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aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 5/2016

Erkrankungen des Lymphgefäßsystems

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© arsdigital I fotolia.comDas Lymphsystem umfasst die Summe aller Lymphgefäße und der lymphatischen Organe. Hierzu zählen der lymphatische Rachenring mit Rachen-, Zungen- und Gaumenmandeln sowie die Milz, der Thymus, die Lymphknoten, das lymphatische Gewebe des Darms und der Appendix. Aufgaben sind Immunabwehr, Transport von Nahrungsfetten aus dem Darm sowie Drainage von Flüssigkeit aus dem Interstitium ins venöse Gefäßsystem (die Lymphe).

Das Lymphsystem ist kein in sich geschlossener Kreislauf wie der Blutkreislauf, sondern es bildet sich als Drainagesystem frei in der Peripherie. Viele kleine Gefäßarme, die Kollektoren, münden in immer größer werdende Sammelstämme, die in den venösen Blutkreislauf übergehen. Damit gelangt die Lymphe zum Herzen und hierüber in den regulären Blutkreislauf.

Damit keine schädlichen Stoffe in die Blutbahn kommen, sind im Verlauf der Lymphgefäße Lymphknoten zwischengeschaltet, die als Filterstationen dienen. Hier werden schädliche Endprodukte aus der lymphpflichtigen Last direkt aussortiert und durch Makrophagen (Fresszellen) zerlegt. Zudem werden in den Lymphknoten auch Lymphozyten immunkompetent gemacht. Besonders aktiv sind sie während einer Immunabwehrreaktion, dabei schwellen sie an und sind häufig als verdickte Strukturen tastbar. Typisches Beispiel sind die geschwollenen submandibulären Lymphknoten bei einem Rachenwegsinfekt.

Das Lymphgefäßsystem kann auch selbst von Erkrankungen betroffen sein und in seiner einwandfreien Funktion eingeschränkt werden. Dies führt oft zu erkennbaren Symptomen, die im Zuge der Diagnostik genau gedeutet werden müssen, um daraufhin eine adäquate Therapie einleiten zu können. Der krankheitsbedingte, verminderte Abfluss der Lymphe oder lymphpflichtigen Last führt zu erkenn- und ertastbaren Ödemen (Flüssigkeitsansammlungen) am Körper. Hier gilt es, unterscheiden zu können, auf welche Erkrankung ein bestimmtes Ödem schließen lässt.

Grundsätzlich lassen sich die Ödeme in physiologische und pathologische Ödeme unterteilen. Zu den physiologischen Ausprägungen zählen Ödeme während der Schwangerschaft; hierbei handelt es sich um ein Wasserreservoir, das den Flüssigkeitsaustausch zwischen der Plazenta und dem ungeborenen Fötus aufrecht hält. Auch Hitzeödeme, prämenstruelle und orthostatische Überlastungsödeme sind physiologisch. Bei letzteren treten nach längerer Sitz- oder Stehbelastung Ödeme an den unteren Extremitäten (Knöchel, Füße, Unterschenkel) auf, da die Muskelpumpe bei längerem Bewegungsmangel inaktiv ist und den Lymphabfluss nicht mehr hundertprozentig aufrecht erhalten kann; so kommt es zu einer Dysbalance zwischen transportpflichtiger Last und Transportkapazität und schließlich zum Lymphstau.

Die pathologischen Ödeme werden in 3 große Gruppen gegliedert und unterscheiden sich hinsichtlich Therapiemöglichkeiten und -ansätzen. Bei den pathologischen Ödemen der Gruppe I ist physikalische Therapie mit manueller Lymphdrainage sowie Kompressionsbehandlung durch Bandagierung das Mittel der Wahl. Die Ödeme der Gruppe II werden ebenfalls durch physikalische Therapie zusätzlich unterstützend behandelt. Die Ödeme der Gruppe III erfordern hingegen eine medikamentöse oder diätetische Behandlung.

Die Ödeme der Gruppe I

1. Das Lymphödem bezeichnet eine Erkrankung der Lymphgefäße, bei der die Gewebsflüssigkeit nicht ausreichend abtransportiert werden kann und eingelagert bleibt. Es gibt primäre Lymphödeme (z.B. durch Störung des Lymphsystems) und sekundäre Lymphödeme (z.B. nach Traumata, operativen Eingriffen und anderen Schädigungen), bei denen das Lymphsystem strukturell geschädigt oder zerstört worden ist.

Primäre Lymphödeme sind zu 55% bei Frauen und zu 45% bei Männern zu finden. An den Armen tritt es fast immer einseitig auf, an den Beinen jeweils zu 50% einseitig oder beidseitig. In 95% aller Fälle sind die Beine betroffen. Dabei liegen meistens (85%) zu kleine Lymphgefäße vor (Mikroplasie), es können auch Lymphgefäße komplett fehlen oder zu wenige Lymphknoten angelegt sein. Symptome wie Spannungsgefühl, Schwellung und Schweregefühl nehmen im Tagesverlauf eher zu. Therapie ist hier die manuelle Lymphdrainage und die Kompressionsbehandlung.

Das sekundäre Lymphödem ist mit 90% Anteil unter allen Lymphödemen das am häufigsten vorkommende Ödem in der europäischen Region. Es entsteht durch Verletzungen oder Schädigungen von Lymphbahnen oder Lymphknoten nach Operationen, Bestrahlungen, parasitärem Befall, Entzündungen sowie tumorösen Erkrankungen (malignes Lymphödem). Die meisten aller sekundären Lymphödeme betreffen die Arme und treten nach Brustkrebsbehandlungen auf (75%).

Übrigens ist diese Form eines Ödems auch bei Männern möglich, da auch diese an Brustkrebs erkranken können. In der Regel tritt dieses Ödem nach Entfernung der axillären Lymphknoten auf.

Merke: Durch eine alleinige Ablatio mammae kann kein Lymphödem entstehen.

Den zweitgrößten Anteil mit 10-15% macht das maligne Lymphödem aus. Dieses entsteht durch Tumoren oder deren Metastasenbildung. Weitere sekundäre Lymphödeme sind das sekundäre Kopflymphödem, das bei malignen Erkrankungen im Mund- und Rachenbereich nach Bestrahlung oder Operation auftritt, und das sekundäre Genital- und Beinlymphödem, z.B. durch maligne Erkrankungen im Genitalbereich und den daraus resultierenden Operationen und Bestrahlungen verursacht.

Auch Entzündungen (Erysipele, Lymphbahn- oder Lymphknotenentzündungen) können den Lymphabfluss aufgrund der Bildung von Narbengewebe verschlechtern und so die Entstehung eines sekundären Lymphödems fördern.

2. Das traumatische Ödem tritt oft nach Traumata (Distorsionen, Prellungen, Schlageinwirkungen oder begleitend bei Frakturen) und auch postoperativ auf, dann besonders im Extremitäten- und Gelenkbereich. Hierbei werden die kleinen Lymphgefäße schlicht und einfach zerrissen bzw. zerschnitten. Daraus resultieren eine Vasodilatation und eine Steigerung der Permeabilität mit verstärktem Eiweißaustritt. Die intensive manuelle Lymphdrainage ist hier erforderlich zur schnelleren Wiederherstellung der Funktionalität.

Zu den posttraumatischen Ödemen zählt auch die sympathische Reflexdystrophie, das Sudeck-Syndrom. Dieses Ödem bildet sich ca. 2-6 Wochen nach dem Trauma. Es handelt sich um eine zunächst beschwerdefreie Schwellung, die nach Wochen dann spontan schmerzhaft wird. Der Verlauf des Sudeck-Syndroms unterteilt sich in 3 Stadien, in den Stadien 1 und 2 sollte u.a. mit Lymphdrainage unterstützend therapiert werden.

3. Das Phlebödem ist eiweißreich und entsteht durch rezidivierende Venenentzündungen. Diese schädigen nahe gelegene Lymphgefäße (Perilymphangitis). Begleitende Schmerzen verursachen zusätzlich Gefäßspasmen. Diese sorgen für eine weitere Verschlechterung des Lymphtransportes. Hier sollte der Abtransport der lymphpflichtigen Last durch manuelle Lymphdrainagen unterstüzt werden, da zudem die Gefahr eines Erysipels oder eines Ulcus cruris besteht.

4. Das Inaktivitätsödem wird auch Lähmungsödem genannt, da es nach Paresen (Querschnittslähmung, angeborene Paresen, Poliomyelitis und Apoplex) auftreten kann. Da in diesen Fällen die Muskelpumpe nicht ausreichend oder gar nicht aktiv ist, kommt es zu einer Lymphostase sowie zu einer Phlebostase. Hier sollte ebenfalls die manuelle Lymphdrainage zum Einsatz kommen.

5. Die Lipödeme sind Fettödeme. Es liegt eine Fettverteilungsstörung zugrunde. Dieses chronische Ödem, das nur Frauen betrifft, manifestiert sich am ehesten im Verlauf der unteren Extremität. Es kommt erst zu einer Hyperplasie von Fettgewebe, daraufhin folgt vermehrter Druck auf die Lymphgefäße, und die daraus resultierende Verengung erschwert den Abtransport der Lymphe. Ergebnis ist ein Lymphstau. Durch manuelle Lymphdrainage kann man die Spannungsschmerzen reduzieren und unterstützend therapieren; man darf jedoch nicht vergessen, dass das Fettgewebe nicht „wegdrainiert“ werden kann, auch wenn das häufig die Hoffnung vieler Patientinnen ist.

6. Das artifizielle Ödem entsteht durch selbst durchgeführte Abschnürungen von Extremitäten. Die daraus resultierende Abflussbehinderung zeigt oft ein klar abgegrenztes Ödem mit begleitender Blauverfärbung der Extremität, da auch der Blutkreislauf blockiert wird. Ursachen sind oft psychogene Erkrankungen des Betroffenen.

7. Das Rebound-Ödem Unter Einnahme von Diuretika kommt es zu vermehrten Wassereinlagerungen, sobald die Wirkung des Diuretikums aufhört. Dies geschieht durch einen reaktiven Hyperaldosteronismus und erhöhte Produktion von Adiuretin infolge des Wasserentzuges durch das Medikament. Geeignete Therapieoptionen sind Absetzen der diuretischen Medikation und manuelle Lymphdrainage des gesamten Körpers, eventuell zusätzliches Tragen einer Kompressionsstrumpfhose.

8. Das idiopathische Ödem betrifft nur Frauen. Es ist gering eiweißreich, da es mit einer Permeabilitätsstörung der Kapillargefäße einhergeht, bei der auch Proteine hindurchtreten können. Die Ursache für diese Ödemform ist noch nicht ausreichend geklärt (daher „idiopathisch“), sodass die Diagnose zunächst einen Ausschluss aller anderen Ödemformen voraussetzt.

9. Das ischämische Ödem gründet auf Gefäßwandschädigungen der Arterien oder der Kapillaren. Dadurch kommt es zu einer erhöhten Permeabilität der Gefäßwände. Die Therapie sollte hier ebenfalls über die Lymphdrainage erfolgen sowie über eine Kompressionstherapie, jedoch nicht fest anliegend, da sonst weitere Durchblutungsminderungen verursacht werden können.

Die Ödeme der Gruppe II

1. Das kardiogene Ödem Bedingt durch eine Rechtsherzinsuffizienz erhöht sich der venöse Rückstau und der Druck in den kleinsten venösen Gefäßen. Es kommt zur Verringerung der Reabsorptionskapazität der venösen Gefäße. Die Gabe von Diuretika und anschließende Lymphdrainagetherapie ist eine Kombination, die hier nur mit geringem Druck ausgeführt werden sollte, um das Herz nicht zusätzlich durch eine zu schnelle Entstauung der peripheren Gefäße zu überlasten.

2. Das entzündliche Ödem Die Ursachen sind vielfältig. Durch Bakterien und Viren werden häufig Ödeme hervorgerufen, die eine entzündliche Reaktion begleiten, so wie bei einem Erysipel. Hier sollte eine manuelle Lymphdrainage aufgrund der Streuungsgefahr der Keime erst nach der akuten Phase durchgeführt werden, also nach Abklingen des Fiebers und nach dem Absetzen der fiebersenkenden Medikation. Ebenso kann es durch Strahleneinwirkung bei der Radiotherapie sowie durch extreme Kälte- oder Hitzeeinwirkungen zu Schädigungen der Gefäße kommen, woraufhin sich ein Ödem entwickeln kann. Entzündliche Ödeme können weiterhin auftreten bei: Rheuma, Ekzemen, Dermatomyositis und Sklerodermie (Sklerödem).

3. Das Schwangerschaftsödem Dass Wassereinlagerungen während der Schwangerschaft fast normal sind, wurde zu Beginn dieses Artikels erwähnt. Sollten diese Wassereinlagerungen jedoch mehr als 7 Liter betragen, so spricht man von einem pathologischen Ödem. Hier sollten eventuelle Ursachen wie Nierenschädigungen ausgeschlossen werden, bevor man mit Lymphdrainage oder Kompression (Strumpfhose) therapiert.

4. Das rheumatische Ödem Diese Gruppe bezeichnet Ödeme, die begleitend bei rheumatischen Arthritiden, Arthrosen und Weichteilrheumatismus auftreten können.

Die Ödeme der Gruppe III

1. Das hepatogene Ödem Durch Schädigungen der Leber wird die Eiweißsynthese stark beeinträchtigt, sodass ein Eiweißmangel resultiert. Das tief dellbare Ödem wird oft durch einen Aszites begleitet.

2. Das nephrogene Ödem Bei Nierenversagen kommt es zu verminderter Urinausscheidung und somit zu vermehrter Flüssigkeitsansammlung im Körper. Beim nephrotischen Syndrom verlieren die Nieren vermehrt Eiweiße (Eiweißmangel im Blut und mehr Eiweiß im Urin). Die daraus resultierenden Eiweißmangelödeme sind tief dellbar. Besonders morgens sind diese Ödeme im Gesicht zu erkennen, vor allem die Augenlider sind betroffen.

3. Das allergische Ödem ist eine akute Form, die sich nach Kontakt mit oder oraler Aufnahme von Allergenen entwickelt. Hierzu zählen Milch, Nüsse, Früchte oder tierische Eiweiße, seltener bestimmte Gemüsesorten.

4. Das endokrine Ödem ist ein durch Hypo- oder Hyperthyreose bedingtes Ödem, das sich hauptsächlich im Bereich der Unterschenkel (bei Hypothyreose) oder im Bereich des Vorfußes/der Zehen (bei Hyperthyreose) manifestiert. Auch beim Cushing-Syndrom, dem Hyperaldosteronimus und der vermehrten Sekretion von Adiuretin kommt es häufig zu Ödemen, ebenso bei erhöhtem Östrogenoder Serotoninspiegel.

5. Das Eiweißmangelödem Durch Mangelernährung, Lebererkrankungen, erhöhter Ausscheidung von Eiweißen (bei Nierenoder Darmpathologien) sowie bei verstärktem Eiweißverbrauch kommt es häufig zu Eiweißmangelödemen, die tief dellbar sind. Hier sollte eine medikamentöse Therapie erfolgen und eine Umstellung der Ernährung ist erforderlich.

6. Das toxische Ödem Durch Toxine nach Wespen-/Bienenstichen oder Spinnen-/Schlangenbissen wird eine erhöhte Permeabilität der Kapillaren verursacht, die zu einem lokalen oder auf die Extremität des Bisses begrenzten Ödem führt. Die Therapie erfolgt hier ausschließlich medikamentös.

7. Ödemkombinationen Oft liegen verschiedene Ödeme gleichzeitig vor (z.B. Lymphund Lipödem).

Fazit

Grundsätzlich erfordert die Vielzahl an Erkrankungen und Beeinträchtigungen des Lymphgefäßsystems eine genaue Diagnostik und Differenzierung der einzelnen Krankheitsbilder, um mit der adäquaten Therapie ansetzen zu können. Zudem sollten die Griffreihenfolgen der manuellen Lymphdrainage sowie die Anlagen von Kompressionsbandagierungen erlernt sein, um den größtmöglichen Behandlungserfolg erzielen zu können.

Jörg KronfeldtJörg Kronfeldt
Physio- und Manualtherapeut, Lymphdrainage- und Ödemtherapeut, Sportphysiotherapeut, Heilpraktiker (Physiotherapie), selbstständig im Therapiezentrum Hamm-Heessen (Praxis für Physiotherapie und Ergotherapie)
info@therapiezentrum-hamm-heessen.de

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