aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 5/2018
Ernährung im Ayurveda
Grundlagen und Empfehlungen für den Alltag
Der aus dem Altindischen stammende Begriff „Ayurveda“ bezeichnet die „Wissenschaft vom Leben“. Sie dient nicht nur der Behandlung von Krankheiten, sondern v.a. deren Vorbeugung von klein auf und der dauerhaften Erhaltung von Gesundheit, damit das volle körperliche und geistige Potenzial ausgeschöpft werden kann. Ayurveda ist eine alltagstaugliche Medizin für jedermann, der mit Vitalität und Lebensfreude seinen persönlichen Zielen nachgehen möchte. So ist in diesem Philosophiesystem ein Mensch gesund, wenn sein Körper/Geist/ Seele-System eine Einheit bildet, wenn alle Energien im Gleichgewicht sind und äußere wie auch innere Harmonie vorliegt.
Ayurveda ist jahrtausendlange Erfahrung
Einerseits ist Gesundheit die Abwesenheit von Krankheit, andererseits bedeutet sie, mit sich selbst und seiner Umwelt im Einklang zu leben. Dafür bedarf es der Wiederentdeckung des eigenen Gespürs für diese Trinität: die Besinnung auf das Selbst und die eigenen Wünsche, das Ausleben dieser Bedürfnisse sowie das Finden des richtigen Maßes – nicht zu viel und nicht zu wenig (von allem).
Veda bedeutet „Wissen in reinster Form“: „tiefere Zusammenhänge des Lebens, ewige Wahrheiten, heilige Schriften, Erkenntnisse großer Weiser (Rishis) mit überaus sensiblen Wahrnehmungsfähigkeiten, Offenbarungen der Stille.“1) Jene Rishis legten vor ca. 5000 Jahren den Grundstein des Ayurveda. Mit der Gabe ausgestattet, tiefere Lebensgrundsätze zu erkennen: „Mit hellsichtigem Wissen, dass nach der geistigen Hochkultur, in der sie sich befanden, ein Zeitalter naht, wo Materialismus und Krankheiten herrschen, meditierten die Weisen mit vereinter Kraft. Ihr Ziel war es, den kommenden Generationen einen Weg zu wahrer Lebensqualität aufzuzeigen, zu einem Leben, das Gesundheit, wirtschaftlichen Erfolg, Sinnesgenuss und Spiritualität sinnvoll miteinander vereint.“1) Ayurveda gilt daher nicht nur als eine Heilkunde mit jahrtausendlanger Anwendungspraxis, sondern als Gesundheitslehre der Rishis, auf deren Basis ganze Ärztegenerationen ihre Erfahrungen und ihr Wissen (Veda) weiter zusammentrugen und anwendeten, abgestimmt auf die jeweiligen Lebensbedingungen.
Diese „Erfahrungsmedizin“ gilt es in der gegenwärtigen Zeit für den Menschen nutzbar zu machen, wobei u.a. Ethnie, Klima, Lebensgewohnheiten, Schlaf, Sexualität und Ernährung eine wichtige Rolle spielen. Die 3 letzteren gelten als die 3 Säulen des Lebens, wobei sich dieser Artikel auf das Thema Ernährung konzentriert.
Der Wille ist da, das Gespür muss folgen
Wie schwer uns eine adäquate Ernährung fällt, wird bei Patienten mit Krankheiten wie Reflux, Morbus Crohn, Adipositas, Diabetes mellitus, Anorexie und Bulimie deutlich, um nur einige zu nennen. Auch das Weglassen von Unverträglichem übersteigt schon so manches Mal unseren Willen. Ziel in allen Fällen muss es sein, genau zu spüren, womit wir uns unwohl fühlen, sei es das zweite Stück Kuchen, der Burger zu später Stunde oder der Kaffee frühmorgens auf nüchternen Magen.
Für die Wirksamkeit der ayurvedischen Ernährungslehre ist bei westlich geprägten Menschen ein Umdenken nötig.
Ayurveda fußt auf der Doshalehre
Grundansatz des Ayurveda ist die Doshalehre, die auf der Elementelehre aufbaut. Diese findet u.a. in der Ernährung ihren Niederschlag. Der Annahme nach bestehen Natur und Mensch aus den Elementen Erde, Wasser, Feuer, Luft und Äther als Essenz allen Wirkens, denen Eigenschaften innewohnen, die wiederum ihre Funktionen beeinflussen.
Erde – prithivi
stabil, fest, beständig, schwer, kompakt, kalt
Prinzip: Stabilität, Festigkeit
Strukturaufbau: Halt
Sinn: Riechen tamas (Ruhe und Schwere)
Wasser – jala
mobil, beweglich, weich, schwer, kühl/ kalt
Prinzip: Träger- und Transportsubstanz
Blut und alle reproduktiven Komponenten
Sinn: Schmecken
Verbindung von sattwa (Balance und Reinheit) und tamas
Feuer – tejas
trocken, scharf, ölig, heiß, leicht, fein, klar
Prinzip: Transformation, Stoffwechsel, Verdauungsfeuer Agni
Umwandlung von Nahrung in für uns verfügbare Energie durch das Verdauungsfeuer Prägt die enzymproduzierenden Organe (Leber, Pankreas)
Temperaturregulation
Sinn: Sehen
Verbindung von sattwa und rajas
(Aktivität und Unruhe)
Luft – vayu
leicht, kalt, kühl, trocken, beweglich-mobil, rau
Prinzip: Raum, Bewegung
Äther – akasha
subtil, leicht, klar, fein, leer, schnelle Veränderung
Prinzip: Transport von Klang, Emotionen Raum für das Gefäßsystem
Sinn: Hören
sattwa (energetische und spirituelle Balance)
Die Auffassung des Ayurveda, dass der Mensch aus strukturellen Elementen (Haut, Knochen, Gewebe, Kanalsysteme usw.) wie auch aus energetischen Komponenten besteht, zieht die Doshalehre nach sich. Diese Bioenergien werden unterschieden in:
Vata
Elemente: Luft, Äther
Qualitäten: trocken, kalt, leicht, fein, beweglich
Funktion auf körperlicher Ebene:
– bewirkt Atmung, Sprechen und Singen
– Harn-, Stuhl- und Schweißausscheidung
– Nährstoffverteilung
Funktion auf psychischer Ebene:
– bewegte und unruhige Gedanken
Pitta
Elemente: Feuer, Wasser
Qualitäten: fettig, heiß, scharf, flüssig
Funktion auf körperlicher Ebene:
– Umwandlung (bio-chemisch)
– bewirkt Verdauung
– Körperwärme
– Rotfärbung des Blutes
– Sehkraft
– Glanz der Haut
Funktion auf psychischer Ebene:
– Einsicht und Entschlossenheit
Kapha
Elemente: Erde, Wasser
Qualitäten: schwer, kalt, mild, ölig, süß, fest, schleimig
Funktion auf körperlicher Ebene:
– befeuchtet die Speisen
– bewirkt Festigkeit der Glieder, macht Gelenke geschmeidig
– vermittelt Geschmack
Funktion auf psychischer Ebene:
– Stabilität, Durchhaltevermögen, Geduld, Gelassenheit
– liebevolle Fürsorge
Jeder Mensch trägt diese Bioenergien in sich, allerdings in unterschiedlichen Anteilen. Aus geglichene Gesundheit lässt sich durch ein harmonisches Gleichgewicht von Vata, Pitta und Kapha herstellen und gilt als Grundlage der ayurvedischen Lehre. „Zu viel Festigkeit (Kapha) würde den Bewegungsfreiraum (Vata) einschränken. Zu viel Hitze (Pitta) oder zu viel Leichtigkeit (Vata) würde der Struktur (Kapha) schaden. Beginnend im kleinsten Organell, der einzelnen Zelle, müssen sich die Doshas positiv ergänzen, um Leben zu ermöglichen.“2)
Für eine adäquate ayurvedische Ernährung gilt es, diese Anteile genau aufzuspüren und zu erkennen. So manches Mal überlagern sie sich, und man darf sich – ähnlich wie beim Schälen einer Zwiebel – zum Kern vortasten.
Die Verdauung im Ayurveda
Unter Verdauung wird die Verarbeitung und Aufspaltung der Nahrung im Magen-Darm-Trakt verstanden. In der Schulmedizin sind dafür Enzyme erforderlich, die im Verdauungssystem Nahrung in ihre Einzelteile zerlegen. Somit werden diese für den Stoffwechsel verwertbar. Die Enzyme arbeiten spezialisiert: Die Amylase spaltet Stärke/Kohlenhydrate, die Lipase kümmert sich um Fette, die Protease um die Eiweiße. Enzyme unterstützen im Stoffwechselprozess weiterhin auf Zellebene bei der Aufnahme und Verwertung der Nährstoffe. Dabei entsteht Energie, die wiederum für weitere Prozesse benötigt wird.
Im Ayurveda sind an der Verdauung aktiv Agni und die 3 Doshas mit ihren Unterformen beteiligt. Man unterscheidet 10 Agnis. Davon kontrolliert Jatharagni, das Verdauungs- oder Königsfeuer, alle anderen Agnis. Es ist die Grundlage des Lebens. Jatharagni ist im oberen Dünndarm lokalisiert und für die primäre Verdauung (Prapaka, die Herstellung eines Nahrungsbreis zur weiteren Verarbeitung) verantwortlich. Es steht ebenso für das Prinzip der Transformation und Umwandlung im Menschen. Betrachtet man die Verdauung im Ayurveda näher, wird sie gegliedert in: die primäre Verdauung (Prapaka) und die sekundäre Verdauung (Vipaka), die einige Unterprozesse involviert.
Krishna spricht auch über Jatharagni und sagt: „Ich bin Jatharagni, das Verdauungsfeuer, das Feuer im Bauch. Als Jatharagni verdaue ich die Nahrung, die dreifache Nahrung, fest, flüssig, und auch die Nahrung, die dazwischen ist.“ Aus Sicht des Yoga wird Jatharagni durch Asanas (Körperübungen) und Pranayama (Atemübungen) gestärkt. Asanas, wie das lange Halten der Vorwärtsbeuge (Paschim thanasana), Drehsitz (Ardha Matsyendrasa na) und der Pfau (Mayurasana), stimulieren Jatharagni. Pranayama aktiviert Agni, so lässt die Wechselatmung (Anuloma Viloma) dieses besonders harmonisch fließen.3)
Wird dieses Jatharagni gelöscht, bedeutet das den Tod; wird es beeinträchtigt, führt es zu Krankheiten (Caraka Samhita, XV, 3-4).
Agni und seine Formen
Es gibt 3 krankhafte Zustände von Agni.4)
manda agni zu schwaches Verdauungsfeuer (Wasser und Erde)
Vorherrschend: Kapha
– Nahrung bleibt kalt, wird nicht aufgespalten, kann nicht verdaut werden
– führt zu Trägheit und Verstopfung
– Agnischwächung durch zu viel Nahrung oder zu häufige Nahrungsaufnahme
– Agnilöschung durch ständige Überfüllung des Magens und Darms (zu frühes Essen, ohne dass die vorhergehende Nahrung verdaut ist)
vishama agni wechselndes (schwanken des) Verdauungsfeuer (Luft und Äther)
Vorherrschend: Vata
– Folge ist eine unregelmäßige (wechselnde) Verdauung: Verstopfung, Durchfall, Heißhungerattacken, Essen wird vergessen
tikshna agni scharfes (zu starkes) Verdauungsfeuer (Feuer)
Vorherrschend: Pitta
– Nahrung wird verbrannt und verflüssigt, führt zu Durchfällen
– zu viel Feuer verbrennt die Nahrung zu schnell, Folge: inadäquate Nährstoffverwertung
Für die Doshas bedeutet das:
– Vata: Schmerzen und Blähungen
– Pitta: Brennen, ggf. Fieber
– Kapha: Übelkeit, Erbrechen, Schwere im Magen
Werden Nährstoffe nicht optimal verarbeitet oder geht ein Teil von ihnen verloren, wird der Gewebeaufbau beeinträchtigt. Nach ayurvedischer Sicht baut sich ein Gewebe (Dhatu) auf dem nächsten auf. Ist schon das 1. Gewebe auf der 1. Stufe der Nahrungsverwertung geschädigt, und wird das Ausgangsmaterial (die Nahrung) nicht richtig verwertet, zieht dies eine Schädigung sämtlicher nachfolgender Gewebe nach sich.
Auslöser für krankhafte Agni-Zustände können sein:
- unregelmäßige und späte Mahlzeiten
- zu häufiges oder zu seltenes Essen
- nicht frisch oder falsch zubereitete Nahrung
- zu kalte oder zu heiße/zu wenig oder zu stark gewürzte Speisen
- individuell unzuträgliche Nahrungsmittelkombinationen
- Essen ohne volle Konzentration auf die Nahrungsaufnahme
- unzureichendes Kauen
- zu viel Flüssigkeitsaufnahme während der Mahlzeiten
- Essen in ungewohnten Klimazonen/von Nahrungsmitteln aus ungewohnten Gebieten
Die Bedeutung von Mala und Ama Mala sind Abfallprodukte des Körpers (endogen). Ama sind unverdaute oder unverdauliche Nahrungsrückstände (exogen).
Symptome einer Ansammlung von Ama:
- Müdigkeit
- schweres Körpergefühl
- belegte Zunge, klebriger Speichel, Mundgeruch, Körpergeruch
- Infektionsanfälligkeit, Pilzerkrankungen
- Appetitlosigkeit
- Verdauungsbeschwerden wie Blähungen, Völlegefühl, klebriger, saurer Stuhl, saures Aufstoßen
- Stuhlunregelmäßigkeit (Verstopfung, Durchfall)
- unreine Haut, Akne, Hautausschläge, Ekzeme, andere Hautkrankheiten
- Schmerzen im Körper, auch rheumatische Beschwerden
- steife, unbewegliche Gelenke
- Antrieblosigkeit, Schwermut
- Aufmerksamkeits- oder Konzentrationsstörungen
- Träg- und Stumpfheit
Liegen Störungen des Agni und der Tridoshas (Vata, Pitta, Kapha) vor, entstehen Krankheiten, vorzugsweise aufgrund falscher Ernährungsweise. Auf Basis des dann nicht mehr adäquat arbeitenden primären Stoffwechsels (stark gestörte Doshas, Gewebe [Dhatu] und veränderte Abfallprodukte [Mala]) können aus ayurvedischer Sicht Gifte entstehen. Im Rahmen einer ayurvedischen Panchakarma-Kur werden diese zunächst mit verdauungsfördernden Medikamenten, dann mit Öl- und Schwitzkuren behandelt. Später folgen der Konstitution und dem Zustand des Patienten entsprechende ausleitende (eliminierende) Maßnahmen zur Entfernung der toxischen Substanzen. Anbieter solcher Kuren gibt es in Deutschland, Indien und Sri Lanka. Genügend Zeit, eine Vorbereitung hinsichtlich der Ernährungsumstellung und eine gute Reiseberatung sind hier empfehlenswert. Aber auch zu Hause können Patienten in Begleitung eines Heilpraktikers für Ayurvedatherapie oder einem Ayurveda-Ernährungscoach Panchakarma-Kuren in abgeschwächter, auf den Alltag angepasster Form durchgeführt werden.
Ernährungsempfehlungen für den Alltag
Das Ziel einer ayurvedischen Therapie ist es, die Bildung von Ama zu verhindern, vorhandenes aus den Geweben und Organen herauszulösen, es zu „verbrennen“ (Amapachana) und auszuscheiden.
Eine der grundlegendsten Empfehlungen im Ayurveda zur Stärkung des Jatharagni ist das Trinken von warmem oder heißem Wasser. Kochen Sie hierfür 1 bis 1,5 Liter (Quell-)Wasser für ein paar Minuten auf, vorzugsweise mit einer Scheibe frischem Ingwer, füllen Sie es in eine Thermoskanne und trinken Sie es nüchtern frühmorgens sowie dann über den Tag verteilt. Dies hilft, das Verdauungsfeuer anzuregen und zu verbessern sowie über Nacht angestaute Schlackenstoffe zu beseitigen. Sie können auch in der ersten Tageshälfte, bis zum frühen Nachmittag, Ingwerwasser verwenden.
- Vermeiden Sie es, zu den Mahlzeiten mehr als ein halbes Glas warmes oder zimmerwarmes Wasser zu trinken.
- Essen Sie regelmäßig und in Ruhe. Kauen Sie jeden Bissen gründlich, die Verdauung beginnt im Mund.
- Die letzte Mahlzeit des Tages sollte mindestens 2 Stunden vor dem Schlafengehen sein.
- Essen Sie erst dann wieder, wenn Sie Hunger haben. Lassen Sie mindestens 4 Stunden Zeit zwischen den Mahlzeiten, vermeiden Sie Zwischenmahlzeiten.
- Bereiten Sie das Essen frisch zu, wärmen Sie nichts auf.
- Essen Sie frisches Obst immer getrennt von anderen Nahrungsmitteln.
- Milch ist ein eigenständiges Nahrungsmittel und sollte nicht zum Essen getrunken oder mit anderen Nahrungsmitteln kombiniert werden.
- Lassen Sie am Ende einer Mahlzeit immer noch Platz im Magen. Vorbeugend können auch eine kurze Kur mit Mungbohnensuppe oder regelmäßige Entlastungstage mit dieser Suppe durchgeführt werden.
Kati Tripura Voß
Heilpraktikerin i.A., Yogalehrerin (BYV), Expertin für Ayurveda, eigene mobile Praxis, Dozentin an den Paracelsus Schulen
yoga-ayurveda-mediation-coaching@web.de
Quellen
1) www.yoga-vidya.de/ayurveda/ayurveda-wissen/grundlagen-des-ayurveda
2) www.yoga-body.de/ayurveda-elemente
3) www.wiki.yoga-vidya.de/Jatharagni
4) www.ayurveda-klinik.de/verdauung-01.html