aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 5/1997
Depressionsfortbildung
Es sollte sich inzwischen herumgesprochen haben, daß Selbsterfahrung für einen werdenden Therapeuten außerordentlich wichtig ist. So kann sich ein Therapeut, der selbst erlebt hat, wie sich eine Depression anfühlt, wesentlich besser in einen Patienten einfühlen, als derjenige, dem diese Erfahrung fehlt. Wie können Sie als Student/in also, im Hinblick auf spätere Patienten, eine Depression entwickeln? Es gibt bestimmte Denk- und Verhaltensweisen, die sich depressionsfördernd auswirken. Suchen Sie sich aus dem folgenden Katalog zwei bis drei Punkte aus und mit ein bißchen Übung wird es auch Ihnen schnell gelingen, in eine mittlere Krise zu stürzen. Tägliche Übung ist empfehlenswert:
Kontrollieren Sie Ihren inneren Dialog und verwenden Sie Selbstsuggestionen wie folgt:
-> Wem die mittlere Krise nicht genügt, weil er zu den Ganz-oder-Garnicht Typen gehört, befolge bitte ALLE diese Anweisungen. Er/Sie wird sich in eine graue Boulette verwandeln, die Löcher in die Wand starrt und sich nur bewegt – wenn überhaupt – wenn sie gebraucht wird. -> Sinnvollerweise befaßt man sich in dieser Phase intensiv mit Lehrbüchern über die endogene Depression, um die dort beschriebenen Symptome sofort zu entwicklen. Belasten Sie sich auch mit zunächst völlig unverständlicher psychologischer Literatur (z. B. Narzißmus von Kohut),die Sie glauben läßt, Psychologie sei nur einer intellektuellen Elite zugänglich, die mindestens das große Latinum hat. Es verstärkt Ihren Eindruck daß Sie Ihre eigenen seelischen Belange niemals verstehen werden, geschweige denn die von anderen. -> Das körperliche Mißempfinden unterstützt man, indem man sich unregelmäßig und ungesund ernährt und (wenn überhaupt) Flüssigkeit in Form von Alkohol zu sich nimmt. Auch übermäßiger Nikotin- und Koffeingenuß ist zweckmäßig. Es verstärkt die Schlafstörungen. -> Frustfördernd ist es, sich in diesen Situationen den Rat von Schulmedizinern einzuholen, die die Existenz von psychischen Belangen verleugnen und Ihnen körperliche Gesundheit bescheinigen. Die Panik vor einer Psychose entsteht dann fast von selbst. -> An dieser Stelle rufen Sie sich bitte wieder Ihre unzulänglichen Eltern ins Gedächtnis und bestätigen sich wiederholt, daß Sie den Fehlern Ihrer Eltern für immer ausgeliefert sein werden. Sollten Sie das Pech haben, passable Eltern gehabt zu haben, suchen Sie sich einen anderen Täter, z.B. den Bundeskanzler. Falls Ihr Menschenverständnis bereits zu weit entwickelt ist, können Sie die Schuld auch dem entmenschten System, dem Kapitalismus, dem Satan oder der Prüfungskommission des Gesundheitsamtes geben. Wichtig ist, daß sie das Gefühl des Ausgeliefert-seins verstärken. -> Um das ganze noch etwas zu würzen, empfehle ich nun das Buch”Grundformen der Angst” von Fritz Riemann. Es werden Zweifel in Ihrem Inneren aufsteigen, da Sie nicht mehr genau einordnen können, ob Sie denn nun schizoid, depressiv, zwanghaft oder hysterisch sind. Falls all diese Beschreibungen irgendwie auf Sie passen, lassen Sie sich bitte nicht davon überzeugen, daß diese Tatsache auf eine solide psychische Gesundheit hinweisen könnte. Der Gedanke:,,lch bin seelisch völlig gesund” beinhaltet die Gefahr, daß die Depression sich sofort verabschiedet. ->Allmählich sind Sie gut vorbereitet für Tarotkarten, die den Zustand Ihres Unterbewußtseins dahingehend spiegeln, daß alles in Unterdrückung, Fehlschlägen, Verderbnis,Tod und Teufel endet. Sollte es positive Geister in Ihrem System geben, die das verhindern, imaginieren Sie den desaströsen Ausgang aller Ihrer geplanten Unternehmungen. Die selbsterfüllende Prophezeiung übernimmt dann den Rest und endlich paßt sich auch die äußere Realität Ihrem inneren Zustand an. -> Falls Sie Kinder haben, versichern Sie sich selbst, daß Ihr Zustand zu einer Verhaltensstörung bei den Kleinen führen wird. Es ist Ihre Schuld, wenn die Kleinen den gleichen entsetzlichen Weg nehmen wie Sie selbst. Sie erleben ja inzwischen, daß man auch als Erwachsener seinen Eltern ausgeliefert bleibt. -> Hierher passen nun die esoterischen Werke: Hirnen Sie sich durch das 1-Ging, buddhistische Werke, CG Jung, Schamanismus und vieles mehr, bis Ihnen wirklich bewußt wird, wie weit Sie sich von der Erleuchtung entfernt haben und wie anstrengend selbige sein muß. Entnehmen Sie diesen Werken niemals Hoffnungsvolles, sondern beschränken Sie sich auf Erkenntnisse wie: nicht mal Selbstmord wird mich retten… Im Jenseits geht die Maloche weiter. -> Reden Sie über diese Themen ausschließlich mit Mitgliedern dieser Gesellschaft, die die Reizüberflutung von außen schätzen. Beispielsweise mit jemandem, der gerade einen hektischen Arbeitstag hinter sich gebracht hat. Er/Sie werden Sie darauf hinweisen, daß Ihnen die therapeutische Ausbildung nicht guttut und Ihnen von Fällen erzählen, in denen eine Psychotherapie horrende Folgen hatte. Dies wird Ihren Eindruck verstärken, daß Sie beruflich sowieso auf der falschen Fährte sind. -> Sollten Sie immer noch über einen Bekanntenkreis verfügen, beginnen Sie, Ihre psychologischen Weisheiten an den Mann zu bringen, indem Sie in diesem Zustand alle Beteiligten darauf hinweisen, daß sie Probleme haben. Verwandeln Sie die witzigsten Partys in Trauerveranstaltungen, mit dem Hinweis, daß alles andere oberflächlich sei. So erreichen Sie, daß Sie nicht mehr eingeladen werden. |