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aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 5/2018

Therapie bei Reizdarm und Reizmagen

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Homöopathische Arzneimittel als integraler Bestandteil einer ganzheitlichen Therapie

Im Bereich gastroenterologischer Erkrankungen haben homöopathische Arzneimittel ihren festen Stellenwert im Rahmen eines ganzheitlich orientierten Therapiekonzeptes. Magen-Darm-Erkrankungen sind sehr häufig im Praxisalltag. Während wir einen viralen Magen-Darm-Infekt in vielen Fällen durchaus allein homöopathisch behandeln können, flankiert von einer entsprechenden Flüssigkeitszufuhr und Diätetik, kommen Homöopathika auch bei chronischen gastroenterologischen Erkrankungen als unterstützende Medikation in Betracht. Hervorzuheben sind ihre nebenwirkungsarmen, das Mikrobiom schonenden Eigenschaften.

Chronische Magen-Darm-Erkrankungen entwickeln sich oft schleichend über viele Jahre. Die Beschwerden sind eingangs unspezifisch und können die Lebensqualität der Betroffenen im Laufe der Zeit erheblich beeinträchtigen. Die Patienten sind müde, antriebslos und fühlen sich aufgebläht. Bei chronischen gastrointestinalen Erkrankungen ist meist zunächst eine konventionelle Therapie unabdingbar; diese lässt sich jedoch komplementärmedizinisch sinnvoll ergänzen. Im Folgenden wird betrachtet, wie sich eine homöopathische Therapie optimal integrieren lässt.

Das Mikrobiom des Menschen

Jeder Mensch trägt mehr als 1 bis 2 kg fremde Biomasse mit sich herum: das Mikrobiom, dessen Zusammensetzung so einzigartig wie ein Fingerabdruck ist. Die Mikroben beeinflussen die Funktionen des menschlichen Organismus in beträchtlichem Ausmaß und haben medizinische Bedeutung, etwa beim Aufschließen von Nahrungsbestandteilen oder im Rahmen immunologischer Funktionen, z.B. dem Infektionsschutz. Die Darmmukosa bildet mit ihrer intakten Flora normalerweise eine Barriere: durchlässig für Nährstoffe und Flüssigkeiten, aber undurchdringlich für schädliche Stoffe.

Zur Schädigung der Darmflora kommt es durch:

  • Fehlernährung
  • Stress
  • Umweltweinflüsse
  • Medikamente (u.a. Antibiotika)

Diagnostik „Step by Step“

Vorsicht ist angesagt bei anhaltenden und wiederkehrenden gastrointestinalen Beschwerden. Das betrifft v.a. Patienten, die regelmäßig Glucocorticoide oder nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) einnehmen, sowie Menschen mit heftigen akuten Beschwerden, Blut im Stuhl und ungeklärtem Gewichtsverlust. Diese sollten aus Gründen der Sorgfalt zunächst an einen Gastroenterologen verwiesen werden, um organische Ursachen, wie z.B. eine gastroösophageale Refluxkrankheit, ein Magen- oder Zwölffingerdarm-Geschwür oder Tumore in Magen oder Speiseröhre, im Vorfeld auszuschließen.

Bei der körperlichen Untersuchung hilft uns – bei ganzheitlicher Betrachtung des Patienten – auch die Zungendiagnose. Ein dicker weißer bis weißlich-gelber Zungenbelag kann ein Hinweis auf eine Magen-Darm-Störung sein, eine tiefe mittige Furche deutet auf das Vorliegen einer Gastritis oder Sodbrennen hin.

Zudem bestehen reflektorisch-energetische Beziehungen zwischen Zahn-Kiefer-Bereich
und dem Organismus. Daher kann es für einen Therapieerfolg bedeutsam sein, zunächst Störfelder zu erkennen und zu sanieren. Odontone, die eine Wechselbeziehung zum Magen, zum Dick- oder Dünndarm haben, sollten besonders betrachtet werden. Oftmals ist auch eine Entgiftungstherapie angezeigt.

Silent Inflammation

Ist das empfindliche Gleichgewicht im Darm gestört, hat das eine Dysbiose und latente Entzündungsprozesse zur Folge. Schließlich kommt es durch diese „silent inflammation“ der Darmschleimhaut zur Lückenbildung in der dichten Zellstruktur der Darmmukosa (Leaky Gut). Fettunlösliche Stoffe, unvollständig verdaute Nahrungsbestandteile, Mikroben und Schadstoffe fließen in den Blutkreislauf ein, überlasten die Leber und lösen immunologische Reaktionen aus.

Das Leaky-Gut-Syndrom

Die Beschwerden sind unspezifisch:

  • Durchfall und Blähungen, Leber und Immunsystem arbeiten permanent auf Hochtouren
  • Müdigkeit, geminderte Leistungsfähigkeit, Nahrungsmittelunverträglichkeiten, Nahrungsmittelallergien

Gegen die als schädlich eingestuften Lebensmittel werden Antikörper entwickelt. Greifen diese irrtümlich gesunde Zellen an, könnte das Autoimmunerkrankungen, z.B. Multiple Sklerose, hervorrufen. Veränderungen des enteralen Mikrobioms beeinträchtigen nicht nur das mukosale Immunsystem, sondern auch Gehirnfunktionen, sodass heute immer mehr Erkrankungen mit einer intestinalen Dysbiose in Verbindung gebracht werden, z.B. anhaltendes Übergewicht, Diabetes, Arteriosklerose, Morbus Crohn oder das Kolorektalkarzinom.

Im Labor dienen das Regulatorprotein Zonulin und das Alpha-1-Antitrypsin als Marker, um die Permeabilität der Darmschleimhaut zu messen.

Alle ganzheitlichen therapeutischen Bestrebungen dienen dem Ziel, die Barrierefunktion zu regenerieren. Neben Probiotika kann eine orthomolekulare Therapie zum Ausgleich fehlender Makro- und Mikronährstoffe eingesetzt werden, denn häufig gibt es Defizite bei Zink, Selen, Homocystein, Magnesium, Vitamin B, C und D. Auch homöopathische Mittel können bei der Linderung der Symptome helfen, z.B. Nux vomica, Colocynthis, Carbo vegetabilis und Lycopodium. Sie wirken entzündungshemmend auf die Mukosa und sind selbst schleimhautschonend.

Reizmagen

Als Reizmagen oder „funktionelle Dyspepsie“ bezeichnen wir funktionelle Magenbeschwerden. Mangelnde Magenbeweglichkeit, Stress und psychosomatische Ursachen werden diskutiert. Glutenunverträglichkeit, Zöliakie oder weitere Lebensmittelallergien und -unverträglichkeiten sind zuvor auszuschließen, etwa mit Blut-, Stuhl- und Gewebeuntersuchungen.

Patienten mit Reizmagen klagen zumeist über diffuse Schmerzen im Oberbauch und beschreiben diese als krampfartig, brennend oder drückend. Sie sind oft begleitet von Völlegefühl, Aufstoßen, Blähungen, Übelkeit, Erbrechen, Sodbrennen, Mundtrockenheit oder Schluckbeschwerden.

Wir unterscheiden je nach Hauptbeschwerden 3 Reizmagen-Typen:

  • Dysmotilitätstyp
  • Reflux- oder Ulcustyp
  • Säuremangeltyp

Reizdarm-Syndrom

Anhaltende gastrointestinale Beschwerden mit Bauchschmerzen, Blähungen, Krämpfen, Stuhlgangveränderungen (Obstipation/Diarrhoe), die länger als 3 Monate bestehen, ohne dass eine andere organische Ursache ausfindig gemacht werden kann, bezeichnet man als Reizdarm-Syndrom (RDS). Je nach Hauptbeschwerden werden unterschieden:

  • Verstopfungstyp
  • Schmerztyp
  • Durchfalltyp

Naturheilkundliches Konzept bei RDS und Reizmagen

Basis eines ganzheitlichen Therapieansatzes bei gastrointestinalen Beschwerden ist zunächst die fachliche Hilfestellung bei der Ernährung durch eine exakte Ernährungsanalyse und eine anschließende individuelle Beratung. Flankiert werden diese Empfehlungen von einer Körper- und Verhaltenstherapie zur allgemeinen Stärkung des Immunsystems. Akupunktur zeigt oft sehr gute Erfolge, ebenso Leibwickel.

In unserem Bemühen um eine das Mikrobiom schonende und die Lebensqualität verbessernde Therapie für Patienten mit Magen-Darm-Beschwerden fügen sich Homöopathika als integraler Bestandteil in ein naturheilkundliches Therapiekonzept sinnvoll ein. Assoziierte Beschwerden lassen sich nachhaltig mit homöopathischen Arzneien (Einzel- und Komplexmittel) behandeln.

Das wohl bekannteste Homöopathikum in der Gastroenterologie ist Nux vomica. Es kommt zum Einsatz bei Übelkeit und Brechreiz, Magendruck, Sodbrennen, Völlegefühl und krampfartigen Verdauungsbeschwerden, ebenso bei Obstipation, Leber- und Bauchspeicheldrüsenschwäche.

Im Arzneimittelbild von Anacardium finden sich u.a. Symptome wie Ziehen im Magen, Nüchternschmerz und Aufstoßen bei leerem Magen, Übelkeit, krampfartige Schmerzen, schwache Verdauung, mit Auftreibung des Leibes, und Sodbrennen.

Bei Patienten, die vorrangig an Magenkrämpfen leiden, hilft Belladonna. Symptome des Arzneimittelbildes sind Krämpfe auf Basis einer ausgeprägten Entzündung der Magenschleimhaut, die mit Übelkeit und Erbrechen, aufgetriebenem Magen und Darm einhergeht. Belladonna ist bei akuter Gastritis, Hyperazidität und Hypazidität angezeigt.

Im Arzneimittelbild von Carbo vegetabilis finden sich Symptome wie Druckgefühl im Bauch, zusammenziehender Magenkrampf retrosternal aufsteigend, starke übelriechende Blähungen, deren Abgang Erleichterung bringt, mit Brennen im Magen, Gärung, saurem oder ranzigem Aufstoßen, Abneigung gegen fette Speisen und Milch, verlangsamte Verdauung und Völlegefühl mit großer Schläfrigkeit und Erschöpfung, Verschlimmerung durch Hinlegen und Besserung durch Luft zufächeln.

Chamomilla kommt infrage bei Magendrücken, galligem Erbrechen und Blähungskoliken. Die Stühle sind wässrig, schleimig unverdaut, „wie gehackt“ und nach faulen Eiern riechend. Große Reizbarkeit und Überempfindlichkeit des Nervensystems sind typisch.

Colocynthis ist angezeigt bei krampfartigen, kolikartigen Schmerzen, die mit reichlich Gasansammlung verbunden sind.

Das Arzneimittelbild von Lycopodium umfasst Symptome wie Heißhunger, aber Völlegefühl schon nach wenigen Bissen. Die atonische Dyspepsie geht mit starker Gasbildung und Gärung im Bauch, Sodbrennen und saurem Aufstoßen einher. Bei chronischer Gastritis und Dyspepsie ist Lycopodium angezeigt.

Okoubaka hat einen organotropen Bezug zum Magen-Darm-Kanal. Die Anwendungsgebiete entsprechen dem homöopathischen Arzneimittelbild, dazu gehören Verdauungsbeschwerden, Brechdurchfall infolge veränderter Ernährungsgewohnheiten (z.B. auf Reisen), Nahrungsmittelintoxikation und -unverträglichkeiten. Es kommt auch zum Einsatz bei der Stuhlgangregulierung nach Antibiotikaeinnahme.

Homöopathische Kombinationsarzneimittel

Neben der Verordnung eines Einzelmittels hat sich bei einem Reizmagen oder Reizdarm, die charakterisiert sind durch eine ausgesprochene Vielschichtigkeit und Breite der bestehenden Beschwerden, der Einsatz eines Komplexmittels bewährt, das eine Reihe von Symptomen zugleich wirksam bessert.

So deckt z.B. die Kombination der homöopathischen Einzelmittel Anacardium, Belladonna, Carbo vegetabilis, Chamomilla und Lycopodium (z.B. in Stoma-Gastreu® S R5 Tropfen) durch sein breites Wirkspektrum die unterschiedlichen Symptome bei den verschiedenen Reizmagentypen sehr gut ab, was die Therapieempfehlung in der täglichen Praxis vereinfacht.

Bei Reizdarmbeschwerden mit Krämpfen, Tenesmen und einem Wechselspiel von Durchfall und Obstipation hat sich die Kombi der homöopathischen Einzelmittel Nux vomica, Lycopodium, Colocynthis und Sulfur (z.B. in Colintest-Gastreu® CN R37 Tropfen) bewährt. Diese ergänzen sich synergistisch in ihrer Wirkung. Das genannte Kombinationsarzneimittel kann darüber hinaus eingesetzt werden, um die Entschlackung des Darms anzuregen oder um die unerwünschten Wirkungen chemisch-synthetischer Medikamente zu reduzieren.

Auch gibt es Hinweise, dass sich Probiotika, Joghurt mit rechtsdrehenden Milchsäuren und lösliche Ballaststoffe günstig auswirken.

Phytotherapeutisch kommen bei RDS Gelbwurzel- und Pfefferminzöl-Kapseln zum Einsatz. Fenchel- und Kümmeltees helfen gegen Blähungen, bei dyspeptischen Beschwerden und Reizmagen gibt man Präparate mit Iberis amara (Bittere Schleifenblume).

Im Rahmen einer biochemischen Therapie sind bei einem Reizdarmsyndrom, das mit Durchfall einhergeht, die Schüßler-Salze Nr. 9 und Nr. 10 angezeigt, bei Krämpfen gemeinsam mit dem Schüßler-Salz Nr. 7. Bei Reizmagen mit Säureüberschuss empfehlen sich Nr. 3 und Nr. 9.

Im Falle eines Colon irritable haben sich auch hydrotherapeutische Maßnahmen (z.B. Heilbäder), Entspannungstechniken (z.B. Progressive Muskelrelaxation), eine Colonmassage oder das Heilfasten bewährt. Letzteres wirkt über antientzündliche Effekte als Folge einer ausbleibenden Arachidonsäurezufuhr v.a. bei Magen-Darm-Erkrankungen, darüber hinaus
bei Rheumatoider Arthritis, Fibromyalgie, Übergewicht und Migräne. Gemeint ist das stationäre Heilfasten mit einem geschulten, erfahrenen Fastenberater, der die aktuelle Medikation und Konstitution des Patienten sowie Kontraindikationen bzw. Risiken berücksichtigt und koordiniert.

Fazit

Im Rahmen eines naturheilkundlichen Therapiekonzeptes bei chronischen gastroenterologischen Erkrankungen wie Reizdarm oder Reizmagen fügen sich homöopathische Kombinationsarzneimittel als Add-on-Therapie sinnvoll in die Reihe erfolgreicher komplementärmedizinischer Ansätze ein. Hervorzuheben sind ihre nachhaltige und breite Wirkung auf die komplexe Beschwerdesymptomatik bei verschiedenen Reizmagen- und Reizdarmtypen sowie ihre gute Verträglichkeit.

Dr. med. Silke Nowak
Ärztin in einer Allgemeinarztpraxis und am Institut für Allgemeinmedizin der Universität Frankfurt am Main; seit 1998 Ärztin für Naturheilverfahren
Kontakt über die Paracelsus Redaktion

Literatur

  • Bleul, G., Kreisberger, P., Riker, U.: Die Homöopathische Hausapotheke – Die wichtigsten Arzneien für zu Hause und unterwegs. DZVhÄ
  • Boericke, W.C.: Handbuch der homöopathischen Materia medica. Haug
  • Charette, G.: Homöopathische Arzneimittellehre für die Praxis. Hippokrates
  • Pötschke, T. et al.: Heilfasten. Ernährung & Medizin. Haug
  • Schmiedl, V., Augustin, M.: Leitfaden der Naturheilkunde. Urban & Fischer/Elsevier
  • S3-Leitlinie Reizdarmsyndrom: Definition, Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie. Gemeinsame Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) und der Deutschen Gesellschaft für Neurogastroenterologie und Motilität (DGNM). AWMF-Registriernr.: 021/016. Z Gastroenterol 2011; 49:237-293
  • Wiesenauer, M., Elies, M.: Praxis der Homöopathie. Haug
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