aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 5/2023
Chiropraktik
Erweiterung durch die Dorn-Psychosomatik
Beschwerden des Bewegungsapparats, v.a. als Folge von Belastungen der Wirbelsäule, haben sich inzwischen zu einem gängigen Themenfeld für Heilpraktiker entwickelt. Neben einer Vielzahl manueller Methoden bietet die Chiropraktik eine ganzheitliche Perspektive, die es ermöglicht, auch psychische Verknüpfungen mit bestimmten Wirbelabschnitten aufzudecken und zu behandeln. Auf diese Weise wird eine Blockade nicht nur körperlich gelöst, der Patient kann auch für die Auswirkungen verschiedener Belastungsfaktoren sensibilisiert werden. Lassen Sie uns eintauchen in die faszinierende Methodik der Chiropraktik samt Einbeziehung psychosomatischer Zugänge.
Ursprung
Die Chiropraktik ist eine sehr alte Form der manuellen Behandlung des Bewegungsapparats. Bereits in der Antike (Hippokrates, Galenos) wurden Praktiken geschildert, bei denen mit bloßen Händen therapeutische Effekte bewirkt wurden. Gründer der heutigen Chiropraktik war Daniel David Palmer (1845-1913). Er verstand es, durch manuelle Hebelwirkung auf die Dorn- und Querfortsätze der verschobenen Wirbelkörper Blockaden in der Wirbelsäule zu beheben und dabei Symptomatiken positiv zu beeinflussen.
Der Begriff Chiropraktik setzt sich aus den griechischen Wörtern „cheir“ (Hand) und „praxis“ (Tat, Handlung) zusammen. Dies beschreibt genau, was Heilpraktiker und Ärzte tun, die sich in diesem Bereich weitergebildet haben.
Mit Hilfe spezieller Handgriffe versuchen sie, Gelenkblockaden, die meist mit Muskelverspannungen und Schmerzen einhergehen, zu beseitigen. Dies kann an jedem Gelenk des Körpers erfolgen. Besonderes Augenmerk erfährt die Wirbelsäule mit ihren einzelnen, durch Bandscheiben voneinander getrennten Wirbelkörpern. Ein Ziel ist die Mobilisierung und Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit des Bewegungsapparats durch Repositionierung der verschobenen Wirbel. Die exakte Durchführung der Therapie mit dem Erfolg der Beseitigung von Wirbelfehlstellungen bietet jedoch weit mehr Therapiemöglichkeiten als das bloße Wiederherstellen der Mobilität des Bewegungsapparats.
Stressoren als Auslöser
Fehlstellungen von Gelenken können durch verschiedene Faktoren entstehen. Es handelt sich meist um ein Zusammenspiel vieler Einzelkomponenten. Die wichtigsten sind körperliche Beeinträchtigungen, Folgen von Toxineinwirkung und emotionaler Stress.
Stress auf der Körperebene kann ausgelöst werden durch Traumata des Bewegungsapparats (Unfälle, Stürze, Operationen), Haltungsschäden durch Bewegungsmangel, schlechte Schlafqualität oder -komfort, Adipositas u.v.m. Toxischer Stress kann seinen Ursprung in der Einnahme von Medikamenten, Rauchen, schlechter Ernährung, Alkohol, Hormonen oder Schadstoffen haben. Ebenfalls können intensive Gefühlsbelastungen zu starkem Stress im Gesamtsystem Mensch führen, ist doch die Psyche untrennbar mit der Physis verbunden. Emotionaler Stress entsteht durch problematische Beziehungen, familiäre Probleme, einen hektischen Alltag, Trauer, berufliche Sorgen oder Mobbing.
Treten nun in bestimmten Phasen unseres Lebens ein oder mehrere belastende Stressoren auf, kann es meist durch muskuläre Verspannungen zu Fehlstellungen von Wirbeln kommen. Dies hat in der Folge direkten Einfluss auf unser Wohlbefinden und äußert sich nicht selten in Form teils starker Schmerzen und einer Schonhaltung des Patienten, die die muskuläre Problematik verschlimmern kann. Hier kann eine chiropraktische Behandlung sehr entlastend sein.
Stellglied zwischen Nerven- und Organsystem
Die Wirbelsäule lässt sich in 5 wesentliche Bereiche unterteilen: Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule, Kreuz- und Steißbein. Über die Zwischenwirbellöcher der einzelnen Wirbelkörper (Foramina intervertebralia) ist der Bewegungsapparat eng mit unserem Nervensystem verbunden. Hier treten die Rückenmarksnerven aus und versorgen die Organsysteme segmentartig mit Informationen aus dem Gehirn. Umgekehrt findet ebenso ein Informationsfluss vom versorgten Organ über die Spinalnerven an das Gehirn statt. Somit besteht ein beständiger nervaler Austausch zwischen Gehirn und Organsystemen, die den Körper im Idealfall störungsfrei funktionieren lassen. Die Wirbelsäule fungiert somit als Stellglied zwischen Nervensystem und den einzelnen Organsystemen.
Indikationen
Kommt es zu Wirbelfehlstellungen, können Irritationen oder Störungen des Nervensystems bis hin zu Nervenblockaden entstehen. Die Funktionsfähigkeit des Organismus ist herabgesetzt, und es kann abhängig vom gestörten Bereich zu unterschiedlichen Symptomen kommen. Probleme auf Höhe der Halswirbelsäule können sich in Form von Schwindel, Kopfschmerzen, Augenleiden oder Ohrenproblematiken zeigen. Brustwirbelblockaden äußern sich womöglich durch Schulterschmerzen, Herzbeschwerden, Atemprobleme oder Magenleiden. Störungen im Bereich der Lendenwirbelsäule bzw. des Kreuz- und Steißbeins können zu Ischialgie, Durchblutungsstörungen oder Missempfindungen der gesamten unteren Extremitäten führen.
Die Vielzahl der aufgeführten möglichen Symptome lässt die Bedeutung der Chiropraktik als Therapieform erkennen, da durch die schmerzfreie Repositionierung von subluxierten Wirbeln direkt Einfluss sowohl auf Bewegungsapparat, Nervensystem und die Organsysteme genommen werden kann.
Vorspannung und Thrust
Die Repositionierung von Wirbelkörpern in der Chiropraktik kann auf verschiedene Weise erfolgen. Therapeuten können individuelle Sets an manuellen Griffen finden, die sich für sie bewähren und je nach Blockade zum Einsatz kommen. Diese können am liegenden, stehenden oder sitzenden Patienten angewendet werden. In meiner Praxis ist es mir wichtig, dass ein subluxiertes Gelenk bis an seine physikalische Bewegungsgrenze gebracht wird, was auch „Vorspannung“ genannt wird. Nach Erreichen der Vorspannung kommt es durch einen wohldosierten „Thrust“, also einen über die Grenze hinausgehenden Impuls, zur Repositionierung des betroffenen Wirbelkörpers. Beispielhaft die Behandlung einer Brustwirbelsäulenblockade:
Zu Beginn erfolgt die Diagnose der Subluxation des Brustwirbelkörpers, seine Ausrichtung und Ausprägung betreffend. Dieser Punkt ist für den Patienten meist druckschmerzhaft. Anschließend wird eine Hand des Therapeuten zur Faust gebildet und der auf dem Rücken liegende Patient leicht zur Seite gedreht. Die Faust, die auf den subluxierten Wirbelkörper gebracht wird, sollte so ausgerichtet sein, dass der Spalt zwischen Daumen und Fingern Platz für den Dornfortsatz des Wirbels bietet. So ist die Ausgangsposition für Patient und Therapeut schmerzfrei. Der Patient wird wieder langsam auf den Rücken gelegt, die Faust des Behandlers verbleibt auf dem Wirbel. Nachfolgend bringt der Patient seine Hände über Kreuz auf die Schulterdächer. Diese verbleiben während der Behandlung dort. Über die Ellenbogen des Patienten kann nun durch langsames Bewegen derselben der Vektor für die Vorspannung eingestellt werden, der maximalen Druck auf die dorsal befindliche Faust ausübt. Ist dieser gefunden, atmet der Patient tief ein. Bei der Ausatmung folgt der Behandler der Bewegung des Ausatmens mit seinem Körpergewicht, der Druck auf seine Faust nimmt stetig zu. Bei maximaler Exspiration erfolgt dann der entsprechende Thrust bei maximaler Vorspannung zur Repositionierung des Wirbelkörpers. Entsprechend kann dies für jeden Bereich der Brustwirbelsäule angewendet werden.
Kontraindikationen
Bei akuten Erkrankungen des Bewegungsapparats, z.B. akuten Bandscheibenvorfällen, hochgradiger Osteoporose mit instabilen Wirbelstrukturen oder Wirbelfrakturen, ist von einer chiropraktischen Behandlung abzusehen.
Zielsetzungen
Die Therapieform Chiropraktik, so wie ich sie anwende, hat 3 Ziele. Zwei davon beziehen sich auf die körperlichen Funktionen und sollen Bewegungsapparat und Nervensystem wieder zu der Einheit werden lassen, die sie vor der Dysfunktion waren.
Durch Repositionierung der verschobenen Wirbelkörper soll die verlorengegangene Mobilität des Bewegungsapparats wiederhergestellt werden.
Das gestörte Nervensystem soll entlastet werden, damit durch das Beheben der Wirbelfehlstellung ein störungsfreier Informationsfluss im blockierten Segment wieder möglich wird, sowohl vom Gehirn zum Organsystem als auch umgekehrt.
Das dritte Ziel bezieht die Wechselwirkung zwischen Psyche und Physis in das Behandlungskonzept der augenscheinlich rein körperlich anmutenden Therapie mit ein:
Gemäß Wirbeltherapie nach Dorn besitzt ein Wirbelsegment sowohl eine physische Aufgabe wie auch eine psychische. Gerade in Bezug auf emotionalen Stress blockieren bestimmte Wirbelsegmente auch bei affektiven, also die Gefühlswelt des Menschen betreffenden Störungen. Je nach akuter emotionaler Belastung kommt es ebenfalls zu muskulären Verspannungen in bestimmten Bereichen der Wirbelsäule, was zu Blockaden verschiedener Wirbelkörper führt. Abhängig vom aktuellen emotionalen Belastungsthema des Patienten kommt es an den von Dorn beschriebenen Segmenten der Wirbelsäule zu Irritationen.
Verbindung von Psyche und Physis
Durch die manuellen Grifftechniken ist der Chiropraktiker in der Lage, den betroffenen Wirbel zu repositionieren. Er therapiert jedoch nicht nur rein physisch, sondern auch psychosomatisch: Der Patient darf verstehen, warum er gerade in einem bestimmten Bereich der Wirbelsäule akut Schmerzen oder Druck empfindet. Er wird in die Lage versetzt, die Auswirkungen seiner momentanen Stresssituation zu erfassen, anzunehmen und die Wirbelblockade als Ventil dieser Stressenergie anzusehen. Hierdurch tritt bei einer Vielzahl der Patienten ein Aha-Effekt ein, da die Ursache der Blockade ersichtlich wird und er nunmehr in der Lage ist, aktiv an der emotionalen Stressproblematik zu arbeiten. An dieser Stelle können sich weitere Therapieformen (z.B. Homöopathie, Bach-Blütentherapie, Entspannungstechniken) anschließen, um den Patienten in seiner Situation zu unterstützen. Speziell das ausführliche Gespräch über die momentane Lebenssituation des Patienten sollte immer in das Behandlungskonzept integriert werden. Somit kann die Chiropraktik als reine Manualtherapie um den Bereich der Psychosomatik sinnvoll erweitert werden.
Fallstudie
Das folgende Beispiel aus meiner Praxis veranschaulicht das Beschriebene: Eine 27-jährige Frau klagt über Herzrhythmusstörungen und Herzklopfen sowie zeitweilige Enge in der Brust mit teils flacher Atmung seit 2 Wochen. Ebenfalls werden Schmerzen in der Mitte des Rückens und in der Magenregion angegeben. Untersuchungen beim Hausarzt und Kardiologen bleiben ohne Befund. Allerdings wird ihr der Besuch bei einem Chiropraktiker nahegelegt.
Untersuchung und Diagnostik
Der chiropraktische Befund zeigt Wirbelsubluxationen von Th2 bis Th7 und in Th10. Die physische Zuordnung der einzelnen Wirbel zu den Organsystemen ergibt folgendes Bild:
Th2 Herz
Th3 Lungen
Th4 Gallenblase
Th5 Leber
Th6 Magen
Th7 Pankreas
Th10 Nieren
Die Zuordnung der Wirbel bezüglich ihrer Affektivität ergibt folgenden Befund:
Th2 Verschließen des Herzbereichs
Th3 Rückzug
Th4 Unterdrückung der inneren Wut
Th5 Gefühle der Traurigkeit
Th6 Quälende Gedanken, Sorgen
Th7 Sammeln von Schmerzen
Th10 Probleme in der Partnerschaft
Vor der rein manuellen chiropraktischen Repositionierung der betroffenen Wirbel wird das Gespräch auf die möglichen partnerschaftlichen Probleme gelenkt. Die Patientin gibt unter Weinen an, dass sie die momentane Beziehung zu ihrem Partner stark infrage stellt. Seit einem sehr intensiven Streit 2 Wochen zuvor sind die beschriebenen Symptome gehäuft aufgetreten. Eine mögliche Trennung verursacht jedoch starke Angst. Allein die Gedanken daran und eine ungewisse Zukunft ohne Partner rauben ihr nachts den Schlaf.
Die Vorgehensweise entspricht dem beschriebenen Schema: Die Patientin liegt mit über Kreuz auf den Schulterdächern ruhenden Armen auf dem Rücken. Ich drehe sie in eine leichte Seitlage und platziere meine rechte Hand, die zur Faust geformt wird, auf den betroffenen Wirbelkörper. Nun wird die Patientin auf die Faust in Rückenlage zurückgelegt. Die Vorspannung wird durch Druck auf die gekreuzten Arme der Patientin mit Hilfe meines Oberkörpers sukzessive hergestellt, sodass der Kraftaufwand auf der dorsal befindlichen Faust zunehmend spürbar wird. Mit der nächsten Ausatmung wird die Vorspannung bis zum Maximum aufgebaut. Sobald diese erreicht wird, kommt es mit dem Thrust zur Lösung der Subluxation. Das Vorgehen wiederhole ich an allen blockierten Brustwirbelkörpern.
Erkenntnisgewinn
Sofort im Anschluss an die chiropraktische Behandlung zeigt sich bei der Patientin eine enorme physische wie auch psychische Entlastung. Sie habe schon länger den Verdacht gehabt, dass Schmerzen und Herzbeschwerden mit ihrer problematischen Partnerschaft zu tun haben könnten. Obwohl das starke Gefühl der Angst weiterhin vorherrschen würde, könne sie nun die Ursache ihrer Beschwerden verstehen und nehme sich in naher Zukunft vor, an der Problematik zu arbeiten und ein klärendes Gespräch mit ihrem Partner zu führen. Die Bestätigung ihres Verdachts lässt sie nun klarer und lösungsorientierter denken.
Ausblick
Bei Wiedervorstellung 3 Wochen später sind nur noch vereinzelte Wirbelsubluxationen feststellbar. Die Patientin gibt an, sich nach einem Gespräch mit ihrem Partner von diesem getrennt zu haben. Überraschenderweise sei dieser Schritt nicht mit Angst verbunden gewesen, sondern mit einem starken Gefühl der Befreiung. Sie blicke nun gelöster und zuversichtlicher in die Zukunft. Die Begleitbeschwerden in den angegebenen Organsystemen Herz, Respirationstrakt und Magen seien nicht mehr aufgetreten. Eine Wiedervorstellung der Patientin ist nicht mehr notwendig.
Fazit
Die Chiropraktik ist eine sehr effektive Möglichkeit, dem durch akute Wirbelfehlstellungen schmerzgeplagten Patienten anhand schonender Repositionierung der Wirbelkörper zu helfen. Schnelle Schmerzbefreiung und das Aufgeben der entsprechenden Schonhaltung sowie ein häufig nach der Behandlung angegebenes Gefühl der Erleichterung sind lohnende Bestätigungen für den Therapeuten.
Die wünschenswerte Einbeziehung der Psychosomatik in den Bereich der Chiropraktik bietet noch weit mehr Möglichkeiten für die therapeutische Arbeit. So kann durch das Miteinbeziehen aktueller Stressproblematiken des Patienten eine ganzheitliche Perspektive eingenommen werden. Ziel ist die Ursachenforschung in Bezug auf die aufgetretenen Beschwerdebilder. Erst das Bewusstwerden der Ursache der Störungen lässt den Patienten erkennen und verinnerlichen, wodurch er in die Lage versetzt wird, lösungsorientiert denken zu können und aktiv an seiner Problematik zu arbeiten, wenn er dies wünscht, auch mit der an die chiropraktischen Zugänge anschließende, individuelle Therapie des Behandlers. Gerade im Hinblick auf immer wiederkehrende Wirbelsubluxationen in bestimmten Segmenten bietet sich dem Chiropraktiker somit eine neue, über die rein manuelle Therapie hinausreichende Möglichkeit der Behandlung.
Dipl.-Ing. Carsten Rochnia
Betriebswirt, Heilpraktiker in eigener Praxis mit Schwerpunkten Psychosomatik, Chiropraktik, Injektions-, Infusions- und Neuraltherapie, Dozent an den Paracelsus Gesundheitsakademien
hp-praxis-rochnia@gmx.de
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