ist immer bei tragenden Stuten, Fohlen und Pferden mit chronischen Erkrankungen geboten! Im Zweifelsfall sollte man mit dem Tierarzt oder Tierheilpraktiker Rücksprache halten.

In meiner Praxis kombiniere ich die oben genannten Methoden. Bei Erkrankungen verabreiche ich die Öle/Ölmischungen je nach Symptomen, Wirkungen und Laborergebnissen. In der Prophylaxe oder bei der Aromapsychotherapie setze ich auf die emotionale Intelligenz der Pferde und lasse sie aus vorsortierten Ölen aussuchen.

Wichtig: Aromaöle gut kennen und einschätzen

Generell ist die Aromatherapie eine interessante Alternative oder zusätzliche Therapieform für den Tierheilpraktiker, kann aber auch vom Pferdebesitzer selbst durchgeführt werden. Allerdings sollten die Wirkungen (und Nebenwirkungen) dieser hochpotenten Vielstoffgemische nicht unterschätzt werden. Wenn man also mit mehr als nur Lavendel- öl und den handelsüblichen Mischungen arbeiten möchte, sollte man sich Wissen über Eigenschaften, Verdünnungen und spezielle Anwendungsgebiete der verschiedenen Öle aneignen oder sich an einen erfahrenen Aromapraktiker wenden. Dann kann man durchaus zur Gesunderhaltung und zum Wohlbefinden seines Tieres beitragen.

Zur therapeutischen Anwendung eignen sich nur 100% reine natürliche ätherische Öle. Von künstlichen oder naturidentischen Ölen sollte man Abstand nehmen! Die bei der Herstellung dieser Öle entstehenden Chlorverbindungen machen die Öle nicht nur wirkungslos, sondern können auch großen Schaden anrichten.

Jedoch auch bei rein natürlichen Ölen ist der Kauf Vertrauenssache. Je nach Anbaugebiet und Verarbeitung gibt es große Qualitätsunterschiede. Auf jeden Fall sollten auf dem Beipackzettel oder der Flasche die Chargennummer und sowohl die lateinische als auch die deutsche Bezeichnung der Pflanze stehen, außerdem der Pflanzenteil, aus dem das Öl gewonnen wurde. Des Weiteren sollten das Anbaugebiet und die Art des Anbaus (kontrolliert-biologischer Anbau vs. wilder Anbau vs. konventioneller Anbau) ausgewiesen sein.

Während große Konzerne aus den USA Qualitätsversprechen machen, aber auch mit attraktiven Marketingkonzepten werben, gibt es heimische Produzenten, die mehr auf Transparenz setzen. Hier sollte sich jeder seine eigene Meinung bilden.

In meiner Praxis arbeite ich mit den Ölen eines kleineren heimischen Herstellers, den ich persönlich kenne und über dessen Fachwissen es keine Zweifel gibt. Wenn ich ein bestimmtes Öl dort nicht bekommen kann, dann bestelle ich im renommierten Fachhandel.

Ein Tipp zum Schluss

Obwohl die Heilkraft der Öle von der Schulmedizin immer noch angezweifelt wird, stehen sie bei der FN (Deutschen Reiterlichen Vereinigung e.V.) auf der Dopingliste. Also: Vorsicht bei der Turnierteilnahme oder im Rennsport. Wer auf Nummer Sicher gehen will, sollte sämtliche Produkte mit ätherischen Ölen 48 Stunden vor dem Wettkampf nicht mehr benutzen. Genauere Informationen erhält man bei vorgemischten Produkten vom Hersteller oder der Deutschen Reiterlichen Vereinigung.

Anke EbenerAnke Ebener
Heilpraktikerin für Psychotherapie, Entspannungstherapeutin, Pferdewirtin

anke@childrensfeat.org

Quellenangaben

1) Clarence E. Ferguson & Harry F. Kleinman & Justin Browning: Effect of Lavender Aromatherapy on Acute-Stressed Horses. Journal of Equine Veterinary Science – January 2013 (Vol. 33, Issue 1, Pages 67-69, DOI: 10.1016/j.jevs.2012.04.014)
2) Dietrich Wabner (Hrsg.): Aromatherapie. Grundlagen. Wirkungsprinzipien. Praxis. Urban & Fischer Verlag, 2012
3) Cindy Engel: Wild Health – Gesundheit aus der Wildnis. Wie Tiere sich selbst gesund erhalten und was wir von ihnen lernen können. Animal learn, 2005
4) Jean Valnet: Aromatherapie – Gesundheit und Wohlbefinden durch pflanzliche Essenzen. Heyne Verlag, 1997

Foto: © lily / fotolia.com

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