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aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 3/2019

Die Heilkraft des Waldes

Cover

Gesundheitsstudien und Praxis des Waldbadens

Als vor wenigen Jahren das Thema „Waldbaden“ in den deutschsprachigen Medien aufkam, stieß es von Anfang an auf großes Interesse in der Bevölkerung. Kein Wunder, verfügen doch gerade Österreich, Deutschland und die Schweiz über sehr große Waldanteile: Während rund 48% der Landesfläche in Österreich davon bedeckt sind, sind es in Deutschland und der Schweiz jeweils rund 31%. Wir sind also nicht nur von Wald umgeben, er ist vielmehr wichtiger Bestandteil unseres Alltags. Wie eine Studie der MedUni Wien zeigt, nutzen gut 90% der Bevölkerung Österreichs den Wald in der Freizeit, um zu entspannen, einen Ausgleich zum alltäglichen Stress zu finden, aber auch, um der Gesundheit etwas Gutes zu tun. Man kann davon ausgehen, dass das Verhältnis in Deutschland und der Schweiz ähnlich ist. Insofern ist den meisten Menschen hier die Idee des „Waldbadens“ an und für sich nicht neu, jedoch sorgte der Begriff an sich schon eher für Verwirrung. Woher dieser stammt, worin der Unterschied zwischen einem „normalen“ Waldbesuch und „Waldbaden“ besteht, wie letzteres nun tatsächlich praktiziert wird und v.a. welche Heilwirkung dem Wald nachgesagt wird, wird in diesem Artikel beantwortet.

Von Senlinyu zu Shinrin Yoku – die Ursprünge des Waldbadens

Ursprünglich stammt das „Waldbaden“ aus China und blickt dort auf eine über 2500 Jahre alte Tradition zurück. Damals zielte man bereits mit einfachen Qigong-artigen Übungen im Wald darauf ab, das „Qi“ (Lebensenergie) des Waldes in sich aufzunehmen. Populär wurde Waldbaden als naturmedizinischer Ansatz allerdings erst vor 40 Jahren in Japan. Verständlich, dass ein solcher Trend gerade dort seinen Anfang fand: Japan verfügt einerseits über ausgedehnte Wälder und eine sehr umfassende Naturmedizin, ähnlich der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM). Andererseits ist die Arbeitswelt Japans von Druck und enormem Stress gekennzeichnet.

Shinrin Yoku bietet einen wohltuenden Gegenpol zu diesem stressreichen Leben: Anstelle der städtischen Hektik bietet der Wald eine ruhige, angenehme Atmosphäre. Die Luft ist nicht verbraucht und voller Abgase, sondern frisch und erfüllt von heilsamen Terpenen. Gleichzeitig rücken der rasante Alltag wie auch sämtliche gesellschaftlichen Maßstäbe vollkommen in den Hintergrund – beim Waldbaden gibt es kein Müssen oder Sollen. Der Mensch erlebt sich und die Natur in seiner bzw. ihrer Ursprünglichkeit. Ein Umstand, der nicht nur den Japanern, sondern jedem Volk gut tut: Waldbaden verbreitete sich schnell in anderen waldreichen asiatischen Ländern wie Taiwan, Nord- und Südkorea. Es stößt nun auch international auf großes Interesse. In einigen asiatischen Ländern ist Waldbaden bereits zu einem festen Bestandteil der Gesundheitsvorsorge geworden. In Japan hat sich die „Waldmedizin“ als anerkannte wissenschaftliche Disziplin etabliert. Auch in Deutschland tut sich etwas: 2017 entstand der erste Heil- und Kurwald in Mecklenburg-Vorpommern, weitere sind in Planung.

Eintauchen in die Waldatmosphäre

Wie es nun zu dem etwas eigenwilligen Begriff des „Waldbadens“ kam, ist leicht erklärt: Es handelt sich hier um eine Interpretation des japanischen Begriffs „Shinrin Yoku“, der wörtlich übersetzt „Eintauchen in die Waldatmosphäre“ bedeutet. International hat man sich inzwischen auf den Begriff der „Waldtherapie“ geeinigt. In der praktischen Verwendung gilt es allerdings auf landesspezifische Restriktionen zu achten, da die Worte „Therapie“ bzw. „Therapeut“ in vielen Ländern nur unter bestimmten Voraussetzungen und in Verbindung mit entsprechender fachlicher Ausbildung verwendet werden dürfen. „Waldbaden“ an sich aber kann jeder Mensch betreiben, auch ohne therapeutischen Hintergrund. Darunter versteht man das bewusste Verweilen im Wald, um sich körperlich und geistig zu erholen und seine Gesundheit zu stärken. Im Gegensatz zu einem normalen Waldbesuch hat Waldbaden das Ziel, die vorhandenen Heilwirkungen des Waldes mittels einfacher Übungen gezielt zu intensivieren.

Wie wirkt der Wald?

Es gibt keine zwei Wälder, die gleich sind. Jeder hat seinen eigenen „Fingerabdruck“. Verständlich, wo doch jede Naturlandschaft durch die verschiedene Zusammenstellung ihrer Pflanzen einzigartig ist. „Den Wald“ gibt es also nicht, und genau das erschwert bis zu einem gewissen Grad auch die Erforschung von Waldatmosphären, zumal die Wissenschaft rund um die Heilkraft der Wälder noch relativ jung ist. Die wichtigsten und bahnbrechendsten Ergebnisse stammen nach wie vor aus Asien, auch wenn bei einigen dieser Studien kritisiert wird, dass diese noch verifiziert, in einem größeren Rahmen und mit entsprechenden Vergleichsgruppen durchgeführt werden müssten, um wirklich allen hierzulande geltenden Standards zu entsprechen. Aktuell wird bereits eine Vielzahl an neuen Studien weltweit durchgeführt. International sind sich Forscher einig, dass die Ergebnisse aus Asien erst die Spitze des Eisberges sind und wir in den kommenden Jahren mit aufsehenerregenden Ergebnissen rund um die Heilkraft des Waldes rechnen dürfen. Bis dahin und sowieso lohnt sich ein Blick auf die Forschungsergebnisse aus Asien:

Aktivierung des Immunsystems

Vorreiter in Sachen Shinrin Yoku war Qing Li, Medizinprofessor der Nippon Medical School in Tokyo, der in Zusammenarbeit mit japanischen, chinesischen und koreanischen Wissenschaftlern erste Nachweise erbrachte, dass ein Aufenthalt im Wald Veränderungen im menschlichen Organismus auslöst, die im Blut messbar sind. Qing Li und sein Kollege, der Umweltmediziner Tomoyuki Kawada, nahmen Versuchspersonen vor und nach einem Waldbesuch Blut ab und konnten feststellen, dass das Immunsystem bereits auf einen kurzen Waldspaziergang deutlich reagiert. Noch erstaunlicher waren die Ergebnisse bei einem längeren Aufenthalt im Wald.

Auch die Krebsforscherin Roslin Thoppil von der Vanderbilt Universität in Nashville (USA) konnte u.a. eine vergleichbare Wirkung feststellen. So kann ein Waldspaziergang bereits ausreichen, um deutlich Stress abzubauen, die Konzentration zu fördern und die Stimmung aufzuhellen. Ein Tag im Wald kann die Bildung von natürlichen Killerzellen im Blut um bis zu 40% steigern. Der Effekt hält laut Studien bis zu zwei Wochen an und kann durch einen zweitägigen Aufenthalt sogar verdoppelt werden.

Weiterhin fanden Qing Li und seine Kollegen heraus, dass in bewaldeten Gebieten weniger Menschen an Krebs sterben als in Regionen ohne Wald. Das liegt vermutlich auch daran, dass die Waldluft die Produktion von Anti-Krebs-Proteinen anregt, wie die Forscher herausfanden. Konkret geht es um drei antikarzinogene Immunproteine (Perforin, Granulysin, Granzyme), welche die natürlichen Killerzellen u.a. benötigen, um uns vor Krebserkrankungen zu schützen oder um gegen bestehende Tumore anzutreten.

Wald für das Herz

Gemeinsam mit seinen Kollegen erforschte Qing Li auch die Wirkung des Waldes auf das menschliche Herz. Anhand von Bluttests konnte festgestellt werden, dass Waldspaziergänge auch die Produktion des „Herzschutzhormons“ DHEA deutlich anregen. DHEA ist an der Regulierung des Blutzuckerspiegels beteiligt und hält unsere Herz-Kreislauf-Funktionen aufrecht. Es kann u.a. zur Entspannung von Blutgefäßen beitragen, die Durchlässigkeit und Elastizität der Blutgefäße erhöhen, die Gefahr der Entstehung von Blutgerinnseln reduzieren, und so der Gefahr von Bluthochdruck, Stoffwechselstörungen, erhöhtem Blutzuckerspiegel und Fettleibigkeit entgegenwirken. Klinische Studien fanden für DHEA ebenfalls eine Wirkung bei Schizophrenie, Alzheimer und Major-Depression. Der Einsatz des Steroidhormons kann sich zudem positiv auf Knochen, Muskeln und die menschlichen Sexualfunktionen auswirken.

Was wirkt im Wald?

Wie bereits angesprochen, wird v.a. den Terpenen eine große Wirkung auf unseren Körper zugeschrieben. Dies sind jene Stoffe, mit denen Bäume, andere Pflanzen und Pilze kommunizieren, die unser Immunsystem entschlüsseln kann und die u.a. für den herrlichen Duft der Waldluft verantwortlich sind. Terpene sind eine sehr große, heterogene Gruppe chemischer Verbindungen, die sich biosynthetisch von Isopren- bzw. Isopentenyl-Einheiten ableiten lassen. Da es verschiedene funktionelle Gruppen gibt, ist eine spezifischere Unterteilung der Terpene durch Zuordnung zu verschiedenen Stoffgruppen möglich. Bislang sind über 8000 Terpene und über 30000 der nahe verwandten Terpenoide bekannt. Bei den meisten Terpenen handelt es sich um Naturstoffe pflanzlicher und teils tierischer Herkunft. Terpene bilden den Hauptbestandteil von ätherischen Pflanzenölen.

Sobald wir den Wald betreten, steht unser Körper im Austausch mit der gesamten Umgebung und wird zum Teil ihres Kommunikationssystems. Terpene nehmen wir vorrangig über unsere Atmung, also über die Lunge auf sowie teilweise über unsere Haut. Dabei treten die Stoffe in unseren Blutkreislauf ein und finden ihren Weg zu unseren Zellen und Organen. Das limbische System in unserem Gehirn reagiert mit der Ausschüttung von Hormonen und Neurotransmittern, die wiederum positiv auf unsere Gesundheit wirken. Einige dieser Terpene – v.a. Limonene und Pinene – interagieren direkt mit unserem Immunsystem und sind anscheinend für die immunsteigernde, teils auch krebshemmende Wirkung der Waldluft verantwortlich. Auch auf diesem Gebiet wird in den kommenden Jahren mit großer Wahrscheinlichkeit noch einiges Spannendes zu erwarten sein.

Kraftquelle Wald

Während das Wissen um die nachweisbare Wirkung des Waldes auf unser Immunsystem für viele noch recht unbekannt und überraschend ist, sind sich Naturliebhaber seit jeher der entspannenden Wirkung des Waldes bewusst. Ähnlich wie beim „Waldcocktail“ wirken auch hier verschiedene Faktoren zusammen:

Da ist zunächst das heilsame Grün, das entspannend wirkt, aber auch Konzentration und Kreativität stärkt. Dann wäre die Symphonie an Naturgeräuschen zu nennen, in die wir eintauchen. Diesbezüglich haben Untersuchungen ergeben, dass diese Geräusche unser Gehirn so aktivieren, dass wir aufmerksamer sind, unseren Gedanken besser freien Lauf lassen können und Stress abbauen. Mit großer Wahrscheinlichkeit hat auch die Mischung aus Terpenen und anderen duftenden Stoffen eine beruhigende Wirkung auf uns, so wie man es von spezifischen ätherischen Ölen kennt. Nicht zuletzt bietet uns der Wald einen „geschützten Raum“.

Wie Studien des amerikanischen Psychologen-Ehepaars Rachel und Stephen Kaplan und anderer zeigten, lassen Naturaufenthalte den Menschen sehr schnell eine gesunde Distanz zum Alltag herstellen. Probleme und Stressfaktoren verlieren temporär an Bedeutung, es gibt keine gesellschaftlichen Werte, keine wirtschaftlichen Vorgaben, keine Zeitlimits o.ä. Auch spielen Alter, Geschlecht, Aussehen oder sexuelle Orientierung keine Rolle. Wir begeben uns in ein heilsames, wertfreies Umfeld fernab unseres Alltags – ein Umstand, der einen sehr großen Effekt auf unsere Psyche entfalten kann.

All diese Faktoren können eine sehr stark beruhigende Wirkung auf uns haben. Die Waldatmosphäre aktiviert den Parasympathikus, was uns zum einen schnell in die Entspannung bringt, zum anderen dient der aktivierte Parasympathikus der Regeneration und Heilung von Zellen und Organen. Ein wünschenswerter Rundum-Effekt, der mit wenig Aufwand erreicht und mit einfachen Übungen verstärkt werden kann.

Waldbaden in der Praxis

Da Waldbaden hierzulande noch ganz am Anfang steht, habe ich für meine Arbeit als Waldbaden-Trainerin ein eigenes Übungskonzept entwickelt. Es soll Interessierten einen roten Faden bieten und einfacher machen, spezifische Übungen nach dem jeweils gewählten Schwerpunkt auszusuchen. Die „Waldkraft-Triade“ ist bezugnehmend auf die drei wesentlichen Forschungsbereiche der Waldmedizin (Immunsystem, Stressreduktion und Psyche) ebenfalls in drei Felder geteilt. Der Bereich „Körper“ widmet sich mit einfachen Atem- und Meditationsübungen ganz unserem Immunsystem. Der Bereich „Geist“ zielt mit Achtsamkeits- und Sinnesübungen auf Stressreduktion und Entspannung ab. Im Bereich „Seele“ geht es darum, neue Perspektiven zu finden und mit Belastungen bewusst umzugehen, wozu einfache Naturrituale dienen sollen.

Welcher Wald ist der Richtige?

Sehr oft tauchen bei Interessierten Fragen auf, welcher Wald der Richtige sei und ob man auch als Laie Waldbaden korrekt praktizieren könne. In beiden Fällen gibt es nur einen richtigen Weg: den intuitiven. Es ist durchaus sinnvoll, das Bauchgefühl entscheiden zu lassen, welchen Wald wir für unsere Praxis wählen oder wie genau wir eine Übung ausführen, selbst wenn z.B. ein Nadelwald eine höhere Konzentration an heilsamen Terpenen aufweist als ein Laubwald oder 30 Minuten Meditation bedeutsamer sein mögen als 10. Unser Gefühl hat nämlich eine nicht zu unterschätzende Wirkung: Erst wenn wir uns wohlfühlen, können wir entspannen. Und je müheloser und tiefer wir entspannen, desto besser kann unser Immunsystem arbeiten. Waldbaden ist nicht mehr als ein tiefes Eintauchen in unsere eigene Natur – aber eben auch nicht weniger.

Mag. Ulli FelberMag. Ulli Felber
Waldbaden-Trainerin, Dipl. Burnout-Prophylaxe-Trainerin, Buchautorin
hello@waldwelt.at

Buch-Tipp
Uli Felber:
Waldbaden im Jahreskreis.
Das Jahr im Rhythmus des Waldes.
Schirner Verlag

Foto: © John Smith / fotolia.com

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