aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 5/2018
Porno- & Sexsucht mit Hypnose behandeln
Die Pornosucht stellt eine Unterkategorie der Sexsucht dar, da sie sich ausschließlich auf den Konsum pornografischer Inhalte bezieht, während die Sexsucht auch das promiskuitive Ausagieren im realen Kontakt beinhaltet. Die offiziellen Schätzungen gehen von ca. 500000 Betroffenen in Deutschland aus. Die Anfänge werden i.d.R. durch die Pornografie geebnet oder mitbegleitet. Pornografie ist durch das Internet heute für jedermann unbegrenzt und immer verfügbar. Bilder und Filme sind anonym, schnell und kostengünstig auf Knopfdruck abrufbar. So wie die Pille in den 1960er-Jahren eine Entkopplung des Sex von der Fortpflanzung gebracht hat, so ist durch das Internet eine Entkopplung der Sexualität vom Partner entstanden.
35% aller Webseiten im Internet haben sexuelle Inhalte, und Deutschland liegt mit 12,4% des weltweiten Porno-Traffics im Netz auf Platz 1. Der erste Kontakt mit Pornografie findet durchschnittlich mit bereits 10 Jahren statt, also während des Übergangs von der Grundschule auf weiterführende Schulen. Genau dann halten Jugendliche heute auch oft das erste Mal ein eigenes Smartphone in den Händen.
Kernmerkmale der Porno-/Sexsucht sind:
- Starke zeitliche und inhaltliche Vereinnahmung durch sexuelle Fantasien und Aktivitäten
- Dosissteigerung und Kontrollverlust
- Negative Konsequenzen in Beziehung, Beruf, Finanzen, Gesundheit und/oder Konflikte mit dem Gesetz
Sexsucht ist eine Verhaltenssucht mit einigen neurophysiologischen Spezifika, die an stoffgebundene Süchte denken lassen. Zum einen stellt der Sexualtrieb einen extrem starken Stimulus für das Belohnungssystem des Gehirns dar. Hier kommt es zu einer massiven Ausschüttung von Neurotransmittern, allen voran Dopamin. Die Dopamin-Ausschüttung ist in ihrer Wirkung vergleichbar mit der von Kokain, was auf Sexpartys gerne miteinander kombiniert wird. Zum anderen spielen Hormone (Adrenalin, Testosteron, Östrogen, Gestagen, Oxytocin) eine Rolle sowie veränderte Transkriptionsfaktoren, die zu hirnmorphologisch nachweisbaren Umgestaltungen führen und „Suchtstraßen“ entstehen lassen.
Sexualität wird evolutionär belohnt, da sie für das Überleben der Rasse, aber auch des Individuums wichtig ist. Eine Sucht kommt durch den „Coolidge-Effekt“ zu Stande. Individuen zeigen in Langzeitpartnerschaften bei fortwährend konstanten Reizen ein Nachlassen sexueller Reaktionen. Durch neue Partner oder das Anbieten neuer starker Reize am Beispiel der Pornografie wird dieser Effekt umgangen und die Ausschüttung von Dopamin ist weiterhin maximal. Nun reagiert das Gehirn auf ein Überangebot von Dopamin mit biochemischen Veränderungen. Im Belohnungszentrum wird weniger Botenstoff Dopamin produziert und die Anzahl von Dopamin-Rezeptoren verringert sich. Dies leitet die Desensibilisierungsphase ein.
Die Veränderung von Transkriptionsfaktoren, allen voran FOS, das sich in Delta-FOS verwandelt, führt zu neuroplastischen Veränderungen im Gehirn, die, wenn sie lange anhalten, nicht vollständig reversibel sind. Hierdurch entsteht eine Toleranzsteigerung: Es müssen immer stärkere Reize konsumiert werden. Wie für die Sucht typisch, wird mit der Zeit der Einfluss des frontalen Kortex, der für die willentliche Kontrolle verantwortlich ist, geschwächt, sodass es bis zum vollständigen Kontrollverlust kommt. In dieser Phase wird gegen eigene moralische Vorstellungen agiert und Versprechen werden trotz extremer negativer Konsequenzen ausgeblendet. Versuche, das Verhalten zu unterbrechen, enden nach 2 bis 3 Tagen im Rückfall.
Therapie der Sexsucht beinhaltet verhaltenstherapeutische Elemente, wie Trennung vom Suchtmittel, Einbau von Filtersoftware, Analyse der internen und externen Trigger, Gedankenstopp, Aufdecken partnerschaftlicher oder familiärer Konflikte. Über Hypnose kommt man schnell und effizient an die verborgenen und oft im Unterbewusstsein liegenden Ursachen heran. Ziel ist, dass Bewusstsein und Unterbewusstsein „Hand in Hand“ an Lösungskonzepten arbeiten. Dabei soll der Betroffene nicht nur gegen das Gefühl ankämpfen, sondern befähigt werden, eine neue suchtfreie Persönlichkeit zu entwickeln. Dies ist die Grundlage der Individuation für ein selbstbestimmtes und freies Leben. Das Ausagieren aus einem inneren Zwang heraus ist ein unfreies Verhalten. Es geht im Fall der Sexsucht darum, dem System aus Anspannung und Entspannung, aus Lust und Befriedigung, Natürlichkeit zurückzugeben und damit zu einem nachhaltigen Gefühl der inneren Fülle zu gelangen.
Therapeutisches Konzept
1. Vorbereitung
- Anamnese und Diagnostik – Exploration der Sexsucht (Gespräch)
- Psychoedukation – Information rund um das Thema Sucht und Sexsucht (Gespräch) und die Wirksamkeit von Hypnose und Selbstorganisation
- Hypnosetest – Prüfung der Suggestibilität und Trancefähigkeit (Gespräch/Trance)
- Einstellungsänderung – langfristige Lebensqualität vor kurzfristigen Genuss stellen (kognitive Umstrukturierung)
- Assoziationsarbeit – individuelle Fallen entschärfen (Gespräch)
- Suggestionen – positive Affirmationen für ein selbstbestimmtes Leben (Gespräch)
- Ziele definieren (Hausaufgabe)
- Selbsthypnose – Technik und Übungen für den Hypnose-Teil der Therapie
- Abstinenz – 14 Tage vor der Hypnosesitzung (Verhalten)
2. Hypnose
- Future Pacing – Besprechung und ggf. Korrektur der Ziele; Fokussierung auf Ziele VASO (Gespräch)
- Trance – Einleitung der Trance
- Symbolisierung – Farbe als Symbol für die Ziele (Hypnose)
- Lokalisierung – Fühlen des Symbols (Hypnose)
- Unterstützung – Finden eines Helferwesens (Hypnose)
- Klärung – Reinigung mit dem Symbol (Hypnose)
- Heilung des Inneren Kindes (Hypnose)
- Loslassen – innere Widerstände (Funktion der Sexsucht) aufgeben (Hypnoanalyse/ Hypnose)
- Selbstorganisation – dem Unterbewusstsein Raum geben, eigene kreative Alternativen zum dysfunktionalen Sexualverhalten zu finden (Hypnose)
- Verhaltensänderung – Ersetzen gesundheitsschädigender Verhaltensmuster durch gesundheitsfördernde Verhaltensmuster für ein selbstbestimmtes Leben (Hypnose/Verhalten)
- Lösungserleben – emotionale Erfahrung: Selbstwirksamkeit (Hypnose)
- Saboteur – Allianz mit dem inneren Widersacher (Hypnose)
- Posthypnotische Suggestion – Prävention (Hypnose)
- Metaphern – auf einer tiefen Ebene indirekt überzeugen (Gespräch/Hypnose)
Erläuterungen
In den ersten Stunden ist es wichtig, nicht zu werten, da Betroffene häufig erstmalig ihre Scham überwinden und einer außenstehenden Person von ihrer Sucht berichten. Viele Klienten wissen nur, dass sie abhängig sind, aber die inneren psychischen und neurochemischen Zusammenhänge ihrer Sucht sind ihnen weitgehend unbekannt. Da moderne Hypnotherapie die Kooperation von Bewusstsein und Unterbewusstsein voraussetzt, ist es erforderlich, dass der Klient die Zusammenhänge seiner Sucht versteht und das Behandlungsverfahren logisch und zielführend findet. In verständlicher Form muss im Rahmen der Aufklärung ein Ausweg aus der Krankheit aufgezeigt werden.
Es gibt eine Reihe verschiedener Suggestibilitätstests, mit deren Hilfe sich Aussagen bzgl. der Empfänglichkeit des Klienten für verschiedene Hypnosetechniken bzw. die Erreichbarkeit verschiedener Hypnosezustände/ Trancearten treffen lassen. Der Klient kann erkennen, ob er bzw. sein Körper auf Suggestionen reagiert oder nicht. Das lässt erste Schlüsse auf die Wirksamkeit von Hypnose im Rahmen der angestrebten Verhaltensänderung zu. Der Suggestibilitätstest kann auch als Vorab-Induktion genutzt werden. Damit lässt sich eine Art „Basistrance“ etablieren, das Gehirn des Klienten ist schon auf die Stimme des Therapeuten vorbereitet.
Dem Klienten wird die Frage gestellt, was ihm wichtiger ist: der kurzfristige Genuss oder eine dauerhafte selbstbestimmte Lebensqualität. Er wird sich für die dauerhafte selbstbestimmte Lebensqualität entscheiden und diese Zielsetzung erstmals ausdrücklich aussprechen. Der Therapeut lässt ihn dann beschreiben, wie sich das anfühlt. Dadurch wird die Zielvorstellung in der Fantasie des Klienten etabliert.
Bei der Assoziationsarbeit geht es darum, die Gedankenketten, die immer wieder zum Suchtverhalten führen, zu unterbrechen und in eine andere Richtung zu lenken. Der Therapeut lässt den Klienten ein Kunstwort kreieren, ein Wort, das es im Sprachgebrauch nicht gibt und somit zu keinen anderen Assoziationen führt. Sein Kunstwort könnte „Iamon“ lauten. Wann immer sexuelle Gedanken in finaler Verkettung etwa auf den Besuch eines Swinger-Clubs hinauslaufen würden, steht das Kunstwort als Ressource zur Verfügung, um den Gedankengang zu unterbrechen. In einem weiteren Schritt kann der Patient in Trance sein Kunstwort mit „Bedeutung“ füllen, die sich beim Gedanken an das Wort erfüllt.
Der Therapeut erläutert dem Klienten das Wirkprinzip von Suggestionen. Bei Porno- und Sexsucht ist folgende Formel wirksam: „Ich bin einmalig, für immer frei und fühle mich großartig dabei“. Die Suggestionsformel hat eine verhaltenspsychologische Komponente (Gedanken-Stopp) auf der Ebene des Bewusstseins und eine beeinflussende auf das Unterbewusstsein. In der Praxis hat sich gezeigt, dass ein Klient, der seinem Problem 1 oder 2 Wochen lang fleißig suggestiv entgegengewirkt, besser vorbereitet zur Hypnosesitzung kommt.
Der Therapeut unterrichtet den Klienten darin, wie er sich selbst in einen Trancezustand versetzen und seinen Suggestionen maximale Kraft verleihen kann. Wegen der Selbstwirksamkeit sind fast alle Klienten daran interessiert, die Selbsthypnose zu erlernen.
Das Zusammenspiel zwischen Bewusstsein und Unterbewusstsein setzt vom Klienten Bereitwilligkeit voraus, also Bereitschaft und Wille, die Abhängigkeit zu überwinden. Bei der Porno- und Sexsucht werden 14 Abstinenztage angesetzt, da dieser Zeitraum eine echte Herausforderung ist, während dem sich nebenbei auch die Dopamin-Rezeptoren wieder regenerieren können.
Wichtig ist eine Fokussierung auf den anzustrebenden Zielzustand, der im Gespräch so genau wie möglich über alle Sinne versucht wird zu explorieren. Das Ziel soll sich in der Fantasievorstellung des Klienten etablieren und, wenn möglich, auch schon auf das anzustrebende Gefühl (leicht, weit, frei, entspannt etc.) fokussiert werden. Diese emotionalen Erlebnisbilder stoßen innere Prozesse an. Hier sind Fragen hilfreich wie: „Wie wäre es für Sie, wenn Sie sich selber ein selbstbestimmtes Leben frei von Zwängen geben könnten? – Was würden Sie machen? Wie fühlt sich das an?“
Für Erwachsene ist die Einführung von Ressourcen oft hilfreich, damit sie überhaupt in eine lösungsorientierte Trance gehen können. Zur Ressourcenmobilisierung zählen das Hinzuziehen und die Imagination eines Helferwesens. Dem Klienten wird zuvor vom Schamanismus naturverbundener Völker erzählt, in dessen Rahmen Helferwesen Krafttiere sind, persönliche schützende Begleiter auf geistiger Ebene.
In Trance wird eine Teilearbeit eingesetzt, in der innere Widersacher genauer betrachtet werden. Es wird nach Zweiflern gefragt, Saboteuren, inneren Widersachern, die dem
Klienten einen Strich durch die Rechnung machen. Eine Beschreibung des Widersachers mit allen Sinnen, um ihm eine Gestalt oder ein Gesicht zu geben, und Externalisierung werden angestrebt. Es findet eine Kommunikation bis zum Vertragsschluss statt, damit sich der Widersacher wohlfühlt und den Klienten bei Zielerreichung unterstützt, anstatt ihn wie früher zu sabotieren. Der Therapeut begleitet die Vertragsverhandlung bis zur Einwilligung.
Während der Hypnose kann es zu inneren Widerständen kommen. Eine Methode, diese zu überwinden, ist das „Tauziehen mit dem Monster“. In der Fantasie wird zunächst mit allen Kräften und Mitteln gegeneinander gekämpft und dann – durch das Loslassen des Taus – der Kampf beendet, der Widerstand aufgegeben. Die Folge ist ein gutes, freies Gefühl, das im Körper gespürt werden kann. Anschließend kann die Therapie fortgesetzt werden.
Der Klient wird gebeten, mit seiner Sucht in Zusammenhang stehende Repräsentationen gedanklich vor sich auf den Boden zu legen. Zigaretten, Webseiten, Pornofilme etc. Diese Gegenstände werden ausführlich betrachtet, und es wird geprüft, was noch fehlt. Sind alle nötigen Gegenstände präsent, verabschiedet sich der Klient von ihnen und legt sie in einen Tresor, der sorgfältig verschlossen und versiegelt wird. Der einzige Schlüssel wird unwiederbringlich in einem tiefen See versenkt. Danach steigt der Klient in einen Heißluftballon, umgeben von schweren Sandsäcken. Diese werden als Glaubenssätze imaginiert, die zur Suchtpersönlichkeit geführt haben. Der Klient löst den Bodenanker, und der Ballon steigt langsam. Indem der Klient nun Sack für Sack abschneidet und nach unten fallen sieht, spürt er, wie der Ballon immer schneller steigt und er sich immer freier fühlt. Am Ende sind alle Säcke abgeschnitten und der Klient schaut mit Genugtuung und Freude ein letztes Mal nach unten auf die zerplatzten Säcke und freut sich über die wiedergewonnene Freiheit.
Fazit
In der Regel lassen sich mit der Hypnotherapie in wenigen Sitzungen oft deutliche Fortschritte erzielen. In der Hypnosesitzung wird das Unwiderstehliche in ein Verlangen umgewandelt, das anschließend mit Willenskraft beherrscht werden kann. Die Ergebnisse können von einem Verflachen der Impulse, was ein unkontrolliertes Ausagieren reduziert, bis zu einem gänzlichen Verschwinden des Suchtdrucks reichen. In jedem Fall setzt es die aktive Mitarbeit des Patienten voraus.
Dr. med. Heike Melzer
Ärztin mit Praxis für Coaching & Psychotherapie, Paar- & Sexualtherapie
Klaus Ulbrich
Heilpraktiker für Psychotherapie, Hypnotherapeut mit Schwerpunkten Angstzustände, Allergien und Gewichtsreduzierung, Privatpraxis für therapeutische Hypnose in Lindhorst
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