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aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 5/2018

Glosse: Die Wahrnehmung von Zahlen

Cover

Vor kurzem war ich im Urlaub. Ich hatte mich sehr darauf gefreut. Entsprechend gut gelaunt bin ich gereist. Nach der Ankunft haben wir das Hotelzimmer auf Gemütlichkeit überprüft. Das hat geklappt, bis ich SIE gesehen habe. SIE stand einfach da. Versteckt unter dem Schrank, doch sichtbar. Im Badezimmer. Unter dem Waschbecken. Die Waage!

Daheim haben wir keine Waage. Das Risiko, dass ich da täglich mehrmals draufstehe, ist zu hoch. Zudem möchte ich mich nicht von einer Zahl abhängig machen. Ich möchte einfach in den Spiegel schauen. Mich drehen und wenden. Dann entscheiden, ob die Hose kneift oder nicht, und mich wohlfühlen. Das klappt ganz gut.

Doch als ich im Urlaub die Waage sah, spürte ich den Druck, dass die Zahl auch meiner Wahrnehmung entsprechen soll. Den Druck der Befürchtung, dass ich mir selbst etwas vormache, weil doch alles anders ist. Am ersten Tag konnte ich dem standhalten. Am zweiten nicht mehr. Ich passte einen ruhigen Moment ab. Dann zog ich alles aus, was ging. Legte meinen Schmuck ab. Holte tief Luft, schloss meine Augen und stieg auf die Waage.

Da stand ich, im Urlaub auf der Waage, mit der Hoffnung, dass, wenn ich meine Augen öffnete, auch eine Zahl zu sehen war, die meiner Wahrnehmung und derjenigen der Boulevardzeitung entsprach. Da findet man doch immer die Gewichtsangaben der Stars. Zusammen mit einem Foto, das die Zahl untermauern soll. Dabei ist es zweitrangig, ob das stimmt oder die Stars ihr Einverständnis gegeben haben. Es sind indirekte Richtwerte. Für das Unterbewusstsein. Für alle Altersstufen.

Diese Kombination führt dazu, dass Leserinnen und Leser sich sofort eine neue Zeitschrift holen. In dieser stehen dann vorne die neuesten Trends zum Abnehmen, und ganz hinten die leckeren Tortenrezepte. Ein Irrsinn! Jedes Mal frage ich mich, ob sich die Redaktion ihre Zeitung eigentlich genau anschaut und die Widersprüchlichkeit ihrer Inhalte entdeckt…

Ich stehe also auf der Waage und frage mich, was wäre, wenn die Zahl meiner Vorstellung nicht entspricht, z.B. zu hoch ist? Muss ich dann in ein Abnehmcamp? Darf ich dann bis an mein Lebensende nie wieder Schokolade essen? Und was ist mit meinem Umfeld? Ist denen nichts aufgefallen? Ist es nicht deren Pflicht, mir mitzuteilen, dass ich mich anders wahrnehme, als die Realität es zeigt?

Gut, vielleicht stehe ich auch schief. Meine Vorfahren haben schwere Knochen. Und überhaupt ist das eine unbekannte Waage. Vielleicht läuft ja eine Wasserader drunter durch, welche die Nadel beeinflusst. Was wäre, wenn die Zahl zu niedrig ist? Keine Ahnung, ob es „das“ Schönheitsideal gibt, wenn ja, entspräche ich diesem Ideal? Kann ich mich dann als Titelblattmädchen bewerben?

Natürlich ist es nicht ganz egal, wie hoch die Zahl auf der Waage ist. Sie sollte in einem guten Verhältnis zur Körpergröße stehen. Doch: Es ist eben nur eine Zahl. Diese Zahl sagt nichts über unsere Gesundheit aus, wie beweglich wir sind und ob unser Cholesterinwert optimal ist. Ob wir Marathon laufen oder Yoga machen. Ob wir uns vegan ernähren oder anders. Ob wir gesund sind oder krank. Diese Zahl sagt nur aus, wie schwer der Körper ist.

Ich war nie gut in Mathe, Zahlen sind nicht meine Leidenschaften. Doch können bestimmte Zahlen Leiden schaffen. Indirekt. Es gibt einige solcher Zahlen. Dazu gehört z.B. die Kleidergröße. Gut, die gibt es auch mit Buchstaben, doch ist es am Ende dasselbe. Sie sagt aus, welche Passform für uns geeignet ist. Genauso wenig sagt unsere Kleidergröße etwas darüber aus, ob wir fit und agil sind. Und auch wenn wir das wissen, orientieren wir uns doch daran. Geben diesen Zahlen viel Bedeutung.

Es gibt Menschen, die ihren Essensplan danach gestalten oder ihr Sportprogramm. Die ihr Leben nach Zahlen ausrichten. Das kann schnell in eine Richtung laufen, die nichts mehr mit Gesundheit zu tun hat. Diese Zahlen stellen unsere Wahrnehmung in den Schatten. Wir machen uns abhängig. Weil die Zahl auf der Waage blöd ist, fühlen wir uns nicht mehr wohl. Vertrauen nicht mehr unserem Körper. Unserem Gefühl. Hören auf, Dinge zu essen, die uns schmecken, oder zu essen, wenn wir Hunger haben. Stattdessen malträtieren wir ihn. Mit Gedanken, Worten und Taten. Nehmen Zaubertees zu uns, die unseren Stoffwechsel ankurbeln sollen und die Fettverbrennung erhöhen. Schlucken Pillen, die den Hunger unterdrücken, und Kapseln, die das Defizit wettmachen sollen.

Wir vergleichen unseren Körper. Mit Bildern von Körpern aus einem Hochglanzmagazin. Mit unechten Fotos, bei denen Bildbearbeitungssoftware ganze Arbeit geleistet hat.

Es ist ein gefährlicher Kreislauf, wenn der Absprung nicht geschafft wird! Auf diese Art züchten wir eine Generation, die vergessen hat, was Gesundheit ist und was es bedeutet, seiner eigenen Wahrnehmung zu vertrauen. Das Leben zu genießen und eine gesunde Ernährung zu pflegen.

All diese Fragen und Bilder gingen mir durch den Kopf, während ich auf dieser Waage stand und hoffte, dass sie es gut mit mir meinte. Am Ende fand ich die Zahl blöd. Sie entsprach nicht meiner Wahrnehmung. Ganz klar, das lag an der Waage! Deshalb schob ich sie wieder so weit weg, dass nicht eine Ecke sichtbar blieb. Dann nahm ich mir mein Spiegelbild vor. Sah mich an. Fühlte mich und spürte, dass ich genau richtig bin.

Sonnige Grüße, Ihre Jana Ludolf

Jana LudolfHeilpraktikerin für Psychotherapie, Mediatorin und Familiencoach

info@Jana-Ludolf.de

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