Übersicht dieser Ausgabe    Alle Paracelsus Magazine

aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 5/2016

Autogenes Training – Teil 1

Cover

Die beste Entspannungsmethode der 2016 05 Autogen1

© contrastwerkstatt I fotolia.comDie Ursprünge des Autogenen Trainings liegen weit zurück in der Vergangenheit. Viele Kulturen entwickelten Methoden der Meditation und Selbsthypnose, z.B. Yoga. Ende des 19. Jahrhunderts existierte bereits in der Theosophischen Gesellschaft eine nahezu identische Form des Autogenen Trainings, wie wir es heute praktizieren.

Der Neurologe und Hirnforscher Oskar Vogt (1870-1959) forschte am neurobiologischen Laboratorium in Berlin intensiv über die Wirkung von Hypnose. Er stellte fest, dass Patienten, die regelmäßig von einem Therapeuten hypnotisiert wurden, sich ab einem bestimmten Zeitpunkt selbst in Hypnose versetzen konnten. Er war es auch, der den Berliner Internisten und Psychologen Johannes Heinrich Schultz (1884-1970) inspirierte, sich mit der Selbsthypnose und ihrer Einflussnahme auf den Körper zu beschäftigen.

Während des Ersten Weltkrieges leitete Schultz ein Lazarett, wo Soldaten, die an posttraumatischen Belastungsstörungen litten, behandelt wurden. Hier konnte er erste Erfolge mit den grundlegenden Übungen erzielen, die er damals noch „Konzentrative Selbstentspannung“ nannte. Durch die gelenkte Wahrnehmung auf den eigenen Körper und mittels Selbstsuggestion über Formeln konnte er den Soldaten helfen, ihr vegetatives Nervensystem zu entspannen und sie dabei unterstützen, ihre Kriegstraumata selbstständig zu verarbeiten. Später setzte er seine Methode als Hypnotherapeut hauptsächlich im Bereich der Psychotherapie ein. Er entdeckte, dass Patienten in Hypnose eine tiefe Ruhe empfanden und man nach der Suggestion von Ruhe und Wärme sogar eine Erhöhung der Hauttemperatur messen konnte. 1932 veröffentlichte er sein erstes Buch „Das Autogene Training“. 1959 gründete er die „Deutsche Gesellschaft für ärztliche Hypnose“.

Was bedeutet eigentlich „autogen“?

Autogen ist eine Wortschöpfung von Schultz und setzt sich aus den griechischen Begriffen „autos“ = selbst und „gen“ = entstehen zusammen. Es entsteht also etwas aus dem Selbst und wird geübt. Für die damalige Zeit war die Erkenntnis revolutionär, dass Autosuggestion gezielte Einflussnahme auf das vegetative Nervensystem ermöglichte. Schultz selber sprach – analog zu körperlichen Fitnessübungen – von einer konzentativen inneren Gymnastik, die ein selbstverständlicher Bestandteil der persönlichen Gesundheitspflege sein sollte.

Vegetatives Nervensystem

Das vegetative Nervensystem wird auch viszerales oder autonomes Nervensystem genannt. Autonom bedeutet, dass die vermittelten nervalen Impulse nicht willentlich vom Menschen steuerbar und beeinflussbar sind. Über dieses System werden lebenswichtige Vitalfunktionen wie Atmung, Blutdruck, Verdauung, Herzschlag, Stoffwechsel, Schutzreflexe und innere Temperatur gesteuert. Außerdem beeinflusst es sowohl die Hormondrüsen als auch die Funktion innerer Organbereiche wie Magen, Darm und Sexualorgane. Das vegetative Nervensystem wird aufgegliedert in:

  • Sympathikus (Stressnerv)
  • Parasympathikus (Entspannungsnerv)
  • Enterisches Nervensystem (Verdauungsnerv)

Ziel des Autogenen Trainings

Das oberste Ziel besteht darin, den Teilnehmer in die Lage zu versetzen, sich selbst aus einer stressbesetzten Situation in einen entspannten Zustand zu versetzen. Außerdem ist es ein hervorragendes Verfahren zur Förderung der Selbstwahrnehmung und hilft uns, Zugang zu unseren Bedürfnissen und Wünschen zu finden. Durch die fortschreitende Entspannung des Vegetativums werden Organfunktionen positiv beeinflusst, Kreislauf und Blutdruck können harmonisiert werden. Besonders bewährt hat sich das Verfahren bei stressbedingten Anspannungszuständen und als Unterstützung einer Psychotherapie bei der Behandlung von Ängsten. Durch die fortschreitende Entspannung sind ängstliche Patienten in der Lage, gelassener und aus einer distanzierteren Position heraus ihre Probleme zu reflektieren.

Ein weiteres Einsatzgebiet des Autogenen Trainings ist die Prävention. Ist das Verfahren automatisiert, kann es hervorragend eingesetzt werden, um bevorstehende schwierige Situationen erfolgreich zu bewältigen oder um Stress abzubauen. Auch unser emotionales Erleben wird durch regelmäßiges Üben balanciert. Das Autogene Training hilft uns, begrenzende Denk- und Verhaltensmuster zu verändern, fördert die Souveränität bei Alltagsbelastungen und stabilisiert die Persönlichkeit. Anwender nehmen Aufregung weniger intensiv wahr und die persönliche Belastungsfähigkeit steigt. Auch bei schweren chronischen Krankheiten zeigt sich, dass der Umgang mit den Symptomen sich deutlich verbessert.

Wirkung des Autogenen Trainings

  • Muskelspannung reguliert sich
  • Herzfrequenz sinkt
  • Blutgefäße erweitern sich
  • Verdauungssäfte werden angeregt
  • Darmtätigkeit wird stimuliert
  • Atmung vertieft sich
  • Introspektion wird möglich

Indikationen

  • Stressbedingte Anspannungssymptome
  • Spannungskopschmerz
  • Bluthochdruck
  • Kreislaufharmonisierung
  • Emotionale Störungen
  • Ängste, Prüfungsangst
  • Unruhe, Hyperaktivität
  • Schmerzen
  • Konzentrationsstörungen
  • Süchte
  • Leistungssport, Motivationstraining
  • Verdauungsstörungen
  • Colitis ulcerosa
  • Schlafstörungen
  • Asthma bronchiale
  • Libidoverlust
  • Hormonstörungen
  • Rückenschmerzen
  • Rheuma
  • Hautkrankheiten
  • Krebs
  • Raucherentwöhnung

Kontraindikationen

  • Psychosen
  • Schwere Depressionen
  • Schwere Zwangsstörungen
  • Wahnvorstellungen

Hinweis: Laut Schultz sind keine Kontraindikationen bekannt. Vor der Anwendung des Autogenen Trainings sollte trotzdem vorher ein Arzt oder Heilpraktiker befragt werden, ob evtl. medizinische Einwände bestehen.

Erfolgreiche Anwendung des Autogenen Trainings

Grundvoraussetzung für ein erfolgreich erlebtes Autogenes Training ist die Bereitschaft, sich auf dieses Experiment einzulassen, und dass der Teilnehmer in der Lage ist, seine Aufmerksamkeit und Konzentration bewusst zu lenken und aufrecht zu halten. Psychisch überlagerten Menschen fällt dies sehr schwer. Ihnen sollte man zunächst eher aktive Übungen, z.B. aus der Progressiven Muskelentspannung oder ein gezieltes Bewegungstraining wie Nordic Walking, anbieten. Im Anschluss daran kann man Übungen aus dem Autogenen Training einfließen lassen und sie langsam in die konzentrative Entspannung führen. Beachten Sie unbedingt, dass sich durch die Aktivierung des parasympathischen Nervensystems Gefühle und Emotionen zeigen können, die im Alltagsbewusstsein unterdrückt werden. Diese können sich auch als körperliche Symptome bemerkbar machen.

Beim Autogenen Training handelt es sich um ein übendes Verfahren. Vielen Teilnehmern gelingt es nur schwer, dies im Alltag diszipliniert umzusetzen. Um aber den vollen Nutzen heraus ziehen zu können, kommt man um regelmäßiges Anwenden nicht herum. In der Praxis hat es sich bewährt, immer zur gleichen Zeit zu üben. Zu Beginn des Trainings zweimal täglich. Ich wende die Übungen am Morgen an, indem ich darüber meditiere, was im Laufe des Tages alles ansteht, und am Abend, um den Tag Revue passieren zu lassen und entspannt zu beschließen. Ich empfehle kurze Übungseinheiten, die zu Beginn nicht länger als 5 Minuten dauern sollten. Üben Sie bevorzugt im Sitzen, da sie so das Verfahren schneller generalisieren und später auch im Alltag unkomplizierter einsetzen können. Manchen Menschen hilft es, sich kurze Aufzeichnungen über den Übungserfolg zu machen. Das Autogene Training ist an Formeln gebunden. Es ist wichtig, immer mit den gleichen Formulierungen zu arbeiten, um die Automatisierung und das Unbewusstsein zuverlässig zu erreichen. Je intensiver der Anwender sich die Inhalte der Übungen vorstellen kann, desto größer wird der Übungserfolg sein. Aus der Gehirnforschung wissen wir, dass das Gehirn nicht zwischen Realität und Vorstellung unterscheidet. Aufgrund dieser Tatsache habe ich den Stundenaufbau gezielt so gestaltet, dass die Teilnehmer umfassende Informationen und Übungen zu den einzelnen Lernzielen erhalten.

Generalisierung

Im Laufe des Trainings kommt es bei regelmäßigem Üben zu einer Generalisierung. Diese beinhaltet, dass es zu einer Umschaltung von sympathischer Reaktion auf parasympathische Entspannung kommt. Wir sprechen ein Körperteil an, und es kommt zur Entspannung des gesamten Systems (organismische Gesamtumschaltung). Dieser Effekt beschleunigt die Wirkung des Trainings immens.

Ruheformel

Die Ruheformel stellt die Basisübung des Autogenen Trainings dar. Ihr Ziel ist es, innezuhalten, sich von der Außenwelt zu distanzieren und Zugang zur eigenen Körperlichkeit zu erlangen. Durch die permanente Reizüberflutung und weil der Patient oft aus voller psychomotorischer Aktivität zum Training kommt, kann es sein, dass er mit einer autogenen Entladung auf die Übung reagiert. Darunter versteht man unwillkürliche Muskelaktivität, sensorische Empfindungen, Schmerzen, Lachanfälle oder Weinkrämpfe. Diese Entladungen sollen zugelassen werden, man geht auf den Teilnehmer beruhigend ein und thematisiert es noch einmal in der Feedbackrunde oder im Einzelgespräch.

Vorbereitung für die Ruheformel

Vielleicht möchten die Teilnehmer sich einen Ort oder eine Situation vorstellen, wo sie zur Ruhe kommen. Vielen hilft es, das Gefühl von Ruhe zu erleben. Ich lade meine Kursteilnehmer ein, sich bewusst auf die Geräusche um sie herum einzustellen und wahrzunehmen, wie diese sie in den Ruhezustand begleiten. Folgende Atemübung unterstützt diesen Prozess: Atmen Sie tief ein und drücken Sie dabei die Zunge sanft an den Gaumen, beim Ausatmen die Zunge locker nach unten fallen lassen. Nehmen Sie so 10 tiefe Atemzüge, dann wird die Ruheformel sechsmal gesprochen:

  • „Ich bin ganz ruhig und entspannt.“

Alle beunruhigenden Gedanken, alle Sorgen und Ängste ziehen vorüber wie Wolken am Horizont. Der Kopf wird ganz leicht und klar. Hartnäckige Gedanken, die immer wieder in den Vordergrund drängen, können einfach dahin schmelzen wie Schnee in der Frühlingssonne. Wenden Sie dabei immer wieder die Ruheformel an: „Ich bin ganz ruhig und entspannt.“

Formulierungsalternativen

  • „Eine angenehme Ruhe durchströmt mich.“
  • „Ich bin gelöst und entspannt.“

Im Anschluss daran kräftig recken und strecken, dehnen und dann die Augen öffnen.

Fazit

Das Autogene Training ist ein hervorragendes Stressbewältigungstool, das relativ einfach zu erlernen und umzusetzen ist.

Fortsetzung folgt

Stephan HeinzStephan Heinz
Heilpraktiker für Psychotherapie und Ergotherapeut mit Praxis in Fulda, Experte für Massage, Körperarbeit und Kinesiologie
StephanHeinz@gmx.de

Literatur

  • Heinz, Stephan: Autogenes Training – Entspannt und zentriert im Alltag – Tiefenentspannung und Persönlichkeitsentwicklung. BOD Verlag, 2011
zurück zur Übersicht dieser Ausgabe
Paracelsus SchulenWir beraten Sie gerne
Hier geht's zur Paracelsus Schule Ihrer Wahl.
Menü