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aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 3/2020

Vom gefährlichen Unsinn der Fern-Hypnose

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Wegen der aktuellen Ansteckungsgefahr durch das Coronavirus verzichten viele Therapeuten und Coaches (gezwungenermaßen) auf psychologische Behandlungen in der Praxis und weichen auf Telefon- oder Videositzungen aus. An sich keine schlechte Sache. In gewisser Weise bergen diese Medien sogar neue Chancen. Als Student habe ich 8 Jahre lang ehrenamtlich regelmäßig in einer Telefonseelsorgestelle mitgearbeitet und war (als auditiver Typ) damals schon oft erstaunt darüber, wieviel Atmosphäre, Zwischentöne und „Ungesagtes“ man über diesen eingeschränkten Übertragungsweg doch mitbekommen kann.

Gleichwohl habe ich allergrößte Bedenken gegenüber der Art und Weise, wie jetzt mehrere große Hypnose-Ausbildungsinstitute ihre Schüler und Absolventen zur Durchführung von Fern-Hypnosen auffordern und ermutigen. Dies geschieht zum Teil über Newsletter, aber auch öffentlich über YouTube-Beiträge, in denen alle Gefahren einer solchen Vorgehensweise völlig verharmlost werden!

Insbesondere einen Video-Talk auf YouTube finde ich in mehrfacher Hinsicht unverantwortlich. Folgend drei klare Statements meinerseits mit Begründung:

1. Fernbehandlungen sind rechtlich bedenklich

Im Videoclip wird pauschal behauptet, Ferndiagnosen und Fernbehandlungen seien rechtlich zulässig, „wenn sie medizinisch vertretbar“ seien.

So generell stimmt das einfach nicht!
Auch wenn für approbierte Ärzte und psychologische Psychotherapeuten das Verbot von Fernbehandlungen gelockert wurde, haben dem – aus guten Gründen – noch längst nicht alle Landesärztekammern zugestimmt. Und das ist laut RA Dr. jur. Frank A. Stebner, Fachanwalt für Medizinrecht, u.a. ein Grund dafür, dass Heilpraktiker (für Psychotherapie) keinen Freibrief für Fernbehandlungen haben. Er schreibt in seinem Artikel in der „Freien Psychotherapie“ Nr. 4/2014:

„Eine Fernbehandlung liegt vor, wenn der Kranke oder für ihn ein Dritter dem Heilpraktiker, der die Krankheit erkennen und behandeln soll, Angaben über die Krankheit, insbesondere Symptome oder Befunde übermittelt, und dieser, ohne den Kranken gesehen und die Möglichkeit einer Untersuchung gehabt zu haben, entweder die Diagnose stellt und/ oder einen Behandlungsvorschlag unterbreitet. Fernbehandlungen sowie Ferndiagnosen sind unzulässig, da es zu den Pflichten des Heilpraktikers aus dem Behandlungsvertrag gehört, sich von den Leiden des Patienten ein eigenes Bild zu machen. Daran entscheidet sich auch die Frage, ob dieser einen Patienten zu Hause besuchen muss oder nicht. Dies lässt sich normalerweise nicht per Ferndiagnose entscheiden.“ (Rieger pp., Heidelberger Kommentar Arztrecht, Krankenhausrecht, Medizinrecht, Loseblattsammlung Heidelberg 2011, Stichwort „Fernbehandlung“). Der vollständige Artikel „Beratungen per E-Mail, Telefon und Telefax“ ist auf unserer Verbandshomepage www.vfp.de im Bereich „Verbandszeitschrift“ abrufbar.

Auch heute noch gilt für alle Heilpraktiker (für Psychotherapie), dass ein physischer Kontakt/ eine persönliche Begegnung, eine Anamnese und Diagnosestellung vorausgegangen sein müssen, bevor man Fernberatungen über Medien anbietet und durchführt. Dazu Dr. Stebner an gleicher Stelle:

Zulässige Beratung per E-Mail, Telefon und Telefax
„Problemlos möglich ist eine Beratung von Patienten, die mit ihrer Krankheit bereits in der Behandlung des Therapeuten sind. Telefon, E-Mail und Telefax können bei akuten wie chronischen Krankheiten eine kostensparende und effektive Methode sein, um eine engmaschige Verlaufsbeobachtung, Anpassung der Dosierung usw. durchzuführen. Diese Art der Patientenbetreuung ist Ausdruck einer sorgfältigen, gewissenhaften Behandlung.“

In ganz ähnlicher Weise schreibt der auf Heilpraktiker-Recht spezialisierte RA Dr. jur. René Sasse aktuell auf seiner Homepage zum Thema Fernbehandlung:

„Ob eine ausschließliche Fernbehandlung mit der medizinischen Sorgfaltspflicht des Heilpraktikers vereinbar ist, ist bislang nicht abschließend geklärt. Kritisch betrachtet wird insbesondere die Wirksamkeit einzelner Online-Therapien. Es handelt sich um eine Frage des jeweiligen Einzelfalles; jede Fernbehandlung ist individuell zu beurteilen.“

Besonders weist Dr. Sasse auf folgenden Sachverhalt hin: „Eine Erstanamnese dürfte i.d.R. eine persönliche Untersuchung erfordern. Ausschließliche Fernbehandlungen sind problematisch. Fernbehandlungen bieten sich als unterstützende Therapiemaßnahme an; sie ersetzen aber keinesfalls die persönliche Behandlung. Es empfiehlt sich, Diagnose und Therapie stets an eine persönliche Wahrnehmung des Patienten zu knüpfen. Die erste Befunderhebung sollte im persönlichen Kontakt erfolgen. Im Anschluss kann sorgfältig abgewogen werden, ob der Einsatz von Fernkommunikationsmitteln die Therapie unterstützen kann.“

Und weiter: „Eine Fernbehandlung ohne vorherige persönliche Untersuchung durch den Heilpraktiker wird vom Gesetz als potenziell gesundheitsgefährdend erachtet. Dies basiert auf der Annahme, dass gegen Fernbehandlungen erhebliche gesundheitliche Bedenken bestehen. Fernbehandlungen gefährden die Gesundheitsbelange des Einzelnen und der Allgemeinheit. Ohne eigene Wahrnehmung kann es bei der Diagnose zu Fehlern kommen. Die Schilderung des Krankheitsbildes durch den Patienten selbst ist oft unzuverlässig. Fernbehandlungen erhöhen deshalb das Risiko von fehlerhaften Diagnosen und Prognosen.“

Quelle: https://www.heilpraktikerrecht.com/bereiche-des-heilpraktikerrechts/rechtliche-infos-fuer-heilpraktiker-zum-corona-virus/fernbehandlungen-aus-rechtlicher-sicht/

2. Fern-Hypnosen widersprechen der Sorgfaltspflicht

Ich habe diese Stellungnahmen bewusst so ausführlich zitiert, weil die Macher des Video-Talks und andere Propagandisten der Fern-Hypnose einfach darüber hinweggehen. Im besagten Video weist einer der Sprecher zwar auf die Bedeutung einer gründlichen Anamnese hin, leugnet aber die Notwendigkeit, dass diese im persönlichen Augenschein erfolgen müsse. Er beschreibt, dass ein Arzt z.B. das Patientenknie direkt untersuchen müsse, um feststellen zu können, ob eine Arthrose vorliege; bei psychischen Diagnosen behauptet er aber, allein über ein Ferngespräch ausschließen zu können, dass ein Anrufer schizoid oder schwer depressiv (und damit für eine Hypnose ungeeignet) sei.

Das ist aus meiner Sicht eine Missachtung der Sorgfaltspflicht und ein Aufruf zur Missachtung derselben an alle Zuschauer des Videos! Zudem widerspricht es der aktuellen Rechtslage und ist damit unverantwortlich. Hypnoseeffekte über die Ferne zu erzielen, ist zwar möglich; die Risiken, die auftreten können, sind aber u.U. nicht beherrschbar.

Anscheinend sind den Machern des Videos einige Risiken durchaus bewusst, sie werden aber systematisch verharmlost, und der Zuschauer wird stattdessen mit „Tipps“ versorgt.

Beispiele:
a) Der Sprecher weist darauf hin, der Therapeut könne den Klienten nicht berühren, um ihn bei Gefühlsregungen zu beruhigen. Er könne ihn nicht „rütteln“, um ihn aus heftigen emotionalen Reaktionen herauszuholen.

Verantwortlich wäre, Hypnose nur im persönlichen Kontakt und mit unterstützender Präsenz des Therapeuten durchzuführen! Jeder Hypnosetherapeut sollte gelernt haben, dass der Rapport zum Klienten nicht verloren gehen darf, um ihn sicher in die Trance hineinzuführen, währenddessen stabil anzuleiten und den Trancezustand dann auch wieder gefahrlos und vollständig aufzulösen. Wie soll oder kann man das per Telefon oder Videochat garantieren? Es gibt immer wieder Patienten, die irgendwann „aussteigen“ und sich – ohne persönliche Beobachtung und Begleitung durch den Therapeuten – in ihrer Innenwelt „verlaufen“. Es kommen Fälle vor, bei denen Patienten in Trauma-Erinnerungen abrutschen oder in jüngere Altersstufen regredieren und alleine nicht mehr herausfinden. Was will und kann man verantwortlich in solchen Situationen noch über das (Bild-)Telefon erreichen?

b) Der Sprecher merkt an, dass die Einschlafneigung der Klienten bei der Fern-Hypnose stärker gegeben sei als bei einer Real-Hypnose in der Praxis. Er gibt den Ratschlag, man solle darauf achten, die Hypnose nicht zu tief werden zu lassen.

Als ob der Therapeut das wirklich in der Hand hätte! Jeder Klient macht aus der Heterohypnose seine ganz persönliche Autohypnose und setzt die gegebenen Suggestionen auf seine eigene Art und Weise um. Der eine bleibt, wie gewünscht, in einer leichten Entspannungshaltung, während der andere bei den gleichen Worten automatisch in eine Tieftrance oder in den Schlaf gleitet.

c) Der Sprecher behauptet, man könne auch über die Ferne mit jeder Form von Hypnose arbeiten: mit Suggestionsarbeit genauso wie mit Hypnoanalyse. Dabei gibt er sogar zu, dass ein Klient sehr tief abtauchen könne.

Der im Video gegebene „Tipp“, der Klient solle sich vorsichtshalber einen Timer stellen oder eine Vertrauensperson bitten, ihn nach einer Weile zu wecken, ist angesichts der tatsächlich gegebenen Risiken naiv. Er wirkt laienhaft und entspricht nicht der gebotenen Sorgfaltspflicht!

d) Der ganze YouTube-Beitrag dient dazu, den Schülern/Absolventen/Interessenten „Mut zur Fern-Hypnose“ zu machen und sie auf die geplanten Folge-Webinare hinzuweisen, die natürlich auch beworben werden. Von bestehenden Werbeverboten erfährt man nichts.

3. Werbung für Fernbehandlungen ist rechtswidrig

Im Video wird zwar behauptet, man habe sich rechtskundig gemacht. Entscheidende Hinweise fehlen aber, wie z.B. darauf, dass Werbung für Fernbehandlungen verboten ist. Damit riskieren die Macher, dass Kollegen, die den Ratschlägen folgen und Online-Therapie und Fern-Hypnose anbieten, reihenweise abgemahnt werden können und ggf. sogar mit Strafverfolgung rechnen müssen. Die Wettbewerbsvereine warten nur darauf, wie ein aktueller Artikel in der Ärzte-Zeitung deutlich macht. Im Text heißt es, die Wettbewerbszentrale wolle gerichtlich klären lassen, ob das Verbot der Werbung für Fernbehandlungen (nach § 9 Heilmittelwerbegesetz) weiterhin Bestand habe. Deshalb habe die „Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs“ bereits den Privatversicherer „Ottonova“ verklagt, weil der mit digitalem Arztbesuch und Krankschreibung per App wirbt. (Quelle: www.aerztezeitung.de, „Wir lassen nicht locker“, 12. März 2019)

Auch RA Dr. Sasse warnt eindeutig: „Bislang galt ohne Ausnahme: Unter das Werbeverbot fallen sowohl die Ferndiagnose als auch die Werbung für die Fernbehandlung. § 9 HWG soll sämtliche Werbung für eine Ausübung der Heilkunde, die nicht auf eigener Wahrnehmung beruht, unterbinden.

Werben Sie deshalb nicht für die Erkennung oder Behandlung von Krankheiten, Leiden oder Körperschäden, die nicht auf Ihrer eigenen Wahrnehmung am Patienten beruht. Vermeiden Sie jede Werbung für ausschließlich schriftliche, telefonische oder elektronische Beratungen. Als Heilpraktiker dürfen Sie nicht damit werben, dass Sie allein auf die Mitteilung krankhafter Beschwerden eines Anfragenden per E-Mail oder Telefon hin eine Diagnose erstellen oder medizinische Ratschläge erteilen. (Quelle: www.heilpraktikerrecht.com)

Was ist erlaubt, was kann man tun?

Verzichten Sie auf Fern-Hypnose, Fern-EMDR u.ä. Methoden, die Fernbehandlungen mit unkalkulierbaren Risiken darstellen. Beschränken Sie sich vielmehr auf psychologische Beratung, Konfliktbegleitung und Verhaltenstraining. Diese Vorgehensweisen sind im Gespräch sicher auch über die Ferne möglich. Hierin geht es um Lernprozesse bei den Klienten, die Sie initiieren, fördern und begleiten können – und auch dürfen! Konzentrieren Sie sich dabei auf die gemeinsame Bearbeitung von Themen, die Sie mit Ihren Sorgfaltspflichten vereinbaren können.

Da Werbung für Fernbehandlung verboten ist, Werbung für Telefon- und Videoberatung hingegen nicht, formulieren Sie als Heilpraktiker für Psychotherapie wie auch als Psychologische Berater die Ankündigungen auf Ihrer Homepage und in anderen Medien stets so, dass es um Fern-BERATUNG geht, damit Sie keine Abmahnung und Strafverfolgung riskieren!

Die derzeit außergewöhnlichen Umstände erfordern außergewöhnliche Maßnahmen. Wählen Sie ein Telemedium, dass hinsichtlich Sicherheit und Vertraulichkeit der Inhalte zertifiziert ist. Auf der Homepage des Bundesverbandes der Vertragspsychotherapeuten e.V. (www.bvvp.de) finden Sie im Bereich FAQ viele ausführliche Antworten dazu, u.a. eine Liste zertifizierter Anbieter. Skype und andere bekannte Verbindungen sollen nicht sicher sein und erlauben i.d.R. auch nur eine private Nutzung. Für gewerbliche Zwecke muss man höherwertige kostenpflichtige Programme herunterladen.

Bevor Sie mit der Fernberatung starten, sollten Sie sich unbedingt einen Aufklärungs- und Einverständnisbogen sowie einen Beratungsvertrag unterzeichnen lassen, um rechtlich auf der sicheren Seite zu sein. Auch die Honorar-Regelung muss klar vereinbart sein. Ein Muster für einen solchen Einverständnisbogen, den Sie für Ihre Gegebenheiten abwandeln können, ist zum Download in den FAQ des BVVP bereitgestellt.

Dr. paed. Werner WeishauptDr. paed. Werner Weishaupt
Heilpraktiker für Psychotherapie,
Dozent für Psychotherapie und Hypnosetherapie, Präsident des VFP e.V.
dr.weishaupt@vfp.de

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