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aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 6/2018

Sei nicht so gestresst!

Cover

Wir leben in einem rasanten Zeitalter. Kündigten sich vor wenigen Jahren technische Veränderungen noch über einen längeren Zeitraum an, so sind heute kurz nach Bekanntwerden einer solchen Neuerung schon weitere hinzugekommen (Beispiel: Die zeitlich exponentielle Entwicklung von der Kassette über die CD zum MP3-Format). Auch in sämtlichen anderen Lebensbereichen sind wir mit immer mehr Veränderungen konfrontiert, die in immer kürzeren Zeitabständen passieren. Überall begegnen wir neuen Reizen. Es wird alles schneller, lauter, greller – kaum noch Ruhe. Kommen wir da überhaupt noch hinterher?

Trotzdem gönnen wir uns selbst kaum Pausen; galt es doch auch über Jahre irgendwie als schick, ständig „busy“ zu sein … Inzwischen ist zum Glück ein neuer Trend zu erkennen: Achtsamkeit und sich dem Stress entziehen, das ist gut und wichtig! Nicht nur für uns selbst, auch für unsere Umgebung. Warum? Ganz einfach:

Stress ist ansteckend! Dass Menschen ihren Stress psychisch auf andere übertragen, wird schon länger beobachtet. Viele kennen das Gefühl, nach einem Zusammentreffen mit jemanden, der sehr gestresst ist, selbst unruhig und angespannt zu sein.

Veronika Engert vom Max-Planck-Institut Leipzig hat in Zusammenarbeit mit der TU Dresden das Phänomen der „Ansteckung“ mit Stress erforscht. Eine Gruppe freiwilliger Probanden wurde Stress ausgesetzt. Diese mussten u.a. Mathematikaufgaben lösen oder ein Bewerbungsgespräch absolvieren. Nur 5% ließen sich nicht aus der Ruhe bringen, 95% allerdings wiesen im Anschluss einen erhöhten Kortisolspiegel auf – sie waren gestresst.

Viel interessanter jedoch ist, dass 26% der zweiten Probandengruppe (unabhängige Beobachter) ebenfalls einen deutlich erhöhten Kortisolspiegel hatten, obwohl sie dem Stress nicht selbst ausgesetzt waren. Besonders stark waren die Beobachter gestresst, wenn sie dem Probanden nahestanden. Das Ergebnis betraf Männer und Frauen gleichermaßen, obwohl sich Frauen zuvor als mitfühlender eingestuft hatten.

Auffällig war, dass Beobachter, die den Stresstest nur am Monitor verfolgten, ähnlich stark beeinflusst wurden. Es ist von empathischem Stress auszugehen, der u.a. auch durch das Fernsehen – brutale Actionfilme, schlechte Nachrichten, Sendungen mit streitenden Talkgästen – entstehen kann.1)

Auch bei Tieren wird Stress übertragen

Natürlich wurden auch Untersuchungen an Tieren vorgenommen. Das Forschungsteam des Hotchkiss Brain Institute der Cumming School of Medicine in Calgary (Kanada) untersuchte bei Mäusen die Auswirkungen auf Stress. Dazu wurden Paare getestet. Eine Maus wurde entfernt, während das andere Tier Stress ausgesetzt wurde. Als die Mäuse wieder zusammengebracht wurden, konnte festgestellt werden, dass beide neuronale Veränderungen aufwiesen. Die unbelastete Maus schien den Stress des Partners übernommen zu haben. Einige Forscher gehen von epigenetischen Ursachen aus, andere machen die Sozialisation für die Übertragung des Stresses verantwortlich.2)

Forscher der Emory University Atlanta, Georgia (USA) untersuchten die epigenetischen Auswirkungen bei Mäusen, die Angst ausgesetzt wurden. Auch hier wurden Mäusepaare getrennt. Das Männchen schnüffelte an Acetophenon (ein fruchtiger Duft, den Mäuse instinktiv mögen) und erhielt im Anschluss einen leichten Stromschlag an den Pfoten. Bereits nach 3 Tagen reagierte die Maus schon beim Geruch von Acetophenon mit Angst, auch ohne Stromschlag. Diese Form der Konditionierung ist bekannt. Nun durfte sich die Maus mit dem nicht konditionierten Weibchen paaren. Neu ist, dass die Nachkommen ebenfalls empfindlich auf den Geruch von Acetophenon reagierten. Insgesamt waren sie schreckhafter als Nachkommen nicht vorbelasteter Eltern. Sogar die darauffolgende Generation (also die Enkel) reagierte noch nervös auf den ursprünglich angebotenen Duft.3)

Wie weitreichend sind die Folgen?

Gesetzt den Fall, es handelt sich um eine epigenetische Veränderung (die DNA-Aktivität ist verändert, nicht die DNA-Struktur), und wenn diese Ergebnisse auch auf den Menschen übertragbar sein sollten, was bedeutet das für unsere Zeit?

Wie viel Stress ist noch übrig bei den Enkeln und Urenkeln von Generationen, die den Zweiten Weltkrieg erlebt haben? Was macht die Arbeitswelt mit uns und unseren Kindern, wenn wir am Arbeitsplatz ständigem Leistungs- und Zeitdruck ausgesetzt sind? Aber auch wenn wir selbst Resilienz zeigen, was geschieht in Großraumbüros, in denen wir mit anderen gestressten Mitarbeitern den Großteil unseres Lebens verbringen? Wie wirkt sich unsere Umwelt auf uns aus, wenn in vollen Bahnen und Bussen im Berufsverkehr gestresste Menschen um uns herum sind? Sollten wir also Menschenmengen nicht nur bei der nächsten Grippewelle vermeiden, sondern sogar grundsätzlich, um uns nicht mit Stress „anzustecken“?

Dasselbe gilt für die Tierwelt, besonders in der Massentierhaltung. Kann es da überhaupt noch Nachfahren geben, die nicht schon gestresst auf die Welt kommen?

Weg mit dem Stress!

Wie gehen wir Heilpraktiker mit diesem Phänomen um? Sich dem Stress entziehen, Pausen einlegen, für Regeneration (der Neuronen) sorgen, Entspannungstechniken lernen etc. ist das A und O meiner Empfehlung.

Aufgrund der o.g. Forschungsergebnisse ist es meines Erachtens noch wichtiger, zu hinterfragen, wie der Patient lebt, wie der Partner ist, was die Eltern und Großeltern bereits erlebt haben, um spezifische Stressoren zu definieren, zu limitieren oder zu eliminieren.

Kann ich aber die veränderte DNA-Aktivität z.B. mittels TCM mit „Wind ausleiten“ beruhigen, sodass der Patient und womöglich die nächste Generation wieder in einem „normalen“ Bereich aktiv sind? Reichen Entspannungsmethoden aus? Es bleibt die Frage, wie eine epigenetische Veränderung rückgängig gemacht werden kann. Hier sind wir alle gefordert; wir müssen beobachten, dokumentieren, diskutieren.

Die Gesellschaft muss aufhören, Menschen, die ständig im Stress sind, dafür zu feiern und als herausragende Vorbilder zu heroisieren. Diese Menschen machen sich systematisch krank (Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Bluthochdruck, Burnout etc.). Und wir schauen ja auch nicht bewundernd zu jemandem auf, der sich täglich einen spitzen Bleistift ins Auge rammt.

Auf eine stressfreie(re) Zeit!

Monika LehnertMonika Lehnert
Heilpraktikerin und Personal Coach

monilehnert@me.com

Quellen:
1) www.mpg.de/forschung/stress-empathie
2) www.news.emory.edu/stories/2013/12/smell_epigenetics_ressler/campus.html
3) www.openaccessgovernment.org/brainawareness-week-stress-from-others-canalter-your-brain/43585

Foto: © pathdoc fotolia.com

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