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aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 4/2019

Die Blutegeltherapie – Tierische Gesundheit mit BISS

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5 Augenpaare, ca. 240 Kalkzähnchen auf 3 Kiefer verteilt und viel Gedärm – das beschreibt die Grundanatomie des „Hirudo medicinalis“, bekannter als medizinischer Blutegel oder Süßwasseregel, der für seinen großen Appetit auf Blut bekannt ist. Da er über starke Heilkräfte verfügt, fand er als natürlicher Therapiehelfer schon vor Jahrhunderten Anwendung bei Mensch und Tier. In der Tierheilkunde lassen sich erstaunliche Erfolge v.a. bei größeren Haustieren – Hund, Pferd, Rind, Schwein, Schaf und Ziege – erzielen. Eingesetzt werden Blutegel zur Reduktion von Schmerzzuständen, zur Förderung der Beweglichkeit, in der Rekonvaleszenz, zur Behandlung diverser Stoffwechselerkrankungen oder im Rahmen von Entgiftungstherapien.

Natürliche Schönheit

Allein das Wort „Egel“ löst bei manchen Menschen schon einen eklatanten Ekel aus. Diese Abneigung hat das Tier keineswegs verdient, denn sein Name stammt nicht vom Wort „Ekel“ ab, sondern vom griechischen „echis“, welches sich mit dem Begriff „kleine Schlange“ übersetzen lässt. Trotz seines Namens gehört der Blutegel aber nicht zur Familie der Schlangen, sondern zu den Ringelwürmern. Er kann 30 Jahre alt werden, erreicht im ausgewachsenen Zustand eine Körperlänge von bis zu 15 cm und einen Körperdurchmesser von bis zu 2 cm. Wenn er allerdings mit Blut vollgesogen ist, verfünffacht sich sein Gewicht und die olivgrüne Zeichnung mit orange-gelben Streifen auf seinem Rücken wird deutlich erkennbar. Der kleine Ringelwurm wird so zu einer großen Schönheit.

Wiederentdeckte Therapieform

In der Humanmedizin wurden Blutegel bereits seit der Antike eingesetzt. Einen traurigen Höhepunkt erreichte die Therapiemethode allerdings im 19. Jahrhundert, als man Blutegel praktisch bei jeder Krankheit und in großer Zahl verwendete. In vielen Fällen wurden bis zu 80 Egel gleichzeitig an einem Patienten angesetzt. Diese „Mode“ führte nicht nur dazu, dass viele Menschen an den heftigen Nachblutungen verstarben, sondern endete auch beinahe mit dem Aussterben des hilfreichen Blutsaugers. Aufgrund dieser Vorfälle geriet die Blutegelanwendung stark in Verruf und wurde fortan als „archaische Behandlungsmethode“ abgestempelt, die in keiner modernen Arztpraxis mehr etwas zu suchen hatte. In den 1960er-Jahren wurde die Therapie mit Blutegeln wieder neu entdeckt und hat sich seitdem bei vielen Krankheiten zu einem anerkannten Therapieansatz entwickelt.

Bei welchen Indikationen können Blutegel helfen?

Bei Haustieren kann der medizinische Blutegel vielfältig mit Erfolg eingesetzt werden. Egal ob Ödeme, Arthrosen, Bisswunden, Gallen an Pferdebeinen, Entzündungen, schlecht heilende Wunden, hartnäckige Hämatome oder Abszesse, die kleinen Blutsauger können unseren vierbeinigen Freunden in vielen Bereichen helfen.

Gerade bei Tieren mit starker Arthrose kann eine Blutegeltherapie oft noch kleine Wunder vollbringen. Zwar wird die Arthrose selbst nicht geheilt, jedoch kann eine einzige Behandlung ausreichen, um die Schmerzen für mehrere Wochen zu lindern und somit die Lebensqualität des Patienten erheblich zu fördern. Eine weitere, höchst erfolgreiche Einsatzempfehlung ist die Hufrehe bei Pferden. Diese äußerst schmerzhafte, bewegungseinschränkende Erkrankung erfährt durch das Ansetzen von 5-15 Egeln möglichst direkt am Kronrand eine außergewöhnliche und v.a. sehr schnelle Erleichterung.

Was passiert beim Biss?

Der Blutegel beißt nicht wirklich zu, vielmehr handelt es sich um ein Ansägen der Haut. Da er unmittelbar schmerzlindernde Substanzen in die Wunde abgibt, verspürt das behandelte Tier nur im ersten Moment einen leichten Schmerz, der mit einem Nadelstich verglichen werden kann. Meist bleibt der Patient vollkommen ruhig, hebt vielleicht kurz den Kopf oder fängt an zu hecheln, lässt die Prozedur dann aber widerstandslos über sich ergehen.

Direkt nach dem Biss, und auch während des gesamten Saugvorganges, sondert der Egel einen ganzen Cocktail an medizinisch wirksamen Stoffen ab. Über 40 konnten in seinem Speichel bisher festgestellt werden. Zu diesen gehören u.a. gerinnungshemmende Substanzen wie Hirudin und Calin, entzündungshemmende Stoffe wie Hyaluronidase sowie histaminähnliche und schmerzlindernde Bestandteile. Dies führt dazu, dass eine Behandlung mit medizinischen Blutegeln sowohl gerinnungshemmend und lokal gefäßerweiternd als auch immunisierend und lymphstrombeschleunigend wirkt.

Der auf den Biss folgende „Mikro-Aderlass“ bewirkt, dass aufgrund des Blutverlustes die Neubildung von Blut angeregt wird. Die vielen neuen Erythrozyten, die allgemein für die Sauerstoffversorgung des gesamten Organismus zuständig sind, verbessern die Blutzusammensetzung um ein Vielfaches. Die teilweise Langzeitwirkung erklärt sich damit, dass die Lebensdauer der Erythrozyten ca. 120 Tage beträgt und somit über mindestens diesen Zeitraum eine wesentliche Verbesserung der Gesamtsituation entsteht. Bei großer Schmerzhaftigkeit sollten die Behandlungen dennoch 2 bis 5 Mal in Abständen von 2 Tagen (akute Schmerzen) bis zu 3 Wochen (chronisch-degenerative Erkrankungen) wiederholt werden.

Wie läuft die Behandlung ab?

Medizinische Blutegel werden in Deutschland auf speziellen Egelfarmen gezüchtet und von dort per Express direkt an Therapeuten verschickt. Privatpersonen können sie zwar auch über die Apotheke beziehen, aber obwohl die Anwendung der Blutegel im Grunde recht simpel ist, sollte sie dennoch nur von erfahrenen Tierärzten oder Tierheilpraktikern durchgeführt werden. Die richtige Ansetzstelle sollte diagnostiziert werden, damit die Egel ihre Wirkung bestmöglich entfalten können. Setzt man sie auf passende Akupunkturpunkte, lässt sich die Wirkung der Therapie noch deutlich verstärken.

Das zu behandelnde Tier sollte ein Mindestgewicht von 8 kg nicht unterschreiten und die Anzahl der anzusetzenden Blutegel entsprechend ausgerichtet sein, damit der Blutverlust nicht in den gesundheitsgefährdenden Bereich gerät. Die Möglichkeit, verschiedene Größen von Egeln bestellen zu können, kann im Therapieplan genutzt werden.

Zudem darf die Blutegeltherapie nicht bei jedem Tier angewendet werden. Leidet der Patient unter einer Blutgerinnungsstörung oder bekommt er blutverdünnende Medikamente, ist das Ansetzen von Egeln tabu. Außerdem kann eine Herzinsuffizienz oder Wirkstoffallergie vorliegen, die ebenfalls eine Kontraindikation darstellen.

Im Anschluss an das „Egeln“ brauchen die Tierpatienten Zeit zur Regeneration. Direkt nach der Behandlung sind sie i.d.R. sehr entspannt, einige schlafen sogar schon während der Therapie ein – dies ist v.a. der Fall, wenn die Egel auf Akupunkturpunkte gesetzt werden. Bis 48 Stunden nach der Behandlung sollten keine außergewöhnlichen Leistungen abverlangt werden.

In der Ruhe liegt die Kraft

Das Ansetzen der Blutegel ist im Wesentlichen nicht schwer. Neben dem Wissen um die genaue Ansatzstelle benötigt man Ruhe. Blutegel reagieren äußerst sensibel auf äußere Reize. Stress und Unruhe können ihnen „auf den Magen schlagen“ und ihnen die Lust am Beißen nehmen. Mal eben „zwischen Tür und Angel“ ein paar Blutegel anzusetzen, ist daher ein Garant für ein vorzeitiges Ende der Behandlung.

Auch sollte der Behandelnde keine Angst oder Ekel gegenüber den Egeln empfinden, da sich die Nervosität auf die Tiere überträgt – sowohl auf die Egel als auch auf den Tierpatient.

Ebenso bereiten heftige Temperaturschwankungen, Gewitter oder starke Wasserbewegungen den kleinen Blutsaugern Stress. Nicht zuletzt führen intensive Gerüche dazu, dass die Blutegel ihren Appetit verlieren. Die Hände sollten deshalb vor der Behandlung nicht mit parfümierter Seife gewaschen oder eingecremt werden. Zudem dürfen sie nicht nach Rauch riechen. Auch das zu behandelnde Tier sollte „naturbelassen“ bleiben. Auf Shampoos, Glanzsprays, Fliegenschutzpräparate und Flohsprays muss für mindestens 48 Stunden vor der Behandlung verzichtet werden.

Eine Rasur oder ein Anritzen ist meiner Erfahrung nach nur sehr selten nötig. Es genügt üblicherweise, das Fell an der Ansatzstelle zu befeuchten und mit einem Kamm zu scheiteln, damit es der Egel einfacher hat. Hat er sich erst einmal festgesaugt, ist er für die nächsten 30 bis 90 Minuten mit seiner Blutmahlzeit beschäftigt. Wenn der Egel satt ist, lässt er sich von allein fallen. Vorzeitig entfernen sollte man ihn nur in äußersten Notfällen, da es dabei passieren kann, dass er sich erbricht oder Teile seines Gebisses in der Wunde verbleiben.

Nach der Behandlung ist die Wunde praktisch steril und blutet bis zu 12 Stunden nach. Dies ist erwünscht und sollte nicht mit einem Druckverband unterbunden werden, denn das Nachbluten dient auch der natürlichen Wundreinigung und minimiert die Infektionsgefahr.

Was passiert mit den Egeln nach der Behandlung?

Auch wenn es viele Besitzer und Therapeuten nicht gerne hören, so dürfen medizinische Blutegel aus hygienischen Gründen nur einmalig angewendet werden und müssen nach ihrer Blutmahlzeit getötet werden, da sie als potenziell infektiös gelten. Dies geschieht am einfachsten, indem man sie einfriert. (Ist der Tierbesitzer bereit, die Kosten dafür zu tragen, besteht auch die Möglichkeit einer Rücknahme in einen „Rentnerteich“.) Auf keinen Fall dürfen medizinische Blutegel in Flüssen oder Seen ausgesetzt werden. Zum einen wäre ihr Überleben mehr als ungewiss, zum anderen würde auf diese Weise fremdes Genmaterial in die heimische Natur eingebracht werden, was laut Gesetz verboten ist.

Fazit

Die Blutegeltherapie ist eine sehr alte und bestens erprobte Behandlungsmöglichkeit. Es gibt viele Indikationen, bei denen Blutegel zur Verbesserung der Gesundheitslage mit großer Verträglichkeit eingesetzt werden. Die Anwendung ist – mit etwas Erfahrung – gut handzuhaben. Auch die Kosten für eine solche Behandlung sind abschätzbar und sorgen nicht für unangenehme Überraschungen im Nachhinein. Gleichzeitig gibt es wenige Kontraindikationen.

Gabi Nass
Tierheilpraktikerin mit Schwerpunkten Akupunktur und Ernährungsberatung, Dozentin an den Paracelsus Schulen
nass@thpn.de

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