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aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 2/2000

Chiropraktik – Therapie mit Zukunft

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Die Chiropraktik ist eine Behandlungsmethode mit langer Tradition, die Ursprünge weisen fast zweitausend Jahre zurück. Im Europa des Mittelalters waren es z.B. umherziehende Bader, welche sich dieser Methode bedient haben, vor allem in Südeuropa war es aber auch durchaus üblich, daß der örtliche Barbier einige Griffe ansetzen konnte. Um die Jahrhundertwende wurde dann in den USA durch David Daniel Palmer die Behandlungsmethode strukturiert und derart weiterentwickelt, daß man Ihn als Begründer der modernen Chiropraktik sieht. Er gab der Therapie auch ihren heutigen Namen. (CHIROPRAKTIK: mit der Hand getan)

Palmer ging davon aus, daß ein verlagerter Wirbel die seitlich entspringenden Nerven räumlich einengt. Somit führt ein Wirbelfehlstand neben der Verspannung der umliegenden Muskulatur auch zu Beschwerden an den segmental zugeordneten Organbereichen. (vgl.: HEADSCHE ZONEN). Palmer sah aufgrund der Tatsache, daß über die Wirbelsäule das vegetative Nervensystem mit den einzelnen inneren Organen verbunden ist die Möglichkeit, neben Muskelverspannungen und Rückenschmerzen auch Erkrankungen dieser inneren Organe chiropraktisch zu behandeln, indem er den zugeordneten Wirbel reponierte (in die Ausgangslage zurückbringen; “einrenken”).

Die bis dahin üblichen, vornehmlich europäischen Griffe zum “Wirbeleinrenken” wirkten im Regelfall systemisch, also nicht auf einen Einzelwirbel bezogen und waren in ihrer Anwendung oft schmerzhaft für den Patienten, da mit sehr viel Kraft mangelnde Technik ausgeglichen wurde. Erstaunlich aus heutiger Sicht war dabei nicht, daß es gelegentlich zu Schädigungen des Patienten kam, sondern eher, welches Maß an Belastung der menschliche Körper verträgt. Die Halswirbelsäule z.B. wurde oft eingerenkt, indem man von hinten den Kopf des sitzenden Patienten in die Ellbeuge nahm und mit ordentlichem Schwung so weit wie möglich erst zur einen, dann zur anderen Seite riß. Die daraus resultierende Überdehnung der Bänder führte bei häufiger Anwendung zu Dauerproblemen im HWS-Bereich im Sinne einer Instabilität. Obwohl in der modernen Chiropraktik amerikanischer Prägung ein solches Überdehnen der Bänder nicht möglich ist, wird diese Frage bis heute sehr häufig von besorgten Patienten gestellt. Ausgehend von dieser Situation entwickelte Palmer Techniken, Wirbel einzeln und mit minimaler Belastung für den Patienten in ihre anatomisch korrekte Lage zurückzubringen. Auf der Grundlage seiner Arbeit wurde in den USA weitergehend ein komplexes System chiropraktischer Griffe erabeitet, welches nicht nur Wirbelgelenke, sondern auch die Gelenke der Extremitäten mit einbezieht. Heute gibt es in den USA über 50000 Chiropraktiker, welche ein Universitätsstudium abgeschlossen haben und den Titel “D.C.” (Doctor of Chiropractic) tragen. Das Studium umfasst einen Zeitraum von drei Jahren, wobei besonderer Wert auf das praktische Arbeiten gelegt wird. Aufgrund der universitären Ausbildungssituation wird in Amerika auch ständig geforscht, was zu einer immer weitergehenden Verbesserung der Methodik führt.

Interessanterweise wird der Titel D.C. fast weltweit anerkannt, nicht aber in Deutschland. Hier gibt es auch keine Facharztausbildung zum Chiropraktiker. Lediglich eine Zusatzausbildung Chirotherapie ist möglich. Wohlgemerkt, es handelt sich bei der Zusatzbezeichnung Chirotherapie nicht um eine Spezialausbildung für Orthopäden, sondern jeder Arzt kann sie in ca. acht Wochen erlernen. (vgl.: Weiterbildugsordnung der Ärztekammer Nordrhein, Stand Dez.1994) Der Begriff Chirotherapie soll dabei einerseits auf die Ähnlichkeit der Behandlung zur Chiropraktik hinweisen, sich andererseits klar von dieser distanzieren. Genau da liegt das Problem. Die Abgrenzung und Nichtanerkennung der amerikanischen Chiropraktoren führt dazu, daß viele der in den USA entwickelten neuen, sanften und vor allem für den Patienten wesentlich ungefährlicheren Techniken bisher bei deutschen Chirotherapeuten nicht verwendet werden. Die gelehrten Techniken orientieren sich vielfach an den alten “europäischen” Methoden, welche sicher vielen Menschen helfen, aber relativ unspezifisch sind und größere Risiken für den Patienten bergen. (siehe auch : Harbort, Chiropraktik-Bildatlas)

Sanfte, moderne Chiropraktik – Was ist das?

Die Chiropraktik ist natürlich nicht bei der Theorie vom “eingeklemmten Nerv” stehengeblieben. Heute weiß man wesentlich mehr über die Wirkungsweise einer Manipulation am Knochenapparat, den Bändern, Muskeln und Gelenken. Auch das Gefäßsystem, Nerven und die segmental zugeordneten inneren Organe werden beeinflußt. Interessanterweise kann aufgrund des Aufbaus des vegetativen Nervensystemes (efferente / afferente Nerven) ein Wirbelfehlstand eine organische Dysfunktion auslösen (z.B. Herzbeschwerden oder Verdauungsstörungen), umgekehrt ist es aber auch häufig zu beobachten, daß eine Organerkrankung wie z.B. die chronische Gastritis oder eine Entzündung im Urogenitaltrakt rezidivierende Wirbelfehlstände verursachen. Hieraus ergibt sich einerseits, daß gute Chiropraktik stets in Verbindung mit einer umfassenden Anamnese als ganzheitliche Behandlungsmethode verwandt werden sollte. Andererseits erklärt sich, warum oft andere Therapien (z.B. ein gut gewähltes homöopathisches Mittel) nicht den gewünschten Erfolg bringen, solange ein Wirbelfehlstand im Spiel ist. Um einen solchen Fehlstand zu behandeln, muß man ihn zunächst einmal diagnostizieren. Zu diesem Zweck werden die hinteren Dornfortsätze (Processus spinosus) und im Bereich der Halswirbelsäule auch die Querfortsätze (Processus transversi) palpiert. Physiologisch stehen sie wie bei einer Perlenkette in einer Linie übereinander. Wenn ein Wirbel verlagert ist fühlt man, daß der entsprechende Fortsatz außerhalb seiner regelgerechten Position steht. Zusätzlich ist die umgebende Muskulatur immer verspannt und druckdolent. Ein weiteres Merkmal ist die mit dem Fehlstand einhergehende Bewegungseinschränkung. Chiropraktiker sprechen deshalb oft von einer Wirbelblockade.

Neben dieser klassischen Untersuchungsmethode verwendet man in besonderen Fällen, z.B. auch bei Verdacht auf mögliche Kontraindikationen, bildgebende Verfahren. (Röntgen, CT, ect.). Jetzt erfolgt das eigentliche Reponieren. Dabei wird in der modernen Chiropraktik grundsätzlich eine zweigeteilte Grifftechnik benutzt, d.h. man bringt den Wirbel zunächst in Vorspannung und gibt dann einen sanften Impuls mit kurzer, genau dosierter Bewegungsamplitude. Die eigentliche Kraft, die auf den Wirbel einwirkt ist minimal und deutlich unter der physiologischen Belastung im Alltag, wie z.B. beim Sport. Vorspannung bedeutet, das der Wirbel bis an das Ende seiner Bewegungsfähigkeit gebracht wird. In der BWS geschieht das durch Druck oder Zug, im Bereich der HWS und LWS benutzt man Rotation in Verbindung mit leichtem Druck. Da ein fehlgestellter Wirbel immer bewegungseingeschränkt ist, liegt der Endpunkt der Vorspannung vor dem Ende der physiologischen Bewegungsfähigkeit; d.h. die zugehörigen Bänder würden ohne Fehlstand mehr Bewegung zulassen. Der Impuls liegt also innerhalb des vormals normalen Bewegungsbereiches. Aus diesem Grund ist unabhängig von der Häufigkeit der Anwendung bei korrekter zweigeteilter Grifftechnik ein “Ausleiern” des Bandaparrates nicht möglich. In diesem Zusammenhang ist noch ein zweiter Faktor von großer Bedeutung. Im Bereich der Wirbel haben wir es nicht mit knochengeführten Gelenken (z.B. Hüftkopf und Pfanne) zu tun, vielmehr wird der Wirbel durch ein kompliziertes System von Muskeln und bindegewebigen Anteilen in seiner Position gehalten und stabilisiert. Ein Fehlstand geht immer einher mit einer Muskelverkürzung (Verspannung) auf der einen Seite und einer Dehnung beim muskulären Gegenspieler.

Grundsätzlich sollte deshalb vor jeder chiropraktischen Manipulation die zugehörige Muskulatur gelockert werden, vorzugsweise durch Massage. Außerdem wird die Rezidivhäufigkeit drastisch gesenkt, d. h. die Tendenz des Wirbels aufgrund der nach dem Reponieren noch vorhandenen muskulären Fehlspannung wieder in seine falsche Position zurückzurutschen. Hier erklärt sich auch, warum chiropraktische Behandlung immer einhergehen sollte mit gezielten Maßnahmen zum Aufbau und Stärkung der Muskulatur. Die Ursachen für Wirbelblockaden sind vielfältig. Ein einfaches “verheben”, mangelnde Ausprägung der Muskulatur durch zu wenig Bewegung, falsche Sitz- oder Arbeits – Position, Schonhaltung, Fehlstatik z.B. durch einen Beckenschiefstand mit Beinlängendifferenz oder chronische Organerkrankungen, um nur einige Beispiele zu nennen. Selbst psychische Extreme wie eine stark aggressive oder depressive Grundstimmung führen zu einer entsprechend veränderten Körperhaltung und können damit rezidivierende Wirbelfehlstände auslösen. Nur die Behebung der Ursachen wird einen dauernden Erfolg chiropratischer Arbeit gewährleisten. Entsprechend muß ein guter Chiropraktiker im Rahmen einer ganzheitlichen Behandlung therapeutische Kenntnisse haben, die weit über das Wissen um einige Grifftechniken hinausgehen.

Quellenhinweis und gleichzeitig Buchempfehlungen zum Thema:
Harbort, Chiropraktik – Bildatlas Juan A. Lomba, Technik der Chiropraktik und strukturelle Osteopathie

Lohnt sich eine chiropraktische Ausbildung?

Wir als Heilpraktiker haben uns die Aufgabe gestellt, unseren Patienten mit naturheilkundlichen Methoden Wege aufzuzeigen, zur Erlangung und Erhaltung der Gesundheit im ganzheitlichen Sinne. Wie beschrieben ist die Chiropraktik dabei ein wichtiges Element. Andererseits ist das Spektrum an naturheilkundlichen Therapien breitgefächert, was ja gerade einer der großen Vorteile unseres Berufsstandes ist.
Jeder Kollege erlernt die Behandlungsmethoden, welche seinen Vorlieben und Neigungen am meisten entsprechen und nur so entwickelt sich das nötige Maß an Begeisterung und Freude an der Arbeit. Gleichzeitig sind die verschiedenen Diagnose und Therapieformen derart umfangreich, daß man sich begrenzen muß.

Die Chiropraktik hat insofern eine Sonderstellung, als daß nicht behobene Wirbelfehlbestände bei zahlreichen Krankheitsbildern den Behandlungserfolg schmälern oder gar ganz blockieren. Selbst wer nicht chiropraktisch arbeiten möchte, sollte sich zumindest soweit mit der Methode beschäftigen, daß die Verdachtsdiagnose einer Wirbelblockade gestellt werden kann. Hier könnte die vielzitierte und doch im Alltag eher seltene Zusammenarbeit unter Berufskollegen zum Wohle des Patienten äußerst sinnvoll sein.

Bei der Frage, ob man die Chiropraktik erlernen sollte, gilt es, sich neben den eigenen Vorlieben auch die Berufsaussichten des Chiropraktikers vor Augen zu führen. Schließlich soll die tägliche Praxis auch eine sichere wirtschaftliche Existenz gewährleisten.
Wichtigste Voraussetzung ist eine fundierte Ausbildung, welche die amerikanische Methodik mit ihrer zweigeteilten Grifftechnik und dem gezielten Reponieren von Einzelwirbeln beinhalten sollte. Hierbei muß die praktische Arbeit im Vordergrund stehen. Nur durch ein entsprechendes Maß an Übung erlangt man die notwendige Sicherheit. Bei den ersten Griffen sollte der Ausbilder dem Schüler “die Hände führen”, was eine relativ kleine Gruppe voraussetzt. Neben der korrekten chiropraktischen Diagnosestellung und den entsprechenden Untersuchungsmethoden sollte von Anfang an die muskelentspannende Vorarbeit ein wichtiges Element der Ausbildung sein. So ergibt sich in der späteren Praxis eine Arbeitsweise, die deutlich sanfter ist, als bei der üblicherweise angewandten europäischen Methodik. Hinzu kommt, daß in der HP-Praxis der Kostenrahmen wesentlich günstiger ist als beim ärztlichen Chirotherapeuten, insbesondere aufgrund unseres geringeren Personalbedarfs. Deshalb können wir wesentlich mehr Zeit für den einzelnen Patienten aufwenden, die besonders der Muskulären Vorarbeit (z.B. Massage) zugute kommen sollte. Der Patient merkt den Unterschied sofort und ist oft erstaunt über das geringe Maß an Kraft, welche angewandt wird. Gerade bei der Chiropraktik ist das Vertrauen des Patienten zum Behandler ein fundamentaler Punkt und da er vergleichsweise schnell den Behandlungserfolg erfährt, ergibt sich zumeist eine langfristige Patientenverbindung.

Zusammenfassend ergibt sich für den gut ausgebildeten Chiropraktiker eine Nische, in der er erfolgreich und befriedigend arbeiten kann. Die beim Patienten subjektiv oft als spektakulär empfundenen Erfolge führen bei guter Arbeit vergleichsweise schnell zu einer gefüllten Praxis.

Carsten Brinkpeter, HP, Jahrgang 64
1986 – 1989 HP-Ausbildung mit integrierter Chiropraktik-Grundausbildung u. a. bei Juan A. Lomba.
Weiterbildung in europäischer und amerikanischer Chiropraktik, ständige Fortbildung u. a. “Bremer Chiropraktiktage”.
Praktiziert seit 1991 in eigener Praxis in Recklinghausen.
Therapieschwerpunkte: Chiropraktik, Akupunktur, Neuraltherapie, Bachblüten.
Seit 1993 Lehrtätigkeit im Fachbereich Chiropraktik.

Häufig gestellte Fragen zum Thema Chiropraktik

Frage: Ist für mich als zarte Frau Chiropraktik nicht zu anstrengend? Komme ich z. B. mit einem großen, männlichen Patienten überhaupt zurecht?
Antwort: Der Erfolg chiropraktischer Arbeit beruht nicht auf der Kraft der Behandlerin, sondern auf eine exakt ausgeführte Technik. Für jeden Wirbelfehlstand stehen verschiedene Grifftechniken zur Auswahl. Gezielte Drucktechniken aus der amerikanischen Chiropraktik z. B. sind für den Behandler kaum anstrengend. So ist auch eine zierliche Frau durchaus in der Lage, erfolgreich chiropraktisch zu behandeln.

Frage: Führt häufige Chiropraktik zum Ausleiern der Bänder?
Antwort: Früher wurde beim Patienten sehr unspezifisch der Kopf nach rechts und nach links geruckt “soweit es ging”, was zu einer Überdehnung des Bandapparates führte, insbesonders, wenn vorher die Muskulatur nicht gelockert wurde. Die moderne, sanfte Chiropraktik beinhaltet eine zweigeteilte Grifftechnik. Auf die leichte Vorspannung folgt ein kurzer, genau geführter sanfter Impuls, der sich jeweils nur auf ein bestimmtes Wirbelsegment bezieht. Der Wirbel wird nicht über seine normalen Bewegungsgrenzen hinaus rotiert, so daß ein Ausleiern der Bänder nicht möglich ist. Im Gegenteil, ein lange dauernder Fehlstand führt, sofern nicht behandelt, zu Veränderungen der umliegenden Muskulatur und Bänder.

Frage: Welche technische Ausrüstung braucht man?
Antwort: Anfangs reicht eine einfache Behandlungsliege, die von der Höhe her zur Größe des Behandlers paßt. Auf Dauer ist eine höhenverstellbare Liege, möglichst mit zweiteiliger Liegefläche und negativ verstellbarem Kopfteil sinnvoll.

Frage: Wie lange muß man lernen um sicher chiropraktisch arbeiten zu können?
Antwort: Das Wichtigste ist die ständige Übung und Wiederholung der im Kurs erlernten Techniken. Jeden chiropraktischen Griff kann man auch ohne Impuls beim Patienten ansetzen. Er wirkt dann im Sinne einer Dehnung. Diese Anwendung ist ungefährlich und bietet dem Schüler die Möglichkeit zunächst an den anderen Kursteilnehmern zu lernen und dann im privaten Bereich die Technik weiter zu perfektionieren. In der Praxis übernimmt man dann Kurs für Kurs die neuerlernten Techniken in sein Repertoire, so daß man mit der Zeit immer mehr potenzielle Wirbelfehlstände erfolgreich behandeln kann.

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