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aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 5/1997

Depressionsfortbildung

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Es sollte sich inzwischen herumgesprochen haben, daß Selbsterfahrung für einen werdenden Therapeuten außerordentlich wichtig ist. So kann sich ein Therapeut, der selbst erlebt hat, wie sich eine Depression anfühlt, wesentlich besser in einen Patienten einfühlen, als derjenige, dem diese Erfahrung fehlt. Wie können Sie als Student/in also, im Hinblick auf spätere Patienten, eine Depression entwickeln?

Es gibt bestimmte Denk- und Verhaltensweisen, die sich depressionsfördernd auswirken. Suchen Sie sich aus dem folgenden Katalog zwei bis drei Punkte aus und mit ein bißchen Übung wird es auch Ihnen schnell gelingen, in eine mittlere Krise zu stürzen. Tägliche Übung ist empfehlenswert:

  1. Erinnern Sie sich daran, wie Ihre Eltern Sie auf immer und ewig versaut haben und wie bemitleidenswert Sie sind, weil man die Jugend nicht rückgängig machen kann.
  2. Weigern Sie sich, eine Person, die Sie in der Vergangenheit verloren haben, loszulassen. Beachten Sie dabei, diese Person so zu idealisieren, daß sie einem gottesgleichen Wesen ähnelt, das niemals ersetzbar ist.
  3. Halten Sie die Augen in Bezug auf Ihre eigene Kompetenz festverschlossen und warten Sie stattdessen auf einen Guru, der niemals erscheinen wird.
  4. Übernehmen Sie die Verantwortung für die Probleme anderer Menschen und fühlen Sie sich schuldig, wenn die Lösung unbefriedigend bleibt. Es empfiehlt sich, mit Problemen wie Golfkrieg, Umweltverschmutzung, politische Krisen etc. zu beginnen. Sprechen Sie in diesen Zusammenhängen nie von Mitverantwortung, sondern ausschließlich von Ihrer Schuld. 5. Pflegen Sie Ihr Eigenbild von einer überguten Mutter Theresa (wie heißt das männliche Äquivalent?),die die Lasten trägt, die sonst keiner haben will.
  5. Beschäftigen Sie sich niemals mit Dingen, die Ihnen Spaß machen, sondern mit Dingen, die Sie tun müssen.
  6. Versuchen Sie, Menschen zufriedenzustellen, die gar nicht zufrieden sein wollen.
  7. Grübeln Sie kreisförmig um Ihre eigene Minderwertigkeit herum, ohne neue Gedanken zuzulassen.
  8. Überbewerten Sie Ihren intellektuellen Verstand und glauben Sie fest daran, daß Gefühle nicht wichtig sind. Vermeiden Sie grundsätzlich, den Signalen Ihrer Intuition nachzugeben.
  9. Vermeiden Sie den Kontakt mit Menschen, die Sie nett finden.
  10. Sollten Sie zu diesem Zeitpunkt schon soweit entwickelt sein, daß Sie die Existenz eines Gottes nicht völlig in Abrede stellen, glauben Sie fest daran, daß dieser Ihnen Ihre Sünden niemals verzeihen wird.
  11. Vertrauen Sie sich unter keinen Umständen einem erfahreneren Kollegen an. Wenn Sie glauben, einen Therapeuten zu brauchen, wenden Sie sich an jemanden, der noch depressiver ist als Sie und ein dringendes Mitteilungsbedürfnis hat.
  12. Denken Sie darüber nach, wie schlecht diese Welt ist und daran, daß sowieso nichts mehr Sinn macht.
  13. Atmen Sie möglichst flach.

Kontrollieren Sie Ihren inneren Dialog und verwenden Sie Selbstsuggestionen wie folgt:

  • Das schaffe ich sowieso nicht.
  • Alles ist sinnlos.
  • Ich bin sowieso nicht wichtig.
  • Ich kann nicht mehr.
  • Mir kann keiner helfen.
  • Keiner versteht mich.
  • Keiner hat mich lieb.
  • Ich bin nur etwas wert, wenn ich
    ……schlank bin
    ……bis zum Umfallen arbeite
    ……Geld habe
    ……(tragen Sie Ihre persönliche Wertung ein und achten Sie darauf, daß es sich um eine Wertung außerhalb des Bereichs des Möglichen handelt)
  • Vermeiden Sie Sätze, die mit”ich darf” oder”ich möchte gerne” beginnen. Konzentrieren Sie sich auf”man muß

 

-> Wem die mittlere Krise nicht genügt, weil er zu den Ganz-oder-Garnicht Typen gehört, befolge bitte ALLE diese Anweisungen. Er/Sie wird sich in eine graue Boulette verwandeln, die Löcher in die Wand starrt und sich nur bewegt – wenn überhaupt – wenn sie gebraucht wird.

-> Sinnvollerweise befaßt man sich in dieser Phase intensiv mit Lehrbüchern über die endogene Depression, um die dort beschriebenen Symptome sofort zu entwicklen. Belasten Sie sich auch mit zunächst völlig unverständlicher psychologischer Literatur (z. B. Narzißmus von Kohut),die Sie glauben läßt, Psychologie sei nur einer intellektuellen Elite zugänglich, die mindestens das große Latinum hat. Es verstärkt Ihren Eindruck daß Sie Ihre eigenen seelischen Belange niemals verstehen werden, geschweige denn die von anderen.

-> Das körperliche Mißempfinden unterstützt man, indem man sich unregelmäßig und ungesund ernährt und (wenn überhaupt) Flüssigkeit in Form von Alkohol zu sich nimmt. Auch übermäßiger Nikotin- und Koffeingenuß ist zweckmäßig. Es verstärkt die Schlafstörungen.

-> Frustfördernd ist es, sich in diesen Situationen den Rat von Schulmedizinern einzuholen, die die Existenz von psychischen Belangen verleugnen und Ihnen körperliche Gesundheit bescheinigen. Die Panik vor einer Psychose entsteht dann fast von selbst.

-> An dieser Stelle rufen Sie sich bitte wieder Ihre unzulänglichen Eltern ins Gedächtnis und bestätigen sich wiederholt, daß Sie den Fehlern Ihrer Eltern für immer ausgeliefert sein werden. Sollten Sie das Pech haben, passable Eltern gehabt zu haben, suchen Sie sich einen anderen Täter, z.B. den Bundeskanzler. Falls Ihr Menschenverständnis bereits zu weit entwickelt ist, können Sie die Schuld auch dem entmenschten System, dem Kapitalismus, dem Satan oder der Prüfungskommission des Gesundheitsamtes geben. Wichtig ist, daß sie das Gefühl des Ausgeliefert-seins verstärken.

-> Um das ganze noch etwas zu würzen, empfehle ich nun das Buch”Grundformen der Angst” von Fritz Riemann. Es werden Zweifel in Ihrem Inneren aufsteigen, da Sie nicht mehr genau einordnen können, ob Sie denn nun schizoid, depressiv, zwanghaft oder hysterisch sind. Falls all diese Beschreibungen irgendwie auf Sie passen, lassen Sie sich bitte nicht davon überzeugen, daß diese Tatsache auf eine solide psychische Gesundheit hinweisen könnte. Der Gedanke:,,lch bin seelisch völlig gesund” beinhaltet die Gefahr, daß die Depression sich sofort verabschiedet.
Unterhalten Sie sich stundenlang mit den Zeugen Jehovas, die Sie davon überzeugen, daß Sie die Bibel in keinster Weise befolgen und deshalb am Jüngsten Tag liegenbleiben müssen. Ihr Zustand wird zu diesem Zeitpunkt soweit fortgeschritten sein, daß Sie gar nichts dagegen haben, den ewigen Schlaf des Gerechten zu finden. Diese suizidalen Gedanken schützen Sie wenigstens vor psychischer Abhängigkeit.

->Allmählich sind Sie gut vorbereitet für Tarotkarten, die den Zustand Ihres Unterbewußtseins dahingehend spiegeln, daß alles in Unterdrückung, Fehlschlägen, Verderbnis,Tod und Teufel endet. Sollte es positive Geister in Ihrem System geben, die das verhindern, imaginieren Sie den desaströsen Ausgang aller Ihrer geplanten Unternehmungen. Die selbsterfüllende Prophezeiung übernimmt dann den Rest und endlich paßt sich auch die äußere Realität Ihrem inneren Zustand an.

-> Falls Sie Kinder haben, versichern Sie sich selbst, daß Ihr Zustand zu einer Verhaltensstörung bei den Kleinen führen wird. Es ist Ihre Schuld, wenn die Kleinen den gleichen entsetzlichen Weg nehmen wie Sie selbst. Sie erleben ja inzwischen, daß man auch als Erwachsener seinen Eltern ausgeliefert bleibt.

-> Hierher passen nun die esoterischen Werke: Hirnen Sie sich durch das 1-Ging, buddhistische Werke, CG Jung, Schamanismus und vieles mehr, bis Ihnen wirklich bewußt wird, wie weit Sie sich von der Erleuchtung entfernt haben und wie anstrengend selbige sein muß. Entnehmen Sie diesen Werken niemals Hoffnungsvolles, sondern beschränken Sie sich auf Erkenntnisse wie: nicht mal Selbstmord wird mich retten… Im Jenseits geht die Maloche weiter.

-> Reden Sie über diese Themen ausschließlich mit Mitgliedern dieser Gesellschaft, die die Reizüberflutung von außen schätzen. Beispielsweise mit jemandem, der gerade einen hektischen Arbeitstag hinter sich gebracht hat. Er/Sie werden Sie darauf hinweisen, daß Ihnen die therapeutische Ausbildung nicht guttut und Ihnen von Fällen erzählen, in denen eine Psychotherapie horrende Folgen hatte. Dies wird Ihren Eindruck verstärken, daß Sie beruflich sowieso auf der falschen Fährte sind.

-> Sollten Sie immer noch über einen Bekanntenkreis verfügen, beginnen Sie, Ihre psychologischen Weisheiten an den Mann zu bringen, indem Sie in diesem Zustand alle Beteiligten darauf hinweisen, daß sie Probleme haben. Verwandeln Sie die witzigsten Partys in Trauerveranstaltungen, mit dem Hinweis, daß alles andere oberflächlich sei. So erreichen Sie, daß Sie nicht mehr eingeladen werden.

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