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aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 3/2021

Die Vitamin-D-Ratio

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Aussagekräftiger Parameter zur besseren Beurteilung des Vitamin-D-Stoffwechsels

Das Thema Vitamin D hat in den letzten Jahren enorm an Bedeutung und Aufmerksamkeit gewonnen. Kein anderer Mikronährstoff kann einen derart steilen Anstieg in puncto Forschungsaktivität und Medienpräsenz verzeichnen wie dieser. Im Rahmen der damit einhergehenden Flut an Daten hat in der medizinischen Gemeinde ein Umdenken stattgefunden, was den Umgang mit Vitamin D betrifft. Dies zeigt sich auch an der deutlichen Anhebung der Referenzwerte sowohl bezüglich des als gesund erachteten Blutspiegels als auch bezüglich der empfohlenen täglichen Aufnahme. So begründet z.B. die EFSA in einem 145 Seiten umfassenden Dokument die Erhöhung der Werte um bis zu 100%. Lag der als normal angesehene Blutspiegel für 25(OH) D (Summe der Calcidiole) lange Zeit bei 20- 30 nmol/l, werden nun Serumwerte von >50 nmol/l als Ziel ausgegeben. Die Obergrenze reicht dabei bis 120 nmol/l.

Geschätzte 60% der Bevölkerung befinden sich damit in einem Status der mehr oder weniger ausgeprägten Unterversorgung. Dabei hat die Anhebung der Obergrenze des Vitamin-D-Spiegels teils groteske Züge angenommen, mit der Tendenz zu „mehr ist besser“. Dies betrifft v.a. das 1,25(OH)2 (Summe der Calcitriole).

Vitamin D und das Immunsystem

Lange Zeit galt der Knochenstoffwechsel und somit der Calcium-Phosphat-Haushalt als einzige wesentliche Domäne des Vitamin D. Diese Perspektive hat sich im Zuge der Erkenntnisse aus der Sequenzierung des menschlichen Genoms radikal verändert.

Als fettlösliches Steroidhormon wirkt Vitamin D in seiner aktiven Form als Transkriptionsfaktor und reguliert so über 1000 Gene der nukleären sowie zahlreiche Gene der mitochondrialen DNA. Insofern überrascht es nicht, ein deutlich breiter gefächertes Aufgabengebiet vorzufinden als traditionell angenommen.

Jenseits der klassischen Wirkungsweise auf das Knochengewebe ist v.a. der Einfluss von Vitamin D auf das Immunsystem in den Fokus des Interesses gerückt. Dieser ist differenziert, komplex und kontextabhängig. Für eine detaillierte Betrachtung der zahlreichen Effekte und ihrer Wechselwirkungen untereinander steht inzwischen eine Fülle an Literatur zur Verfügung. Es gilt nach wie vor, dass eine ausreichende Versorgung mit Vitamin D vor Infektionen schützt 1) und umgekehrt ein Mangel das Risiko für Infektionen erhöht. Allerdings ist auch zu beachten, dass Vitamin D unter bestimmten Bedingungen auch Entzündungen Vorschub leisten und das Immunsystem hemmen kann.2)

Im Folgenden einige Einzelaspekte der Wirkung von Vitamin D auf das Immunsystem:

Vitamin D und die unspezifische Abwehr

Im Fall einer Infektion sind Makrophagen zusammen mit neutrophilen Granulozyten wesentliche Träger der primären Immunantwort. Ihre Aufgabe besteht neben der reinen Erregerabwehr durch Phagozytose in der Vernetzung der unspezifischen mit der spezifischen Abwehr mittels Antigenprozessierung und -präsentation.

Die infizierten Zellen und weitere aktivierte Immunzellen sind in der Lage, antimikrobielle Peptide (AMP) freizusetzen. Diese sind gerade in der frühen Phase einer Infektion von entscheidender Bedeutung, um eine exponentielle Vermehrung des Erregers zu unterbinden, Immunkomponenten zu rekrutieren und im weiteren Verlauf die Antigengewinnung zu unterstützen. AMP wirken dabei sowohl gegen Bakterien als auch Viren. Dies ist sicherlich ein Teil der Erklärung, warum insuffiziente Vitamin-D-Spiegel negativ mit dem allgemeinen Infektionsrisiko korrelieren.

Vitamin D und die spezifische Abwehr

Vitamin D erhöht die Toleranz des spezifischen Immunsystems, d.h. dessen Reaktionsbereitschaft wird gesenkt. Neben der direkt hemmenden Wirkung auf die T-Helferzellen und die dendritischen Zellen umfasst dies auch die Stimulation der regulatorischen T-Zellen (T-Suppressor-Zellen). Während diese Wirkungen in der Behandlung von Autoimmunerkrankungen erwünscht und hilfreich sind (klassisch z.B. Vitamin-D-Hochdosis bei Multipler Sklerose), gilt für akute Infektionen das Gegenteil.

Der Vitamin-D-Stoffwechsel

Nur die differenzierte Betrachtung des Vitamin-D-Stoffwechsels erlaubt eine sichere Entscheidungsfindung bezüglich einer Substitution. Hierzu zählen u.a. Analyse und Regulation der folgenden Aspekte:

  • entraler Vitamin-D-Stoffwechsel
  • peripherer Vitamin-D-Stoffwechsel
  • Vitamin-D-Rezeptor (VDR)
  • Vitamin-D-Ratio
  • genomische und nicht-genomische Wirkungsweisen des Vitamin D

Der zentrale Vitamin-D-Stoffwechsel
dient der Calcium-Homöostase und wird wesentlich durch das Parathormon gesteuert. Die Physiologie ist dabei zunächst bestechend einfach:

Bei Abfall des Serumcalciums wird Parathormon freigesetzt, das die Umwandlung von Calcidiol (25(OH)D) – sei es aus Nahrung, sei es aus der Synthese in Haut und Leber – zum aktiven Calcitriol (1,25(OH)2) in der Niere fördert. Dieses erhöht dann die Calcium-Aufnahme im Darm, das Serumcalcium steigt, der Regelkreis flacht wieder ab. Überschüssiges Calcium, das im Rahmen dieses Prozesses anfällt, wird im Knochen gespeichert.

Damit ist der Knochenaufbau bzw. eine knochenprotektive Wirkung nur eine mögliche Folge der Vitamin-D-Aktivierung und keine zwingende. Sie tritt nur ein, wenn im Rahmen der Regelkreisaktivierung ein Calciumüberschuss erzielt wird. Gelingt dies nicht, würde sogar eine Osteolyse erfolgen, um das Serum-Calcium zu stabilisieren.

Der periphere Vitamin-D-Stoffwechsel
Parallel existiert allerdings ein peripherer Vitamin-D-Stoffwechsel, der sich nach den spezifischen Bedürfnissen der einzelnen Zellen vor Ort und nicht nach systemischen Regelgrößen richtet. Verschiedene lokale Faktoren entscheiden über das Verhältnis von Vitamin-D-aktivierenden und -abbauenden Enzymen und damit über die Spiegel der unterschiedlichen Vitamin-D-Metabolite. Diese befinden sich v.a. in den Mitochondrien, womit diesen Zellorganellen eine enorme Bedeutung im Vitamin-D-Stoffwechsel zukommt.

Mitochondriopathien (Schädigung der Mitochondrien) finden sich häufig bei chronisch-entzündlichen Erkrankungen, anhaltendem oxidativem Stress und toxischen Belastungen. Sie können zu erheblichen Störungen des Vitamin-D-Stoffwechsels führen. Davon unabhängig fördern v.a. Infektionen und Entzündungsbotenstoffe (Zytokine) die Bildung von aktivem Vitamin D (Calcitriole). Als Faustregel kann gelten: Je entzündlicher das Milieu, desto ausgeprägter die Konversion von Calcidiolen (25 OH) zu Calcitriolen (1,25 OH).

Die Substitution von speziellen sekundären Pflanzenstoffen (Polyphenolen) mit antibakterieller und antiviraler Wirkung erweist sich in diesem Kontext häufig als sehr hilfreich.

Gebundenes und ungebundenes Vitamin D

Vitamin D als fettlösliches Molekül liegt im Körper v.a. proteingebunden vor. Für den Transport in der Blutbahn stehen Bluteiweiße zur Verfügung: das Vitamin-D-bindende-Protein (VDBP) als spezifischer Carrier und, in deutlich geringerem Maß, Albumin als unspezifischer Carrier.

Die Routine-Messung von Vitamin D unterscheidet nicht zwischen gebundenem und ungebundenem Vitamin D. Dies ist allerdings von nicht unerheblicher Bedeutung bezüglich der Frage, welche Effekte in der Zielzelle ausgelöst werden: In gebundener Form stehen v.a. intrazelluläre, genregulierende Effekte im Vordergrund, Zielstruktur ist der Vitamin-D-Rezeptor (VDR). Ungebunden wird vermehrt der außen auf der Zellmembran sitzende MARRS aktiviert, was die Bildung von proentzündlichen Signalen und Radikalen fördert.

Bemerkenswert ist, dass zwar die Spiegel der Bindeproteine diejenigen der zirkulierenden Vitamin-D-Metabolite regulieren, diese jedoch umgekehrt keinen Einfluss auf die Bildung der Bindeproteine haben. Wird hochdosiert Vitamin D zugeführt oder kommt es zur vermehrten Bildung von Calcitriolen, kann hieraus vermehrt freies Vitamin D entstehen, dessen Wirkung sich fundamental vom gebundenen unterscheidet und diametral zu gängigen Vorstellungen über Vitamin D ist.

Die sinnvollste Möglichkeit, diese Situation labortechnisch abzubilden, ist die Messung der Vitamin-D-Ratio, am besten in Verbindung mit einem Zytokinprofil. Letzteres, weil Entzündungen sowohl Ursache als auch Folge eines dysfunktionalen Vitamin-D-Stoffwechsels sein können.

Die Vitamin-D-Rezeptor-Blockade

Konkret geht es bei diesem Phänomen nicht um die physische Blockade dieses Rezeptors, sondern um einen Mangel desselben aufgrund einer unzureichenden Expression. Was also tatsächlich blockiert ist, ist der Vitamin-D-Rezeptor-(VDR)-Signalweg. Häufige Ursachen sind chronische intrazelluläre Infektionen, nitrosativer Stress, Mineralstoffmangel und Quecksilberbelastungen. Der Körper reagiert mit der vermehrten Bildung von Calcitriolen, was die Lage verschlimmert, da nun die proentzündliche Wirkung des Vitamin D einsetzt.

Die Vitamin-D-Ratio

Der Mangel an Vitamin D ist offensichtlich ein Problem, die Vitamin-D-Gabe jedoch nicht zwingend eine Lösung. Wegweisend war die Beobachtung, dass sich bei Patienten mit chronisch-entzündlichen und autoimmunen Erkrankungen nicht nur die zu erwartenden niedrigen Calcidiol-(25(OH) D)-Werte fanden, sondern gleichzeitig erhöhte Calcitriol-(1,25(OH)2)-Werte. Wissenschaftler konnten zeigen, dass erhöhtes Calcitriol wesentlich prävalenter war als vermindertes Calcidiol und darüber hinaus sehr stark mit klassischen Entzündungsmarkern wie CK und CRP korreliert.3)

Vereinfacht gesagt: Je mehr Calcitriole sich messen ließen, desto entzündeter war der Patient.

Zusätzlich zur etablierten Bestimmung des Calcidiol-Spiegels (25(OH)D) muss also Calcitriol (1,25(OH)2D) geprüft und beide in ein Verhältnis zueinander gesetzt werden. Nur so lässt sich die überschießende und letztlich immunkompromittierende sowie proinflammatorische Bildung von 1,25(OH)2 identifizieren. Der Quotient aus 1,25(OH)2 und 25(OH)D = Calcitriol/Calcidiol sollte optimalerweise <1 sein. Jede Erhöhung der Ratio (des Verhältnisses) über diesen Wert korreliert positiv mit den genannten Problemen und kann eine Vitamin-D-Rezeptor-(VDR)-Blockade anzeigen. Dabei liegen v.a. die Grenzwerte für 1,25(OH)2 deutlich zu hoch, da dieses bereits ab 110pmol/l (45pg) mit Entzündungsmarken wie CK und CRP korrelieren.

Das BODI-Protokoll

Bei Patienten mit erhöhter Vitamin-D-Ratio, speziell bei Vorliegen chronisch-entzündlicher Erkrankungen, muss die Funktion des Vitamin-D-Rezeptors (VDR) wiederhergestellt werden.

Aus der Beobachtung, dass die Gabe von Vitamin-D-Bindeprotein (VDBP) speziell bei Patienten mit entzündlichen Erkrankungen und Chronic Fatigue Syndrom (CFS) eine deutliche Verbesserung nicht nur der Laborparameter, sondern auch der klinischen Situation mit sich bringt, entwickelte der Münchener Arzt Christian Burghardt ein Protokoll zur umfassenden Versorgung der Vitamin-D-Rezeptor-Blockade. Nach der von ihm geleiteten Einrichtung benannt, versucht das BODI-Protokoll, möglichst viele der in Frage kommenden Faktoren zu berücksichtigen.

Die Hauptkomponente ist dabei das VDBP. Seine Aufgaben sind die Bindung von freiem Calcitriol (1,25(OH)2) sowie die verstärkte Produktion des Vitamin-D-Rezeptors (VDR).

Als zweite Komponente deckt ein Mineralstoffmix aus Calcium, Magnesium und Bor die systemische Regulation über das Parathormon ab: Durch das Calciumangebot wird eine anhaltende Parathormon-Aktivität verhindert, die Konversion von 25(OH)D zu 1,25(OH)2 nimmt ab.

Zusätzlich kommen die fettlöslichen Vitamine A, D, E und K zum Einsatz. Vitamin A (in bereits bioverfügbarer Form) gewährleistet die Sättigung des Co-Rezeptors RXR, ohne den Vitamin D nicht genregulierend wirken kann. Vitamin E wirkt oxidativem und nitrosativem Stress entgegen und Vitamin K2 unterstützt die Calcium-Homöostase. Vitamin D wird dabei sehr niedrig gehalten (<2.000IU/d), um eine eventuell noch bestehende vermehrte Vitamin-D-Konversion nicht zu befördern.

Schließlich umfasst das Protokoll den Einsatz einer phytotherapeutischen Komplexmischung mit bakteriostatischen und virusstatischen Eigenschaften. Dies ist wichtig, um häufig unbemerkte, chronische intrazelluläre Infektionen abzudecken, die ursächlich für die Rezeptorblockade sein können.

Fazit

Eine zwingende Erkenntnis aus dieser Betrachtung des Vitamin-D-Stoffwechsels muss sein, zusätzlich zu 25(OH)D die Vitamin-D-Ratio zu bestimmen und die Grenzwerte enger zu fassen (1,25(OH)2 <110nmol/l). Liegt Calcitriol erhöht vor, während Calcium gleichzeitig normal oder niedrig ist, kann dies nur durch eine Vitamin-D-Rezeptor-Blockade erklärt werden. Diese einfachen Messungen zeigen zuverlässig potenzielle Probleme im Sinne einer Vitamin-D-Rezeptor-Blockade an, nicht aber deren Ursache. Um hier Informationsgewinn zu erzielen, sind weitere Untersuchungen erforderlich, z.B. Zytokinstatus, Nitrostressprofile oder die Prüfung auf LPS und intestinale Permeabilitätsmarker.

Literatur
1)Marineau, Adrian R et al.: Vitamin D Supplementation to Prevent Acute Respiratory Tract Infections: Systematic Review and Meta-Analysis of Individual Participant Data. BMJ 356 (2017).
2)Lemire, Jacques M et al.: Immunosuppressive Actions of 1, 25-Dihydroxyvitamin D3: Preferential Inhibition of Th1 Functions. The Journal of nutrition 125, no. Suppl_6 (1995).
3)Blaney GP, Albert PJ, Proal AD: Vitamin D Metabolites as Clinical Markers in Autoimmune and Chronic Disease. Ann NY Acad Sci; 1173 (2009).

Florian SchillingFlorian Schilling
Heilpraktiker

florian.schilling@dgname.de

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