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aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 1/2017

Therapie aus Sicht der positiven Psychologie

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© agsandrew - fotolia.comDer Sinn des Lebens ist es, dem Leben einen Sinn zu geben

Geben Sie in einer Suchmaschine den Begriff „Sinn des Lebens“ ein, erhalten Sie in kürzester Zeit über 11800000 Treffer. Nur allzu verständlich – schließlich suchen wir doch alle nach diesem Sinn. Fragen nach dem „Woher komme ich?“, „Worin liegt der Sinn meiner aktuellen Lebensherausforderungen?“ oder „Warum bin ich hier?“ treiben nicht nur uns Professionelle um, sondern sind latenter Bestandteil jeder Coaching- oder Therapiesitzung.

Egal ob im Business-Coaching, wenn es um die Erarbeitung von Zielsystemen und um berufliche Weiterentwicklung, oder in der psychologischen Beratung, wenn es um Fragen nach Wohlbefinden, Lebensqualität oder persönlicher Weiterentwicklung geht – die Frage nach dem Sinn dahinter schwingt immer mit. Nicht zu vergessen die vielen Bilder, Kalendertexte und Karten, auf denen ein Spruch eines religiösen Oberhauptes oder Gelehrten zum Sinn des Lebens verzeichnet ist.

Ich möchte mit diesem Artikel gar nicht erst versuchen, Antworten auf diese Fragen zu finden, denn Sinn und vor allem die Zuschreibung von Sinn ist ein tiefst psychologischer Vorgang und könnte individueller kaum sein. Was ich aber versuchen möchte, ist, Sie zum Nachdenken anzuregen, wie sich Sinnhaftigkeit in Ihrer Arbeit mit Klienten und Patienten niederschlägt.

Fragen wir danach, was Sinn eigentlich ist, so sind die Zuschreibungen und Definitionen vielfältig. Verschiedenste psychologische Strömungen und Theorien haben Sinn und Sinnhaftigkeit einen wesentlichen Stellwert zugeschrieben. Denken Sie nur an die oberste Stufe von Maslows Bedürfnispyramide oder an das Konzept der Salutogenese nach Antonovsky. Sozialpsychologisch und im Lichte der positiven Psychologie ist Sinn schlicht und ergreifend als Erleben positiver Gefühle (hedonic happiness) wie auch persönlicher Erfüllung (eudaimonic happiness) definiert (Blickhan, 2015). Bereits an dieser Stelle schwingt ein weiterer, unmittelbar dazugehörender Begriff mit: Glück. Sinn und Glück müssen als zusammengehörig aufgefasst werden, um einen umfassenden Blick auf Sinnhaftigkeit zu gewinnen.

Wo genau finden Menschen subjektiv Sinn und damit verbunden Quellen des Glücks? Die moderne Sinn- und Glücksforschung hat inzwischen zentrale Bereiche identifiziert:

Leistung und Arbeit
Freude an der eigenen Arbeit haben, das Gefühl des Gebrauchtwerdens, neue Herausforderungen

Beziehungen und soziales Miteinander
Partnerschaften und Freundschaften geprägt von Vertrauen, Wertschätzung und gegenseitiger Unterstützung

Religiosität und Spiritualität
Der Glaube an einen höheren Sinn, eine göttliche Ordnung der Welt

Selbstakzeptanz
Die eigene Person mit Stärken und Schwächen annehmen, die eigene Persönlichkeit entfalten

Denken Sie kurz an vergangene Sitzungen mit Klienten oder Patienten. Ich bin davon überzeugt, dass eben genannte Themen manifest oder latent in vielen Gesprächen mitschwangen und somit eine zentrale Rolle gespielt haben.

Fragen wir weiter nach den psychologischen Aspekten des subjektiven Sinnerlebens, so treten immer wieder drei Aspekte in den Vordergrund: Kognition, Emotion und Verhalten. Die kognitive Komponente bezieht sich auf die eigenen Werte und die persönliche Sicht der Dinge. Psychologisch wird an dieser Stelle von einem „Kern-Schema“ gesprochen, also durch Erziehung und Sozialisation verinnerlichte Werte, Handlungen und Bedeutungsstrukturen. Erfahrungen aus der Umwelt, die mit diesem Kern-Schema der Kognition übereinstimmen, werden dabei als sinnhafter oder als glücklich erlebt. Bei der emotionalen Komponente handelt es sich um Gefühle der Erfüllung und der Zufriedenheit. Sie sind das Ergebnis zielgerichteter Handlungen und hängen eng mit der persönlichen Energie und Motivation zusammen.

Abschließend trägt die verhaltensbezogene Komponente zur aktiven Umsetzung zielgerichteter Handlungen in verschiedenen Lebensbereichen bei. Sinnerleben findet vor allem dann statt, wenn Handlungen ohne Einschränkungen ausgeführt werden können und das Erleben von Kontrolle über Handlung und Ergebnis eintritt.

Zusammenfassend ist Sinn also ein ganz normales menschliches Bedürfnis. Er basiert auf Überzeugungen und internalisierten Werten und schlägt sich in verantwortlichem Handeln nieder. Dabei wird Sinnhaftigkeit oftmals mit spirituellem Erleben in Verbindung gebracht und bildet die Grundlage für Resilienz, Glück und Zufriedenheit.

Ein Modell von Paul Wong (2010) stellt Sinnhaftigkeit anhand vierer Aspekte auf, die bereits mit einer praktischen Relevanz versehen sind. Sein PURE-Modell stellt wesentliche Faktoren für ein sinnvolles Leben dar:

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Purpose – Bestimmung: Sinn bedeutet dem Modell zufolge Bestimmung, und meint, das eigene Leben als sinnvoll und bedeutsam wahrzunehmen. Dabei kommen Aspekte wie die persönliche Mission, Lebensentwürfe, Werte, Ziele und Prioritäten zum Tragen.

Underständing – Verständnis: Der Klient oder Patient soll ein Verständnis der eigene Rolle im Leben entwickeln. Es geht darum, Erkenntnisse über das eigene Selbst und über andere Menschen sowie über Situationsanforderungen zu sammeln. Bei diesem Prozess kann ein Coach oder Therapeut wesentlicher Wegbegleiter und Initiator von Erkenntnisprozessen sein.

Responsibility – Verantwortung: Grundlage des eigenen Verantwortungsbewusstseins bilden Ethik und Moral. Es gilt, mit dem Klienten/Patienten auszuloten, wo dieser selbst Verantwortung übernehmen kann, welche Bedingungen gesellschaftlich vorgegeben sind und wie mit diesen Vorgaben verantwortungsvoll umgegangen werden kann.

Enjoyment und Evaluation – Freude & Reflexion: Das natürliche Ergebnis eines sinnerfüllten Lebens sind Glück, Freude und Wohlbefinden. Auf diesem Fundament ist es möglich, an den einzelnen Lebensbereichen des Klienten/Patienten zu arbeiten und ggf. Nachjustierungen vorzunehmen. Wong geht davon aus, dass dadurch persönliche Wachstumsprozesse in Gang kommen und zur psychologischen Reifung beitragen.

Wie bereits angesprochen, schwingt in den meisten Themen in Coaching oder Therapie eine offene oder versteckte Sinnfrage mit. Oftmals geht es um persönliche oder berufliche Veränderungen. Und besonders bei solchen Prozessen ist die Antwort auf die Frage nach dem „Warum soll ich mich verändern?“ ein wesentlicher Faktor in Richtung Erfolg. Wie finden wir also Sinn?

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Ein recht populärer Ansatz dazu ist das Meaning-Making-Modell von Park und George (2013). Die beiden Autoren unterscheiden dabei zwischen einer allgemeinen, globalen Sinnebene und einer situativen Sinnebene. Die globale Sinnebene bezieht sich auf konkrete Überzeugungen, langfristige Ziele und subjektives Sinnerleben. Die konkreten Überzeugungen in Form vom „Kern-Schema“ wurden bereits besprochen. Sämtliche Überzeugungen, Normen und Werte wurden uns anerzogen bzw. sozialisiert. Wurde z.B. ein Glaubenssatz der Familie internalisiert „Du musst hart arbeiten, und erst wenn du erfolgreich und ganz oben bist, dann darfst du glücklich sein“, so wird mit großer Wahrscheinlichkeit ein Stück Lebenssinn darin liegen, beruflichen Erfolg zu suchen.

Gleichzeitig stehen damit langfristige Ziele in Verbindung. Ziele sind innere Repräsentationen von erwünschten, zukünftigen Entwicklungen in Bezug auf verschiedene Lebensbereiche wie Arbeit, Partnerschaft, Gesundheit, Leistung oder Spiritualität. Stimmen Ziel und Ist-Zustand überein, wird Sinnhaftigkeit erlebt. In der Regel besteht jedoch keine Kongruenz zwischen Lebensbereichen und Anforderungen, weshalb Klienten/Patienten letztendlich unsere Dienste und Angebote aufsuchen.

Jeder Mensch strebt nach Bedeutsamkeit. Zwar ist dieses Bestreben individuell unterschiedlich stark ausgeprägt, jedoch streben alle Menschen danach, bedeutsame Handlungen zu vollziehen und damit ihren Zielen näher zu kommen. Bestehen keine realistischen Ziele oder werden unzureichende Anstrengungen unternommen, fehlt das Gefühl der Bedeutsamkeit und automatisch auch das Gefühl der individuellen Sinnhaftigkeit. An dieser Stelle kann Coaching/Therapie ebenfalls ansetzen und den Klienten/Patienten weiter begleiten.

Diese globale Sinnebene formt und wandelt sich im Laufe des Lebens. Neue Erfahrungen und Erkenntnisse werden integriert und in das persönliche Sinnsystem eingeordnet. Das muss nicht heißen, dass diese Prozesse alle bewusst ablaufen. Wie so vieles in unserer Psyche, vollzieht sich ein Großteil dieser Veränderungsprozesse unbewusst oder in Teilen vorbewusst.

Im Gegensatz dazu bezieht sich die zweite Sinnebene auf situative Faktoren. Wir wissen aus der Verhaltenspsychologie, dass jede Erfahrung nach Neuheit (neu – bekannt) und emotionaler Valenz (positiv – negativ, belastend – bedrohend) bewertet wird. Dabei erfolgt die erste Bewertung innerhalb weniger Sekunden unbewusst. Insbesondere werden Situationen im ersten Moment auf Kontrollierbarkeit, Bedingungen und Folgen analysiert und bewertet. In einer zweiten Stufe des Bewertungsprozesses finden sich dann oftmals Widersprüche zwischen aktueller Bewertung und globaler Sinnebene. Diese Widersprüche sind das tragende Element zur Sinnfindung. Fragen wie „Warum geschieht das?“, „Warum gerade jetzt?“ oder „Warum ich?“ treiben uns um. Kann auf diese Fragen eine sinngebende Antwort gefunden werden, vollzieht sich eine Integration in die globale Sinnebene und die erlebte Belastung sinkt ab. Damit setzt sich ein Regelkreislauf aus der globalen und situativen Sinnebene in Gang und wir sprechen von Sinnhaftigkeit. Können keine sinngebenden Antworten auf diese Frage gefunden werden, fokussiert sich das Individuum durch Grübeln auf die erlebte Sinnlosigkeit und verstärkt die Belastung somit weiter. In den meisten Fällen bedarf es dann professioneller Unterstützung.

Sinnhaftigkeit spielt also eine wichtige Rolle in der Bearbeitung verschiedenster Themen in Coaching/Therapie. Als Coach/Therapeut haben wir die Aufgabe, Personen auf dem Weg zur Sinnfindung zu begleiten und gezielte Interventionen zu setzen. Dabei bleibt zu beachten, dass Sinn individuell erlebt wird – was für den Klienten/Patienten Sinn macht, muss nicht automatisch auch für uns sinnhaft sein. Und wie sagt schon ein altes Sprichwort: Alles hat einen Sinn, selbst die Sinnlosigkeit.

Benjamin FörsterBenjamin Förster
Pädagoge (M.A.) und Psychologe (stud.B.Sc.), Gesundheits- und Business- Coach, Coach für Change Management, Dozent an den Paracelsus Schulen
info@gesundwaerts-foerster.de

Literatur

  • Blickhan, Daniela: Positive Psychologie. Ein Handbuch für die Praxis. Junfermann Verlag, 2015
  • Park, Crystal & George, Login: Assessing meaning and meaning making in the context of stressful life events. The Journal of Positive Psychology, 2013
  • Wong, Paul: Meaning therapy. An integrative and positive existential psychotherapy. Journal of Contemporary Psychotherapy, 2010

Weitere Literatur kann über den Autor angefordert werden.

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