aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 5/1997
Umweltfreundliches Bauen zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Winfried Schneider, Architekt am Institut für Baubiologie und Ökologie in Neubeuern zeigt, daß umweltfreundliches Bauen die Gesundheit und Lebensqualität fördert und nicht teuer ist.
Wir alle wissen, daß die Werte, von welchen sich ein Großteil der Menschheit noch immer leiten läßt, geradewegs in den Abgrund führen. Das natürliche Gleichgewicht der Erde und somit auch die Existenz de Menschheit steht auf dem Spiel. Schon heute sinkt die Lebensqualität rapide. Lärm, vergiftete Luft, Ozonloch, Waldsterben, Müllproblematik, denaturierte Nahrung, vergiftetes Trinkwasser oder kontaminierte Böden sind Zeichen dafür, daß sich unser Verhalten eindeutig gegen die Natur richtet.
Das Bauen insgesamt trägt erheblich zu Umweltzerstörung bei. Es darf als Fortschritt gewertet werden, daß diese Tatsache mittlerweile wenigstens erkannt wurde. Umweltfreundliches Bauen wird seit einigen Jahren von allen Seiten gefordert. Die Wirklichkeit sieht jedoch ganz anders aus.
Die tabellarische Übersicht unten bringt stichpunktartig einen Vergleich zwischen baubiologischen und bauökologischen Anforderungen und der meist anzutreffenden Wirklichkeit.
Diese Übersicht soll zeigen, daß sich umweltfreundliches Bauen nicht nur auf die Wahl des einen oder anderen Baustoffs beschränkt. Viele Aspekte müssen berücksichtigt werden und ineinandergreifen, um ein wirklich überzeugendes, zukunftsweisendes Konzept zu erlangen.
Baubiologie befindet sich oft im Spannungsfeld zwischen Naturwissenschaft und praktischer Verhaltenslehre. Für die Baubiologie sind die Naturwissenschaften zwar unentbehrlich, jedoch besteht die Aufgabe auch darin – solange bestimmte Phänomene wissenschaftlich noch nicht nachweisbar sind – aus wohlbegründeter Erfahrung Empfehlungen abzuleiten. Der Mensch darf nicht als Versuchskaninchen mißbraucht werden.
Begriffe wie “sick-building-syndrom”, “indoor-air-pollution”, Asbest- oder PCP-Sanierung haben mittlerweile auch die Verantwortlichen in der Wirtschaft aufhorchen lassen. Läßt sich doch der Krankenstand vermindern und die Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter erhöhen. Außerdem sind Sanierungen oft mit unkalkulierbaren Kosten verbunden.
Viele glauben, baubiologisches Bauen sei wesentlich teurer, als konventionelle Bauweise. Baubiologisches Bauen ist keine Billigstbauweise. Mehrkosten von ca. 10% werden durch teurere Materialien oder zeitaufwendigere Arbeitsabläufe verursacht. Dafür erhält der Nutzer ein gesundes, umweltfreundliches und energiesparendes Haus. Handwerkliche Qualität und Liebe zum Detail statt industriell erzeugte Massenprodukte stehen im Vordergrund. Die Mehrkosten lassen sich durch eine intelligente Grundrißplanung und Verzicht auf den einen oder anderen Luxus leicht abfangen, durch Energieeinsparungen amortisieren sich die Mehrkosten oft schnell.
Ökologisches und ökonomisches Bauen gehört zusammen. Baubiologisches und ökologisches Bauen verursacht auch weniger Folgekosten; Kosten für Giftmüllentsorgung, Gesundheitswesen, Asbestsanierungen, Kläranlagen, Stromversorgung, Folgen der Umweltverschmutzung u.a. drohen schon heute der Allgemeinheit über den Kopf zu wachsen. Deshalb sind volkswirtschaftlich, ökologisch und ganzheitlich betrachtet Biohäuser sogar wesentlich kostengünstiger als herkömmliches Bauen.
Bauen in Harmonie mit der Natur ist das erstrebenswerte Ziel. Stattdessen läßt sich das Bauen im allgemeinen als Umweltzerstörung charakterisieren. Nicht nur im Baulandmangel, in der Bodenspekulation, den steigenden Baukosten, dem hohen Wohnungsstandard und im wachsenden Wohnungsbedarf liegen die Ursachen. Meist plant man an den eigentlichen Bedürfnissen der Menschen vorbei. Denn Bauen und Siedeln ist oft weder sozial und human noch ökologisch, naturgemäß und gesund. Gerade die wichtigsten Aspekte bleiben weitgehend unbeachtet.
Das Wohn- aber auch das Arbeitsplatzumfeld des Menschen ist etwas sehr Elementares, ähnlich wie das Essen und Kleiden. Die Qualität des Wohnumfeldes ist ein entscheidendes Kriterium für Wohlbefinden, Gesundheit und Sozialisierung, ganz besonders auch von Kindern und Jugendlichen.
Die heute übliche räumliche Trennung der verschiedenen Lebensbereiche verursacht einen enormen Aufwand für Straßenbau und Erschließung und ist auch die Ursache für den überhandnehmenden Individualu nd Güterverkehr. Ziel einer human und ökologisch orientierten Siedlungspolitik muß es deshalb auch sein, Dorf- und Stadtgemeinschaften zu schaffen, welche eine Einheit von Natur und Mensch darstellen und in denen sich die Bedürfnisse des Menschen bezüglich Wohnen – Arbeiten – Versorgen – Bilden – Erholen harmonisch ergänzen.
Der Bauschaffende trägt eine große Verantwortung gegenüber den Nutzern und der Umwelt. Baubiologie und Bauökologie müssen deshalb als selbstverständliche Grundlagen der Ausbildung in Berufs- und Meisterschulen, in Fachhochschulen und Universitäten akzeptiert und als zeitgemäße Antwort auf die heutigen Probleme unserer Baukultur verstanden werden.
Die weltweiten Umweltprobleme müssen zu einer neuen ökologischen Baukultur führen. Die Bauwirtschaft und die verantwortlichen Politiker müssen ihre ganze Kraft dieser Forderung widmen.
ANSPRUCH | WIRKLICHKEIT | |
1. | Bauplatz geologisch ungestört | Standortuntersuchungen bzgl. geobiologischer Anomalien finden nicht statt |
2. | Wohnen abseits von Gift- und Larmemissionsquellen | 40% der Deutschen fühlen sich durch Lärm oder Abgase ständig gestört |
3. | Dezentralisierte, lockere Bauweise in durchgrünten Siedlungen | Verdichtete Bauweise, fehlender Naturkontakt, autogerechte Städte |
4. | Wohnung und Siedlung individuell, naturverbunden, menschenwürdig, familiengerecht und die Bildung von Lebensgemeinschaften fördernd | Einheitsstil, menschenunwürdig, nicht kindgerecht, Zerstörung von Lebensgemeinschaften (Alte oder Behinderte werden “abgeschoben”) |
5. | Baustoffe natürlich und unverfälscht (z.B. Holz und Wolle gehören zu den gesündesten und angenehmsten Stoffen) | Verwendung gesundheitsschädlicher, umweltschädigender und/oder künstlicher Baustoffe (z.B. Holz und Wolle sind durch Imprägnierung, Lackierung, Kunstharzbeschichtung, Verklebung, Färbung, Eulanisierung usw. zu gefährlichen Stoffen geworden) |
6. | Raumflächen diffusionsfähig (auch schädliche Gase – z.B. Raucherqualm – können nach außen diffundieren, Vermeidung von Bauschäden wie Schimmel) | Raumflächen nicht diffusionsfähig (Dampfsperren). Die Folgen sind Frischluftmangel bzw. hohe Schadstoffkonzentration in bewohnten Räumen. |
7. | Natürliche Regulierung der Raumluftfeuchte (hygroskopische und diffusionsfähige Baustoffe, Strahlungsheizung, Lüftungsmöglichkeit, ideale Raumluftfeuchte um 50%) | Mangelnde bzw. technische Regelung der Raumluftfeuchte (dampfsperrende Anstriche, Beschichtungen und Folien, Konvektionsheizung, Luft innen schlechter als außen, Luftfeuchte zu hoch oder zu niedrig) |
8. | Filterung und Neutralisierung von Schadstoffen der Luft (das Wohlbefinden ist in hohem Maße von der Luftqualität abhängig, deshalb durchgrünte Siedlungen, Pflanzen und Blumen auch im Haus…) | Die Stadtluft hat meist einen wesentlich höheren Schadstoffgehalt als Landluft; die unversiegelten und oft unbegrünten Restflächen reichen zur Luftfilterung nicht mehr aus |
9. | Ausgewogenes Maß von Wärmespeicherung, Wärmedämmung und Wärmedämpfung (wichtig für ein angenehmes und gesundes Raumklima) | Diese Forderung wird meist nicht beachtet (Beispiel: die Aufwärmdauer im Betonhaus beträgt etwa 6 Stunden, im Holzhaus ca. 1 Stunde) |
10. | Optimale Oberflächen- und Raumlufttemperaturen (keine “thermische Monotonie”, möglichst hohe Oberflächentemperaturen der Wände) | Das gesamte Gebäude wird meist gleichmäßig durchgeheizt = devitalisierend; geringe Oberflächentemperaturen entziehen dem Körper Wärme, deshalb überhöhte und ungesunde Raumlufttemperaturen und hoher Heizungsbedarf nötig |
11. | Strahlungswärme zur Beheizung unter weitgehender Nutzung der Sonnenenergie (Wandheizung, Grund- oder Kachelofen, Erwärmung der Wandoberflächen durch Sonneneinstrahlung, Strahlungswärme ist Infrarot-, Ultraviolett-, Farb- und lonentherapie zugleich, positiv für Blutkreislauf, Hautdurchblutung, Stoffwechsel…) | Meist Konvektionsheizung (Zentralheizung, Klimaanlagen…), Konvektion bewirkt Luft-, Staub und Keimbewegung, kalte Raumoberflächen, trockene, sauerstoffarme Luft, elektrostatische Aufladungen) |
12. | Geringe und rasch abklingende Neubaufeuchte (Trocknungsdauer in Tagen: Ziegel 252, Kalkstein 1080, Beton 1440) | Häufig werden langsam austrocknende Baustoffe verwendet. Die Folgen sind Entwicklung von pathogenen Keimen (Pilze, Bakterien, Viren), Verdunstungskälte, hoher Heizungsbedarf, Tauwasser, Bauschäden, Rheuma, Ischias, Erkältungen… |
13. | Angenehmer Geruch oder geruchsneutral ohne Abgabe toxischer Dämpfe (Holz, Sisal, Lehm/Ziegel, Erdfarben…) | Meist typischer, unangenehmer, chemischer Neubaugeruch (“indoor-air-pollution”, Formaldehyd, Fluor, Lösemittel…) |
14. | Naturgemäße Licht-, Beleuchtungs- und Farbverhältnisse | Fensterlose Arbeitsplätze und/oder Farbmonotonie (Küche, Kaufhaus, Werkstätten, Großraumbüros…) verursachen nervöse Überreizung, Depressionen, Ermüdung, Neurosen… |
15. | Orientierung des Schall- und Vibrationsschutzes am Menschen (Maßnahmen für eine ruhige, erholsame Wohn- und Arbeitsumwelt) | Die Zahl der “Lärmkranken” nimmt ständig zu, Nervosität, Kopf-, Augen- und Ohrenschmerzen, Schlafstörungen, Magenschäden, Gereiztheit, Konzentrationsmangel… |
16. | Erhaltung des natürlichen luftelektrischen Feldes (möglichst keine Veränderung der Verhältnisse in der freien Atmosphäre) | Mangel an natürlichen Strahlen, Feldern und lonen; künstlicher Strahlen- und lonenstreß; elektrostatische Aufladungen (“Gewitterstimmung” im Haus) |
17. | Ohne Veränderung des natürlichen Magnetfeldes (Bsp.: viele Tiere – u.a. Vögel – orientieren sich am erdmagnetischen Feld) | Abschirmung und/oder Verzerrung des Erdmagnetfeldes z.B. durch Stahlplatten; ferromagnetische Verzerrungen z.B. durch Stahlbeton oder Federkernmatratzen |
18. | Ohne Ausbreitung technischer elektromagnetischer Felder | Elektromagnetische “Dauerberieselung” durch Überlandleitungen, Trafostationen, Umspannwerke, elektrische Geräte und Leitungen |
19. | Anwendung der physiologischen Erkenntnisse zur Raumgestaltung und Einrichtung | Anatomisch falsche Sitzmöbel, Tische, Betten, Arbeitsgeräte; mangelhafte Gebrauchsgegenstände; Bauteile und Installationen; Fußböden unelastisch, nicht gleitsicher u.a. |
20. | Berücksichtigung harmonikaler Maße, Proportionen und Formen (harmonikal heißt naturverbunden, ganzheitlich, integral, materialgerecht, human, Einklang zwischen Qualität und Quantität) | Vorherrschend in der gebauten Umwelt sind Maße, Proportionen und Formen rein nach funktionalen Gesichtspunkten (Länge x Breite x Höhe) |
21. | Zu keinen Umweltproblemen und hohen Energiekosten führend (Verwendung vor Ort verfügbarer, energiesparender Baustoffe/Energie aus Sonne, Wind und Wasser/ Regenwassernutzung/ Schilfkläranlagen) | Verwendung umweltschädlicher und energieintensiver Baustoffe (Herstellung, Transport, Verarbeitung, Entsorgung)/ energieverschwendende Bauweise (u.a. keine Berücksichtigung passiver Solarenergie) |
Ein gesundes baubiologisches Haus entsteht
Immer mehr Menschen wollen Ihr Haus wieder “gesund” bauen und rücksichtsvoll mit der Natur umgehen. Zur Realisierung sind praktische Erfahrungen sehr wichtig.
In enger Zusammenarbeit mit dem Institut für Baubiologie und Ökologie Neubeuern entstand deshalb dieser Dokumentarfilm über den Bau eines Energiesparhauses in Holzrahmenbauweise.
Der Wunsch des Bauherren war es, möglichst konsequent gesund, ökologisch und zugleich preisgünstig zu bauen. Neben der weitgehenden Verwendung von Naturstoffen wie Holz, Schafwolle, Holzweichfaserplatten, Lehmsteinen und Gipsfaserplatten wurden passive wie aktive Energiesparmaßnahmen unter bestmöglicher Nutzung der Sonnenenergie berücksichtigt. Auch die Vermeidung von Elektrosmog oder der Einbau einer Regenwassersammelanlage spielte eine gewichtige Rolle. Die Zukunft wird zeigen, dass sich das Bauen nach baubiologischen und ökologischen Kriterien durchsetzen wird.
Zu diesem Thema ist eine VHS Videokassette erhältlich.
Laufzeit ca. 40 Minuten.
Preis DM 80,-.
ISBN 3-932190-40-8.
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