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aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 2/2021

Unsere Heilpflanze: Gelber Enzian – Gentiana lutea

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Auch bekannt als: Bitterwurz, (Berg-)Fieberwurzel, Jänzene, Jäuse, Sauwurz, Zergang, Zinalwurz, Magenwurz, Edler Enzian, Gemeiner Enzian, Großer Enzian, Gebräuchlicher Enzian, Gelbsuchtwurzen, Butterwurz, Darmwurzen, Halunkenwurz, Asterias lutea, Swertia lutea

Die Gattung der Enziane (Gentiana) innerhalb der Familie der Enziangewächse (Gentianaceae) umfasst weltweit mehrere Hundert Arten. Gentiana lutea, der Gelbe Enzian, ist eine davon. Dabei handelt es sich um eine auffallende Gebirgspflanze aus Mittel- und Südeuropa, die in den Pyrenäen, im französischen Zentralmassiv, in der Türkei, auf der Balkanhalbinsel sowie in den Karpaten vorkommt. In den Alpen findet man sie vereinzelt bis in 2500 m Höhe.

In Deutschland und Österreich steht der Enzian unter Naturschutz.

Der Gelbe Enzian liebt kalkhaltige Böden und ist auf Weiden, ungedüngten Wiesen, Schutthalden oder an Felsen anzutreffen.

Der Arzt Dioskurides, der in der Epoche des Kaisers Nero lebte (54-68 n. Chr), berichtet, dass der Enzian schon seit der Zeit des Königs Genthios von Illyrien (180-168 v. Chr.) bekannt sei. Dieser König scheint namensgebend für die gesamte Pflanzengattung gewesen zu sein: Die botanische Bezeichnung Gentiana wird nachweislich seit 50-100 n. Chr. verwendet. Laut Plinius dem Älteren hat Genthios von Illyrien auch als erster die Pflanze gegen die Pest eingesetzt.

Woran erkennt man den Gelben Enzian?

Er ist eine ausdauernde, stattliche Pflanze mit Wuchshöhen von 50-150 cm Höhe. Sie ist graugrün und vollständig kahl. Der Wurzelstock (Rhizom) ist mehrköpfig und erreicht oben mitunter die Dicke eines Armes. Dabei kann er bis zu 1 m lang werden. Der einfache, runde Hohlstängel steht aufrecht und wächst fingerdick. Die kreuzgegenständig angeordneten, bläulich-grünen Laubblätter sind elliptisch geformt und stark bogennervig gerippt. Sie erreichen eine Länge von bis zu 30 cm und sind bis zu 15 cm breit. In den Achseln der Hochblätter findet man in Teilblütenständen bis zu 10 Blüten. Diese sind lang gestielt, fünfzählig und sehr einfach gebaut. Es gibt 5 blassgelbe Kelchblätter und 5 goldgelbe, an ihrer Basis verwachsene Kronblätter. Als „Nektar führende Scheibenblume“ bietet der Enzian den Nektar offen an.

Die Pflanze kann bis zu 60 Jahre alt werden. Ihre Blüten erscheinen erst nach dem 10. Jahr. Insbesondere davor ist höchste Vorsicht geboten: Die Pflanze darf – v.a. ohne Blüten  – keinesfalls mit dem stark giftigen Weißen Germer verwechselt werden!

Wie wirkt der Gelbe Enzian?

Bezüglich der Wirkung von Arzneimitteln gibt es ein altes Sprichwort: „Was bitter im Mund, ist dem Magen gesund.“ Das passt haargenau auf den Enzian: Ein wässriger Extrakt des Wurzelstocks dieser alten Heilpflanze schmeckt noch in einer Verdünnung von 1:200000 deutlich bitter.

Durch die enthaltenen Bitterstoffe wird der Appetit angeregt, die Entleerung des Magens nach der Speiseaufnahme beschleunigt und die Resorption von Nahrungsstoffen gefördert. Aufgrund der Wirkung auf die Geschmacksnerven kommt es reflektorisch zur Anregung der Speichel- und Magensaftsekretion. Daher gilt Enzianwurzel(stock) nicht nur als Amarum (Bittermittel), sondern auch als Roborans und Tonikum. In Tierversuchen wurde zudem eine Steigerung der Bronchialsekretmenge festgestellt.

Bitterstoffdrogen sollten nur als Tee oder Tinktur eingenommen werden. In Kapseloder Drageeform würde die Wahrnehmung des bitteren Geschmacks verhindert werden.

Enzian sollte nicht bei bestehendem Bluthochdruck eingesetzt werden. Auch Beschwerden durch Magen- und Darmgeschwüre gelten als Kontraindikation. In der ersten Phase der Schwangerschaft sollte auf die Verwendung von Enzian(-Präparaten) verzichtet werden.

Eigenschaften

  • antibakteriell
  • menstruationsfördernd
  • tonisierend

Anwendungsgebiete

  • Appetitlosigkeit
  • Völlegefühl
  • Bauchschmerzen
  • Blähungen
  • Erkältungskrankheiten (Schnupfen)
  • Kalte Füße
  • Blutarmut
  • Kreislaufbeschwerden
  • Krampfadern
  • Leber- und Gallenbeschwerden
  • Magenbeschwerden
  • Mangelhafte Gallenabsonderung
  • Mangelhafte Magensekretionsbildung
  • Müdigkeit
  • Nervenschwäche
  • Ohnmachtsanfälle
  • Rheuma
  • Schwindelgefühle
  • Sodbrennen
  • Übelkeit
  • Verdauungsbeschwerden bzw. -krankheiten
  • Verstopfung

Welche Wirkstoffe sind im Gelben Enzian enthalten?

Der Gelbe Enzian enthält – wie alle Pflanzen der Gentianaceae – v.a. Bitterstoffe. Die meisten gehören zur Gruppe der Secoiridoidglykoside, z.B. Swerosid und Swertiamarin. Das Gentiopicrosid wurde im letzten Jahrhundert entdeckt, davon sind 2-3% im Wurzelstock vorhanden. Das bittere Prinzip erschloss sich durch die Isolierung von Amarogentin (s. Formel), das nur in geringer Konzentration mit bis 0,04% vorhanden ist. Wegen der Höhe seines Bitterwertes ist es jedoch die wertbestimmende Komponente. Amarogentin ist noch in einer Verdünnung von 1:58000000 wahrnehmbar und gilt als die bitterste bekannte Substanz.

Weiterhin sind bis 55% Kohlenhydrate vorhanden, v.a. Glukose und Fruktose, die Disaccharide Saccharose und Gentiobiose sowie das Trisaccharid Gentianose.

Die im Gelben Enzian gefundenen Xanthone (u.a. Gentisin, Isogentisin, Methylgentisin, Gentisein, Gentiosid) sind für seine Färbung verantwortlich und wirken antioxidativ.

Der Wurzelstock enthält nur sehr wenig ätherisches Öl.

Welche Teile der Pflanze werden medizinisch verwendet?

Als Arzneidroge kommt die getrocknete Enzianwurzel Gentianae radix (Radix Gentianae, Bitterwurzel, Fieberwurzel) zum Einsatz. Die Trocknung muss schnell erfolgen, da der pharmakologische Wert durch die sonst eintretende Gärung (wegen der enthaltenen Kohlenhydrate) stark gemindert wird. Die Droge wird nach dem Trocknen zerkleinert. Sie hat einen starken, nachhaltig bitteren Geschmack. Aus den Wurzelstöcken werden ethanolische Extrakte und Tinkturen hergestellt.

Anwendung

Üblicherweise nutzt man Enzian als Teezubereitung. Dazu wird 1/2 Teelöffel Enzianwurzel (1-2g) mit siedendem Wasser (150ml) übergossen. Man lässt den Sud 5-10 Minuten ziehen und seiht durch ein Teesieb ab. Der Tee kann auch durch Ansetzen mit kaltem Wasser und mehrstündiges Ziehen zubereitet werden. Vom Tee trinkt man mehrmals täglich 1 Tasse kalt oder mäßig warm 30 Minuten vor den Mahlzeiten.

Zubereitungen aus Enzianwurzel sind in Form von Tropfen, Tinkturen, Tabletten, Dragees und als Tee in Apotheken und Drogerien erhältlich. In Magentee und -tropfen wird Enzianwurzel oft kombiniert mit Wermutkraut, Schafgarbenkraut, Wacholder oder Tausendgüldenkraut. Gelber Enzian ist auch Bestandteil von „Klosterfrau Melissengeist“.

Wissenswertes

In der Mythologie wurde der Gelbe Enzian für zahlreiche Beschwörungen und Rituale genutzt, und oft anstelle der damals sehr teuren Alraunwurzel. Ganz allgemein gilt er als Symbol für Kraft und Stärke.

In Tirol ist Enzianschnaps ein registriertes traditionelles Lebensmittel. Zur Herstellung wird Gentiana lutea verwendet, seltener der ungarische Enzian (Gentiana pannonica), der Tüpfel-Enzian (Gentiana punctata) oder der Purpur-Enzian (Gentiana purpurea), obwohl jener am besten für die Schnapsherstellung geeignet ist. Das Destillat ist im Gegensatz zu Extrakten des Wurzelstocks nicht bitter.

Auf den österreichischen Euro-Cent-Münzen ist der Enzian abgebildet, ebenso auf dem rumänischen Ein-Leu-Schein und der Schweizer Fünf-Franken-Münze.

Dr. rer. nat. Frank HerfurthDr. rer. nat. Frank Herfurth
Heilpraktiker, Lebensmittelchemiker,
Dozent an den Paracelsus Schulen
fh@herfurth.org

Fotos: © Maghlaoui / adobe.stock.com, © Dejan / adobe.stock.com

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