aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 5/1997
Das Tier spiegelt die Seele des Menschen
Avana B. Ebertz
Es war ein arbeitsreicher, hektischer Tag, und nicht alles, was ich mir für heute vorgenommen hatte, ist mir geglückt. Anne-Catherine, meine kleine Tochter, ist krank geworden und brauchte mehr Aufmerksamkeit als sonst. Den ganzen Tag habe ich mich schon aufs Reiten gefreut. Jetzt warte ich auf meinen Mann, der mich zu Hause “ablösen” soll. Er kommt schon wieder mal zu spät und ich fühle, wie aus meiner Ungeduld langsam Wut und Enttäuschung wächst. Endlich ist er da und im Handumdrehen haben wir den schönsten Krach. ,,Einer muß ja schließlich das Geld verdienen, was Du für Deine Pferde ausgibst”, wirft er mir an den Kopf.”Was denkst Du eigentlich, was ich hier den ganzen Tag mache, brülle ich ihn an. Ich bin auf hundertachtzig, schnappe mein Reitzeug und knalle beim Verlassen der Wohnung mit wütendem Genuß die Haustüre zu.
Im Auto auf dem Weg zum Reitstall. Berufsverkehr und es regnet auch noch. Die Reithalle habe ich heute nur von 18.30 bis 19.30. Seit einer Viertelstunde wollte ich bereits dort sein und mit “Lady”, meiner Stute, üben.
Endlich im Stall angekommen. “Bleiben noch 35 Minuten”, schießt es mir durch den Kopf während ich “Lady” mit Striegel und Sattel gleichermaßen überfalle. Kaum Zeit für eine Begrüßung. Oh Mann – ist die Stute heute wieder bockig. Wütend schreie ich sie an, rüttle an ihrem Halfter… und spätestens jetzt ist die Stute genauso genervt wie ich.
Bestimmt kennen Sie diese Art von Situationen und die zwangsläufigen Reaktionen, die nur zu menschlich sind. Sie passieren regelmäßig immer dann, wenn ich im täglichen Leben in Situationen gerate, in denen ich mich ärgere und diesen Ärger nicht sofort kläre, dort wo er tatsächlich entsteht. Natürlich gibt es dafür viele Gründe, z.B.: Ich bin gerade in Eile, ich habe Stress, ich will die vermeintliche Harmonie nicht stören, ich will (immer) nett sein, es sind zuviel Leute anwesend, ich fühle mich gerade zu schwach, und vieles mehr. Ich neige also dazu, meinen Ärger zu sammeln und zeitversetzt wieder abzubauen. In einem solchen Moment konfrontiere ich einen “Unschuldigen” mit meinem Frust, im vorliegenden Fall also meine Stute.
Im Gegensatz zu uns Menschen “leben” die Tiere weder in der Vergangenheit noch in der Zukunft, sie “leben” mit Leib und Seele “im Jetzt”. Das heißt, sie reagieren spontan auf das, was in diesem Augenblick passiert. Und in diesem Augenblick setze ich meine Stute meiner zu Hause gesammelten Ungeduld aus, erwarte aber, daß sie so ausgeglichen wie immer reagiert. Was macht die “im-Jetzt-lebende” Stute: Sie versteht nicht was los ist, fühlt sich ungerecht behandelt und zeigt spontan ihren Ärger. Sie spiegelt exakt meinen augenblicklichen seelischen Zustand.
Es geht nicht darum, mich an dieser Stelle selbst zu verurteilen oder mich darüber zu ärgern, daß ich meine Launen mit in den Stall gebracht habe. Auch wenn mir vielleicht gerade jetzt auffällt, daß ich mich schon seit längerer Zeit, seit Wochen oder Monaten nicht mehr so liebevoll und geduldig um mein Pferd gekümmert habe wie in früheren Zeiten. In dem Moment, in dem ich anfange, mich selbst zu verurteilen, fühle ich mich noch schlechter. Das wird dann zum Teufelskreis.
Wenn Sie feststellen, daß Sie an einem solchen Punkt angekommen sind, schlage ich Ihnen vor, sich einmal so zu verhalten wie Ihr Pferd … Sie werden mir sicher zustimmen, wenn ich behaupte, daß Ihr Pferd im Laufe der Zeit eine Menge von Ihnen gelernt hat, zum Beispiel: Huf geben, Kommandos, Lektionen, etc. Was ich von meinem Pferd lernen kann? – Na, zum Beispiel: Spontaneität, Direktheit, Lebensfreude, Fairness und ganz besonders “das Leben im Jetzt”.
Genau in diesem Augenblick habe ich die Möglichkeit, neu anzufangen. Das fällt mir um so leichter, je eher ich verzeihen kann. Und damit meine ich nicht nur das Verzeihen gegenüber meinen Mitmenschen, sondern ganz besonders das Verzeihen gegenüber mir selbst.
Ich arbeite seit sechs Jahren als Tierheilpraktikerin. Nach 4 Jahren Praxistätigkeit habe ich eine Aus- und Weiterbildung zur VM-Therapeutin gemacht. Das Kürzel VM steht für Visions-Methodik, ein einfaches und leicht zu erlernendes Trainingsprogramm, das in ursprünglicher Weise das “Bewußt-Sein” für unser natürliches “Da-Sein” auf dieser Erde neu entdecken läßt. Die Visions-Methodik wurde von Michael und Antaris Mierke entwickelt, die gemeinsam eine Akademie in Beerfelden betreiben.
Heute fällt mir immer deutlicher auf, wie fein Tiere auf die seelische und psychische Verfassung des Menschen reagieren. In meiner Praxis beobachte ich mittlerweile systematisch die Spiegelfunktion zwischen Tieren und ihren Besitzern. Es hilft mir, den Zusammenhang zwischen Krankheitsursache und dem Heilungsprozeß von einer völlig anderen Seite zu betrachten.
Grundsätzlich versuche ich den Heilungsprozeß mit klassischen homöopathischen Heilmethoden zu aktivieren. In vielen Fällen ist dies absolut ausreichend und führt rasch zum gewünschten Erfolg. Bleibt die Heilung trotz konsequenter Behandlung aus, frage ich den Besitzer, wenn er einverstanden ist, ob es in seinem beruflichen oder privaten Umfeld Spannungen oder Konflikte gibt, die den unbeschwerten Umgang mit seinem Tier möglicherweise verhindern.
So rief mich eines Tages eine Pferdebesitzerin, weil ihr Pferd einen Hautausschlag hatte. Dieser Ausschlag war von einem Tierarzt drei Wochen lang behandelt worden, ohne daß eine Besserung eintrat. Auch meine homöopathische Behandlung zeigte nach einer Woche nicht den gewünschten Erfolg. Allerdings diagnostizierte ich bei dem Pferd eine Unterfunktion der Niere und aus meiner Erfahrung weiß ich, daß Nierenprobleme manchmal ein Hinweis auf Beziehungsprobleme sein können. Ich sprach die Tierbesitzerin darauf an und sie erklärte mir erstaunt, daß sie in der Tat seit einiger Zeit massive Probleme in ihrer Partnerschaft habe. Ich erklärte ihr die Zusammenhänge aus meiner Sicht und sie war gewillt, den Konflikt in ihrer Partnerschaft zu lösen… Nach 10 Tagen war ihre Stute geheilt.
In einem anderen Fall hatte sich eine junge Frau einen Wallach gekauft, der als ausgeglichen und zuverlässig galt. Unter ihrem Sattel zeigte sich dieses Pferd von einer völlig anderen Seite. Er widersetzte sich, ging durch und war alles andere als arbeitswillig. Ich ließ das Paar in die Reithalle gehen und beobachtete die beiden. Dabei fühlte ich, daß sich hinter dem forschen und resoluten Auftreten der Reiterin im Grunde sehr viel Angst verbarg. Ich habe bereits öfters festgestellt, daß gerade im Reitsport Angst gerne mit übertrieben forschem Auftreten überspielt wird: “Wer gibt schon gerne zu, daß er manchmal Schiß bekommt, wenn er merkt, was ein Pferd für eine Power hat?”
Die Tierbesitzerin wurde sich zum ersten Mal ihrer Angst im Umgang mit Pferden bewußt, und konnte sich diese Angst auch eingestehen. In therapeutischen Einzelgesprächen und durch Übungen mit ihrem eigenen und mit anderen Pferden entwickelte sie eine lockere und souveräne Art. Und nach wenigen Wochen zeigte sich ihr Wallach als das Pferd, als das sie ihn gekauft hatte: ruhig und zuverlässig.
Ich kann Ihnen bestimmt noch viele Beispiele aus meiner Praxis erzählen. Aber viel besser finde ich es, wenn Sie mit diesem Thema Ihre eigenen Erfahrungen machen. Und dabei wünsche ich Ihnen ein offenes Herz und ganz einfach tierisch viel Spaß.
Avana B. Ebertz ist Tierheilpraktikerin und VM-Therapeutin.
Außerhalb ihrer Praxis führt sie Einzelsitzungen durch und leitet Wochenendseminare für Tierbesitzer. Sie ist verheiratet, Mutter zweier Kinder und lebt mit ihrer Familie in Unterheinriet, einem schwäbischen Dorf, zusammen mit einem Hund, drei Pferden, zwei Katzen, einem Papagei, zehn Hühnern nebst Hahn und acht bis zwölf Goldfischen.