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aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 4/2019

Unsere Heilpflanze: Gemeine Rosskastanie – Aesculus hippocastanum

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Auch bekannt als: Aesculus castanea, Castanea equina, Hippocastanum vulgare, Gewöhnliche Rosskastanie, Weiße Rosskastanie, Pferdekastanie, Rosskastanie, Wilde Kastanie, Drusenkesten, Gichtbaum, Kestenbaum, Saukesten, Zierkestenbaum

Es handelt sich um eine Pflanze der Gattung „Rosskastanien“ (Aesculus) aus der Familie der Seifenbaumgewächse. Vor Zehntausenden von Jahren war sie in ganz Europa beheimatet, zog sich jedoch während der letzten Eiszeit in die Mittelgebirge Griechenlands, Albaniens und Nordmazedoniens zurück. Von dort kam sie im 16. Jahrhundert durch die Türken wieder nach Mitteleuropa. Diese hatten Kastanien als Pferdefutter und Arzneimittel dabei. Daher kommt auch der Name, in Abgrenzung zu der bereits bekannten (Ess-)Kastanie oder auch Marone. Verwildert tritt die Rosskastanie bis zu den Britischen Inseln, Dänemark, Skandinavien und Russland auf. Sie hat ähnliche Standortansprüche wie die Hainbuche.

Die Rosskastanie war Baum des Jahres 2005 und wurde 2008 vom „Studienkreis Entwicklungsgeschichte der Arzneipflanzenkunde“ am „Institut für Geschichte der Medizin“ der Universität Würzburg zur Arzneipflanze des Jahres gekürt.

Woran erkennt man die Gemeine Rosskastanie?

Sie ist ein sommergrüner Baum mit Wuchshöhen von bis zu 30 m. Sie kann ein Alter von 300 Jahren erreichen. Junge Bäume wachsen schnell und bilden einen kurzen, vollholzigen Stamm mit runder, breiter Krone aus. Bei alten Bäumen reicht die Stammdicke bis zu 1 m. Der immer nach rechts drehwüchsige Stamm hat ein gelblich-weißes, kernloses Holz.

Die Pflanze ist ein Flachwurzler mit weitreichendem, starkem Wurzelwerk. Die Triebe sind dick und bräunlich-grau mit auffallender, 5- bis 9-spuriger Blattnarbe.

Junge Bäume haben eine hellbraune bis braune und glatte Borke, die später manchmal rötlich wird. Bei älteren Bäumen ist sie graubraun und gefeldert mit grobrissigen Platten, die sich aufbiegen und in Schuppen abblättern.

Die 9-18 cm langen und etwa 10 cm breiten Laubblätter sind fingerförmig zusammengesetzt, sehr groß, auf der Oberseite sattgrün, kahl und schwach glänzend. Auf der hellgrünen Unterseite findet man filzige Adern. An einem 10-18 cm langen, rinnigen Stiel sitzen 5-7 Fiederblätter. Sie sind schmal, verkehrt eilanzettlich, fein gezähnt und am Ende kurz zugespitzt.

Die Knospen sind gegenständig, mit einer auffallend großen, dicken Endknospe (eikegeligspitz, mehrschuppig, glänzend, klebrig). Sie erscheinen im Herbst und blühen, je nach Witterung, von April/Mai bis in den Juni hinein in großen, aufrechten Trauben.

Die Frucht ist kugelig, grün und stachelig. Sie hat einen Durchmesser von bis zu 6 cm. Die darin enthaltenen Samen sind glänzend braun und haben einen hellen, matten Nabelfleck. Sie können einen Durchmesser von bis zu 4 cm besitzen.

Wie wirkt die Gemeine Rosskastanie?

Eingesetzt werden vorwiegend die Samen als Extrakt oder Dekokt, und zwar äußerlich zur Behandlung von Venenbeschwerden v.a. bei Krampfadern, Schmerzen, Juckreiz, Schwellungen und müden Beinen. Weitere Anwendungsgebiete sind Wadenkrämpfe, Blutergüsse, Sportverletzungen, Hämorrhoiden und Hauterkrankungen. Sie kann ebenfalls bei den schwer zu behandelnden „offenen Beinen“ (Ulcus cruris), zumindest neben anderen Verfahren, verwendet werden.

Die Rinde der Rosskastanie wird für ein Tonikum, ein schmerzbetäubendes Mittel oder gegen Fieber gebraucht, auch ist ein Tee aus der Rinde im Einsatz (Rezept s.u.).

Ein Tee aus den Blüten kann als Schleimlöser bei festsitzendem Husten helfen.

In der Homöopathie werden die frisch geschälten Samen der Rosskastanie bei venösen Stauungsbeschwerden mit Folgeerkrankungen (u.a. Hämorrhoiden, Lenden- und Kreuzbeinschmerzen) genutzt. Gemäß homöopathischem Arzneimittelbild erfolgt der Einsatz als Tropfen bei Krampfadern, oft kombiniert mit Seidelbast, Tollkirsche, Zaubernuss oder Mariendistel.

Anwendungsgebiete

  • adstringierend
  • antibakteriell
  • antiexsudativ
  • antikoagulierend
  • antioxidativ
  • blutreinigend, blutstillend
  • entzündungshemmend
  • gefäßabdichtend
  • harntreibend
  • krampflösend
  • schleimlösend
  • schmerzstillend
  • (venen-)tonisierend
  • fieberhafte Erkältungen, Keuchhusten
  • Kreislaufstärkung
  • Arteriosklerose
  • Diabetes (unterstützend)
  • Magen-Darm-Bereich (Krämpfe, Durchfall)
  • Leberschwäche
  • Rheuma, Gicht, Ischiasbeschwerden
  • Hautprobleme
  • Ekzeme, Geschwüre, Wunden
  • Lupus erythematodes
  • Venenerkrankungen, Ödeme, Ulcus cruris
  • Hämorrhoiden
  • Wadenkrämpfe, schwere und geschwollene Beine

Welche Wirkstoffe sind in der Gemeinen Rosskastanie enthalten?

In Blättern, Samen und Rinde der Rosskastanie sind vorwiegend Saponine, Cumarine (u.a. Aesculin [Esculin] und Aesculetin [Esculen tin]), Flavonoide (z.B. Quercetin) und Kaffeesäurederivate, außerdem Triterpensaponine und Aescin (Escin), das über 30 verschiedene Saponine, v.a. Glykoside des Barringtogenols C und des Protoaescigenins, in sich vereint.

Hauptanteil im Aescin oder Escin ist mit ca. 40% das β-Aescin (β-Escin), das selbst zu mehr als 60% ein Gemisch aus den 5 pentazyklischen Triterpen-Sapogeninen Aescin Ia (s. Abb.), Ib, IIa, IIb und IIIa ist.

Weiterhin sind Allantoin, Kampferöl, Cholin, Cyanidin, Fraxin, Gerbstoffe, Gerbsäure und Linolensäure enthalten.

Welche Teile der Pflanze werden medizinisch verwendet?

Als Arzneidroge zumeist frischer oder getrockneter Rosskastaniensamen (Kastanien), seltener Rosskastanienrinde (Borke), -blätter und -blüten.

Anwendung

Es sind Zubereitungen erhältlich, die direkt am Wirkort eingesetzt werden, z.B. Gele und Salben, auch orale Formen, wie Tabletten, Dragées, Kapseln, Tinkturen und Tropfen.

Die äußerlich anzuwendenden Mittel werden in der Regel 2x, einige bis zu 5x täglich aufgetragen. Die oral zu verbreichenden verwendet man meist morgens und abends. Eine Einnahme zusammen mit den Mahlzeiten verbessert oft die Verträglichkeit.

In Deutschland sind folgende Präparate üblich:
Monopräparate: Aescuven, Essaven, Reparil, Venostasin
Kombinationspräparate: Opino, Sportupac

Einen Tee aus der Rinde stellt man her, indem man 1 TL der Rinde in eine Tasse kaltes Wasser gibt, dieses aufkocht und nach 3 Minuten abseiht. Trinken Sie je nach Bedarf 1 Tasse davon.

Wissenswertes

In beiden Weltkriegen ließ die britische Regierung Kastanien sammeln, um Aceton zur Herstellung des Sprengstoffs Kordit zu gewinnen (mit Aceton konnte der Sprengstoff aus Nitrozellulose [Schießbaumwolle], Nitroglyzerin und Vaseline geliert und in Schnüre gepresst werden). Die Unbeständigkeit von Kordit – es kam zu mehreren Explosionen auf Schiffen ohne Feindeinwirkung – führte aber dazu, dass es heute nicht mehr verwendet wird.

Früher nutzte man verschiedene Pflanzenteile der Rosskastanie zum Färben von Wolle. Die Schalen verleihen der Wolle eine braune, die Blätter je nach Jahreszeit unterschiedliche Färbungen. Anfang Mai gepflückte Blätter führen zu einer rostbeigen Nuance, durch im August gepflückte erhält man einen honiggelben Farbton.

Besonders gerne hat man Kastanien über den Gewölbekellern von Bierbrauereien angepflanzt, da ihre Wurzeln nicht sehr tief reichen und die ausladenden Kronen reichlich kühlen Schatten spenden. Das hielt die Bierkeller zusätzlich kühl und kam der Bierqualität zugute. Daher ist die Kastanie der typische Baum in Biergärten.

Dr. rer. nat. Frank Herfurth
Heilpraktiker, Lebensmittelchemiker, Dozent an den Paracelsus Schulen
fh@herfurth.org

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