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aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 6/2021

Spagyrik in der Tierheilkunde – Grundlagen und Vorgehen am Beispiel der Scheinträchtigkeit

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Hört man Spagyrik zum ersten Mal, denken viele Laien an Mystik und geheime Machenschaften. Bereits im Mittelalter wurde die Spagyrik jedoch von alchemistisch arbeitenden Naturkundigen angewandt, sie ist eine jahrhundertealte Heilkunst, die auf allen Ebenen (Körper, Geist, Seele) ansetzt. Auch im Bereich der Tierheilkunde hat sich diese nebenwirkungsfreie Therapieform bewährt.

Herkunft

Der Ursprung der Spagyrik lässt sich in antiken Kulturen verorten, in Europa ist v.a. der Arzt Paracelsus (1493-1541) untrennbar mit diesem Verfahren verbunden. Er galt als Meister der Alchemie und als bedeutender Anwender spagyrischer Mittel im ausgehenden Mittelalter. Unter Alchemie versteht man die Lehre von Eigenschaften der Stoffe und ihren Reaktionen ab dem 1./2. Jahrhundert. Es ist eine mystische und symbolisch verbrämte Chemie.

Paracelsus war sein ganzes Leben darauf aus, „reine, saubere“ Arzneimittel aus pflanzlichen Stoffen zur Behandlung von Krankheiten herzustellen. Von ihm ist der Gebrauch des Wortes Spagyrik als Synonym für die Alchemie überliefert. Unter Spagyrik verstand er das Trennen, Lösen und Vereinen von Pflanzenwirkstoffen und mineralischen Substanzen. Da er der Meinung war, dass jede Materie auf der einen Seite aus etwas Gutem und Reinem besteht, was heilt, zugleich aber auch etwas Schlechtes und Unreines in sich trägt, was schädigt, mussten diese Teile getrennt oder gelöst werden.

Von der Signaturenlehre bis zu Dr. Zimpel

Paracelsus vertrat die Auffassung, dass in jeder Pflanze eine Lebenskraft steckt. Daher eignete er sich ein großes Pflanzen- und Heilwissen unterschiedlichster kräuterkundiger Menschen aus ganz Europa an und war einer der wichtigsten Vertreter der Signaturenlehre. Diese besagt, dass die Pflanzen bzw. auch die Natur selbst Merkmale tragen, die sich in Aussehen, Farbe, Struktur, Namensgebung und Ähnlichkeit mit Organen, Körperteilen, Konsistenz und auch im Pflanzenverhalten widerspiegeln.

Neben anderen Persönlichkeiten arbeitete Dr. Carl Friedrich Zimpel (1801-1879) Jahrhunderte später das spagyrische Verfahren weiter aus. Noch heute beruhen große Teile der modernen Spagyrik auf seiner Herangehensweise.

Die Dreiheit von Körper, Geist und Seele

Folgende Kräfte lenken das Leben aller Lebewesen, ob Mensch, Tier oder Pflanze:

  • Sal (Salz) = Körper
  • Sulfur (Schwefel) = Seele
  • Merkur (Quecksilber) = Geist

Sal steht für die Materie und den Körper, Sulfur für die Seele und das Bewusste, Merkur für den Geist und die Lebensenergie. Ist ein Tier aus dem Gleichgewicht geraten, in Form einer Krankheit, heilt ein ganzheitlich wirkendes Pflanzenarzneimittel, das diese drei Kräfte in sich trägt. Um die Heilkräfte aus den Pflanzen zu erhalten, haben damals die Menschen einen enormen Aufwand betrieben, was sich bis heute nicht geändert hat.

Verfahren nach Dr. Zimpel

Die Herstellung der spagyrischen Essenzen nach Dr. Carl Friedrich Zimpel umfasst diese Schritte:

1. Gärung Es werden frische, möglichst handverlesene Bio-Heilpflanzen zerkleinert und mit Wasser und Hefe bei 20-25 °C vergoren. Dieser Schritt kann nur einige Tage oder aber Wochen dauern und ist pflanzenabhängig.

2. Destillation Die dabei entstandene vergorene Pflanzenmasse wird einer Wasserdampfdestillation unterzogen. So werden Stoffe, wie ätherische Öle oder der pflanzeneigene Alkohol, vom Rest getrennt.

3. Veraschung Der übriggebliebene Rückstand wird abgepresst, getrocknet und bei einer Temperatur von 400 °C verascht.

4. Zusammenführung Nun werden das Destillat und die Pflanzenasche wieder zusammengeführt.

5. Filtration Unlösliche Bestandteile setzen sich ab, sodass man sie nach 2 Tagen abfiltern kann.

Fallstudie: Scheinträchtigkeit

Lucy ist eine temperamentvolle 6-jährige Jack-Russel-Hündin. Sie spielt, jagt und ist sehr aufmerksam – nur 2x im Jahr wirkt sie wie ausgewechselt. Dann ist sie träge, sammelt vermehrt ihr Spielzeug ein und beschützt es, frisst wochenlang ganz schlecht, manche Tage gar nicht. Ihr Gesäuge schwillt an, bildet Milch und wird intensiv beleckt.

Fehlsteuerung der Hormone

Wie Lucy leiden viele Hündinnen kurze Zeit nach der Läufigkeit unter einer Scheinträchtigkeit. Sie bilden sich ein, Welpen zu bekommen und ändern ihr Verhalten in Richtung anhänglich, über aggressiv bis zu teilnahmslos. Dies ist noch nicht krankhaft, sondern ein normaler biologischer Vorgang. Bei jeder Hündin, ob trächtig oder nicht, wird nach der Läufigkeit das Schwangerschaftshormon Progesteron gebildet, das die Hündin träge werden lässt. Auf Grund dessen wird das Milchdrüsenwachstum angeregt. Etwa 2 Monate nach der Läufigkeit, also dem eigentlichen, biologischen Geburtstermin, wird auch bei der nicht trächtigen Hündin Milch gebildet. Das hat die Natur so vorgesehen, falls im Rudel die Mutter mit Welpen „ausfällt“, verstirbt o.Ä. So kann die Versorgung der Welpen weiter gewährleistet werden. Normalerweise ist die Milchproduktion so gering, dass die Besitzer es gar nicht bemerken. Bei einer scheinträchtigen Hündin jedoch bleibt sie erhalten. Bei der säugenden Hündin regt Prolaktin den Milchfluss an, und es wird vermutet, dass dieses Hormon auch für die Fehlsteuerung verantwortlich ist.

Schulmedizinische Behandlung

Die Tierärzte verabreichen bei Scheinträchtigkeit Prolaktinhemmer. Wie über den Namen erahnt werden kann, unterbinden diese Medikamente die Ausschüttung des Hormons Prolaktin. Werden weniger Hormone ausgeschüttet, nimmt die Milchbildung im Gesäuge immer mehr ab. Nach ein paar Tagen lassen die Symptome normalerweise nach. Allerdings können diese Präparate auch unerwünschte Nebenwirkungen haben, es kann zu Trägheit, Übelkeit und Krämpfen kommen.

Abhilfe schaffen

Neben viel Abwechslung und Ablenkung (Spaziergänge, unterschiedliche Fütterungszeiten, Veränderung des Schlafplatzes) sollte der scheinträchtigen Hündin das adoptierte „Kind“ weggenommen werden (das können Socken oder eine Klobürste sein), um die weitere Produktion des Hormons Prolaktin zu unterbinden. Positive Effekte haben sich auch unter Anwendung spezieller Spagyrik-Mischungen gezeigt. Diese wirken ganzheitlich und haben keine Nebenwirkungen.

Auswahl der Pflanzen

Im Folgenden stelle ich einige Pflanzen vor, die sich bei Scheinträchtigkeit bewährt haben:

Pulsatilla patens
Die Küchenschelle (Kuhschelle) ist durchblutungs- sowie stoffwechselanregend und wirkt entstauend. Sie kräftigt die Venen, beruhigt die Schleimhäute, hat eine positive Wirkung auf die Verdauung und weist entzündungshemmende Eigenschaften auf. Die Küchenschelle nimmt gerade bei sensiblen, weinerlichen Tieren mit mütterlichen Eigenschaften und Nestbauverhalten auf die Psyche Einfluss. Die Essenz unterstützt die Tiere, mutiger zu sein, Trennungen und Ängste besser hinzunehmen, reguliert die übermäßige Sensibilität und die Hormone.

Agnus castus
Im Mittelalter wurde der Mönchspfeffer (Keuchschlamm) bereits in hohen Dosen als Gewürz serviert, um Mönchen und Nonnen die Enthaltsamkeit zu erleichtern. Auch bei Tieren hilft er im Rahmen von Läufigkeits- oder Scheinträchtigkeitsproblemen. Das hat damit zu tun, dass der Mönchspfeffer aufgrund seiner Funktion als Phytohormon die körpereigene Progesteronbildung anregt. In der Scheinträchtigkeit hilft er jammernden und weinerlichen Hündinnen, die einen extremen Nestbautrieb haben und sich in dieser Zeit zurückziehen. Die männlichen Vierbeiner unterstützt die Essenz, wenn sie Aggressions- und Dominanzverhalten zeigen. Bei Liebeskummer mit Appetitlosigkeit wirkt Mönchspfeffer stimmungsausgleichend, sodass die Tiere wieder Freude am Leben haben.

Angelica archangelica
In der Spagyrik findet die Engelwurz v.a. Verwendung bei Nervenproblemen, die durch Stress verursacht werden oder von der Leber ausgehen. Körperlich wirkt sie beruhigend, krampflösend, unterstützt die Verdauung durch Anregung der Magensaftbildung sowie Förderung von Leber und Galle, ist harn- und schweißtreibend. Psychisch fungiert sie bei Tieren wie ein Schutz(engel) und bewahrt sie vor negativen Energien. Ihre Heilessenz hilft kraft- und mutlosen, ängstlichen und traurigen Tieren, wieder Stärke zu erlangen. Die scheinträchtige Hündin bekommt Geborgenheit, die Hormone werden reguliert, sie erhält neue Energie.

Atropa belladonna
Den größten Bekanntheitsgrad hat die Tollkirsche unter dem Namen „Belladonna“. Sie wird in der Spagyrik als krampflösende Essenz sowie bei schmerzhaften Infektionen angewandt. Die Tollkirsche wirkt entspannend, entzündungshemmend, sie senkt Fieber und lindert Beschwerden. Die betroffenen Vierbeiner sind meist lichtempfindlich, mögen keine Berührungen, haben Ängste und sind sensibel gegenüber Geräuschen. Gerade bei Hündinnen, die während der Scheinträchtigkeit ihr Gesäuge übermäßig belecken, sodass es sich entzündet, schmerzt und sich heiß anfühlt, eignet sich die Belladonna-Essenz.

Humulus lupulus
Das Hauptaufgabengebiet des Hopfens in der Spagyrik liegt bei hormonellem Ungleichgewicht. Die Essenz wirkt schlaffördernd und positiv auf das Nervensystem. Sie regt den Appetit an, ist harntreibend und fördert die Verdauung. Gerade wenn Vierbeiner mit Veränderungen zu kämpfen haben, gibt Hopfen Gelassenheit, fördert die Lebensenergie und einen besseren Umgang mit den neuen Gegebenheiten. So wirkt die Essenz bei Scheinträchtigkeit hormonregulierend, löst bei der Hündin Unruhezustände, stärkt und beruhigt sie.

Piper methysticum
Unter diesem Namen kennt kaum einer die Kava-Kava-Pflanze, die auch „Rauschpfeffer“ genannt wird. Ihre Wirkungsweise ähnelt jener der Baldrianwurzel. Körperlich und psychisch wirkt der Rauschpfeffer bei Unruhe- und Angstzuständen. Er beruhigt, ist krampflösend, lindert Schmerzen, muntert die Stimmung auf. Gerade für Hündinnen, die während der Scheinträchtigkeit deprimiert, ängstlich und permanent nervös sind, eignet sich diese Essenz hervorragend.

Auswahl der Drogen

In Lucys Fall, die das Gesäuge ständig leckt, Milch bildet, Nestbauverhalten mit Spielzeugansammlung zeigt, schwachen bis keinen Appetit aufweist, anhänglich, verschmust, sehr mütterlich und freudlos wirkt, ist die Wahl auf folgende Drogen gefallen:

  • Pulsatilla (Milchbildung, Nestbauverhalten, verschmust)
  • Agnus castus (freud- und appetitlos)
  • Piper methysticum (stimmungsaufhellend)

In einer Apotheke werden 30 ml SpagyrikMischung (15 ml Pulsatilla, 10 ml Agnus castus und 5 ml Piper methysticum) hergestellt. Das Spray wird 3x täglich direkt in den Rachen oder auf die Schleimhäute gesprüht (je 2 Sprühstöße).

Einbindung in einen ganzheitlichen Behandlungsansatz

Die Essenz wird so lange verabreicht, bis keine Anzeichen von Scheinträchtigkeit mehr vorliegen. Nebenwirkungen sind bei spagyrischen Essenzen nicht bekannt. Auch lassen sie sich wunderbar mit anderen naturheilkundlichen Mitteln, z.B. Vitalpilzen, Schüßler-Salzen oder Homöopathie, kombinieren. Für jedes Tier sollte individuell eine Anamnese gemacht werden, um die passenden Essenzen und Mischungen zu finden.

Alternative: Spagyrik-Globuli

Auch die Herstellung von Spagyrik-Globuli durch eine spezialisierte Apotheke ist möglich. Dies ist v.a. bei Katzen sinnvoll, da die Essenzen Spuren von ätherischen Ölen enthalten können. Bei Katzen fehlen jedoch die notwendigen Enzyme, um ätherische Öle überhaupt aufnehmen zu können und die Giftstoffe über die Nieren auszuscheiden.

Indikationen und Kontraindikationen

Die spagyrischen Essenzen eignen sich sowohl bei perakuten Erkrankungen (z.B. Insektenstichen, Schock, Koliken) und akuten Zuständen (z.B. Durchfall, Infekt) als auch bei subakuten Krankheiten (z.B. Magen-Darm-Entzündungen, Arthritis) und chronischen Verläufen (z.B. Arthrose, chronisches Ekzem). Selbst Verhaltensauffälligkeiten, z.B. Angstneurosen oder Unsicherheit, kann gut mit den Essenzen begegnet werden. Doch auch der Methodik der Spagyrik sind Grenzen gesetzt. Es sollten nur Krankheiten mit spagyrischen Essenzen behandelt werden, deren Verlauf man einschätzen kann.

Optimale Dosierung bei Tieren

Die Dosierung richtet sich nach der Größe des Tieres. So werden bei Hunden 1-3 Sprühstöße, bei Pferden 2-5 Sprühstöße empfohlen. Katzen erhalten 3-4 Globuli. Wichtiger als die Dosierung ist jedoch die korrekte Auswahl angezeigter Arzneimittel.

Ausblick im Fall Lucy

Nachdem Lucy von der Spagyrik-Mischung über einen Zeitraum von 3 Wochen 3x täglich je 2 Sprühstöße ins Maul erhalten hat, gehören das Nestbauverhalten, die Appetit- und die Lustlosigkeit der Vergangenheit an. Sie ist wieder der freche, verspielte, hungrige, jagende Jack Russel wie zuvor. Ich empfehle den Besitzern, die Mischung gleich nach der Läufigkeit einzusetzen, um einer erneuten Scheinträchtigkeit mit Nestbau, Milchbildung, Appetit- und Lustlosigkeit vorzubeugen.

Fazit

Da die Spagyrik-Essenzen eine ganzheitliche und sanfte Therapieform darstellen, eignen sie sich gerade bei sensiblen Tieren sehr gut. Die Mischungen können als eigenständiges Therapieverfahren, aber auch als Begleittherapie zu anderen naturheilkundlichen Verfahren eingesetzt werden und man muss z.B. bei zeitgleicher Gabe von schulmedizinischen Präparaten (Herztabletten o.Ä.) eine Anpassung vornehmen. Ebenso ist ihre Wirkung tiefer und schneller, wodurch sie sich bei akuten Krankheiten gut eignen.

Julia Harmening
Tierheilpraktikerin mit Schwerpunkten TCVM, Phytotherapie, Homöopathie und Ernährungsberatung, Dozentin an den Paracelsus Schulen
info@praxis-thp.de

Foto: © Ermolaev Alexandr / adobe.stock.com

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