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aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 2/2000

Leserechtschreibschwäche

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Psychologische Beratung und Behandlung von Leserechtscheibschwäche

Die Lese-Recht-Schreib-Schwäche ist eine Teilleistungsstörung, welche sich im Alter zwischen sieben bis zwölf Jahren manifestiert. Die Störung betrifft das erschwerte Lernen von Lesen und Schreiben bei normal intelligenten Kindern.

r0002_pb1Ursachen der Störung sind noch nicht 100%ig bekannt. Eine wichtige Rolle spielen Vererbungsfaktoren, Komplikationen während der Schwangerschaft, der Geburt oder der frühkindlichen Entwicklung (diagnostisch: MCD-Minimale Cerebrale Dysfunktion), sowie die allgemeine sensomotorischen Entwicklung in den ersten sechs Lebensjahren. Häufiger betroffen sind Jungen, deren Sinnesstörung sich meist im zweiten Schuljahr manifestiert. Als Vorbote der Störung sind motorische Defizite, Probleme bei der Entwicklung der Seitigkeit sowie der mangelhaften Verarbeitung visueller und auditiver sensorischen Reize schon im Kindergartenalter ernst zu nehmen.
So geschieht es, dass Eltern von leserechtschreibschwachen Kindern frühe Symptome berichten, wie mangelnde Reaktion auf Ansprechen des Kindes, undeutliches inhaltliches Verstehen von Lauten und Schwierigkeiten beim genauen Differenzieren und Erkennen von Bild- und Rätselangeboten.
In der Schule fallen diese Kinder durch sog. Reversionen auf, d.h. dass ähnliche Buchstaben seitenverkehrt vertauscht werden, z.B. b/d, q/p, ei/ie. Sie schreiben ein Wort in der falschen Buchstabenreihe, wie z.B. Muas statt Maus, was man im Fachlatein Wahrnehmungsrichtungsfehler nennt.
Ganz typisch dafür ist auch, dass der Schüler zuerst den letzten Buchstaben eines Wortes aufschreibt, da er zuletzt gehört – für ihn am bedeutungsvollsten ist.
Nicht zu vergessen ist die eingeschränkte Wahrnehmungstrennschärfe, welche das betreffende Kind ähnlich klingende Buchstaben verwechseln lässt, wie z.B. d/t, g/k, ch/sch. In der Zusammenfassung handelt es sich hier um Wahrnehmungsfehler, die durch die Regelfehler ergänzt werden.
Zu den typischen Regeln der deutschen Rechtschreibung zählt die Groß- und Kleinschreibung, das Zusammenziehen von Wörtern, das Einsetzen von Doppelkonsonanten bzw. dem Dehnungs-H und das Setzen von Satzzeichen.
Die Fehlertypologien sind von Kind zu Kind sehr variabel und vom jeweiligen schulischen Entwicklungsstand des Kindes abhängig.
Im ersten und zweiten Schuljahr versuchen die Kinder, ihre vermeintliche Schwäche zu korrigieren mit anderen von ihnen erfunden Strategien. Sie benutzen ganz einfach das Gedächtnis und prägen sich Wortbilder ein. Dies befähigt die Kinder, nahezu auswendig Texte aus der Fibel vorzutragen oder einzelne Wörter aus dem Kopf aufzuschreiben. Die Schüler üben sich darin, ein Wortbildgedächtnis zu entwickeln.
So kann es sein, dass die Kinder nicht wie üblich eine Phonem-Graphem- Dekodierung vornehmen, sondern sich schlicht das reine Wortbild merken.
Oft haben diese Kinder die Fähigkeit, Texte fehlerfrei abzuschreiben. Diese Art der Kompensationsmöglichkeit gelingt ca. bis zum Ende der zweiten Klasse. Spätestens in der dritten Klasse wird der Umfang des Lesens und Schreibens so groß, dass der betroffene Schüler es nicht mehr ausgleichen kann.
Auffälligkeiten im Lesen sind daran zu bemerken, dass das Kind Schwierigkeiten hat, damit zu beginnen, es stark verlangsamt und/oder falsch liest. So verrutscht es in der Zeile oder im Wort selbst. Es fährt mit dem Auge sozusagen den Begriff von der Mitte nach vorn und wieder zurück ab.
Der Schüler vertauscht – so wie im Schreiben auch – formähnliche Buchstaben (b/d, ei/ie, f/t, m/n). Er neigt dazu, Silben auszulassen, zu verdrehen und hinzuzufügen.
Durch die vorherigen Kompensationen entsteht bei den gestörten Fibellesern der Drang, einen Text vorausschauend zu lesen, was die Kinder veranlasst, frei nach ihrer Kreativität eine Geschichte vorzutragen.
Die irrtümliche Leseerwartung führt dazu, dass Textinhalte lückenhaft oder fälschlicherweise verarbeitet werden und es so zu Problemen kommt, das Gelesene wiederzugeben und aus diesem Schlüsse zu ziehen.
Letztlich überträgt sich diese Strategie auf andere Fächer, in denen Leseverständnisfähigkeiten vorausgesetzt werden. So fällt es den Kindern schwer, mit mathematischen Textaufgaben umzugehen oder Fragen an einem Text zu beantworten. Das bedeutet, dass trotz der besseren Noten in diesen Fächern die tatsächliche Leistungsfähigkeit nicht adäquat zensiert wird.
r0002_pb2In der Tätigkeit als Berater ist es sinnvoll, die Eltern sowie den Deutschlehrer in das therapeutische Team einzubeziehen. Die Eltern sollten darin aufgeklärt werden, dass eine LRS nicht geheilt, sondern lediglich kompensiert werden kann.
Bei optimalem Therapieerfolg würde man einen durchschnittlichen Deutschschüler vom leserechtschreibschwachen Kind kaum unterscheiden können.
Es ist wichtig, sowohl für die Eltern, als auch für das Kind, die Symptome der Störung genau kennenzulernen, um sie a) selbst identifizieren und b) sie ausgleichen zu können. Eine Möglichkeit wäre, eine Fehlertypologie für das entsprechende Kind – anhand seiner bisherigen Lese- und Schreibarbeiten – aufzubauen und einen Behandlungsplan festzulegen. Das hilft dem Kind, seine Fehlerstruktur selbst zu erkennen, speziell darauf seine Aufmerksamkeit zu richten und selbsterkannte Fehler zu korrigieren. Die Eltern bekommen des weiteren eine neue und gezielte Strategie des Übens mit ihrem Kind.
Nicht zu vergessen ist bei der Beratung der Eltern und Lehrer das Aufrechterhalten des Selbstwertgefühls und der sozialen Kontakte des Kindes. Die Eltern veranlasst die Sorge um die schulische Entwicklung des Kindes häufig, massiv mit ihm zu lernen. Durch den starken Leistungsdruck können Begleitstörungen oder Sekundärstörungen auftreten, wie erneutes Einnässen, Schulunlust und -angst, psychosomatische Beschwerden und soziale Auffälligkeiten.
Um dies zu verhindern, ist es neben der fehlerorientierten Behandlung ebenso wichtig, ressourcenaktivierend zu beraten. Das leserechtschreibschwache Kind sollte die Gelegenheit bekommen, in anderen Bereichen, wie in der Musik oder dem Sport, Anerkennung und Erfolge zu sammeln. Bei der Therapie der Symptome können Interessen und Hobbies einbezogen und thematisiert werden.
Motivierend sind immer wieder technische Mittel, wie der Einsatz des Computers, welcher die Schrift des Kindes überschaubar macht, und es dazu befähigt, kreativ und selbständig zu lernen. Spiel und Spaß haben sich immer wieder in der Behandlung bei Kindern bewährt und sind wohl nach wie vor die wichtigsten “Jokerkarten” in der Hand des Therapeuten.

Nicole Marx
Ergotherapeutin
Auszubildende für
Psychologische Beratung

ÜBUNGSPLAN FÜR JENS MUSTERMANN:

Lesen: Das Lesen macht dir große Freude. Deshalb bleib ruhig ein kleiner Bücherwurm.
Schreiben: Deine Schrift ist schon sehr schön. Weiter so!
L: Das Lautieren der Buchstaben hast du ja schon längst gelernt.
WD: Die Wortdurchgliederung ist wichtig für dich, um nicht zu viele oder zu wenige Buchstaben im Wort zu verwenden. Das bereitet dir kaum Schwierigkeiten.
WT: Die Wahrnehmungstrennschärfe werden wir noch sehr oft üben müssen. Es passiert dir häufig, dass du ähnlich klingende Buchstaben einfach durcheinander wirfst. (d/t, b/p, e/ä)
WR: Die Wahrnehmungsrichtung ist absolut kein Problem für dich.
A: Die Erinnerung an Wortbausteine kann helfen herauszufinden, woher die Worte kommen und warum sie so geschrieben werden. Aber das be herrschst du gut.
D: Dehnung und Dopplung von Buchstaben fällt sogar Erwachsenen schwer. Ich werde dir einige Tricks verraten.
G: Die Groß- und Kleinschreibregeln sitzen noch nicht sehr fest. Mit ein paar Eselsbrücken kannst du sie dir besser merken.
R: Regelwissen trainieren ist etwas langweilig, muss aber doch gemacht werden. Besonders schwer fällt es dir, zu hören, wann ein Satz zu Ende ist und ein neuer anfangen muss. Mit ein paar Übungen lernst du das ganz schnell.

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