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aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 4/2019

5G-Mobilfunk unter der Lupe

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Fortschritt vs. Zerstörung

Über 54 000 Menschen haben eine Petition an den Deutschen Bundestag zum Stopp des im Aufbau befindlichen 5G-Mobilfunks unterzeichnet. Über 93 000 weltweit, davon über ein Viertel Wissenschaftler, haben in einem internationalen Appell Gleiches gefordert und mit Blick auf die Gesamtstudienlage betont: „Die Weigerung, wichtige und nachweislich gültige wissenschaftliche Erkenntnisse zu akzeptieren und umzusetzen, ist, ethisch gesehen, untragbar.“ Ein 5G-Moratorium forderte im Mai, als gerade die Versteigerung grundlegender 5G-Frequenzen zum Abschluss kam, auch die „Deutsche Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges/Ärzte in sozialer Verantwortung e.V.“. Mit Recht, wie ich meine. Im Folgenden weise ich auf einige Sachverhalte zur kommenden Strahlungsart hin, die die Aussagen über deren gesundheitliche Risiken untermauern.

Brüssel, Genf, Florenz – immer mehr europäische Städte verwahren sich dagegen, dass ihre Bevölkerung zu Versuchskaninchen für eine neue, international umstrittene Funktechnologie werden soll. Doch unter der Überschrift „Die ganze Wahrheit über 5G“ hielt es eine große Tageszeitung im März nicht für nötig, die Frage nach gesundheitlichen Auswirkungen der kommenden Strahlenbelastung auch nur zu berühren. Wo öffentliche Medien diese Thematik dennoch anschneiden, fallen die Darlegungen oft verharmlosend aus. Das hat auch mit den eher abwiegelnden Auskünften des hier zuständigen „Bundesamts für Strahlenschutz (BfS)“ zu tun. Jörn Gutbier betont als Vorsitzender der Verbraucherorganisation „diagnose:funk“: „Gerade bei 5G zeigt sich, wie durch den Einfluss der Mobilfunklobby die Studienlage verzerrt dargestellt wird. Die Meinungsbildung der Bundesregierung fußt auf verharmlosenden und falschen Informationen.“

Grenzwerte anachronistisch begründet

Inge Paulini hat als Chefin des „Bundesamts für Strahlenschutz“ zum Thema 5G-Mobilfunk in einem Interview mit der Passauer Neuen Presse dessen grundlegend andere Strahlungsart unterstrichen: Die sei nicht einfach mit der bisherigen vergleichbar, sondern „deutlich höhere Datenübertragungsmengen, neue und zusätzliche Sendeanlagen und höhere Frequenzen verändern die Strahlungsintensitäten.“ In der Tat sollen allein in Deutschland rund 750 000 neue Sendeanlagen für 5G positioniert werden. Und zwar will man sie z.B. auf Ampelmasten, Straßenlaternen, hinter Leitplanken, an Bushaltestellen und Reklametafeln oder unter Gullydeckeln anbringen. Deshalb ließ die „Bundesdelegiertenversammlung des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND)“ im November verlauten: „Es ist zu erwarten, dass 5G zu einer massiven Zunahme der Zwangsexposition durch Funkstrahlung führt.“ Dies umso mehr, als leider kein Roaming verpflichtend eingeführt wird.

Wenn Paulini meint, entscheidend sei, „dass die Grenzwerte an Orten, an denen sich Menschen aufhalten, eingehalten werden“, so täuscht ihre Einschätzung über die Fragwürdigkeit der extrem hoch angesetzten Grenzwerte hinweg – und über den Sachverhalt, dass deren Einhaltung sich bei den geänderten, flexibler ausgerichteten 5G-Technologien nur noch schwer überprüfen lassen wird. Dabei dürften dann die bisher oft nur im einstelligen Prozentbereich ausgereizten Grenzwerte mitunter bis zum Anschlag und örtlich womöglich „unbeabsichtigt“ darüber hinaus beansprucht werden. Wenn Paulini in diesem Zusammenhang die Grenzwerte lobt, weil sie angeblich „vor nachgewiesenen Gesundheitsschäden“ schützen, so ignoriert sie die im Januar durch den Berliner „Tagesspiegel“ aufgedeckten Zusammenhänge, die bei deren Festlegung wirksam waren und sind. Über sie entscheidet nämlich ein nicht-regierungsamtlicher Verein, der sich vollmundig „Internationale Kommission für den Schutz vor nicht-ionisierender Strahlung (ICNIRP)“ nennt. Zwar ist Paulinis Hinweis korrekt, dass die ICNIRP von der „Weltgesundheitsorganisation (WHO)“ und der EU offiziell anerkannt ist. Dennoch hat ihr der einstige Europa-Parlamentarier Jean Huss ganz im Sinne vieler anderer Kritiker sehr enge Verbindungen zu jenen Branchen vorgeworfen, „deren technische Neuentwicklungen von möglichst hoch angesetzten, zulässigen Grenzwerten in allen Frequenzbereichen elektromagnetischer Felder profitieren“. Da spricht es Bände, wenn Paulini selbst unterstreicht, das BfS stelle „der Kommission mietfrei einen Büroraum zur Verfügung“!

Die ICNIRP-Festlegungen orientieren sich hauptsächlich an bloßer Wärmewirkung der Strahlung. Mit dieser reduktionistischen, deutlich interessengeleiteten Herangehensweise stellen sie einen „gewissen Anachronismus“ (Medizinprofessor Karl Hecht) dar. Die Journalisten Harald Schumann und Elisa Simantke resümieren im „Tagesspiegel“: „Eine wachsende Zahl von Studien deutet darauf hin, dass die für den Mobilfunk genutzte elektromagnetische Hochfrequenzstrahlung die menschliche Gesundheit schädigen kann, indem sie etwa Krebs erzeugt oder den männlichen Samen schädigt.“ Mit Blick auf die ICNIRP heißt es weiter: „Für Europas Regierungen und deren Behörden fungieren die 13 Mitglieder der selbsternannten Kommission als eine Art höhere wissenschaftliche Gewalt. Aber warum? Warum finden alle Warner, selbst so prominente wie das Expertenpanel für die US-Gesundheitsbehörde, kein Gehör? Wer dieser Frage nachgeht, trifft auf ein verblüffendes Phänomen: Die Mitglieder der ICNIRP sind gleichzeitig auch in allen zuständigen Institutionen tätig und kontrollieren so den offiziellen Diskurs.“ Nicht zufällig stelle der Verein vier seiner Mitglieder beim Wissenschaftlichen Ausschuss zu neuen Gesundheitsrisiken (SCENIHR), der für die EU-Kommission die Gefahren der Hochfrequenzstrahlung zu beurteilen habe. Unter Berufung auf beide Gremien aber halte EU-Gesundheitskommissar Vytenis Andriukaitis 5G-Mobilfunk für nicht gesundheitsschädlich, ja, sogar die Debatte, kaum dass sie begonnen hat, für überholt. Vorsorge scheint sich zu erübrigen.

Fette 5G-Strahlenkeulen

Dabei ist eine gründlich und fair geführte 5G-Debatte längst überfällig. Zum Beispiel taucht bisweilen das Argument auf, Besorgnisse seien unangebracht, weil die neuen 5G-Sendeanlagen sogar mit geringerer Intensität strahlen als die bisher gewohnten. Doch diese reduktionistische Auskunft ist schon deswegen nicht beruhigend, weil die bisherigen Mobilfunksender nicht etwa abgebaut werden – sie werden, im Gegenteil, ihrerseits immer mehr. Der 8. Mobilfunkbericht der Bundesregierung vom November 2018 räumt ausdrücklich ein: „Die Digitalisierung der Gesellschaft schreitet rasant fort. Dies wird zu einer starken Zunahme der drahtlosen Kommunikation insgesamt, mit vermehrtem Einsatz elektromagnetischer Felder und damit auch zu einer insgesamt höheren Belastung der Bevölkerung führen.“ Das gilt im Endeffekt auch gerade für 5G, weshalb Medizinprofessor Karl Hecht warnt, das 5G-System sende viel mehr Daten mit deutlich stärkerer Intensität als die bisherigen Systeme. Es mag zwar mancherorts und vorübergehend ein Weniger geben, weil die neuartigen Antennen dynamisch senden: Sie lenken Mobilfunkstrahlen in besonderer Weise dorthin, wo sie gerade gebraucht werden. Man spricht vom „Beam-Forming“ und den dabei zum Einsatz kommenden „Pencilstrahlen“, so benannt nach dem englischen Begriff „pencil“ für Bleistift als Bild für die Strahlenpräzision und -konzentration. Doch diese Pencilstrahlen bleiben nicht so schlank, wie es das Bild suggerieren will: Hans-Ulrich Jakob von der Schweizer Interessengemeinschaft Elektrosmog-Betroffener namens „Gigaherz“ erläutert, „dass es bei einer 5G-Antenne in einem 120°-Sektor nicht nur einen Pencilstrahl gibt, sondern deren 64. Je 8 nebeneinander und je 8 übereinander. Und dass jeder dieser angeblich bleistift-dünnen Strahlen einen Öffnungswinkel von 15° hat und somit nach einer Distanz von 100 m bereits eine Breite von 25 m aufweist und nach 200 m bereits eine solche 50 m. Ganz schön fette Bleistifte!

In Expertenkreisen fragt man sich, ob es womöglich durch solche Fokussierungen in bestimmten Bereichen sogar zu unzulässig hohen Emissionen kommen könnte, wie gesagt: zu Überschreitungen der ohnehin schon extrem hohen Grenzwerte, was man freilich verhindern will. Dabei ist zu bedenken: Solch gebündelte Strahlung berücksichtigt die aktuell gültigen Grenzwerte insofern nicht, als diese für konstante Strahlung und breite Streuung ausgelegt sind. Professor Kühling, Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats im BUND, betont deshalb: „Was helfen da optimal ausgerichtete Strahlenkeulen? Es kommt auf das an, was an Leistungsflussdichte in unsere Körper (und die der Tiere und Pflanzen) gelangt und dort die natürliche, durch die Schöpfung vorgesehene biochemische Erzeugung elektrischer Felder (z.B. zur Aufrechterhaltung zellulärer Funktionen) soweit stört, dass verschiedene Krankheiten bis hin zu entarteten Zellen entstehen können.“ Kein Wunder, dass Kühling gefordert hat, die Versteigerung der 5G-Frequenzen zu verschieben, bis die Technik und ihre gesundheitlichen Wirkungen besser erforscht seien. Wen aber wundert es, dass er damit nicht durchgedrungen ist und der Staat nur allzu gern über 5 Milliarden Euro einnimmt? Für diese 30 Silberlinge verkauft er die unseligen Frequenzen, sodass 5G – wie Rainer Woratschka im „Tagesspiegel“ sagt – „den Elektrosmog, wie ihn Kritiker nennen, erheblich verstärken wird“.

Das Vorsorgeprinzip erhalten

Behauptet wird oft, auch bei 5G handle es sich selbstverständlich um nicht-ionisierende Strahlung. Wäre es so, dann bestünde keine Gefahr, dass ihre elektromagnetischen Wellen ionisierend wirken, also Atome in positiv geladene Ionen umbilden und so im Körper zur Krebsentstehung beitragen könnten. Zwar herrscht wissenschaftlich diese Meinung tatsächlich vor; doch zur vollständigen Wahrheit gehört, dass sie keineswegs unumstritten ist. Schon 2014 erklärte der US-amerikanische Mobilfunk-Experte Martin Blank, die herkömmliche Einteilung in ionisierende, möglicherweise krebserzeugende Strahlung und nicht-ionisierende bei der Funkstrahlung sei willkürlich. Im deutschen Sprachraum votieren v.a. die Professoren Franz Adlkofer und Karl Hecht gegen diese strikte Unterscheidung. Für den Medizinprofessor Hecht von der „Berliner Charité“ ist es „bewiesen, dass die sog. nichtionisierenden Strahlungen den gleichen Effekt auslösen können, wie er bei der stochastischen ionisierenden Strahlung mit Spätwirkungen nachgewiesen wurde“. Der mit der Problematik vertraute Ex-Verwaltungsrichter Bernd Budzinski ist ebenfalls hiervon überzeugt und fordert deshalb, Mobilfunkwellen sollten rechtlich generell genauso wie schwache radioaktive Strahlung behandelt werden.

Selbst Sarah Drießen vom „Forschungszentrum für elektromagnetische Umweltverträglichkeit“ in Aachen räumt ein, dass einigen Studien zufolge, in denen Ratten starken elektromagnetischen Feldern ausgesetzt wurden, Mobilfunkfrequenzen vielleicht doch Tumore verursachen könnten. Sie führt das nicht auf Ionisierung zurück, sondern auf mögliche andere Faktoren, die dem Erbgut schaden; jedenfalls vermisst sie „den politischen Willen, den Hinweisen systematisch nachzugehen“. Zudem erklärt der „Fachverband für Strahlenschutz“: „Prinzipiell können negative gesundheitliche Effekte auch für nicht-ionisierende Strahlung nicht ausgeschlossen werden.“ Noch deutlicher werden die Forscher Stephen Genius und Christopher Lipp in einer Überblicksstudie: „Bis jetzt weist die meiste Forschung, die von unabhängigen, nicht-staatlichen oder nicht mit der Industrie in Verbindung stehenden Forschern durchgeführt wird, auf potenziell schwerwiegende Wirkungen durch viele Expositionen gegenüber nicht-ionisierender elektromagnetischer Strahlung hin.“ Es bleibt nach allem die Frage: ob nicht gerade die höherfrequente 5G-Strahlung am Ende vielleicht Blanks These bestätigen wird, dass zwischen nicht-ionisierender und ionisierender Strahlung weniger klar zu unterscheiden ist als bisher gedacht.

Dabei ist längst auch in der Mainstream-Wissenschaft verbreitet, dass mit Mobilfunk auch schon bei 4G, 3G und 2G ein Krebsrisiko bestand. So forderte voriges Jahr Prof. James Lin (selbst jahrelang ICNIRP) – wie andere Forschungsteams auch – eine Höhereinstufung des Krebsrisikos. Warum aber soll trotzdem das im EU-Gesetz verankerte Vorsorgegebot ausgehebelt werden, indem 5G zum Roll-Out kommt, ohne dass eine Technikfolgenabschätzung grünes Licht gegeben hätte? Offenbar befürchtet man, sonst industriell und wirtschaftlich ins Hintertreffen zu geraten. Man kann sich allen Ernstes fragen, ob sich das Hintanstellen des Vorsorgeprinzips so rechtfertigen lässt. Denn was nützt der ökonomische Vorteil, wenn die Gesundheit ganzer Bevölkerungsteile gestört ist? Kommt es mit 5G offiziell so weit, dass das hohe Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit (Art. 2 GG; Art. 3 der Charta der Grundrechte der EU) dem auf technische Versorgung nachgeordnet wird?

Fortschrittsfalle 5G

„Digitalisierung verändert alles“, so der bayerische Ministerpräsident Markus Söder. Solange die angesagte Veränderung aber noch nicht die Grundrechte betrifft, sollte sich das vielerorts geforderte Moratorium für den Ausbau von 5G bis zur wissenschaftlich hinreichenden Risikoabklärung von selbst verstehen. Politiker, Ärzte und Heilpraktiker sind aufgefordert, hier ethisch Flagge zu zeigen – auch wenn das vielen nicht gefallen mag. Grundrechte unterliegen nicht der Mehrheitsmeinung, sondern schützen Minderheiten. Die 5G-Strahlung, die weltweit zum Einsatz kommen soll, könnte zu einer Fortschrittsfalle sondergleichen werden.

Prof. Dr. Werner Thiede
apl. Professor für Systemische Theologie an der Universität Erlangen Nürnberg, Pfarrer i.R., Publizist und Autor
werner.thiede@web.de


Buch-Tipp

Werner Thiede:
Digitalisierung als Weltanschauung.
Pad-Verlag

 

Literatur-Tipp

  • Karl Hecht: Gesundheitsschädigende Effekte der Strahlung von Smartphone, Radar, 5G und WLAN. Kompetenzinitiative zum Schutz von Mensch, Umwelt und Demokratie e.V., 2019; www.kompetenzinitiative.net (Abruf: 14.06.2019)
  • Martin L. Pall: 5G als ernste globale Herausforderung. Kompetenzinitiative zum Schutz von Mensch, Umwelt und Demokratie e.V., 2019
  • Werner Thiede: Die digitale Fortschrittsfalle. Pad-Verlag, 2. Aufl., 2019
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