aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 2/2020
Die Ohrkerze in der Naturheilpraxis
Kein Allheilmittel – Tausendsassa allemal
Die einen sagen: „Sie kann fast alles“. Andere behaupten: „Sie kann nichts“. Die Rede ist von der Ohrkerze. Da ich mich zur Gruppe 1 zähle, möchte ich in diesem Text eine Lanze für den Einsatz der Ohrkerze in der naturheilkundlichen Praxis brechen. Das jedoch durchaus kritisch, da der Ohrkerze hin und wieder auch Eigenschaften zugeschrieben werden, denen sie nicht gerecht werden kann. Was sie jedoch zu leisten vermag, erachte ich für so elementar, dass ich Ohrkerzen in meiner Praxis zur (komplementären) Behandlung zahlreicher Leiden verwende, bei denen Stress eine große Rolle spielt. Was bei Auswahl und Einsatz von Ohrkerzen zu beachten ist, habe ich hier zusammengefasst.
Mythen auf die Schliche kommen
Was Ohrkerzen nicht können, ihnen aber häufig nachgesagt wird: die Ohren reinigen. Betrachtet man die Funktionsweise genauer, wird klar, dass es gar nicht möglich ist, den Gehörgang mittels einer Ohrkerze zu säubern. Dieses sich hartnäckig haltende Gerücht stammt wohl daher, dass man nach dem Löschen der verbrauchten Kerze in deren Innerem Ablagerungen entdeckt, die dem Ohrenschmalz ähneln. Diese wären jedoch auch dann zu finden, wenn man die Kerze abbrennt, ohne sie auf einen Gehörgang zu setzen. Es handelt sich um Wachsrückstände, die bei der Verwendung entstehen.
Selbst mit einem Staubsauger könnte man Ohrenschmalz nicht aus dem Ohr entfernen. Bei einem gesunden Ohr ist das gar nicht nötig. Denn im äußeren Gehörgang sitzen Flimmerhärchen, die das Ohrenschmalz langsam nach außen abtransportieren. Kommt es zu Verstopfungen, etwa durch die Nutzung von Wattestäbchen oder vermehrte Schmalzproduktion (z.B. nach dem Schwimmen), dann spülen HNO-Ärzte den Gehörgang mit warmem Wasser aus.
Eine unterstützende Wirkung zur Selbstreinigung der Ohren besitzen die Kerzen indes schon: Schließlich ist der Rauch der Ohrkerze, der durch den Filter in den Gehörgang zieht, ein wenig wärmer als die Umgebungstemperatur. Da das Ohrenschmalz durch diese Wärme vermehrt nach außen transportiert wird, kann es in den Tagen nach der Behandlung dazu kommen, dass etwas davon aus dem Ohr läuft. Allerdings nur so wenig, dass die meisten es ohne Hinweis gar nicht bemerken.
Breites Anwendungsspektrum
Viel wichtiger als diese Reinigungsunterstützung wiegen die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten der Ohrkerze in der naturheilkundlichen Praxis. Zwar handelt es sich bei dieser Therapieform per Definition um eine Wärme- und Druckausgleichstherapie für den äußeren Gehörgang, den lymphatischen Rachenring sowie Teile des retikuloendothelialen Systems. Meiner Erfahrung nach wirkt sie auch tiefenentspannend und beruhigend auf Herz, Atmung und Bauchorgane. Der Patient hört nur noch das Rauschen und Knistern der Kerze, Kopf und Körper werden leer und schwer. Es entsteht eine innere Stille.
Es ist eine Pause vom Alltag, die ich – meist neben anderen Therapiebausteinen wie Akupunktur, Homöopathie usw. – zur Behandlung verschiedener Hautkrankheiten bzw. sich an der Haut widerspiegelnder Erkrankungen verordne. In diesen Fällen muss natürlich die Haut selbst behandelt werden, jedoch sollten „mitspielende“ Faktoren wie Psyche, Seelenleben und die individuelle Stresssituation nicht unterschätzt werden und Beachtung finden. Zu den Hauterkrankungen zählen:
Neurodermitis
Bei der atopischen Dermatitis ist die Schutzfunktion der Haut herabgesetzt. Ein Mangel bestimmter Eiweiße und Enzyme führt dazu, dass die Haut ihre schützende Hornschicht fehlerhaft aufbaut, sodass der Kontakt mit mechanischen, chemischen, mikrobiellen und thermischen Reizen zu Entzündungen führen kann. Häufige Symptome: Juckreiz, Rötung, Nässungen, Schuppen, Krusten, trockene Haut und Haare, DennieMorgan-Falte, Hertoghe-Zeichen, Lichenifikation, weißer Dermographismus.
Rosacea
Die „Kupferrose“ tritt meist jenseits des 40. Lebensjahrs auf und zeigt sich durch fleckenförmige, ggf. schuppende Rötungen und Schwellungen der Haut mit entzündeten Passagen in der Gesichtsmitte. Im späteren Verlauf können v.a. bei Männern auch knollenartige Nasenwucherungen entstehen. Eine konkrete Ursache ist nicht bekannt. Die Haut reagiert äußerst empfindlich auf chemische und physikalische Reize. Rein optisch betrachtet kann die Symptomatik Ähnlichkeiten zu einer Akne zeigen. Dennoch handelt es sich um verschiedene Erkrankungen.
Akne
Hinsichtlich der Ursachen spielen verschiedene Faktoren eine Rolle, etwa hormonelle Einflüsse (Pubertät, Schwangerschaft usw.) auf Grundlage genetischer Präposition oder Störung der follikulären Verhornung. Es kommt zu Verstopfungen und Verhornungen der Drüsenausgänge, die Poren verschließen sich und das Talgdrüsensekret kann nicht abfließen. Folge: aknetypische Pickel und Mitesser.
Psoriasis vulgaris
Bei der „Schuppenflechte“ handelt es sich vermutlich um eine Systemkrankheit, die auch andere Körperteile wie Gelenke, Augen, das Herz usw. angreifen kann. Zu Grunde liegt eine autoimmunogene Störung (hellhäutiger) Menschen, wobei sich die Oberhaut zu schnell erneuert und verhornt. Die Krankheit verläuft schubweise und beginnt meist im 2. oder 6. Lebensjahrzehnt. Symptome: scharf begrenzte, mit silberweißen Schuppen bedeckte, juckende Herde (v.a. an Ellenbogen, Knien, Kreuzbeingegend und behaartem Kopf), Nagel-Veränderungen (Tüpfel-, Ölfleck-, Krümel-Nägel).
Vitiligo
Bei der „Weißfleckenkrankheit“ handelt sich um die weltweit häufigste Pigmentstörung, bei der weder Geschlecht, Hauttyp noch ethnische Herkunft eine Rolle spielen. Sie erzeugt keine Schmerzen, kann aber zu einer großen psychischen Belastung für Betroffene werden. Durch Pigmentverlust kommt es zu weißen Flecken auf der Haut. Erstmalig geschieht dies meist zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr. Die Krankheit schreitet chronisch fort und kann sich im schlimmsten Fall über den gesamten Körper ausbreiten.
Urtikaria
Die als „Nesselsucht“ bezeichnete Erkrankung ist keine Dermatose; die Haut wird jedoch insofern tangiert, als dass sich darauf bzw. darin lokale und generalisierte Ekzeme aus weißen Quaddeln bilden. Auslöser sind Reize, die stimulierend auf die Mastzellen wirken, woraufhin es zur Histaminausschüttung kommt. Während aus schulmedizinischer Sicht häufig nach einem bestimmten Auslöser (Lebens-, Waschmittel usw.) gesucht wird, habe ich in meiner Praxis immer wieder festgestellt, dass auch hier Stress eine große Rolle spielt, weshalb der Einsatz einer Ohrkerze sinnvoll erscheint.
Therapiebegleitende Stressreduzierung
Nicht nur bei Haut- und hautrelevanten Erkrankungen finden Ohrkerzen in meiner Praxis Anwendung, sondern auch bei anderen, zumindest teilweise stressbedingten Leiden:
Tinnitus aurium
Betroffene nehmen Geräusche wahr, denen keine äußeren Schallquellen zugeordnet werden können. Man unterscheidet zwischen subjektivem und objektivem Tinnitus. Während sich ersterer akustisch nicht messen lässt und auf fehlgesteuerter Nervenaktivität des Gehirns beruht, liegt bei letzterem eine Schallquelle im Innenohr vor, deren akustische Emissionen im Gehörgang messbar sind. Aufgrund des permanenten Piepens im Ohr gerät der Patient mehr und mehr unter Stress, was das Leiden zusätzlich verschlimmert. Daher muss eine Therapie meiner Meinung nach genau an dieser Stelle ansetzen, um den Patienten zu entschleunigen und ihm zu ermöglichen, zumindest zeitweise aus seiner Stressspirale auszusteigen.
AD(H)S
Die Aufmerksamkeits-Defizit-Störung (ADS) ist eine v.a. unter Kindern weit verbreitete psychische Auffälligkeit, die mit deutlich reduzierter Aufmerksamkeit einhergeht. Kommen gesteigerte Impulsivität und Hyperaktivität dazu, spricht man vom Aufmerksamkeits-Defizit-HyperaktivitätsSyndrom (ADHS). Jungen sind häufiger betroffen als Mädchen. Die Symptome können bis ins Erwachsenenalter hinein fortbestehen.
Hyperthyreose
Zu den Hauptaufgaben der Schilddrüse zählt die Bildung der Hormone Thyroxin (T3) und Trijodthyronin (T4). Die Kombination T3/T4 wird auch als „Peitsche des Organismus“ bezeichnet und fördert den Kohlenhydrat-, Fett- und Eiweiß-Abbau, das Wachstum und die Skelettreife, die Gehirnentwicklung und die Reizempfindlichkeit des Herzens. Bei einer Hyperthyreose sind die Blutspiegel von T3/T4 zu hoch, was zu folgenden Symptomen führen kann: dünnes Haar, Tachykardie, warm-feuchte Haut, Wärmeintoleranz, Durchfälle, Hyperreflexie, Hypocholesterinämie, Gewichtsabnahme trotz Heißhunger, große RR-Amplitude durch hohe Systole, Osteoporose, brüchige Nägel, Schwitzneigung, subfebrile Temperatur, Nervosität, Tremor usw. Nur logisch, dass auch hier der Einsatz entschleunigender, stressreduzierender Ohrkerzen angezeigt erscheint.
Natürlich kommen noch andere stressrelevante Leiden zur Behandlung in Betracht. Ich beschränke mich jedoch auf die skizzierten, da ich hier bereits über viel positive Erfahrung mit dem Einsatz von Ohrkerzen verfüge (ich verwende in meiner Praxis Produkte von BeeHannah und Biosun). Ich empfehle meinen Patienten je nach Dauer der Therapie wöchentlich ein bis zwei Behandlungen beider Ohren.
Durchführung in der Naturheilpraxis
Vor der Anwendung sollten Sie Folgendes beachten: Der Behandlungsraum muss frei von Zugluft sein, damit die Flamme gleichmäßig und ruhig abbrennen kann. Wichtig ist, dass eine ruhige, entspannte Atmosphäre herrscht. Diese trägt zum meditativen Effekt der Behandlung bei und kann durch Entspannungsmusik, gedämpftes (Kerzen-)Licht und AromaEssenzen unterstützt werden. Der Nacken- und Schulterbereich des auf der Seite liegenden Patienten sollte mit einem Tuch abgedeckt werden, ein Gefäß mit Wasser zum Löschen der abgebrannten Kerze bereitstehen.
Angezündet wird die Kerze am unbeschrifteten Ende, woraufhin das andere Ende mit sanftem Druck und unter leicht drehender Bewegung senkrecht auf den Gehörgang aufgesetzt wird. Dass die Position stimmt, sieht man daran, dass seitlich kein weißer Rauch austritt.
Die Flamme muss während der gesamten Anwendung beachtet werden, da die Ohrkerze nicht von selbst erlischt! Erreicht sie schließlich die Abbrennmarkierung am unteren Ende, wird die Kerze abgenommen und kopfüber in das bereitgestellte Wasserglas gesteckt. Auf Auspusten sollte man verzichten, da sich so nur Funken, Asche und Rauch im Zimmer verteilen würden.
Nach der Anwendung werden alle Kondensatrückstände aus den Ohren entfernt, bevor der Patient eine Nachruhe von 15-30 Minuten einhält.
Bitte beachten: Auch für Ohrkerzen-Behandlungen gelten Kontraindikationen. Bei perforiertem Trommelfell sowie eitrigen entzündlichen Prozessen oder Pilzinfektionen im äußeren Gehörgang dürfen sie nicht angewendet werden.
Kerzenarten und -qualitäten
Ohrkerzen werden traditionell in Handarbeit gefertigt. Jede einzelne wird gewickelt und das Trägermaterial mit verschiedenen Wachskomponenten getränkt. Um zu verhindern, dass Wachs ins Ohr tropft, werden hochwertige Ohrkerzen mit einem Sicherheitsfilter an dem Ende versehen, das sich im Ohr befindet. Aufgrund dieser aufwändigen Herstellung stammen viele Kerzen aus Ländern, wo die Produktionsbedingungen günstiger sind als in Europa. Kerzen aus Deutschland oder anderen europäischen Staaten sind etwas teurer, bieten aber den Vorteil, dass sie unter fairen Bedingungen hergestellt wurden und die verwendeten Materialien sowohl von besserer Qualität sind als auch strengeren Kontrollen unterliegen. Zudem ist der Weg von der Produktion bis zur Lieferung deutlich kürzer, was den ökologischen Fußabdruck schont. Auch eine regelmäßige Prüfung durch unabhängige Institute sowie belastbares Qualitätsmanagement zeichnen gute Ohrkerzen aus.
Neben unterschiedlichen Qualitäten gibt es auch verschiedene Arten von Ohrkerzen, die sich in Brenndauer, Länge, Form, Wirkungsart, Aroma und – daraus resultierend – auch im Preis-Leistungs-Verhältnis unterscheiden. Die Brenndauer variiert je nach Länge zwischen etwa 8 und 12 Minuten. Neben der ursprünglichen zylindrischen Form gibt es auch konische Ohrkerzen. In qualitativ hochwertigen Produkten sind häufig ätherische Öle enthalten, die aromatherapeutische Effekte entfalten, wenn deren Qualität stimmt. Reine ätherische Öle können die konzentrierte Kraft der Pflanzen, denen sie entzogen wurden, weitergeben.
In der Praxis erkennt man hochwertige Ohrkerzen daran, dass die Flamme besonders ruhig brennt und sie einen angenehmen Duft verströmen. Außerdem finden bei der Produktion ausschließlich pestizidfreie Rohstoffe wie Baumwolle, Bienenwachs und ätherische Öle Verwendung. Neben dem Sicherheitsfilter verfügen sie über eine Abbrennmarkierung sowie eine hygienische Verpackung.
Fazit
Der Einsatz von Ohrkerzen bietet sich bei nahezu allen Beschwerden an, bei denen Stress eine große Rolle spielt oder bei denen Stressreduzierung eine verbesserte Symptomatik erwarten lässt. (Vorausgesetzt, es liegt keine Kontraindikation vor.) Entsprechende Behandlungen lassen sich sehr gut mit anderen Therapiebausteinen kombinieren. Unabdingbare Voraussetzungen dafür sind jedoch, dass sich der Therapeut vor der ersten Anwendung eingehend mit der Materie befasst und seine Praxis die erforderlichen Bedingungen erfüllt. Werden Patienten im 10-Minuten-Takt behandelt, kommt der Einsatz nicht in Betracht, weshalb sich die Anwendung insbesondere in klassischen Heilpraktikerpraxen empfiehlt.
Johannes W. Steinbach
Heilpraktiker, Medizin- journalist, Fachbuchautor, Lebensmitteltechniker
naturheilpraxis-steinbach@gmx.de
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