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aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 3/2022

Geriatrie in der Pferdepraxis

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Die Knochen knacken, die Beine werden dick, die Zähne schlechter, die Bewegungen langsamer, das Pferd ist nicht mehr so leistungsfähig und magert ab. Viele Pferdebesitzer kennen das, haben immer häufiger den Tierarzt oder Tierheilpraktiker im Stall, und kommen nicht umhin, sich einzugestehen, dass der oft langjährige Sport- oder Freizeitpartner allmählich in die Jahre kommt. Die Naturheilkunde bietet zahlreiche Möglichkeiten, um Pferde im Prozess des Älterwerdens zu begleiten, möglichst beschwerdefrei zu erhalten und liebevoll in ihrem letzten Lebensabschnitt zu unterstützen.

Die Frage des Alters

Wann gilt ein Pferd als alt? Das lässt sich pauschal nicht beantworten, sondern ist auch rasse- und nutzungsabhängig sowie genetisch zu betrachten. Im Allgemeinen werden Pferde heute deutlich älter als früher. Zum aktuellen Stand der Medizin, aufgrund der Versorgung von Pferden und durch reduzierte Nutzung (v.a. von Freizeitpferden) sind Lebensalter über 20 Jahre keine Seltenheit. Das Alter eines Pferdes ist nicht nur am Zahnabrieb und der Zahnstellung, sondern auch an allgemeinen physischen Veränderungen erkennbar:

  • abnehmende Hautelastizität
  • Abbau von Muskulatur
  • durchhängender Rücken mit hervortretendem Widerrist
  • Herabhängen der Unterlippe
  • Eintrübung der Augen
  • graue/weiße Haare, v.a. im Gesichtsbereich
  • eingefallenes Gesicht mit Höhlen über den Augen
  • Änderung des Fressverhaltens: langsames, manchmal schwieriges Kauen, reduzierter Appetit, Schwierigkeiten bei der Futterverwertung
  • Abmagerung
  • Zahnprobleme
  • Lahmheit oder Bewegungseinschränkung durch Arthrosen, muskuläre Probleme oder Gewichtsveränderungen

Leicht verdauliche und energiereiche Nahrung

Allgemein weisen Pferdesenioren einen deutlich verlangsamten Stoffwechsel, veränderte Verdauungsprozesse sowie hormonelle Veränderungen auf, die dazu führen können, dass das aufgenommene Futter weniger effektiv verarbeitet wird. Hinzu kommen häufige Zahnprobleme, die die Futteraufnahme, das Zerkleinern/Einspeicheln und demzufolge das Abschlucken und Verdauen/Verwerten des Futters erschweren. Das Futter sollte leicht zerkaubar und leicht abzuschlucken sowie für das jeweilige Pferd schmackhaft sein. Außerdem soll es einen hohen Protein- und Faseranteil aufweisen und staubfrei sein. Von Bedeutung sind eine leichte Verdaulichkeit und ein hoher Energiewert. Sollte die Aufnahme von Raufutter nicht mehr in ausreichender Menge gewährleistet sein, kann auf Alternativen wie eingeweichte Heucobs, Rübenschnitzel und Mash zurückgegriffen werden. Futteranpassungen und -umstellungen sollten immer über einen Zeitraum von mindestens 1 Woche durchgeführt werden, um Verdauungsprobleme zu vermeiden.

Alters- und bedarfsgerechte Nähr- und Mineralstoffversorgung

Von besonderer Bedeutung ist die altersangepasste Versorgung mit Mineralstoffen, Vitaminen und Spurenelementen – hier kann ein seniorengerechtes Mineralfutter hilfreich sein. Darüber hinaus sollte man regelmäßig den individuellen Bedarf über Blutbild, Haarmineralanalyse etc. ermitteln. Unter Umständen müssen wesentliche Mängel separat ausgeglichen werden, falls sie nicht über ein Mineralfutter gedeckt werden können. Im Blick haben sollte man v.a. die Versorgung mit Selen, Zink, Mangan, Kobalt und Kupfer, den Vitaminen A, B und E. Die Zufütterung von Vitamin C kann im Einzelfall notwendig sein, da alte Pferde dies oft nicht mehr in ausreichender Menge selbst bilden können. Möglich ist das Zuführen von Mineralstoffen, Spurenelementen und Vitaminen auch über Kräutermischungen, deren Zusammensetzung und Dosierung jedoch immer von einer fachkundigen Person individuell berechnet werden und eine allgemeine Ernährungsberatung einschließen sollte. Der Einsatz von Schüßler-Salzen hat sich gerade bei Pferdesenioren bewährt.

Wer rastet, der rostet

Auch alte Pferde benötigen ausreichend Bewegung, und zwar regelmäßig, dem Alter sowie dem Gesundheitszustand angemessen im Sinne des Elastizitätserhalts von Sehnen, Bändern und Gelenken sowie zur Verhinderung muskulärer Abbauprozesse. Man tut einem Pferd nicht unbedingt Gutes, wenn es seinen Lebensabend mit Herumstehen auf der Weide verbringt. Die frühere Nutzung, die bisherigen Gewohnheiten und Routinen sowie der Charakter des Pferdes sind in jedem Fall zu beachten (Sport- oder Schulpferd, Kinderpony, Fahrpferd, Therapie- oder Voltigierpferd).

Beachtung von Bedürfnissen und Gewohnheiten

Die individuellen Bedürfnisse alter Pferde sind hinsichtlich Haltung, Pflege und medizinischer Versorgung stets zu beachten. Nicht nur körperliche Prozesse (Zahnabrieb, Hufwachstum, Fellwechsel etc.) sind relevant, sondern auch psychische Komponenten. Zu berücksichtigen sind auch die Gewohnheiten des Pferdes, die sich ein Leben lang eingespielt haben: Nicht alle Pferde sind sofort herdenfähig, können sich spontan von reiner Boxenhaltung auf Offenstallhaltung umstellen oder lassen sich einfach „in Rente“ schicken. Gerade hinsichtlich der Haltung sind die individuellen Bedürfnisse zu beachten (ausreichend Schutz und Wärme während des Winters, evtl. eindecken, tägliche Kontrolle auf Verletzungen oder Erkrankungen, regelmäßige Fellpflege etc.).

Huf- und Zahnfürsorge

Es ist ratsam, zweimal jährlich das Gebiss des Pferdes durch eine fachkundige Person (Tierarzt, Pferdedentalpraktiker etc.) überprüfen zu lassen, bei speziellen Problemlagen noch häufiger. Die Hufpflege und -bearbeitung ist bei alten Pferden enorm wichtig, selbst wenn das Pferd nicht mehr regelmäßig geritten wird. Durch Umbauprozesse an Knochen und Gelenken sowie Veränderungen hinsichtlich Hufqualität und Hornwachstum kommt es oft zu Besonderheiten, denen durch eine angemessene Hufbearbeitung Rechnung getragen werden kann. So können auch alte Pferde in Bewegung bleiben.

Empfehlungen bei Impfung und Entwurmung

Impfungen und Entwurmungen sollten individuell angepasst werden und nach Rücksprache mit dem Tierarzt erfolgen, da sie den Organismus temporär enorm belasten können. Hier bietet die Naturheilkunde zahlreiche Möglichkeiten zur Nachbehandlung, sei es homöopathisch (mit den derzeit zugelassenen ad us. vet.-Präparaten), phytotherapeutisch oder über weitere naturheilkundliche Methoden. Bewährt hat sich bei alten Pferden der Einsatz Effektiver Mikroorganismen. Hier existieren zahlreiche Futterzusätze speziell für Pferde.

Typische „Alterskrankheiten“ – Praxisempfehlungen

Wie beim alten Menschen, so gibt es auch beim alten Pferd kleine Zipperlein und größere Baustellen. Oftmals bringen ältere Pferde bereits langjährig bestehende Problemlagen mit. Einige Krankheitsbilder treten jedoch speziell im Alter auf und sind den Um- und Abbauprozessen im Organismus geschuldet.

Atemwege

Hier beobachten wir neben Allergien, die oft schon lange Zeit bestehen, v.a. chronische Bronchitiden bis hin zu ihrem „Endstadium“, dem Lungenemphysem. Es handelt sich hier um nicht heilbare Prozesse, bei denen eine symptomatische Behandlung möglich und oft langjährig erfolgreich ist.

Gerade die Phytotherapie bietet hervorragende Hilfe von Lungenkraut und Isländisch Moos über Thymian und Eibisch bis hin zu Kapuzinerkresse und Malve. Die Auswahl der Heilkräuter sollte immer zusammen mit einer phytotherapeutisch geschulten Fachperson erfolgen. Auf dem Gebiet der Homöopathie existieren viele auch für Tiere zugelassene Einzel- und Komplexmittel, die mit gutem Erfolg eingesetzt werden. Enorm hilfreich und aus der Therapie von Atemwegserkrankungen nicht wegzudenken sind Inhalationstherapien. Auch die immer häufiger vorhandenen Solekammern in Pferdebetrieben sind eine unschätzbare Hilfe.

Innere Organe

Leber, Nieren, Herz-Kreislauf-System und Verdauungsapparat des Pferdes unterliegen ebenfalls altersbedingten Veränderungen und Abbauprozessen. Entzündungen, Funktionsstörungen und Organschäden bis hin zu Insuffizienzen sind möglich. Im Akutfall ist hier natürlich immer ein tierärztliches Eingreifen unerlässlich. Als Begleit- und/oder Nachbehandlung bieten sich jedoch gerade hier homöopathische Therapien an: Beispielsweise haben sich Crataegus-(Weißdorn-)Präparate beim Altersherz bewährt, Zubereitungen aus der Mariendistel (Carduus marianus) bei Leberproblemen oder die Goldrute (Solidago virgaurea) zur Unterstützung der Nierenfunktion. Besonders hilfreich kann die Akupunktur sein – bei Lebererkrankungen macht eine Punktekombination aus Le 5, Le 6 und Gb 24 Sinn. Organische Herzerkrankungen sprechen gut auf die Nadelung von Bl 14, Bl 15 und KS 7 an. In jedem Fall kommt die Behandlung der Erkrankungen innerer Organe nie ohne Überprüfung und Optimierung von Ernährung und Haltung aus.

Hormonsystem

Schreckgespenst Cushing-Syndrom – das schießt den meisten Besitzern alter Pferde bei diesem Thema spontan durch den Kopf. Nicht ganz unbegründet, denn v.a. alte Pferde neigen zu dieser Form der Entartung der Hypophyse mit den Folgen einer Stoffwechselstörung: Schwierigkeiten beim Fellwechsel, langes/lockiges Fell, Durst und erhöhter Harnabsatz, Leistungsabfall, Schwäche, Muskelatrophie, Fettumverteilung, Infektanfälligkeit, Hufreheschübe etc. Als naturheilkundliche Begleitung der tierärztlichen Therapie bietet sich v.a. die Akupunktur an, aber auch homöopathische Komplexmittel (z.B. Coenzyme comp. ad us. vet., Ubichinon ad us. vet., ReVet RV 13) oder phytotherapeutische Präparate (z.B. Mönchspfeffer) können sinnvoll unterstützen. In jedem Fall sind hier eine Ernährungsberatung und Anpassung der Fütterung unabdingbar.

Bewegungsapparat

Die „Klassiker“ in der Behandlung alter Pferde sind Muskelatrophien, Arthritiden, Arthrosen, Lahmheiten unterschiedlicher Genese, Steifheit, Schmerzen, Verspannungen, Sehnenschäden, Bänderschwäche, Gelenkgallen und Schwellungen. Erkrankungen des Bewegungsapparates bieten bei Pferdesenioren ein buntes Bild, bei dem naturheilkundliche Methoden hervorragend eingesetzt werden können. Hier sind v.a. Akupunktur, Homöopathie und Phytotherapie von unschätzbarem Wert. Auf dem Gebiet der Tierarzneimittel existiert eine Fülle unterschiedlicher Präparate, die mit teils großem Erfolg angewendet werden und dem Pferd weitgehende Schmerz- und Beschwerdefreiheit bis ins hohe Alter ermöglichen können – man denke nur an z.B. Traumeel, Zeel, RV 25, Teufelskralle und Ingwer im phytotherapeutischen Bereich, Grünlippmuschel und Ginkgo. Homöopathische Einzelmittel wie Rhus toxicodendron, Harpagophytum, Hekla Lava, Symphytum u.v.m. können durch fachkundige Personen (und falls für Pferde zugelassen) ebenfalls sehr erfolgreich eingesetzt werden. Osteopathie, Physiotherapie und manuelle Verfahren ergänzen diese Behandlungsansätze ideal und garantieren, in Kombination mit angemessener Haltung, Bewegung und Ernährung, auch Pferdesenioren lange Zeit Mobilität.

FALLSTUDIE

Mein Patient, ein Hannoveraner Wallach, wurde bis zum 17. Lebensjahr im Reitsport eingesetzt. Nach einem Besitzerwechsel soll er altersbedingt fortan als „Beisteller“ gehalten werden. Aufgrund wiederkehrender Lahmheit untersucht der Tierarzt – Ergebnis: Insgesamt 8 Löcher in den tiefen Beugesehnen der Vorderbeine, Fesselträgerschaden, arthrotische Veränderungen in beiden Sprunggelenken, Gelenkgallen an den Vordergliedmaßen, starke Umfangsvermehrung ab Karpalgelenk, Zahnprobleme, Zahnfleischschwund, vernarbte Zunge. Die Bemuskelung wird als sehr gut eingestuft. Insgesamt handelt es sich um ein freundliches, umgängliches, immer noch lauf- und arbeitswilliges Pferd, das jedoch deutlich älter wirkt als 17 Jahre. Nach Absprache mit dem behandelnden Tierarzt wählen wir rein naturheilkundliche Behandlungsmethoden. Vor allem geben wir dem Wallach Zeit – er muss nicht sofort wieder „einsatzfähig“ sein.

Therapie

Zunächst strebe ich eine homöopathische Behandlung der Sehnenproblematik mit Ruta D4 und Symphytum D6 an (zum Zeitpunkt der Therapie noch zulässig). Außerdem kommt es zum Einsatz eines hochdosierten Kollagenpräparates und speziell angefertigter Kompressionsgamaschen. Ich empfehle die Zufütterung von Teufelskralle zur Arthrosebehandlung sowie eine Akupunkturbehandlung in regelmäßigen Abständen (das Pferd spricht besonders gut auf die Kombination Di 11, Gb 34 und Gb 39 an). Der Schmied forciert die Entlastung der tiefen Beugesehene durch entsprechende Hufbearbeitung. Mehrmals werden Zahnbehandlungen durch den Tierarzt durchgeführt. Zum Schutz des Zahnfleisches setzen wir Vitalpilze als Futterzusatz ein (Reishi, Pleurotus, Cordyceps, Shiitake) und passen das Futter an, hin zu einer ausgewogenen Mineralstoff- und Vitaminversorgung (Ausgleich von Selen-, Vitamin B- und Magnesiummangel). Gemeinsam tasten wir uns an die Umstellung auf Offenstallhaltung heran, mit der Möglichkeit, unterschiedliche Untergründe aufsuchen zu können. Auch die Integration in die Herde wird forciert. In Absprache mit der Physiotherapeutin üben wir leichte Bewegung an der Hand (Schritt, fester Boden) sowie Bodenarbeit zum Erhalt der Muskulatur.

Status quo

Nach 8 Wochen wird wieder eine Ultraschalluntersuchung der Sehnen durchgeführt. Die Löcher sind mittlerweile geschlossen. Da man Sportpferde nicht einfach „in Rente“ schickt, weil dies oft weitere Probleme mit sich bringt, wird das Bewegungsprogramm auf ausdrückliche Empfehlung des Tierarztes langsam und vorsichtig wieder gesteigert, wobei leichte Bewegung im Schritt auf hartem Boden fokussiert wird. Die Dauer wird dabei täglich gesteigert. Wenn witterungsbedingt möglich, verbringt der Wallach 24 Stunden auf der Sommerweide. Nach 4 Monaten kann das Pferd nahezu ohne Einschränkung im Freizeitbereich bewegt werden. Heute ist der Wallach 22 Jahre alt und erlebt in einer kleinen, gemischten Herde einen zufriedenen „Vorruhestand“ mit regelmäßiger, angepasster Bewegung.

Fazit

Anhand dieses Beispiels erkennt man, dass alte Pferde viele „Baustellen“ haben können, die ein Gesamtpaket ergeben, mit dem sich der Pferdebesitzer konfrontiert sieht. Naturheilkundliche Behandlungsmethoden können häufig mit gutem Erfolg und über lange Jahre eingesetzt werden, jedoch immer nach sorgfältiger Untersuchung und Diagnostik sowie in Absprache mit dem Tierarzt/Tierheilpraktiker, teilweise auch als Begleitbehandlung zur Schulmedizin bzw. zur Nachbehandlung, und selbstverständlich unter Berücksichtigung tierschutzrechtlicher Aspekte. Vor allem chronische Krankheitsbilder sprechen häufig gut auf alternative Behandlungsmethoden an. Auch und gerade „platte Schul- und Sportpferde“ können mit angemessener Betreuung, Bewegung und Versorgung im Alter einen zweiten Frühling erleben.

Tanja Erlei
Tierheilpraktikerin, Dipl.-Pädagogin, Fachkraft für tiergestützte Therapie und Pädagogik in eigener Praxis, Dozentin an den Paracelsus Schulen

tanja@schoenborner-muehle.de

Fotos: © Sven Cramer / adobe.stock.com, © anjajuli / adobe.stock.com, © Pixel-Shot / adobe.stock.com

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