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aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 4/2019

Bakterien für die Babyhaut – Warum die Darmflora bei Neurodermitis so wichtig ist

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Die Neurodermitis, auch atopisches Ekzem oder atopische Dermatitis, ist eine chronische, nicht ansteckende, entzündliche Hauterkrankung, die schubweise verläuft. In Deutschland sind 10 bis 15% der Bevölkerung betroffen. Babys und Kleinkinder stellen mit 23% die größte Gruppe. 85% aller Betroffenen leiden bereits seit dem Säuglingsalter an der Erkrankung. Meist tritt die Neurodermitis zwischen dem 2. und 4. Lebensmonat erstmals auf.

Erscheinungsbild

Auch wenn die Symptome individuell unterschiedlich ausgeprägt sind, folgende Anzeichen sind typisch:

  • nässende, gerötete Hautstellen
  • sehr trockene, schuppige Haut
  • Bläschen oder Krusten
  • stark anhaltender Juckreiz
  • Verdickung der Haut oder Knötchen- und Pustelbildung möglich

Bei Säuglingen findet man diese v.a. am Kopf, im Gesicht, an den Außenseiten von Armen und Beinen. Die betroffenen Stellen und auch das Aussehen der Neurodermitis verändern sich mit zunehmendem Alter. Zwar können die Symptome ab dem 4. Lebensjahr verschwinden; eine sehr trockene Haut bleibt aber meist bis ins Erwachsenenalter bestehen, und 2 bis 4% der Erwachsenen leiden weiterhin an Neurodermitis.

Auslöser

Es ist zwar nicht vollständig geklärt, was eine Neurodermitis verursacht, jedoch spielen folgende Aspekte eine Rolle: Zum einen sind da eine erbliche Veranlagung für Überempfindlichkeitsreaktionen der Haut und ein Immunsystem, das aus dem Gleichgewicht geraten ist. Zum anderen liegt eine gestörte Hautbarriere vor; es fehlen Feuchthaltefaktoren und Hautfette, weswegen die Haut sehr trocken ist und Krankheitserreger weniger gut abwehren kann. Betroffene zeigen einen genetischen Defekt bei der Umwandlung von Linolsäure in Gamma-Linolensäure, die ein wichtiger Baustein für die Bildung von Hautfett ist.

Die für Neurodermitis typischen Schübe können durch bestimmte Reize, sog. Triggerfaktoren, ausgelöst werden. Dabei kann es sich um Lebensmittel (z.B. Nüsse oder Zitrusfrüchte) handeln, um kratzende Kleidungsstoffe (z.B. Wolle oder Leinen) oder um Kosmetikprodukte, die Konservierungs-, Duft- oder Farbstoffe enthalten. Trigger können, wie der Krankheitsverlauf selbst, bei jedem Betroffenen unterschiedlich sein. Daher braucht man Geduld, um die richtige Therapie zu finden.

Was benötigt die Haut?

Neurodermitis lässt sich nicht heilen. Durch Medikamente und Pflegeprodukte kann man den Krankheitsverlauf jedoch positiv beeinflussen und die schubfreie Zeit verlängern. Ziel ist es auch, die schmerzenden Entzündungen und den Juckreiz zu lindern.

Nachfolgend eine Liste mit einigen bewährten Empfehlungen:

  • Verwenden Sie eine Basispflege (z.B. Dr. Hauschka Mittagsblume oder Avéne XeraCalm A.D.).
  • Bei Schüben kann eine Akutpflege mit Ectoin (z.B. Dermaveel®) Juckreiz, Trockenheit und Rötungen lindern.
  • Glandol® ATOP – mit hochwertigsten Omega-6-Fettsäuren, hochkonzentrierten Omega-3-Fettsäuren, den Vitaminen D und E – sorgt für einen gesunden Neuaufbau der Haut von innen. Eine Kapsel mit einer Nadel aufstechen und den Inhalt unter das Essen des Kindes mischen. Die Tagesdosis für einen erwachsenen Mann bei 70 kg sollte auf das Körpergewicht des Kindes umgerechnet werden. Unterstützend zur Behandlung kann die Glandol® Creme verwendet werden. Sie enthält pflanzliche Omega-3- und Omega-6-Fettsäuren, ist frei von Duftstoffen, Parabenen, Silikonen, Mineralölen und Farbstoffen.
  • Statten Sie das Baby mit kratzfreier und luftiger Kleidung aus.
  • Um neue Kleidungsstücke von Chemikalien zu befreien, waschen Sie diese vor dem Tragen mehrfach.
  • Damit das Baby sich die Haut nicht aufkratzt, sollten seine Fingernägel kurz gehalten werden.
  • Führen Sie ein Ernährungstagebuch und dokumentieren Sie Lebensmittel, auf die mit welcher Intensität reagiert wird.
  • Laut Empfehlung der „Nationalen Stillkommission“ sollte das Baby im 1. Lebenshalbjahr ausschließlich gestillt werden und auch noch für eine gewisse Zeit, sobald es Beikost bekommt.

Die Rolle des Immunsystems

Wie bereits erwähnt, gehört zur Entstehung einer Neurodermitis eine erbliche Veranlagung. Über 40% der weltweiten Bevölkerung weisen eine grundsätzliche Neigung zu Allergien auf. Leidet ein Elternteil an Neurodermitis, Asthma oder Heuschnupfen, liegt die Wahrscheinlichkeit, dass das Kind ebenfalls eine Allergie entwickelt, bei 30%. Sind beide Elternteile betroffen, steigt das Risiko auf 60%.

Was eine Allergieneigung bedeutet, lässt sich anhand der T-Helferzelltypen TH1 und TH2 erklären. Diese nehmen im menschlichen Immunsystem eine Schlüsselrolle ein. Sie produzieren unterschiedliche Botenstoffe (Zytokine), die wiederum eine entsprechende Immunantwort auslösen.

TH1-Zellen aktivieren Makrophagen, sog. Fresszellen, und die Bildung von IgG-Antikörpern, die nach einer Infektion für lebenslange Immunität sorgen können. Sie dienen dem Schutz vor Pathogenen (z.B. Erreger wie Viren und Bakterien). Zudem helfen sie mithilfe des Zytokins Interleukin 10, eine Toleranz gegenüber unschädlichen Allergenen zu entwickeln.

TH2-Zellen fördern die Differenzierung der B-Zellen in Plasmazellen, diese wiederum stimulieren die Synthese von IgE-Antikörpern. Sie unterstützen chronische Entzündungsreaktionen und Infektionen.

TH1- und TH2-Zellen hemmen sich gegenseitig in ihrer Wirkung. Ein etwaiges Ungleichgewicht wird bei Gesunden von den regulatorischen T-Zellen (Treg) verhindert. Sie unterdrücken eine TH2-Immunantwort. Dies ist besonders wichtig, da nach der Elimination eines Erregers eine chronische Entzündung den Organismus nachhaltig schädigen würde.

Auch in der Schwangerschaft ist das Verhältnis zwischen TH1 und TH2 entscheidend. Denn hier wird über eine TH2-Dominanz eine Abstoßung des Fötus im Mutterleib verhindert. Nach der Geburt sollte wieder eine Balance zwischen TH1 und TH2 hergestellt werden, nicht nur bei der Mutter, auch beim Kind. Findet diese nicht statt, ist eine allergische Erkrankung möglich.

Bei Neurodermitikern kann ein grundsätzliches Ungleichgewicht zwischen TH1 und TH2 nachgewiesen werden. Wie bei Asthmatikern und Allergikern auch, besteht bei ihnen eine abgeschwächte TH1- und eine proallergische TH2-Immunantwort. Die regulatorische T-Zellaktivität ist ebenso reduziert. Und das ist schon bei Kindern kurz nach deren Geburt der Fall.

Die Rolle der Darmflora

Für ein funktionierendes Immunsystem ist ein gesundes Darmmikrobiom entscheidend. Schon jahrtausendealte Schriften weisen auf den Darm als „das Zentrum unserer Gesundheit“ hin. Er nimmt nicht nur Nährstoffe auf und verdaut diese, sondern hat mithilfe der in ihm siedelnden Bakterien einen großen Einfluss auf das Immunsystem. 80% unserer Immunzellen sind im Darm verortet.

Im Folgenden sind einige Forschungsergebnisse zusammengestellt, die sich mit dem Zusammenhang zwischen der bakteriellen Besiedelung des Darms und der Immunfunktion beschäftigen:

Ein internationales Forscherteam mit Beteiligung des „Zentrums für Allergie und Umwelt (ZAUM)“ der Technischen Universität München fand einen Zusammenhang zwischen der Darmflora und einem besonderen Typ von Treg-Zellen heraus. Bestimmte von Bakterien abgesonderte Eiweiße sind in der Lage, die Bildung der regulatorischen Typ3-T-Zellen zu fördern, die sich v.a. in der Darmwand befinden.

Bei einer natürlichen Geburt überträgt sich die vaginale Bakterienflora der Mutter auf das Neugeborene, egal ob die Flora gesund oder pathogen verändert ist. In jedem Fall ist eine natürliche Erstbesiedelung mit vaginalen Keimen wichtig. Bei Kaiserschnitt-Babys überträgt sich hauptsächlich die mütterliche Bakterienflora der Haut, und es siedeln sich so mehr pathogene Keime an als nützliche. Infolgedessen sinkt die Vielfalt der Darmbakterien im kindlichen Organismus.

Ein Forscher-Team der „Universität Maastricht“ analysierte Stuhlproben von über 600 Säuglingen, die 5, 13 und 31 Wochen nach deren Geburt entnommen wurden. Dabei fiel ein vermehrter Anteil des pathogenen Bakteriums Clostridium cluster I auf. War dieser in hohem Maß zwischen der 5. und 13. Lebenswoche im Darm des Säuglings zu finden, stieg das Risiko, in den folgenden 6 Lebensmonaten eine Neurodermitis zu entwickeln.

Probiotika gegen Allergien

Dass werdende Mütter, die eine allergische Disposition haben, bereits während der Schwangerschaft viel tun können, zeigt die folgende Studie aus dem Jahr 2003 (PandA, Probiotics and Allergy). Man gab Schwangeren in den letzten 2 Monaten vor der Geburt und den Babys direkt danach bis zur Vollendung ihres 1. Lebensjahres ein Multispezies-Probiotikum aus B. bifidum W34, B. lactis W52 und Lc. lactis W58 (OMNi-BiOTiC® PANDA). Schon nach 3 Monaten war hinsichtlich der Entstehung von allergischen Erkrankungen ein Unterschied von 80% zwischen der Verum- und der PlaceboGruppe erkennbar. Zu erklären war das damit, dass die TH2-Antwort schwächer ausfiel und so ein Gleichgewicht zwischen TH1- und TH2- Zellen hergestellt werden konnte. Auch nach 2 Jahren war der Abstand zwischen beiden Gruppen immer noch konstant.

Zur Einnahme: Die werdende Mutter nimmt das Präparat 1x täglich abends vor dem Schlafengehen, eingerührt in 125 ml lauwarmes Wasser (10 Minuten stehen lassen zur Aktivierung der Bakterien; möglichst Leitungswasser oder stilles Wasser verwenden, da die Bakterien keine Säuren vertragen). Für Säuglinge rührt man den Inhalt eines Beutels in 1-2 EL Muttermilch oder abgekochtes Wasser ein und pipettiert diese Mischung dem Baby in den Mund.

Multitalent Muttermilch

Ihre Komplexität macht menschliche Muttermilch in der Welt der Säugetiere einzigartig. Über sie werden dem Säugling über 200 verschiedene Zuckermoleküle zugeführt, die zunächst den Bakterien im Darm als Nahrung dienen, da das Baby anfangs noch gar nicht die nötigen Enzyme besitzt, den Zucker selbst zu verdauen. Zudem enthält die Milch direkt nach der Geburt einen hohen Anteil an Antikörpern, Zytokinen, Defensinen und Lactoferrin, die das Kind vor Krankheitserregern schützen. Die Muttermilch sollte also nicht nur als Nahrung angesehen werden, da sie gleichermaßen in der Lage ist, die Besiedelung des kindlichen Darms zu fördern und das Immunsystem zu beeinflussen. Nach dem 1. Lebensmonat reduzieren sich die Antikörper-Zahl und die Vielfalt der Zuckermoleküle. Stattdessen nimmt der Fettanteil zu, das Wachstum des Babys wird gefördert.

Ist es einer Mutter nicht möglich, den Säugling zu stillen, ist es ratsam, zusammen mit der Milchersatznahrung Probiotika zuzuführen, die man direkt in das Trinkfläschchen einrührt. Die Milch sollte nicht über 40°C warm sein.

Eine Neurodermitis kommt selten allein

30% der Kinder mit Neurodermitis reagieren gleichzeitig empfindlich auf bestimmte Nahrungsmittel. Hierzu gehören meist Kuhmilch, Hühnereier, Nüsse, Fisch, Krustentiere und Muscheln. Da Unverträglichkeiten und Allergien individuell ausgeprägt sind, ist es sinnvoll, von Anfang an ein Ernährungstagebuch zu führen. Unverträglichkeiten machen sich, je nach verzehrter Menge, unterschiedlich stark bemerkbar.

Weiterhin gibt es Reizstoffe, die zwar weder eine Allergie noch eine Unverträglichkeit auslösen, wohl aber den Darm sensibilisieren können, sog. Pseudoallergene. Dazu können Soja und Weizen, auch weitere glutenhaltige Lebensmittel gehören. Anstatt darauf zu verzichten, sollte man diese reduzieren und durch Getreidesorten wie Dinkel, Roggen und Kamut ergänzen. Gute glutenfreie Alternativen sind Mais, Buchweizen, Amaranth und Quinoa.

Leider gibt es keine bestimmte Ernährungsform oder „Neurodermitis-Diät“, die sich positiv auf eine bestehende Erkrankung auswirkt. Um die Lebensqualität des Kindes nicht allzu stark einzuschränken, ist es daher sinnvoller, nach Rücksprache mit einem Heilpraktiker oder Arzt Weglass-Diäten zu probieren und so wenige Lebensmittel wie möglich zu streichen. Eliminations-Diäten ohne Konsultation eines Experten durchzuführen und Lebensmittel wie Eier, Milch oder Zucker vollständig vom Speiseplan zu entfernen, ist wenig ratsam.

Allein schon deshalb, da in sensiblen Phasen des Wachstums und der Entwicklung ohne die entsprechenden Nährstoffe Mangelerscheinungen auftreten können. Eine ausgewogene Ernährung mit viel Gemüse, v.a. Hülsenfrüchten, Ballaststoffen, hochwertigen Pflanzenölen und Vollkornprodukten ist ratsamer.

Hat der Heilpraktiker oder Arzt jedoch eine Nahrungsmittelunverträglichkeit oder -allergie diagnostiziert, ist eine solche Diät für einen gewissen Zeitraum mit einer spezifischen Ernährungsberatung empfehlenswert. In Absprache ist es möglich, die gefundenen Lebensmittel für etwa 3 Monate aus dem Ernährungsprogramm zu streichen, damit der Körper die nötige Zeit zur Regeneration bekommt. Nach und nach, etwa im 3-tägigen Abstand, können die Nahrungsmittel wieder ergänzt werden. So kann effektiver beobachtet werden, auf welche tatsächlich reagiert wird.

Fazit

Eine Neurodermitis lässt sich zwar nicht heilen, jedoch gibt es inzwischen genügend Ansatzpunkte, um die Erkrankung im Zaum zu halten und die Abstände zwischen den auftretenden Schüben maximal zu verlängern – sowohl direkt von außen über die Haut als auch indirekt über die Beeinflussung von Darmgesundheit und Immunsystem. Um ihrem Kind bei eigener allergischer Disposition einen bestmöglichen Start in das Leben zu ermöglichen, können auch werdende Mütter präventiv einige Optionen ausschöpfen. Eine ganzheitliche Sicht auf das Geschehen, wie sie in naturheilkundlichen Praxen gang und gäbe ist, ist somit auch bei den Kleinsten schon der beste Weg, um langfristig eine gute Gesundheit gewährleisten zu können.

Simone Kaplan
Pharmazeutisch-Technische Assistentin, Fachkraft für Apothekenkommunikation (IHK), geprüfte ganzheitliche Ernährungsberaterin (WBG), Fachberaterin für Darmgesundheit
simone.kaplan@outlook.de

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